

Bei der stationären Versorgung von Coronapatienten konnten in Deutschland Versorgungsengpässe, wie sie etwa in Italien, Frankreich oder den USA zu beobachten waren, vermieden werden. Aber auch hier kam es zu organisatorischen Herausforderungen und Belastungsspitzen.
Noch immer befinden sich in den deutschen Krankenhäusern etwa 2 700 Patientinnen und Patienten aufgrund einer COVID-19-Erkrankung in intensivmedizinischer Behandlung – über die Hälfte davon muss invasiv beatmet werden. Zu Zeiten der Hochinzidenzphase rund um den Jahreswechsel mussten mehr als 5 700 Coronapatienten versorgt werden. Insgesamt wurden bislang über 80 000 intensivmedizinische Behandlungen abgeschlossen. Hinzu kommt ein Vielfaches dessen, bezieht man die auf Normalstation versorgten Erkrankten mit ein.
Das Management der Versorgung von COVID-19-Patienten sei in Deutschland generell gut gelaufen, betonte Prof. Dr. med. Thea Koch, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie des Dresdner Universitätsklinikums Carl Gustav Carus, im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt. Dazu hätten insbesondere Netzwerkstrukturen in den Regionen beigetragen. „Dank der engmaschigen Abstimmungen zur strukturierten Verteilung der Patienten ist es gelungen, Überlastungen und Engpässe an personellen und gerätetechnischen Ressourcen in den Krankenhäusern zu vermeiden“, so Koch.
Große Herausforderungen
Dabei habe COVID-19 als gänzlich unbekannte Erkrankung mit hoher Sterblichkeit aber für alle in der Intensivmedizin eine große Herausforderung dargestellt. Insbesondere zu Beginn der Coronapandemie sei die Patientenversorgung mit einer großen Sorge bezüglich der eigenen Gesundheit verbunden gewesen. Hinzu komme, dass der Kampf gegen SARS-CoV-2 körperlich sehr anstrengend sei und emotional stark belaste. „Wir mussten erkennen, dass wir trotz maximalem Einsatz aller medizinischen und gerätetechnischen Möglichkeiten und dem unermüdlichen Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des pflegerischen wie ärztlichen Dienstes viele unserer Patienten nicht retten konnten“, erläutert Koch.
Hinzu sei die fehlende Einbeziehung der Angehörigen gekommen. Durch die sehr eingeschränkten Besuchsregelungen seien viele Patienten verstorben, ohne dass die ihnen Nahestehenden Abschied nehmen konnten. Damit hätten Ärzteschaft und Pflegende noch stärker in der Verantwortung gestanden, die Sterbenden zu begleiten. Zusätzlich habe die Knappheit von Masken und anderen Materialien in den ersten Monaten für große Verunsicherung der Teams in den Kliniken gesorgt.
Zusammenarbeit gelungen
Als äußerst positiv habe sie, so Koch, die hervorragende interdisziplinäre und interprofessionelle Zusammenarbeit sowie das große Interesse ganz unterschiedlicher Fächer wahrgenommen. „Jeder wollte aus den Behandlungsverläufen lernen und uns mit Ideen für eine optimale Behandlung unterstützen.“
Ähnliches berichtete Priv.-Doz. Dr. med. Christoph D. Spinner, Oberarzt Infektiologie sowie Pandemiebeauftragter des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universität München. Sowohl in klinischen Studien wie in der Routineversorgung sei es gelungen, schnell mehr über die SARS-CoV-2-Infektion, die Übertragung und den Schutz der Mitarbeitenden, Diagnostik, aber auch Therapie zu lernen. Da allerdings in Deutschland, anders als in den Vereinigten Staaten oder dem Vereinigten Königreich, keine klinisch-infektiologischen und nur begrenzt intensivmedizinische Studiennetzwerke verfügbar waren, sei den wenigen deutschen Studienzentren häufig nur die Option der Vernetzung aufgrund von bereits bestehenden Kooperationen verblieben. Gerade in Pandemiezeiten sei es aber wichtig, rasch zur Evidenz von Behandlungsmethoden beizutragen, um die Therapiesituation für die Patienten zu verbessern. „Ich würde mir von der deutschen Politik und Hochschulpolitik wünschen, dass die Notwendigkeit gut entwickelter klinischer Studienzentren einen wichtigen Beitrag in der Pandemiebekämpfung und Verbesserung der Therapiesituation leisten kann, anerkannt wird“, so Spinner. Denn insbesondere in der viel diskutierten translationalen Medizin stelle die klinische Prüfung zwar den letzten, aber entscheidenden Schritt dar. Während in Deutschland klinische Prüfungen nahezu ausschließlich durch die pharmazeutischen Unternehmen finanziert und durchgeführt würden, seien andere Länder aus seiner Sicht weiter. Die dort vorhandenen großen Fördertöpfe, die auch für die Verbesserung von Therapie genutzt werden können, seien vielleicht auch eine Perspektive für Deutschland.
„Aus meiner Sicht hat sich sehr deutlich gezeigt, wie wichtig infektiologische Kompetenz und Strukturen sind, damit in interdisziplinären Teams (gemeinsam mit anderen Klinikern, Hygienikern, Diagnostikern und der Klinikadministration) auf die Pandemiesituation nach einer entsprechenden Analyse reagiert werden kann“, betont Spinner. Kliniken mit entsprechender Infektiologie-Struktur hätten schnell skalieren und die Versorgungssituation und das Management sehr viel schneller anpassen können als Kliniken ohne entsprechende Struktur. Insgesamt sei es deshalb wünschenswert, dass die Pandemie deutlich macht, welchen wichtigen Beitrag die klinische Infektiologie gemeinsam mit anderen Disziplinen leistet und daher auch formal gestärkt wird. Dies sei insbesondere mit Blick auf die Verhinderung nosokomialer Ausbrüche und des Schutzes der Mitarbeitenden essenziell.
Dies bekräftigt Koch: „Aus medizinischer Sicht hat uns die Pandemie stärker für die Prävention und Eingrenzung von Infektionen sensibilisiert. Ich denke hier auch an den Eigenschutz beispielsweise das Tragen von Masken.“ Dies werde auch nach der Coronapandemie weiter Bestand haben. Grundsätzlich habe die Pandemie laut Koch mit Blick auf das Gesamtsystem gelehrt, dass sich die im europäischen Vergleich oft kritisierte hohe Anzahl an Krankenhausbetten in Deutschland als Vorteil erwiesen hat. „Wir konnten zeigen, dass die Versorgung in einem eingespielten Team sehr viel besser möglich ist als beispielsweise in eilig neugeschaffenen Intensivstationen in Messe- oder Kongresshallen!“
Für ihre Region könne sie zudem die enge Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern verschiedener Versorgungsstufen hervorheben, die sich sehr bewährt habe. So sei es gelungen, die in den Zentren aufgebaute ärztliche und pflegerische Expertise in die Fläche zu bringen. Diesen Ansatz gelte es nun zu verstetigen, indem die Netzwerkstrukturen erhalten bleiben und idealerweise durch telemedizinische Angebote ergänzt werden. Dies biete eine große Chance, auch bei anderen Krankheitsbildern die Patienten in den regionalen Krankenhäusern entsprechend dem aktuellen Kenntnisstand und der Leitlinien behandeln zu können. Dies stelle gerade in der Pandemiesituation eine wichtige Grundlage dar, um beispielsweise in Krankenhäusern der Supra-Maximalversorgung – wie dem Dresdner Universitätsklinikum – handlungsfähig zu bleiben und auch andere, schwer erkrankte Patienten versorgen und komplexe Operationen durchführen zu können.
Die während der Pandemie gesammelten Erfahrungen bezüglich der verschiedenen Möglichkeiten der Aufstellung der Krankenhauslandschaft weisen laut Spinner auf einen Zwiespalt hin. Auf der einen Seite führe die Konzentration klinischer Kompetenz in Großkliniken zwar häufig zu besserer Behandlungskapazität, auf der anderen Seite liege darin auch ein großes Risiko. Während vor allem in den südeuropäischen Ländern die Versorgung von Nicht-COVID-19-Patienten an den Schwerpunktzentren fast kollabierte, sei hierzulande durch die verschiedenen Sektoren mit Kliniken und Niedergelassenen die Versorgung besser balanciert geblieben.
Gemeinsam durch die Krise
Zugleich leisteten die Universitätskliniken einen überproportional großen Beitrag zur Versorgung der schwer und kritisch kranken COVID-19 Patienten. Es mache deshalb Sinn, auf der einen Seite Behandlungskompetenz an großen Behandlungszentren, wie den Universitätskliniken zu bündeln, aber diese gut in dezentrale Strukturen der Flächenversorgung zu integrieren, um so gemeinsam Krisen bewältigen zu können.
Für eine Verstetigung der Impulse hin zu einer stärkeren Verzahnung der medizinischen Kenntnisse und der organisatorischen Strukturen spricht sich auch Koch aus. Die Pandemie habe auch hier Dinge möglich gemacht, an die vorher nicht zu denken war und liefere Inspirationen dafür, wie man die Gesundheitsversorgung noch besser und effizienter gestalten könne. Zugleich habe die Coronapandemie jedoch auch die Grenzen des medizinisch Möglichen aufgezeigt und gelehrt, „etwas demütiger“ zu sein.
Laut Spinner habe COVID-19 auch sämtliche Schwächen des Systems offengelegt: Pflegepersonalmangel, stark verbesserungsbedürftige öffentliche Entscheidungsstrukturen, ein fast kaputt gesparter und dezentraler öffentlicher Gesundheitsdienst, falsch verstandener Datenschutz und kaum Digitalisierungsfortschritte. Die in diesen Bereichen durch die Pandemie in voller Wirkung entfaltete Disruptionskraft gelte es zu nutzen. „Ich hoffe sehr, wir packen es an – gemeinsam!“
André Haserück, Falk Osterloh
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