THEMEN DER ZEIT: Kommentar
Psychische Gesundheit: Herausforderung für die Prävention


Präventionsprogramme zur Förderung der psychischen Gesundheit müssen nach evidenzbasierten Kriterien evaluiert werden. Anschließend sollte die Implementierung wirksamer Interventionen unter Alltagsbedingungen gefördert werden.
Die gesellschaftliche Belastung durch psychische Erkrankungen steigt bei jährlichen Ausgaben in Deutschland von rund 150 Milliarden Euro für Behandlung, Soziales und Arbeitsmarkt (1). COVID-19 hat psychische Notlagen weiter verstärkt (2, 3) und Betroffene begegnen neben ihrer Erkrankung häufig Vorurteilen und sozialer Ausgrenzung (4). Wie die Pandemie (5) stellen uns auch psychische Erkrankungen in Bezug auf Prävention vor Herausforderungen; so kann ein Großteil der Krankheitslast depressiver Störungen nur unter Einbezug von Prävention, nicht allein durch Behandlung verringert werden (6). Auch ökonomisch gesehen ist die Prävention psychischer Erkrankungen geboten (7), findet jedoch kaum statt (4). Daher lohnt sich ein Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzung von Programmen in diesem Bereich.
Zwei Beispiele sind das „Bündnis gegen Depression“ und „Mental Health First Aid“. Das von Ulrich Hegerl und Kollegen entwickelte Bündnis gegen Depression dient der Suizidprävention und Verbesserung der Depressionsbehandlung (deutsche-depressionshilfe.de). Deutschlandweit ist es in rund 85 Regionen und international als „Alliance against Depression“ aktiv. Es bietet Schulungen und Kooperationen mit Hausärzten und Multiplikatoren an sowie Aufklärung der Öffentlichkeit und Unterstützung für Selbsthilfe und Suizidgefährdete. Vor 20 Jahren fand sich in Franken ein Effekt des Bündnisses auf Suizidversuche, nicht auf Suizide (8). Es folgten ermutigende Daten aus der Oberpfalz und Ungarn (9, 10). Allerdings zeigte eine große EU-Studie in vier Ländern, unter anderem Deutschland und Portugal, im Durchschnitt keine Wirkung auf Suizide oder Suizidversuche (11). Suizidpräventiv wirkte das Programm nur in einer portugiesischen Region, in der es intensiv implementiert worden war (11).
Mental Health First Aid (MHFA) wurde in Australien von Anthony Jorm entwickelt, um Ersthelfern Wissen über Hilfen für Menschen in psychischen Krisen zu vermitteln. In Deutschland werden MHFA-Kurse seit Kurzem von Michael Deuschle und Kollegen am Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit angeboten (mhfa-ersthelfer.de). Metaanalysen zeigen bei Kursteilnehmern positive Effekte auf das Wissen über psychische Krisen und Hilfen, die Wirkung auf Vorurteile gegenüber Betroffenen ist gering (12, 13). Doch gibt es ein Problem: Der Anspruch von MHFA ist nicht primär, Wissen der MHFA-Kursteilnehmer zu verbessern. Sondern den Hilfe-Empfängern, die in Krisen Hilfe durch MHFA-geschulte Ersthelfer erhalten, soll es besser ergehen. Es wurden daher Lehrer oder Eltern trainiert und das Befinden ihrer Schüler oder jugendlichen Kinder untersucht. In mehreren RCTs zeigte sich jedoch kein positiver Effekt auf diese Hilfe-Empfänger (12, 13, 14, 15, 16).
Was folgt daraus? Beide Programme sind sehr verdienstvoll, doch ihre Evidenzbasis ist (noch) nicht befriedigend. Das kann drei Gründe haben: Die Programme sind in ihrer gegenwärtigen Form ungenügend wirksam, sie werden unzureichend implementiert oder sie wirken, doch es fehlen geeignete Studien, um Langzeiteffekte nachzuweisen (17). Der Mangel an Evidenz beweist nicht, dass die Programme nicht wirken. Doch die breite Anwendung in der Praxis, bevor die Wirksamkeit geklärt ist, ist womöglich kein effizienter Einsatz der knappen Ressourcen für Prävention.
Was ist zu tun? Gut wäre das folgende, aus der Evaluationsforschung bewährte schrittweise Vorgehen (18, 19, 20): Erste RCTs sichern die Wirksamkeit des Programms unter kontrollierten Bedingungen. Bei positiven Ergebnissen folgen darauf pragmatische Trials unter Alltagsbedingungen (21), die Implementierungsstrategien einbeziehen (22). Gesundheitsökonomische Daten zu Kosteneffektivität und Präventionserfolg helfen bei der Entscheidung, welches Programm finanziert wird (23).
Nun gilt es, solche Präventionsprogramme – auch die von der Bundesregierung lancierte „Offensive Psychische Gesundheit“ – mit klaren Erfolgskriterien zu evaluieren und bei Bedarf zu verbessern; so können Menschen mit eigener Erfahrung psychischer Erkrankung (Peers/Betroffene) Präventionsprogramme gemeinsam mit Profis durchführen (4, 24). Dann sollte die Implementierung der (verbesserten) sicher wirksamen Interventionen unter Alltagsbedingungen gefördert werden. Es gibt viel zu tun: Dabei hilft eine Mischung aus tatkräftigem Optimismus und prüfendem Blick auf Evidenz und Zeitpunkt des Transfers in die Praxis.
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit1421
oder über QR-Code.
Glob Health J 2021, doi:10.1016/j.glohj.
2021.02.004.
021–01068–2.
PLoS One 2018; 13: e0197102.
experience-framework.pdf (last accessed on 18 March 2021).
Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.