ArchivDeutsches Ärzteblatt14/2021Dichtsitzprüfung von Atemschutzmasken während der COVID-19-Pandemie
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Die berufliche Exposition gegenüber SARS-CoV-2 führt nicht nur zu einer erheblichen Anzahl an Fällen mit Berufserkrankungen, sondern verursacht bei medizinischem Personal auch signifikant häufiger schwere COVID-19-Verläufe (1, 2). Aerosol-produzierende Maßnahmen wie Intubation und Beatmung, hohe Zahlen von Patientenkontakten oder fachspezifisch bedingt enger Patientenkontakt erfordern dicht sitzende Atemschutzmasken. Filtrierende Atemschutzmasken (nicht wiederverwendbare FFP2/FFP3 und wiederverwendbare Halbmasken mit P3-Filter, geprüft nach DIN EN149:2001) können das Transmissionsrisiko von SARS-CoV-2 deutlich reduzieren, allerdings nur, wenn sie komplett dicht sitzen. Da die meisten Pathogene von Aerosol-übertragbaren Krankheiten Geruch- und Geschmacklos sind, kann der Anwender ohne Dichtsitzprüfung nicht erkennen, ob seine Atemschutzmaske das erforderliche Schutzniveau erreicht. Auch der Dichtsitz sogenannter Einmalmasken sollte mittels Dichtsitzprüfung (englisch: Fit-Test) bei jedem Anwender individuell evaluiert werden (Abbildung). Ansonsten besteht die Gefahr, dass 25–75 % der Mitarbeiter trotz Tragen der Atemschutzmasken ungeschützt bleiben (3, 4). Die Dichtsitzprüfung wird von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), dem Institut für Arbeitsschutz (IFA) und dem Robert Koch-Institut (RKI) empfohlen, denn: „Der Schutzeffekt der FFP2/3-Maske ist nur dann umfassend gewährleistet, wenn sie durchgehend und dicht sitzend (das heißt passend zur Gesichtsphysiognomie und abschließend auf der Haut, Nachweis durch Fit-Test) getragen wird“ (5).

Ärztlicher Mitarbeiter bei einer qualitativen Dichtsitzprüfung während der COVID-19-Pandemie: Mithilfe eines Verneblers wird durch die vordere Öffnung ein bitterer Prüfstoff in die Haube gesprüht. Schmeckt die zu prüfende Person während der sieben verschiedenen Übungen die vernebelte Lösung nicht, wird ein akzeptabler Dichtsitz festgestellt und der Test ist bestanden. Dieser Test ist für Einmalmasken sowie für wieder verwendbare Halbmasken vorgesehen.
Abbildung
Ärztlicher Mitarbeiter bei einer qualitativen Dichtsitzprüfung während der COVID-19-Pandemie: Mithilfe eines Verneblers wird durch die vordere Öffnung ein bitterer Prüfstoff in die Haube gesprüht. Schmeckt die zu prüfende Person während der sieben verschiedenen Übungen die vernebelte Lösung nicht, wird ein akzeptabler Dichtsitz festgestellt und der Test ist bestanden. Dieser Test ist für Einmalmasken sowie für wieder verwendbare Halbmasken vorgesehen.

Kann kein Dichtsitz mit einer Maske erzielt werden, da beispielsweise ein Vollbart getragen wird, sind Gebläseschutzhauben die notwendige Alternative. Die Variationen der Gesichtsphysiognomie führen zu einer relativ hohen Dichtsitz-Versagensrate, die in der Literatur gut belegt ist (3, 4). In Großbritannien wurde 2003 die Dichtsitzprüfung für Gesundheitsberufe gesetzlich vorgeschrieben und Arbeitgeber sehen sich Schadenersatzansprüchen gegenüber ausgesetzt, wenn eine Infektion durch berufliche Exposition nachgewiesen wird. In den USA, Kanada, Australien und Neuseeland gelten ähnlich strikte Auflagen. Die jeweiligen Stellen überwachen dort die Durchführung normierter Prüfprotokolle.

Die qualitative Dichtsitzprüfung ist ein Ja/Nein-Atemschutz-Test, bei dem der Anwender ein vernebeltes Prüfmittel schmecken kann oder nicht (Abbildung). Während des Prüfzeitraumes werden sieben Übungen durchgeführt:

  • normales Atmen
  • tiefes Atmen
  • Bewegen des Kopfes von Seite zu Seite
  • Bewegen des Kopfes nach oben und unten
  • Bücken in der Taille
  • lautes Sprechen
  • erneutes normales Atmen.

Die Dichtsitzprüfung liegt im Verantwortungsbereich des Arbeitgebers und unterscheidet sich von der vor Schichtbeginn durchzuführenden Dichtsitzkontrolle. Diese wird vom Mitarbeiter immer beim Anlegen der Maske durchgeführt und deckt grobe Fehler in Passform und Sitz auf. Die Dichtsitzkontrolle liegt im Verantwortungsbereich des Mitarbeiters.

Methode

Im Verlauf der ersten SARS-CoV-2-Infektionswelle haben wir im Zeitraum März bis Juni 2020 qualitative Dichtsitzprüfungen von verschiedenen FFP2/3-Atemschutzmasken bei medizinischen Mitarbeitern des St Thomas’ Krankenhauses in London, Großbritannien, und der medizinischen Klinik Borstel, Deutschland, die möglicherweise mit Patienten mit COVID-19 in Kontakt kommen konnten, durchgeführt.

Ergebnisse

London

Bei 228 Mitarbeitern (168 Frauen, 60 Männer) wurde die Dichtsitzprüfung der FFP3-Standardmaske in 72 Fällen nicht bestanden (31,7 %; 95-%-Konfidenzintervall: [25,60; 38,04]). Es musste daher mit einem Modell eines anderen Herstellers oder einer anderen Maskengröße nachgetestet werden, bis ein geeigneter Atemschutz gefunden werden konnte. Die Dichtsitzprüfung fiel bei 61 der 168 weiblichen Mitarbeiter (36,3 % [29,04; 44,07]) sowie bei 11 der 60 männlichen Mitarbeiter (18,3 % [9,52; 30,44]) negativ aus (Fisher´s Exact Test: p-value 0,0006). Bei 5 Mitarbeitern (2,19 % [0,72; 5,04]) konnte auch mit anderen Maskenmodellen kein Dichtsitz erzielt werden.

Borstel

Bei 175 Mitarbeitern (149 Frauen, 26 Männer) wurden insgesamt 410 Fit-Tests mit verschiedenen FFP2/3-Masken durchgeführt, um möglichst mehrere passende Modelle zu finden und Versorgungsengpässen vorzubeugen. Dabei wurden 124 der 410 Dichtsitzprüfungen (30,24 % [25,83; 34,94]) nicht bestanden. Bei den 149 weiblichen Mitarbeitern fielen 94 der 341 Dichtsitzprüfungen negativ aus (27,57 % [22,89; 32,64]), bei 26 männlichen Mitarbeitern wurden 30 der 69 Dichtsitzprüfungen nicht bestanden (43,48 % [31,58; 55,96]) (Fisher´s Exact Test: p-value: 0,014). Bei sechs Mitarbeitern (3,4 % [1,27; 7,31]) konnte auch mit anderen Maskenmodellen kein Dichtsitz erreicht werden.

Diskussion

Aufgrund internationaler Versorgungsengpässe stellten wir in London bereits im März 2020 auf wiederverwendbare Elastomer-Halbmasken verschiedener Hersteller um, sodass im Verlauf alle Mitarbeiter nach entsprechender Dichtsitzprüfung ihre Halbmaske erhielten. Während wir in London den nationalen Arbeitschutzgesetzen folgten, haben wir uns in Borstel entsprechend den Empfehlungen der DGUV, IFA und des RKI verhalten.

Als weiteren nützlichen Nebeneffekt fanden wir, dass durch Dichtsitzprüfungen minderwertige Masken frühzeitig erkannt werden können. Wichtigster Vorteil ist jedoch, dass der Anwender während der Dichtsitzprüfung eine persönliche Einweisung in das hygienisch korrekte An- und Ablegen erhält, Vertrauen in seine Atemschutzmaske gewinnt und ihm gleichzeitig die Limitationen eines filtrierenden Atemschutzes erklärt werden können.

Zusammenfassend möchten wir unterstreichen, dass ohne Dichtsitzprüfung nur ein Teil der medizinischen Mitarbeiter vor Aerosol-übertragbaren Krankheitserregern geschützt wird. Deshalb halten wir es für problematisch, dass trotz nationaler Empfehlungen Dichtsitzprüfungen von Atemschutzmasken scheinbar nur in Ausnahmen durchgeführt werden.

Beim Auftreten einer SARS-CoV-2-Infektion sollte bei begründetem Verdacht unverzüglich eine Anzeige als Berufskrankheit erfolgen, da sowohl symptomatische als auch asymptomatische COVID-19-Verläufe zu einer Reihe von respiratorischen, kardialen, nephrologischen und neuro-psychiatrischen Langzeitfolgen führen können, deren Ausmaß zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar sind.

Jan Schumacher, Christoph Lange, Lukas Kleinjohann, Clarissa Carvalho

Department of Anaesthetics, Guy’s and St Thomas’ NHS Trust, London, UK (Schumacher, Carvalho) jan.schumacher@kcl.ac.uk

Klinische Infektiologie, Forschungszentrum Borstel, Leibniz Lungenzentrum, Borstel (Lange, Kleinjohann)

Respiratory Medicine & International Health, Universität zu Lübeck, Lübeck; Klinische Tuberkulose-Einheit, Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF), Borstell, Global TB Program, Baylor College of Medicine and Texas Children’s Hospital, Houston, Texas, USA (Lange)

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (Kleinjohann)

Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Manuskriptdaten eingereicht: 7. 2. 2021, revidierte Fassung angenommen: 10. 3. 2021

Zitierweise
Schumacher J, Lange C, Kleinjohann L, Carvalho C: Testing the proper fit of respirator masks during the COVID-19 pandemic—a study among medical staff. Dtsch Arztebl Int 2021; DOI: 10.3238/arztebl.m2021.0186 (online first)

Dieser Beitrag erschien online am 19. 3. 2021 (online first) auf www.aerzteblatt.de.

►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter: www.aerzteblatt-international.de

1.
Mutambudzi M, Niedwiedz C, Macdonald EB, et al.: Occupation and risk of severe COVID-19: prospective cohort study of 120 075 UK Biobank participants. Occup Environ Med 2020; oemed-2020–106731. Online ahead of print CrossRef MEDLINE
2.
El-Boghdadly K, Wong DJN, Owen R, et al: Risks to healthcare workers following tracheal intubation of patients with COVID-19: a prospective international multicentre cohort study. Anaesthesia 2020; 75: 1437–47 CrossRef MEDLINE PubMed Central
3.
Ascott A, Crowest P, Sausmarez E, Khan M, Chakladar A: Respiratory personal protective equipment for healthcare workers: impact of sex differences on respirator fit test results. Br J Anaesth 2021; 126: e48–e9 CrossRef MEDLINE PubMed Central
4.
Ciotti C, Pellissier G, Rabaud G, Lucet J-C, Abiteboul D, Bouvet E: Effectiveness of respirator masks for healthcare workers, in France. Med Mal Infect 2012; 42: 264–9 CrossRef MEDLINE
5.
Robert Koch-Institut: COVID-19 (Coronavirus SARS-CoV-2). www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html (last accessed on 26 February 2021).
Ärztlicher Mitarbeiter bei einer qualitativen Dichtsitzprüfung während der COVID-19-Pandemie: Mithilfe eines Verneblers wird durch die vordere Öffnung ein bitterer Prüfstoff in die Haube gesprüht. Schmeckt die zu prüfende Person während der sieben verschiedenen Übungen die vernebelte Lösung nicht, wird ein akzeptabler Dichtsitz festgestellt und der Test ist bestanden. Dieser Test ist für Einmalmasken sowie für wieder verwendbare Halbmasken vorgesehen.
Abbildung
Ärztlicher Mitarbeiter bei einer qualitativen Dichtsitzprüfung während der COVID-19-Pandemie: Mithilfe eines Verneblers wird durch die vordere Öffnung ein bitterer Prüfstoff in die Haube gesprüht. Schmeckt die zu prüfende Person während der sieben verschiedenen Übungen die vernebelte Lösung nicht, wird ein akzeptabler Dichtsitz festgestellt und der Test ist bestanden. Dieser Test ist für Einmalmasken sowie für wieder verwendbare Halbmasken vorgesehen.
1.Mutambudzi M, Niedwiedz C, Macdonald EB, et al.: Occupation and risk of severe COVID-19: prospective cohort study of 120 075 UK Biobank participants. Occup Environ Med 2020; oemed-2020–106731. Online ahead of print CrossRef MEDLINE
2.El-Boghdadly K, Wong DJN, Owen R, et al: Risks to healthcare workers following tracheal intubation of patients with COVID-19: a prospective international multicentre cohort study. Anaesthesia 2020; 75: 1437–47 CrossRef MEDLINE PubMed Central
3.Ascott A, Crowest P, Sausmarez E, Khan M, Chakladar A: Respiratory personal protective equipment for healthcare workers: impact of sex differences on respirator fit test results. Br J Anaesth 2021; 126: e48–e9 CrossRef MEDLINE PubMed Central
4.Ciotti C, Pellissier G, Rabaud G, Lucet J-C, Abiteboul D, Bouvet E: Effectiveness of respirator masks for healthcare workers, in France. Med Mal Infect 2012; 42: 264–9 CrossRef MEDLINE
5.Robert Koch-Institut: COVID-19 (Coronavirus SARS-CoV-2). www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html (last accessed on 26 February 2021).

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