SUPPLEMENT: Perspektiven der Onkologie
Brustkrebsgene: Ihre Zahl wächst stetig


Auch Experten fällt es schwer, den Überblick zu behalten und die relative Bedeutung der einzelnen Gendefekte abzuschätzen.
Nicht nur BRCA1 und BRCA2, sondern rund ein Dutzend Gene – genauer Mutationen und andere Varianten in den Genen – erhöhen das Brustkrebsrisiko. Dies zeigen die jetzt im New England Journal of Medicine veröffentlichten Ergebnisse aus 2 großen Fall-Kontroll-Studien aus den USA und (überwiegend) aus Europa.
Seit in den 1990er-Jahren mit BRCA1 und BRCA2 die ersten Brustkrebsgene entdeckt wurden, sind eine Reihe weiterer Gene hinzugekommen, deren Einfluss auf das Brustkrebsrisiko nur teilweise erforscht ist. Auch Experten fällt es schwer, den Überblick zu behalten und die relative Bedeutung der einzelnen Gendefekte abzuschätzen.
2 Arbeitsgruppen aus den USA und Europa haben deshalb die verfügbaren Daten in Fall-Kontroll-Studien zusammengefasst. Das von der EU finanzierte „Breast Cancer Association Consortium“ hat 44 Studien analysiert, die den Einfluss von 34 Genen bei 113 927 Frauen aus 25 Ländern untersucht hatten. Das US-amerikanische „CARRIERS Consortium“ greift auf die Ergebnisse aus 12 Kohorten zurück, die den Einfluss von 28 Genen an 64 791 Frauen untersucht hatten.
Signifikanter Zusammenhang mit Brustkrebsrisiko
Beide Studien haben für 8 Gene – BRCA1, BRCA2, PALB2, BARD1, RAD51C, RAD51D, ATM und CHEK2 – einen signifikanten Zusammenhang mit dem Brustkrebsrisiko ermittelt. In den europäischen Studien wurde außerdem eine signifikante Assoziation für Varianten im Gen MSH6 und in den US-Studien für Varianten im Gen CDH1 gefunden. Für die meisten übrigen Kandidatengene konnte kein signifikanter Zusammenhang mit der Krankheit hergestellt werden.
Am deutlichsten waren die Assoziationen mit BRCA1 und BRCA2. Varianten in diesen Genen erhöhten das Brustkrebsrisiko in der US-Studie um den Faktor 7,62 beziehungsweise 5,23. In der europäischen Studie betrugen die Odds Ratios sogar 10,57 beziehungsweise 5,85. Die Trägerinnen der Varianten haben nach der US-Studie ein Risiko von etwa 50 %, bis zum Alter von 80 Jahren an Brustkrebs zu erkranken.
Aber auch bei pathogenen Varianten in ATM, CHEK2 und PALB2 liegt das Lebenszeitrisiko bei über 20 %. Die Odds Ratios betrugen für ATM 2,10 beziehungsweise 1,81, für CHEK 2,54 beziehungsweise 2,47 und für PALB2 5,01 beziehungsweise 3,83 nach der europäischen beziehungsweise US-amerikanischen Studie.
Die verschiedenen Brustkrebsformen werden unterschiedlich beeinflusst. BRCA1, BRCA2 und PALB2 wurden häufiger beim triplenegativen Mammakarzinom gefunden. Die meisten Brustkrebsarten, die bei Frauen mit einer Mutation in ATM oder CHEK2 auftreten, sind dagegen östrogenrezeptorpositiv. Die neuen Zahlen könnten nach Ansicht des Editorialisten Steven Narod vom Women’s College Research Institute in Toronto Auswirkungen auf Vermeidungsstrategien haben, die derzeit häufig auf eine Mastektomie hinauslaufen.
Die Entwicklung von östrogenrezeptorpositiven Tumoren könnte jedoch auch durch Antiöstrogene wie Tamoxifen, Raloxifen oder Aromataseinhibitoren verhindert werden, spekuliert Narod (falls sich dies in randomisierten Studien als effektiv erweisen sollte und die Nebenwirkungen von den betroffenen Frauen akzeptiert würden).
Die Brustkrebsgene erhöhen nicht nur das Brustkrebsrisiko. Bei BRCA1 und BRCA2 ist auch das Risiko auf ein Ovarialkarzinom erhöht. CHEK2-Mutationen wurden mit einem erhöhten Darmkrebsrisiko in Verbindung gebracht. Träger von ATM-Mutationen haben möglicherweise ein erhöhtes Risiko auf ein Pankreaskarzinom.
Bei ATM-Mutationen sollte bei Kinderwunsch auch der Partner untersucht werden: Wenn beide Elternteile eine ATM-Mutation haben, besteht eine 25-%ige Wahrscheinlichkeit, dass das Kind an einer Ataxia teleangiectatica erkrankt, die häufig bereits im Kindesalter tödlich verläuft.
Andere Zusammenhänge haben sich nicht bestätigt. Die meisten Gene, die das Risiko auf ein hereditäres nonpolypöses Kolonkarzinom erhöhen, waren nicht mit einem Mammakarzinom assoziiert (mit der Ausnahme von MSH6). Frauen, die an diesem erblichen Dickdarmkrebs erkrankt sind, müssen deshalb nicht befürchten, auch noch an Brustkrebs zu erkranken. ▄
DOI: 10.3238/PersOnko.2021.03.19.07
Rüdiger Meyer
Quelle: New England Journal of Medicine (2021; DOI: 10.1056/NEJMoa2005936 und DOI: 10.1056/NEJMoa1913948)