ArchivDeutsches Ärzteblatt11/2021Öffentlicher Gesundheitsdienst: Licht und Schatten

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Öffentlicher Gesundheitsdienst: Licht und Schatten

Beerheide, Rebecca

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Mit der Pandemie steht auch der Öffentliche Gesundheitsdienst im Fokus. Doch durch die jahrelange Unterfinanzierung ist es in vielen Ämtern oft nur durch viel Engagement möglich, die Aufgaben seit zwölf Monaten zu bewältigen. Ein Blick in die Ämter in Weimar und im Kreis Gütersloh.

Foto: picture alliance/dpa/Britta Pedersen
Foto: picture alliance/dpa/Britta Pedersen

Mitten in den Schlagzeilen der Pandemiebekämpfung steht seit einem Jahr der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD): Kontaktnachverfolgung, Zettellisten und Quarantänebescheide sind geläufige Begriffe. Aber auch die mangelhafte finanzielle Ausstattung bei Personal und digitaler Technik werden zum Thema. Da jedes der rund 400 Gesundheitsämter in jedem Bundesland sehr unterschiedlich ausgestattet ist, sind pauschale Aussagen über den ÖGD kaum möglich. Im ersten Jahr der Pandemie hat die Bundespolitik immer wieder ein Auge auf den föderal organisierten Gesundheitsdienst geworfen: Im September konnten Expertinnen und Experten aus dem ÖGD bei einem Gipfel im Kanzleramt ihre Lehren und Ideen aus der Pandemie vorstellen (siehe DÄ 38/2020). Später folgte daraus noch der „Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst“, in dem insgesamt vier Milliarden Euro bis zum Jahr 2026 enthalten sind. Noch allerdings sind nur Gelder für die Digitalisierung der Ämter angekommen, diese betragen zusätzlich noch einmal 50 Millionen Euro. Die Strukturmaßnahmen für zusätzliches, auch ärztliches Personal sei beispielsweise in Nordrhein-Westfalen noch gar nicht angelaufen.

Ämter mit Herausforderungen

Von Kommune zu Kommune gibt es andere Erfahrungen, andere Personalschlüssel, unterschiedliche Herausforderungen. Zwei Beispiele aus Weimar und dem Kreis Gütersloh zeigen Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten:

So hängt für Dr. med. Isabelle Oberbeck der Start an der Spitze des Gesundheitsamtes der Stadt Weimar eng mit der Pandemie zusammen. „Im Dezember 2019 habe ich die Leitung übernommen. Dann haben wir noch eine Kita wegen Krätze geschlossen – und dann Begann die Pandemie“, berichtet die 47-Jährige. Überstunden zähle sie nicht mehr, Rufbereitschaft jedes Wochenende, dazu Homeschooling für ihre beiden Kinder. Die Belastung gleiche sie aus mit einer guten Arbeitsatmosphäre unter den Kolleginnen und Kollegen. Auch ein enger Draht zur Stadtverwaltung hilft.

Im Kreis Gütersloh gab es andere Herausforderungen: Die Ämter mussten sich schnell umorganisieren, „zu einer agilen Organisation“ werden, wie es die Amtsleiterin Dr. med. Anne Bunte nennt. Sie ist Amtsärztin und Radiologin und war zuvor fast zehn Jahre Leiterin des Gesundheitsamtes Köln, bevor sie im April 2019 zurück nach Gütersloh ging. „Ständig müssen neue Erkenntnisse über die Ansteckungswege und die Erkrankung verarbeitet werden. Wir mussten immer wieder neues Personal anfordern und anlernen. Drittens wurden kontinuierlich die Rahmenbedingungen durch die Politik verändert“, beschreibt die 59-Jährige die Lage.

Eine Sondersituation hatte Bunte mit dem Ausbruch im Schlachtbetrieb Tönnies im Juni 2020: 6 000 PCR-Tests in wenigen Tagen, davon 1 400 positiv. „Diese Situation gab es vorher noch nie, in keinem Land.“ Schnelles umdisponieren, gute Absprachen in der Region und eine enge Zusammenarbeit mit allen aus dem Gesundheitswesen waren dabei wichtig. Über diese Erfahrungen berichtete sie auch beim Gipfel im Kanzleramt. Die Arbeitsbelastung seit einem Jahr gleiche sie mit der „Freude an der Arbeit mit den Mitarbeitern“ aus. „Es gibt bei uns ja auch positive Rückmeldungen und Verständnis für die sehr komplexe Situation der Pandemie und unsere Aufgabe darin.“

„Digitalisierung ist nicht alles. Wir müssen mit den Menschen sprechen, die in Quarantäne kommen.“ Anne Bunte, Amtsärztin im Kreis Gütersloh. Foto: Gesundheitsamt Gütersloh
„Digitalisierung ist nicht alles. Wir müssen mit den Menschen sprechen, die in Quarantäne kommen.“ Anne Bunte, Amtsärztin im Kreis Gütersloh. Foto: Gesundheitsamt Gütersloh

In Weimar wurde das Gesundheitsamt von 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor der Pandemie inzwischen auf 55 Mitarbeitende aufgestockt, darunter sind fünf festangestellte Ärztinnen und Ärzte sowie fünf weitere Mediziner mit Teilzeit- oder Honorarverträgen. Die Abteilung ist von den bisherigen Räumlichkeiten in der Stadtverwaltung in den Stadtratsaal umgezogen. „Der Saal ist jetzt besetzt“, heißt es im internen Jargon, wenn beispielsweise Arbeit auch am Wochenende verteilt werden muss. Wie in den vergangenen zwölf Monaten wird auch künftig fehlendes Personal ein Problem sein. „Wir bekommen viele Angebote von Menschen, die helfen wollen. Aber nicht jede Aufgabe kann trotz viel Engagement von jedem ausgeführt werden. Für einige Aufgaben brauchen wir Ärztinnen und Ärzte“, erklärt Oberbeck. Dazu kommt, dass Oberbeck selbst Fachärztin für Allgemeinmedizin und Arbeitsmedizin ist – ihr damit aber die Weiterbildungserlaubnis für künftige Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst fehlt. Gerade jetzt in der Krise müssten neue Möglichkeiten her, sie sei bereits im Gespräch mit der Landesärztekammer.

Gespräche trotz Digitalisierung

Die Digitalisierung der Arbeitsabläufe des ÖGD war in den vergangenen zwölf Monaten immer wieder in der Diskussion, zuletzt bei der Frage, wie schnell eine gemeinsame Software zur Kontaktnachverfolgung, kurz SORMAS, eingeführt werden sollte (siehe DÄ 8/2021).

Dabei wurde oft das Bild suggeriert, im Amt arbeite man noch mit Fax, Bleistift oder Papierlisten. Das „Märchen“ vom Faxgerät versuchte die Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD), Dr. med. Ute Teichert, immer wieder in Talkshows auszuräumen: Zwar stehe noch in vielen Ämtern ein Fax – vor allem für Informationen von anderen Beteiligten wie Arztpraxen, Schulen oder Kitas.

„Wir brauchen einen ordentlichen Tarifvertrag und wir brauchen mehr Fachärzte für den ÖGD. “ Isabelle Oberbeck, Leiterin Gesundheitsamt Weimar. Foto: Stadt Weimar
„Wir brauchen einen ordentlichen Tarifvertrag und wir brauchen mehr Fachärzte für den ÖGD. “ Isabelle Oberbeck, Leiterin Gesundheitsamt Weimar. Foto: Stadt Weimar

In Gütersloh wird in diesen Tagen auf das Nachverfolgungssystem SORMAS umgestellt – eine Entwicklung, die für Amtsleiterin Bunte nicht nur positiv ist. „SORMAS wird nicht alle Probleme lösen. Wir brauchen hier in unserer Arbeit schon auch den persönlichen oder telefonischen Kontakt zu den Menschen“, sagt sie. Im Kreis Gütersloh mit 30 Jahren Erfahrung mit einer speziellen Software für den ÖGD hat man wie in vielen Gesundheitsämtern vor einem Jahr eine eigene Datenbank entwickelt, die für die Bedürfnisse des Amtes erstellt wurde. Viele Funktionen der Datenbank könne das neue System nun nicht direkt übernehmen. Hierzu zählen insbesondere Datenauswertungen für strategische und politische Entscheidungen, berichtet Bunte. Und den persönlichen Kontakt kann auch ein Computersystem nicht ersetzen. „Wir müssen mit den Menschen sprechen, die in Quarantäne kommen. Selbst Digital-Natives freuen sich über ein persönliches Gespräch mit dem Gesundheitsamt.“

In Weimar gibt es schon länger das SORMAS-System. „Den Mythos Bleistift im Gesundheitsamt kann ich nicht nachvollziehen“, sagt Oberbeck. Man sei digital gut aufgestellt und könne so sehr gut Kontakte nachverfolgen.

Künftig könnten auch weitere Apps unterstützen, aber dabei müssen viele mitmachen – von den Betrieben über die Gastronomie bis zur Bevölkerung. Und hier gebe es digital wie analog ein Problem: die zunehmende Frustration der Menschen über die Pandemie. Mit der Zeit haben die Ämter festgestellt, dass viele Menschen sich selbst als Kontaktperson zwei statt eins einstufen, um damit die Quarantäne zu umgehen. Dieses Thema ist auch schon einmal in den Beschlüssen der Bundesregierung und der Ministerpräsidenten der Länder Anfang Februar 2021 aufgetaucht: „Die Bürgerinnen und Bürger werden gebeten, im Falle einer Infektion vertrauensvoll mit den Gesundheitsämtern zu kooperieren“, heißt es dort. „Die Gesundheitsämter können die Infektionsketten nur unterbrechen, wenn ihnen alle Kontaktpersonen genannt werden.“

In der Zeit der Pandemiebekämpfung sind viele übliche Aufgaben des ÖGD liegen geblieben. „Sie müssen dann priorisieren: Wir haben bei Ausbrüchen natürlich Begehungen von Altersheimen oder Krankenhäusern gemacht, aber keine Regelbegehungen“, so Bunte. Die Schuleingangsuntersuchungen erfolgen im Kreis Gütersloh besonders für die Kinder mit Förderungsbedarf. Ähnlich das Bild in Weimar: Schuleingangsuntersuchungen werden gemacht, aber die zahnärztliche Untersuchung in den Schulen wurde auch von deren Leitungen derzeit nicht gewollt. Beide Ämter hatten immer den Sozialpsychiatrischen Dienst im Einsatz.

Keine rosige ÖGD-Zukunft

Und die Zukunft des ÖGD? Für Oberbeck hängt viel davon ab, wie viele Ärztinnen und Ärzte künftig gewonnen werden können. „Dafür brauchen wir einen ordentlichen Tarifvertrag und wir brauchen mehr Fachärzte für den Öffentlichen Gesundheitsdienst.“ Für sie selbst, wird die Zeit nach der Pandemie noch einmal eine Herausforderung. „Wir werden uns dann komplett neu aufstellen müssen. Da ich als Leiterin kurz vor der Pandemie begonnen habe, müssen wir in einem Jahr sehen, wie wir das Amt nun künftig aufstellen können.“

Richtig positiv in die Zukunft des ÖGD kann Bunte noch nicht blicken: „Welche Ärztin, welcher Arzt will denn jetzt in der Pandemie und der damit verbundenen Arbeitsbelastung bei den bekannten Rahmenbedingungen zu uns kommen?“, fragt sie sich. Aus ihrer Sicht hat die Pandemie nicht zu einem echten Imagewechsel beigetragen. „Was wir hier tun, ist nicht immer positiv besetzt. Die positiven Arztbilder werden in der Pandemie bei der Impfung in der Praxis oder in der Klinik erzeugt. Wir im ÖGD sind in den Medien leider häufig noch die, die im Steinzeitalter mit Fax arbeiten und Quarantäne verhängen. Keine gute Werbung für uns“, so die ernüchternde Bilanz von Bunte. Rebecca Beerheide

Welche Erfahrungen haben Sie in der Pandemie gemacht? Schreiben Sie uns an: pandemie@aerzteblatt.de

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