ArchivDÄ-TitelSupplement: PerspektivenSUPPLEMENT: Onkologie 1/2021Companion-Diagnostik in der Onkologie: Im Krankenhaus nur mit Improvisationsgeschick

SUPPLEMENT: Perspektiven der Onkologie

Companion-Diagnostik in der Onkologie: Im Krankenhaus nur mit Improvisationsgeschick

Dtsch Arztebl 2021; 118(11): [24]; DOI: 10.3238/PersOnko.2021.03.19.05

Bruns, Johannes

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Der Zugang von Krebspatienten zu notwendigen Biomarkeranalysen für Diagnose und Behandlung ist abhängig von den Versorgungsstrukturen. Die entsprechenden Regelungen für die ambulante und die stationäre Betreuung der Patienten sind widersprüchlich.

Companion- Diagnostik- Leistungen und andere Biomarkeranalysen sind im pauschalierten Abrechnungssystem der stationären Versorgung nicht oder nur unzureichend berücksichtigt. Foto: frenta stock.adobe.com
Companion- Diagnostik- Leistungen und andere Biomarkeranalysen sind im pauschalierten Abrechnungssystem der stationären Versorgung nicht oder nur unzureichend berücksichtigt. Foto: frenta stock.adobe.com

Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ist eine der großen Errungenschaften unseres Sozialstaates. In ihr sind über 90 % der Bevölkerung versichert. Der überwiegende Anteil davon ist pflichtversichert, was ein wesentliches konstitutives Element der GKV ausmacht. Diese gesetzlich geregelte Pflicht bedingt aber auch, dass Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung Anspruch auf eine Krankenversorgung haben, die dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Kenntnisse entspricht und den medizinischen Fortschritt berücksichtigt.

In der Onkologie ist es heute Standard, die molekularen Ursachen der Erkrankung zu berücksichtigen. Dieser Standard und der sich abzeichnende Fortschritt gehen unter anderem auf die Vorarbeiten der Molekularbiologen James Watson und Francis Crick zurück, die vor mehr als einem halben Jahrhundert, genauer 1953, ein Modell für den Aufbau der DNA entwickelt und damit die Tür für ein neues und fortschrittliches Verständnis vieler Krebserkrankungen aufgestoßen haben. So werden viele onkologische Arzneimittel heute entlang molekularer Eigenheiten des Tumors (sog. Biomarker) entwickelt.

Die Therapie baut dabei nicht mehr nur auf einer bildgebenden Diagnostik oder einer pathologischen Untersuchung auf, sondern bedient sich vielfältiger diagnostischer Nachweise, auf der Ebene des menschlichen Genoms. Für einen evidenzbasierten Einsatz zielgerichteter Arzneimittel wird daher oft ein Test auf einen genetischen Biomarker zwingend durch die für die Zulassung zuständigen Behörden gefordert. Diese Tests, häufig auch als Companion-Diagnostik-Untersuchungen bezeichnet, sowie andere molekularbiologische Analysen sind aufwendig und erfordern spezialisierte Kenntnisse sowie eine entsprechende Ausstattung.

Viele zielgerichtete Therapien und ihre Biomarker inklusive der für deren Untersuchung notwendigen Tests sind heute medizinischer Standard. Sie werden von den Zulassungsbehörden gefordert und sind Bestandteil ärztlicher Behandlungsleitlinien. Patienten verbinden mit dem Nachweis therapieleitender Biomarker die Erwartung auf eine spezifischere Behandlung ihrer Erkrankung. In vielen Fällen belegen Studien den positiven Effekt des Einsatzes von Companion-Diagnostik-Untersuchungen.

Nach langem Ringen mit dem Gesetzgeber und der Gemeinsamen Selbstverwaltung wurde 2016 die Erstattung von Companion-Diagnostik-Untersuchungen und anderen gentechnischen Testverfahren durch ein eigens geschaffenes Unterkapitel im vertragsärztlichen Leistungskatalog speziell in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung sichergestellt. Der Gesetzgeber hat für Wirkstoffe mit zulassungsbedingter, verpflichtender Biomarkeranalyse eine Frist für die Überprüfung der Abrechnungsfähigkeit der zugehörigen Companion-Diagnostik-Untersuchung im EBM gesetzlich festgeschrieben.

Im pauschalierten Abrechnungssystem der stationären Versorgung sind Companion-Diagnostik-Leistungen und andere Biomarkeranalysen seit Jahren nicht oder nur unzureichend berücksichtigt. Natürlich ist im Krankenhaus alles erlaubt, was nicht verboten ist. Aber eine nicht vorhandene oder nicht ausreichende Finanzierung kommt faktisch einem Verbot durch einen Finanzierungs- und Kalkulationsvorbehalt gleich. Krankenhäuser erhalten für die Versorgung von Patienten Fallpauschalen, deren Höhe sich aus dem in der Vergangenheit angefallenen Behandlungsaufwand ergibt.

Die Kosten neuer Behandlungsmethoden werden erst mit einer Verzögerung von etwa 3 Jahren in den Fallpauschalen näherungsweise berücksichtigt, sofern eine ausreichende Zahl von ausgewählten Dokumentationskrankenhäusern die Kosten für neu hinzugekommene Behandlungsmethoden dokumentiert hat. Hier sei angemerkt, dass nach vielen Jahren der Finanzierungsunsicherheit für diagnostische Tests jetzt zumindest ein beschreibender Prozedurenschlüssel (OPS) für die Dokumentation solcher Leistungen definiert wurde, um in den nächsten Jahren eine bessere Grundlage für die nach heutigen Regeln notwendige Kalkulation zu haben.

Ungleichbehandlung der Leistungserbringer ist ein Systemversagen

Das bedeutet: In der ambulanten Versorgung können Patienten heute vor dem Einsatz entsprechend zugelassener Medikamenten durch einen Vertragsarzt getestet und im Sinne des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse nach SGB V behandelt werden. Krankenhäuser sind bei der Behandlung eines gleich gelagerten Falles dazu nicht in der Lage. Vielmehr müssen sie im Interesse der Patienten viel Improvisationsgeschick beweisen, um den medizinischen Standard zu erfüllen. Diese Ungleichbehandlung der Leistungserbringer und der von ihnen betreuten Patienten stellt ein „Systemversagen“ dar.

Bisher sind in Deutschland mehr als 70 Wirkstoffe in der Krebsmedizin zugelassen worden, für die eine durch die Zulassung verpflichtend Biomarkertestung durchgeführt werden muss, um den Stand des Wissens zu erfüllen.

Welches Dilemma diese widersprüchlichen Regelungen für die Versorgungspraxis hervorruft, wird an folgendem Beispiel deutlich: Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin empfiehlt in ihren hochwertigen S3-Leitlinien zur Behandlung des Lungenkarzinoms den Nachweis bestimmter Biomarker (EGFR, ROS1, ALK, BRAF) als Voraussetzung für den Einsatz molekularer Therapien. Eine im Jahr 2018 auf dem Deutschen Krebskongress präsentierte Befragung unter 85 Onkologen in Niederlassung und Krankenhaus ergab, dass Patienten über alle stationären Einrichtungen hinweg nur unzureichend auf o. g. Biomarker getestet werden (EGFR: 75 %, ROS1: 9%, ALK: 41 %). So lag z. B. die Testrate für EGFR in Lungenfachkliniken bei 64 % und in nicht universitären Krankenhäusern bei 71 %; sie ist damit deutlich niedriger als die Rate getesteter Patienten in onkologischen Praxen (82 %).

Die über fast 10 Jahre langsam zunehmenden Testraten sind ambulant zwar höher als stationär, aber auch insgesamt noch deutlich von dem anzustrebenden Niveau entfernt. Dies hat sich in den letzten Jahren auch nur unwesentlich verbessert und ist weiterhin nicht zufriedenstellend. Hinter diesen Zahlen verbirgt sich auch die für Patienten nicht hinzunehmende Tatsache, dass der Zugang zu notwendigen Biomarkeranalysen von zufällig vor Ort bestehenden Versorgungsstrukturen abhängt.

Wird ein Patient von seinem Hausarzt zur Weiterbehandlung in ein Krankenhaus überwiesen, sinken die Chancen auf eventuell notwendige Biomarkeruntersuchungen deutlich ab. Dies trifft in besonderem Maße solche Patienten, deren Erkrankung aufgrund ihrer Komplexität eine stationäre Biopsieentnahme notwendig macht (z. B. beim Lungenkarzinom). Überweist der Hausarzt den Patienten jedoch zu einem niedergelassenen Onkologen, stehen die Chancen auf eine Testung deutlich besser.

In dieser Zwangslage zwischen der Erfüllung des medizinischen Standards nach SGB V und der fehlenden Finanzierung bleiben den Krankenhäusern nur drei Optionen:

  • Patienten erhalten notwendige Companion-Diagnostik-Untersuchungen nicht.
  • Biomarkeranalysen werden selektiv zulasten des Hauses beauftragt.
  • Patienten werden für Companion-Diagnostik-Untersuchungen in den ambulanten Bereich „verschoben“.

Bei der Verschiebung tauchen die Kosten für notwendige Biomarkeranalysen in den Kostendokumentationen der Krankenhäuser jedoch nicht auf und verzerren somit, insbesondere in onkologischen Spitzenzentren, die tatsächlich anfallenden Ausgaben für eine leitliniengerechte Versorgung von Patienten. Die tatsächlichen Kosten werden deshalb auch nicht bei der Kalkulation zur Änderung der Krankenhausentgelte durch das InEK berücksichtigt. Betrachtet man die Datenanalyse des InEK, so haben im Jahr 2018 weniger als 1 % der Lungenkarzinompatienten im stationären Bereich Companion-Diagnostik-Untersuchungen erhalten.

Die Unterversorgung von onkologischen Patienten mit notwendigen Biomarkeranalysen im Krankenhaus läuft den ethischen und rechtlichen Ansprüchen unseres Gesundheitssystems nach einer sektorenunabhängigen und am Stand der medizinischen Kenntnis orientierten Krankenversorgung deutlich zuwider.

Den politischen Gestaltern unserer Gesundheitsversorgung im Parlament, im Ministerium und in der Gemeinsamen Selbstverwaltung ist das Problem seit Langem bekannt und es liegen unterschiedlichste Lösungsansätze von Patienten und Leistungserbringern vor. Eine Lösung ist bislang jedoch nicht in Sicht.

Es darf allerdings nicht sein, dass Patienten ihren Anspruch auf den Zugang zu diagnosesichernden Testverfahren aufgrund eines nicht mehr zu verleugnendem Systemversagens erst vor Gerichten erwirken müssen. Diese Zeit haben Patienten nicht.

DOI: 10.3238/PersOnko.2021.03.19.05

Dr. med. Johannes Bruns

Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG)

Interessenkonflikt: Keiner

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