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Studieren während der Pandemie: Fast nur im Homeoffice

Richter-Kuhlmann, Eva

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Die Coronapandemie hat auch an den medizinischen Fakultäten den Uni- und Lernalltag massiv verändert. Medizinstudierende versuchen, den Stoff im Selbststudium zu bewältigen. Neu etablierte virtuelle Lehrformate helfen.

Foto: fizkes/iStock
Foto: fizkes/iStock

Wie das Wintersemester 2020/21 wird auch das Sommersemester 2021 noch weitgehend digital. Auch an den Medizinischen Fakultäten findet derzeit kaum Präsenzlehre statt. Hörsäle und Seminarräume stehen leer. Für Medizinstudierende ist das mit besonderen Einschränkungen verbunden. Denn gerade das Medizinstudium lebt von der Verzahnung von theoretischer und praktischer Ausbildung, von Untersuchungs- und Patientenkommunikationskursen und Blockpraktika. „Auf Dauer können Medizinstudierende nicht ausschließlich virtuell ausgebildet werden“, meint Dr. med. (I) Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK) und Vorsitzender des Hartmannbundes. Der direkte Patientenkontakt sowie körperliche Untersuchungen von Patientinnen und Patienten seien vielleicht kurzzeitig, aber nicht für eine längere Zeit durch Lehrvideos und andere virtuelle Angebote zu ersetzen.

Der Senat der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) räumt dem Medizinstudium ebenfalls eine Sonderstellung ein. In den nächsten Monaten sollten sich die Maßnahmen an den jeweiligen Bedarfen und Möglichkeiten orientieren, betonte er. Diese seien bei den Fächern sehr unterschiedlich: „In experimentellen Fächern etwa kann auf das Lernen im Labor nicht lange verzichtet werden, im Medizinstudium nicht auf praktische Übungen.“ Gleichzeitig sprach sich die HRK für eine „absolute Priorität des Gesundheitsschutzes“ aus. Mutmaßungen, dass die digitale Lehre die Präsenzveranstaltungen an den Unis jedoch ganz verdrängen könnten, trat die HRK jedoch entgegen. Es sei völlig unstrittig, dass Hochschulen jetzt und in Zukunft Präsenzeinrichtungen seien und auch sein wollten, erklärte sie.

Der Großteil der Medizinstudierenden wünscht sich eine baldige Rückkehr in den Präsenzunterricht. Bei einer Umfrage des Hartmannbundes unter 841 Medizinstudierenden im letzten Sommer gaben bereits etwa 80 Prozent der Befragten an, dass ihnen durch den mangelnden direkten Patientenkontakt und die fehlende Ausbildung im Labor Lücken in der Ausbildung entstanden seien. Ungefähr 45 Prozent der Studierenden empfanden das Studium 2020, das auch schon virtuell stattfand, als weniger oder sogar deutlich weniger produktiv.

Allerdings gaben auch 56 Prozent der Teilnehmenden an, dass ihnen das Online-Semester eine viel freiere Zeiteinteilung ermöglicht habe. Von Vorlesungen on demand haben der Umfrage zufolge viele profitiert. Auch interaktive, digitale Patientenfälle seien als positiv empfunden worden, sagt Christian Wolfram, ehemaliger Vorsitzender des Ausschusses der Medizinstudierenden im Hartmannbund und Initiator der Umfrage, dem Deutschen Ärzteblatt Medizin studieren. Durch das Engagement von Hochschullehrern seien an vielen Fakultäten interessante Projekte entstanden.

Dass die digitale Lehre ein sehr großes Potenzial besitze, meinen viele Studierende. Diesbezüglich hatte die Pandemie auch eine positive Seite: Die Lehrmethoden werden weiterentwickelt, vielseitiger und interaktiver. Lehrende nutzten zunehmend „Shared Documents“, Breakout Rooms, Livevorlesungen, Online-MC-Tests zur Selbstkontrolle oder Videoformate. So hat beispielsweise Prof. Dr. med. Regine Gläser von der Medizinischen Fakultät der Universität Kiel für ihre Studierenden schon seit dem Sommersemester 2019 verschiedene Aspekte der „dermatologischen Praxis“ im Videoformat zusammengestellt, die jetzt sehr gut für das Homeoffice-Studium genutzt werden können.

Von der Probebiopsie bis hin zur subkutanen Naht zeigen die Filme des vom Bundesforschungsministerium im Rahmen des PerLe-(Projekt erfolgreiches Lehren und Lernen-)Fonds geförderten Lehrprojektes „Aus der (Haut-)Arztpraxis in den Hörsaal“ viele Handgriffe, die Nachwuchsmediziner später beherrschen sollten. „Ziel ist, die didaktischen Lehrvideos für Studierende und Lehrende überregional nutzbar zu machen“, erklärt Gläser dem Deutschen Ärzteblatt Medizin studieren. „So können wesentliche diagnostische und therapeutische Techniken in der Dermatologie realistisch vorgestellt werden und das Interesse am Erlernen dieser Fertigkeiten sowie am Fach Dermatologie unabhängig vom Standort und der persönlichen Situation geweckt werden“, erläutert sie die Vorteile.

Beispielsweise würden ihre Lehrvideos zur „Standardisierten dermatologischen Ganzkörperuntersuchung“, zu verschiedenen einfachen Operationstechniken am Modell (Apfelsine oder Nahtpad) oder zur standardisierten Abstrichentnahme bereits an anderen Standorten eingesetzt. „Videos unterstützen, aber ersetzen keine Präsenz, weder am Krankenbett, in der Ambulanz oder Praxis noch im Seminarraum oder Hörsaal“, schränkt jedoch auch die Dermatologin ein. Zudem gebe es im Netz eine Vielfalt an Filmen mit zum Teil fragwürdiger Qualität und auch sachlich falschen Informationen. „Für die Studierenden ist es oft äußerst schwer, dies richtig zu beurteilen.“

Um eine hohe Qualität zu gewährleisten, kooperiert Gläser bei der Herstellung der Lehrvideos mit dem Berufsverband, insbesondere der Arbeitsgruppe JuDerm (Junge Dermatologen im Berufsverband der Deutschen Dermatologen, BVDD) sowie mit dem „Forum Akademische Lehre“ des wissenschaftlichen Fachverbands der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG). Aber auch Studierende sind einbezogen.

„Viele etwas ,verstaubte‘ Vorlesungen können so interessanter, interaktiver und nachhaltiger gestaltet werden.“ Linda Marlen Wittbecker, Medizinstudentin in Kiel. Foto: privat
„Viele etwas ,verstaubte‘ Vorlesungen können so interessanter, interaktiver und nachhaltiger gestaltet werden.“ Linda Marlen Wittbecker, Medizinstudentin in Kiel. Foto: privat

Eine von ihnen ist Linda Marlen Wittbecker, Doktorandin von Gläser. Als Studentin der Generation „Digital Native“ ist der Umgang mit digitalen Medien für sie alltäglich. „Erfahrungsgemäß werden auch eher die Vorlesungen besucht, bei denen digitale Medien und die Möglichkeit der Interaktion eingesetzt werden“, berichtet sie dem Deutschen Ärzteblatt Medizin studieren. Viele etwas „verstaubte“ Vorlesungen könnten so interessanter, interaktiver und nachhaltiger gestaltet werden. „Ferner sehe ich in den digitalen Medien die Chance der schnellen Wissensdistribution und die Partizipation aller Studierenden“, sagt die als Tutorin für das Projekt tätige Medizinstudentin. Viele ihrer Kommilitoninnen und Kommilitonen seien neben ihrem Studium berufstätig, hätten Kinder oder wohnten nicht in ihrer Universitätsstadt. „Durch die Möglichkeit der virtuellen Teilnahme an Vorlesungen können alle dem Kurs folgen und werden durch Zeit und/oder Ort nicht limitiert“, betont sie. 2020 habe gezeigt: Durch die coronabedingte durchgängige Online-Vorlesung hätten viel mehr Studierende an den Vorlesungen teilgenommen als in den Jahren davor. Auch die Hemmschwelle, Fragen zu stellen, sei im virtuellen Raum geringer gewesen.

Wittbecker sieht aber auch Grenzen für die digitale Lehre – gerade im Medizinstudium: „Zukünftige Ärztinnen und Ärzte müssen in Kontakt mit Menschen treten. Das sind nicht nur die Mitstudierenden und Dozenten, sondern natürlich vor allem die Patienten“, sagt sie. „Für mich war die Verknüpfung des Wissens aus den Lehrveranstaltungen mit den praktischen Einheiten auf Station die lehrreichste Kombination. Gerne hätte ich noch viel öfter die Möglichkeit der praktischen Tätigkeit während meines Studiums gehabt. Diese lässt sich durch kein digitales Medium ersetzten.“

Dass digitale Angebote sehr gut jedoch die Ausbildung – und später auch die Weiter- und Fortbildung – ergänzen können, zeigt beispielsweise auch die bundesweite Online-Lehrplattform CONRAD der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG) und des Forums Junge Radiologie. Aufgrund der COVID-19-Pandemie wurde sie innerhalb kürzester Zeit ausgebaut und das zur Verfügung gestellte Angebot UNIRAD für Studierende um ein modulares Kurssystem namens „CoRad-19“ ergänzt. Es richtet sich quasi als „Notfallpaket“ an die medizinischen Fakultäten, wobei jede Einrichtung entscheiden kann, welche CoRad-19-Kurse sie für die Lehre einsetzen möchte.

20 Fakultäten in Deutschland sowie der Schweiz beteiligen sich bereits. Über die Plattform können Vorlesungen und Seminare digital als VodCasts stattfinden. Zur Lernzielkontrolle und offiziellen Akkreditierung erhalten die Studierenden nach erfolgreicher Bearbeitung eines Moduls inklusive Prüfungsfragen ein gültiges Zertifikat. Dr. med. Saif Afat, Vorstandsmitglied im Forum Junge Radiologie und Arzt in Weiterbildung in Tübingen, gehört zu den Ärzten, die ehrenamtlich als Mitglied der CoRad-19-Arbeitsgruppe die Plattform ausbauten. Von der Nachhaltigkeit der Angebote über die Pandemie hinaus ist er überzeugt: „Die Bedeutung der digitalen Lehre ist in der Pandemie massiv gestiegen. Doch in der Krise lag auch unsere Chance, die Lehre in der Radiologie weiter auszubauen und rasch voranzutreiben“, betont er.

„Aus einem Ausfallkonzept hat sich in kürzester Zeit eine Plattform entwickelt, die die radiologische Lehre dauerhaft verändern wird“¸ meint auch Prof. Dr. med. Jörg Barkhausen, Vorsitzender der Vorstandskommission Lehre der Deutschen Röntgengesellschaft und Direktor der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin UKSH Lübeck. „UNIRAD ist ein tolles Beispiel für Crowd Teaching – eine heterogene Gruppe engagierter Lehrender hat eine umfassende und flexible Lernplattform erstellt, die individuelle Angebote für alle Studierenden bietet.“

Die Erfahrungen während des digitalen Sommersemesters waren positiv: „Durch CONRAD konnte ich meine CT-Seminare den Studierenden während der Pandemie unkompliziert digital anbieten“, berichtet Dr. med. Sebastian Reinartz, Mitglied der Vorstandskommission Lehre der DRG und Oberarzt an der Uniklinik Aachen. „Die Umstellung konnte ich selbstständig bewerkstelligen, das Medienzentrum oder die IT brauchte nicht zu intervenieren.“

Auch die Bundesvertretung der Medizinstudieren in Deutschland (bvmd) begrüßt CONRAD ausdrücklich und fordert die Fakultäten auf zu prüfen, wie die Plattform in die Lehre der einzelnen Standorte eingebunden werden kann. Die medizinische Ausbildung könne und sollte durch digitale Lehre ergänzt und die Lernangebote für die Studierenden ausgebaut werden.

Perspektivisch könnte Dr. med. Corinna Storz, Mitinitiatorin von CoRad-19, zufolge UNIRAD von allen Studierenden im deutschsprachigen Raum genutzt werden, wodurch Zeit- und Personalressourcen in der Erstellung und Durchführung digitaler Lehrformate gespart werden könnten. Die Studierenden wiederum profitierten von einer deutschlandweit vergleichbaren, hochqualitativen radiologischen Grundbildung.

„Künftig sollten bundesweite Online-Lehrplattformen mit Lehrangeboten anderer Fachgebiete vernetzt werden.“ Dr. med. Isabel Molwitz, Deutsche Röntgengesellschaft. Foto: privat
„Künftig sollten bundesweite Online-Lehrplattformen mit Lehrangeboten anderer Fachgebiete vernetzt werden.“ Dr. med. Isabel Molwitz, Deutsche Röntgengesellschaft. Foto: privat

Dr. med. Isabel Molwitz, Vorsitzende des Forums Junge Radiologie der Deutschen Röntgengesellschaft und Ärztin in Weiterbildung am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, denkt sogar noch weiter: „Zukünftig sollten bundesweite Online-Lehrplattformen wie CONRAD mit Lehrangeboten anderer Fachgebiete vernetzt werden, sodass fächerübergreifende, digitale Lehre für alle Studierenden verfügbar wird“, erklärt sie dem Deutschen Ärzteblatt Medizin studieren.

Zudem arbeite das Forum Junge Radiologie bereits an der Weiterentwicklung von CONRAD, um curriculär strukturierte, digitale Lehre auch für die ärztlich radiologische Weiterbildung zu realisieren. „Ein strukturiertes Weiterbildungscurriculum mit festen Rotationen und Lerninhalten war einer der am häufigsten genannten Wünsche der Kolleginnen und Kollegen in den Weiterbildungsumfragen des Forums Junge Radiologie und korrelierte mit der Berufszufriedenheit und psychosozialen Arbeitsbelastung“, so Molwitz. „Die positiven Erfahrungen mit CoRad-19 haben ideale Voraussetzungen geschaffen, ein solches Angebot nun auch für die Weiterbildung umzusetzen.“

Tatsächlich haben die zwangsläufigen Einschränkungen durch die Pandemie der digitalen Lehre Aufwind gegeben. Dies spiegelt sich auch im Referentenentwurf zur neuen Ärztlichen Approbationsordnung wider, den das Bundesgesundheitsministerium im November vorlegte. „Es ist erfreulich, dass der Referentenentwurf viele wichtige Aspekte für ein zeitgemäßes Medizinstudium berücksichtigt – etwa die Vermittlung von Kompetenzen im Umgang mit digitalen Technologien und Daten“, erklärt dazu der Präsident des Medizinischen Fakultätentages (MFT), Prof. Dr. med. Matthias Frosch, gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt Medizin studieren. Erst kürzlich habe sich der MFT dazu gemeinsam mit der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA) in einem Positionspapier geäußert.

MFT und GMA plädieren darin dafür, dass digitale Lehr- und Prüfungsformate auch nach der Pandemie regelhaft in „angemessenem Umfang und entsprechend der standortspezifischen Möglichkeiten“ in allen Curricula einzusetzen sind. Die neuen Formate sind nach Ansicht der Experten wichtige, curricular voll anzurechnende Ergänzungen der etablierten Präsenzlehrformate. Sie unterstützten das selbstgesteuerte Erarbeiten einer Wissensbasis und schafften Freiraum für Diskussion des Gelernten in der Präsenzlehre und die Ausbildung im klinischen Kontext.

Auch viele Medizinstudierende halten die digitale Lehre nicht nur für eine Übergangslösung im Rahmen der Pandemie. Sie sind fest überzeugt, dass diese auch in der Zeit „nach Corona“ mehr Einzug in den Fakultätsalltag finden wird. Lehrende und Studierende müssen sich jedoch aktiv mit dem Thema digitale Lehre beschäftigen und sich die Zeit nehmen, aus den bisherigen Erfahrungen zu lernen und die technischen und didaktischen Aspekte zu verbessern.

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