

Mithilfe von Medikamenten substanziell an Gewicht zu verlieren, klingt für viele adipöse Patienten attraktiv. Allerdings ist solch ein Erfolg nicht ganz ohne Nachteile zu haben.
Glukagon-Like-Peptide-1-(GLP-1-)Agonisten werden als „Game Changer“ in der Therapie von krankhaftem Übergewicht beworben. Ursprünglich zur Therapie des Typ-2-Diabetes entwickelt, verbessern sie nicht nur den HbA1c, sondern haben wegen des verstärkten Sättigungsgefühls und der verlangsamten Magenentleerung einen markanten Gewichtsverlust zur Folge (1, 2). Der GLP-1-Agonist Liraglutid des Pharmakonzerns Novo Nordisk ließ die Pfunde in der SCALE-Studie so effektiv purzeln, dass er EU-weit bereits 2016 bei Nichtdiabetikern als Medikament zur Gewichtsabnahme zugelassen wurde (3). Nun liegen mit der STEP 1 Studie die Phase-3- Daten seines Nachfolgers Semaglutid vor, der im Gegensatz zu Liraglutid nur einmal pro Woche statt täglich gespritzt werden muss.
Signifikanter Gewichtsverlust
Und auch Semaglutid scheint zu überzeugen: Nach etwas mehr als einem Jahr hatten adipöse Nichtdiabetiker unter Semaglutid plus Lebensstilintervention rund 14,9 % Gewicht verloren (BMI: –5,5 kg/m2), während die Placebogruppe mit alleiniger Lebensstilintervention nur rund 2,4 % schaffte (BMI: –0,9 kg/m2). 32 % der Probanden der Semaglutid-Gruppe erzielten sogar einen Gewichtsverlust von über 20 %, im Vergleich zu lediglich 1,7 % in der Placebogruppe.
Verglichen mit Liraglutid schneidet der neue GLP-1-Agonist damit besser ab (–12,4 % versus –5,4 % Gewichtsverlust, jeweils im Vergleich zum Placebo) (3). Auch andere Pharmakotherapien zur Gewichtsreduktion werden von Semaglutid in den Schatten gestellt (4). Nicht nur Körperfett allgemein hat den größten Teil des verlorenen Gewichts ausgemacht. Auch das metabolisch ungünstige viszerale Fett ging zurück – wenn auch nur leicht um circa 270 g im Vergleich zum Placebo. Dennoch war dieser Unterschied wohl schon ausreichend, um die Entzündungsaktivität – gemessen am Wert des C-reaktiven Proteins – unter Semaglutid zu reduzieren. Der GLP-1-Agonist verbesserte überdies weitere Parameter wie Blutdruck, Nüchternblutzucker, Lipidwerte und Lebensqualität. Der „ältere“ GLP-1-Agonist Liraglutid scheint auch dabei nicht an Semaglutid heranzukommen.
Die STEP-1-Studie ist gut designt und zeigt keine größeren Schwächen. Was jedoch auffällt, ist der minimale Gewichtsverlust unter Placebo. Hier wurde geargwöhnt, die Lebensstilintervention sei nicht wirklich erfolgreich gewesen – das ließe dann die Semaglutid-Gruppe besser aussehen. Aber die Daten der kürzlich publizierten STEP-3-Studie zeigen, dass Semaglutid auch bei einem viel intensiveren Diät- und Sportprogramm effektiver ist. Hier betrug der Gewichtsverlust –16 % unter Semaglutid versus –6 % in der Placebogruppe (5).
Vor dem Hintergrund der zu erwartenden hohen Therapiekosten im Falle einer Zulassung stellt sich die Frage, welcher Patient Semaglutid erhalten sollte und welcher nicht. Rund ein Viertel der Erwachsenen hierzulande ist adipös und würde prinzipiell für eine Therapie infrage kommen. „Im Idealfall sollte Semaglutid jeder Patient erhalten, wo wir ärztlicherseits einen Benefit vermuten“, sagt Prof. Dr. med. Andreas Birkenfeld, Endokrinologe und Chefarzt der Klinik für Endokrinologie der Uniklinik Tübingen.
Er denkt insbesondere an Patienten, die zusätzlich zur Adipositas noch an deren Folgen wie Gelenk- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden und bereits vergeblich versucht haben, auf herkömmlichem Wege Gewicht zu verlieren.
Fehlende Endpunktstudien
Doch es gibt ein Problem: Von den Krankenkassen werden GLP-1-Agonisten für die Therapie der Adipositas bislang nicht übernommen, da nicht bewiesen ist, dass sich durch die pharmakologische Gewichtsreduktion auch Folgekrankheiten, insbesondere kardiovaskuläre, verhindern lassen. „Das hat im Adipositasbereich bislang kein Medikament überzeugend geschafft“, so Birkenfeld. „Gelänge dies mit Semaglutid, würde das womöglich den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in Zugzwang bringen, dieses Medikament erstattbar zu machen.“ Eine kardiovaskuläre Endpunktstudie mit Semaglutid (SELECT-Studie) ist bereits im Gange und wird voraussichtlich Ende 2023 Ergebnisse liefern.
Es gibt aber auch Kritik an den neuen GLP-1-Agonisten. Eines der Hauptprobleme liegt in der Notwendigkeit, sie lebenslang verabreichen zu müssen. Prof. Dr. med. Joachim Spranger, Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Endokrinologie und Stoffwechsel an der Charité – Universitätsmedizin in Berlin, ist deswegen zurückhaltend: „Wenn man sich vorstellt, dass ein adipöser 30-jähriger Patient dieses Medikament für die nächsten 40 Jahre spritzt, dann haben wir natürlich unzureichende Erfahrungen, was alles kommen kann.“
In der Tat fehlen bislang belastbare Langzeitdaten. Damit geht die große Unsicherheit einher, ob der Nutzen den Schaden auf lange Sicht überwiegt. Einige Experten befürchten zudem einen Wirkverlust im Laufe der Zeit. Spranger sieht gerade dieses Problem jedoch nicht: „In den Studien sieht man keine nachlassende Wirkung, solange das Medikament genommen wird. Es gibt aber ein Plateau, das nach circa einem Jahr erreicht wird.“
Lebenslange Therapie
Auffällig ist zudem, dass Lira- und Semaglutid als Medikamente zur Gewichtsabnahme ungefähr doppelt so hoch dosiert sind wie zur Diabetestherapie. „Die Phase-2-Studien haben gezeigt, dass mit einer höheren Dosis noch ein größerer Gewichtsverlust erzielt werden kann, während der HbA1c nicht weiter absinkt“, argumentiert Birkenfeld. Doch die Dosis macht bekanntlich das Gift. Dies könnte insbesondere im Hinblick auf das Krebsrisiko wichtig sein. Im Tiermodell wurden GLP-1-Agonisten mit dem Auftreten von Schilddrüsen- und Pankreaskarzinomen assoziiert, auch wenn es im Menschen dafür bislang keine Belege gibt (6). Aber entsprechende Endpunktstudien fehlen. Birkenfeld sieht hier jedoch keine Gefahr. „Eigentlich würden wir erwarten, dass der ausgeprägte Gewichtsverlust mit einer Reduktion von Krebserkrankungen einhergeht“, so der Forscher. Spranger sieht das ähnlich.
Doch selbst wenn sich GLP-1-Agonisten als komplett unbedenklich herausstellen, bleibt die Frage: Sind Patienten überhaupt bereit, sich ihr Leben lang einmal pro Woche eine Spritze zu setzen, nur um Gewicht zu verlieren? „Das Spritzen ist in der Tat noch immer ein gewisses Hemmnis“, berichtet Spranger aus seiner klinischen Erfahrung. Novo Nordisk hat hier jedoch schon eine Lösung parat und könnte Semaglutid in der EU auch bald als Tablette anbieten. In den USA wurde orales Semaglutid bereits zugelassen.
Andere Pharmakonzerne wie Eli Lilly arbeiten ebenfalls an oralen GLP-1-Agonisten (7). Birkenfeld findet diese Idee biotechnologisch sehr interessant: „Es ist hier erstmals geglückt, Peptide oral verfügbar zu machen.“ Dennoch ist er skeptisch, ob sich die Medikamente in der Praxis bewähren, da bei der Einnahme strenge Regeln zu beachten sind, etwa müssen sie mit einer bestimmten Menge Wasser und eine halbe Stunde vor allen anderen Medikamenten eingenommen werden. „Für mich besteht im Vergleich zu den Spritzen aktuell noch eine größere Wahrscheinlichkeit für Einnahmefehler. Die Praxis wird zeigen, inwieweit dies klinisch eine Rolle spielt“, so Birkenfeld.
Zu den lästigen und häufigen Nebenwirkungen der GLP-1-Agonisten zählen gastrointestinale Beschwerden, weshalb sie behutsam eindosiert werden müssen (8). So kommt es auch unter Lira- und Semaglutid deutlich häufiger zu Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoen und Verstopfungen. Auch wenn diese Beschwerden mit der Zeit oft rückläufig sind – rund die Hälfte der Patienten ist davon betroffen. Manche fragen daher, ob dies eventuell der Grund für die starke Gewichtsabnahme ist (3, 8, 9, 10). „Wir wissen, dass der Gewichtsverlust durch GLP-1-Agonisten unabhängig von der Übelkeit ist. Initial wird es aber schon dazu beitragen“, so Birkenfeld. Biliäre Probleme, vor allem Gallensteine, treten unter Lira- und Semaglutid rund doppelt so häufig auf: beispielsweise 2,6 % unter Semaglutid und 1,2 % unter Placebo (3, 9). Die Nebenwirkungen führen nicht selten zu einem Therapieabbruch, in den Zulassungsstudien bei 6–7 % der Probanden (3, 9). „Eine ähnliche Abbruchquote sehen wir auch in der klinischen Praxis“, sagt Spranger.
Fazit
GLP-1-Agonisten wie Semaglutid sind ein neues Werkzeug im Repertoire der individualisierten Adipositastherapie. Aber aufgrund ihrer Nebenwirkungen und der Notwendigkeit einer lebenslangen Therapie sind sie kein Wundermittel. Zudem ist eine Kostenerstattung seitens der gesetzlichen Krankenkassen aktuell nicht abzusehen, weshalb sie zur Therapie der Adipositas wohl vorerst nur einem kleinen Kreis zahlungstüchtiger oder privat versicherter Patienten vorbehalten sein werden. Dr. med. T. Hollstein
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit1221
oder über QR-Code.
1. | Hinnen D: Glucagon-Like Peptide 1 Receptor Agonists for Type 2 Diabetes. Diabetes Spectrum 2017; 30 (3):202–10 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
2. | Blundell J, Finlayson G, Axelsen M, et al.: Effects of once‐weekly semaglutide on appetite, energy intake, control of eating, food preference and body weight in subjects with obesity. Diabetes, Obesity and Metabolism 2017; 19 (9): 1242–51 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
3. | Pi-Sunyer X, Astrup A, Fujioka K, et al.: A Randomized, Controlled Trial of 3.0 mg of Liraglutide in Weight Management. NEJM 2015; 373 (1): 11–22 CrossRef MEDLINE |
4. | Tak YJ, Lee SY: Long-Term Efficacy and Safety of Anti-Obesity Treatment: Where Do We Stand? Current Obesity Reports 2021; 10 (1): 14–30 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
5. | Wadden TA, Bailey TS, Billings LK, et al.: Effect of Subcutaneous Semaglutide vs Placebo as an Adjunct to Intensive Behavioral Therapy on Body Weight in Adults With Overweight or Obesity. JAMA 24 Feb 2021:e211831 (last accessed on 16 March 2021) CrossRef MEDLINE |
6. | Liu Y, Zhang X, Chai S, et al.: Risk of Malignant Neoplasia with Glucagon-Like Peptide-1 Receptor Agonist Treatment in Patients with Type 2 Diabetes: A Meta-Analysis. Journal of Diabetes Research 2019: 1534365 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
7. | Kawai T, Sun B, Yoshino H, et al.: Structural basis for GLP-1 receptor activation by LY3502970, an orally active nonpeptide agonist. Proceedings of the National Academy of Sciences 2020; 117 (47): 29959–67 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
8. | Raccah D: Safety and tolerability of glucagon-like peptide-1 receptor agonists: unresolved and emerging issues. Expert Opin Drug Saf 2017; 16 (2): 227–36 CrossRef MEDLINE |
9. | Wilding JPH, Batterham RL, Calanna S, et al.: Once-Weekly Semaglutide in Adults with Overweight or Obesity. NEJM 2 10 Feb 2021doi: 10.1056/NEJMoa2032183.last accessed on 16 March 2021). |
10. | Lean MEJ, Carraro R, Finer N, et al.: Tolerability of nausea and vomiting and associations with weight loss in a randomized trial of liraglutide in obese, non-diabetic adults. International Journal of Obesity 2014; 38 (5): 689–97 CrossRef MEDLINE PubMed Central |