ArchivDeutsches Ärzteblatt14/2021mRNA-Impfstoffe: Verzögerte Lokalreaktionen
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Mehrere Tage nach einer COVID-19-Impfung mit mRNA-Vakzinen können lokale Hautreaktionen auftreten. Sie sind üblicherweise transient, lassen sich topisch behandeln und müssen dem Abschluss der Grundimmunisierung nicht im Wege stehen.

Derzeit sind in Deutschland 4 Impfstoffe gegen COVID-19 zugelassen. Neben dem Vektorimpfstoff von AstraZeneca werden die beiden mRNA-Impfstoffe Comirnaty® von BioNTech/Pfizer und COVID-19 Vaccine Moderna® von Moderna Biotech verabreicht. Der am 11. März 2021 ebenfalls zugelassene Vektorimpfstoff von Janssen (Johnson & Johnson) ist aktuell in Deutschland noch nicht verfügbar (Stand: 29. März 2021).

Während eine allergische Reaktion direkt nach der Impfung in den klinischen Studien sowohl für die mRNA-Impfstoffe als auch für die vektorbasierten Impfstoffe beschrieben wurde, sind verzögerte Lokalreaktionen noch recht unbekannt. Im Zusammenhang mit der Verabreichung der mRNA-Impfstoffe an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Universitätsklinikums Frankfurt wurden mehrere Fälle von verzögerten lokalen Reaktionen beobachtet, die wir hier vorstellen möchten.

Fall 1 ist eine 42-jährige Mitarbeiterin des Universitätsklinikums, bei der, bis auf eine atopische Dermatitis in der Kindheit, keine Vorgeschichte einer Atopie bekannt ist. An Tag 1 nach der ersten Gabe von Comirnaty kam es zu vorübergehenden, milden Schmerzen an der Einstichstelle sowie leicht erhöhter Temperatur und Kopfschmerzen. Diese Beschwerden klangen nach wenigen Stunden vollständig ab.

Juckende Erytheme

An Tag 6 wurde eine beginnende Rötung im Bereich der beziehungsweise lateral von der Einstichstelle bemerkt. Am Folgetag setzte eine ausgeprägte Schwellung und Überwärmung des gesamten Oberarms mit einem flächigen, scharf begrenzten und teils urtikariellen Erythem sowie Papeln und starkem Juckreiz ein. Nach Kühlung und topischer Behandlung mit Prednicarbat war der Befund innerhalb weniger Tage vollständig zurückgebildet. Zeitgerecht wurde daher nach Aufklärung über ein mögliches erneutes Auftreten sowie unter Therapiebereitschaft einer möglichen allergischen Reaktion vom Soforttyp und unter verlängerter, 30-minütiger Nachbeobachtung die 2. Dosis von Comirnaty in den kontralateralen Arm verabreicht.

Hier kam es nun bereits am Folgetag zu einem noch ausgeprägteren Lokalbefund des gesamten Oberarms mit druckdolenter Schwellung, starker Überwärmung und Juckreiz (Abb. 1). Es wurde oral mit einem Antihistaminikum der 2. Generation, topisch mit Prednicarbat und einer Polidocanol-haltigen Creme behandelt. Sonografisch zeigte sich eine ödematöse Schwellung im Bereich des. M. deltoideus sowie der Subcutis und Cutis. Es trat keine systemische Reaktionen auf, der Befund war nach 3 Tagen vollständig rückläufig. Fall 2 trat nach der 1. Impfung mit COVID-19 Vaccine Moderna bei einer 60-jährigen Mitarbeiterin auf (Abb. 2). 28 Stunden nach der Impfung kam es zunächst zu einer schlagartig auftretenden systemischen Reaktion mit Schüttelfrost, Fatigue, Kopf- und Muskelschmerzen sowie Übelkeit, nicht jedoch zu Fieber. An Tag 2 nach der Impfung trat zusätzlich Diarrhoe auf. Lokal zeigte sich an Tag 1 nach der Impfung an der Einstichstelle ein
5–6 cm umfassendes induriertes, urtikarielles und juckendes Erythem. Ab Tag 8/9 war nur noch ein deutlich sichtbares residuales Erythem zu beobachten, das ohne vollständige Rückbildung in eine Spätreaktion überging.

Im Seitenvergleich deutliche Schwellung im Bereich des M. deltoideus der Injektionsseite ein Tag nach der 2. Comirnaty-Impfung (A) im Vergleich zur kontralateralen Seite (B). C, D, E: Aufsicht des Lokalbefundes mit von der Injektionsstelle nach lateral verlaufendem, teils erhabenem Erythem. Exkoriationen bei Juckreiz 7 Tage nach der ersten Impfung (C, E).
Abbildung 1
Im Seitenvergleich deutliche Schwellung im Bereich des M. deltoideus der Injektionsseite ein Tag nach der 2. Comirnaty-Impfung (A) im Vergleich zur kontralateralen Seite (B). C, D, E: Aufsicht des Lokalbefundes mit von der Injektionsstelle nach lateral verlaufendem, teils erhabenem Erythem. Exkoriationen bei Juckreiz 7 Tage nach der ersten Impfung (C, E).
Flächiges Erythem um die beziehungsweise leicht lateral der Einstichstelle an Tag 12 nach der Moderna- Impfung.
Abbildung 2
Flächiges Erythem um die beziehungsweise leicht lateral der Einstichstelle an Tag 12 nach der Moderna- Impfung.

Ab Tag 10 setzte starker Juckreiz an der Injektionsstelle ein, welcher sich nach 1–2 Tagen bereits besserte. Jedoch zeigte sich nun ein flächiges Erythem ohne Induration, begleitend setzte zunehmende Fatigue ein. Neben ausgeprägter Übelkeit wurden Kopf- und Gliederschmerzen schon bei leichter Belastung beklagt, zudem Frösteln sowie leichte Schmerzen am oberen Sprunggelenk.

Lokale Hautreaktionen

Fall 3 (31-jährig) und Fall 4 (29-jährig) sind ebenfalls Mitarbeiterinnen des Universitätsklinikums, bei denen 10 beziehungsweise 7 Tage nach der 1. Dosis von Comirnaty (Fall 3, Abb. 3) beziehungsweise von COVID-19 Vaccine Moderna (Fall 4, Abb. 4) verzögerte lokale Reaktionen beobachtet wurden. Auch in diesen Fällen wurde symptomatisch behandelt, die 2. Dosis zur Vervollständigung der Grundimmunisierung wurde bei Fall 3 bereits verabreicht und ist bei Fall 4 geplant. Hierauf traten keinerlei Lokalreaktionen auf, es kam jedoch 4 Tage nach der 2. Impfdosis zu ausgeprägten Gliederschmerzen, die 3 Tage anhielten und die Alltagsaktivitäten stark einschränkten („Ich konnte kein Glas mehr halten“).

Verzögerte lokale Hautreaktion an Tag 10 nach der Comirnaty-Impfung.
Abbildung 3
Verzögerte lokale Hautreaktion an Tag 10 nach der Comirnaty-Impfung.
Verzögerte lokale blasse Hautreaktion an Tag 7 nach der Moderna- Impfung.
Abbildung 4
Verzögerte lokale blasse Hautreaktion an Tag 7 nach der Moderna- Impfung.

Verzögerte Reaktionen an der Impfstelle wurden auch in der Veröffentlichung der Phase-III-Studie des Impfstoffes COVID-19 Vaccine Moderna (1), nicht aber von Comirnaty (2) beschrieben. Das Auftreten wurde häufiger bei der 1. (244 von 30 420 Probanden, 0,8 %) als bei der 2. (68 Probanden, 0,2 %) Impfdosis beobachtet (1).

Erste Charakterisierungen dieser Impfreaktionen nach COVID-19 Vaccine Moderna zeigen ein medianes Auftreten 8 Tage nach der 1. Impfdosis (4 bis 11 Tage) mit variablem klinischem Bild, das auch hier teils von systemischen Reaktionen wie Fieber begleitet wurde. Bei 6 von 12 im New England Journal of Medicine beschriebenen Fällen trat bei der Gabe der 2. Dosis keine erneute Reaktion auf, bei 3 war sie milder, und bei 3 weiteren stärker ausgeprägt als die Reaktion auf die 1. Dosis (3).

In einem der dort beschrieben Fälle wurde bei Verdacht auf eine bakteriell bedingte Zellulitis eine antibiotische Therapie eingeleitet. Histopathologische Befunde sprechen bei diesen verzögerten Reaktionen für eine T-Zell-vermittelte Hypersensitivitätsreaktion (3). Auch der zeitliche Verlauf spricht für eine nicht-IgE-, sondern Zell-vermittelte Reaktion.

Auch schwere anaphylaktische Soforttypreaktionen auf Comirnaty und COVID-19 Vaccine Moderna kommen vor, als auslösendes Allergen kommt Polyethylenglycol (PEG, Macrogol) in Betracht (4). Ein Zusammenhang zwischen anaphylaktischen Reaktionen und PEG ist allerdings nicht gesichert. Diese lebensbedrohlichen Reaktionen werden mit einer Häufigkeit von 4,7 Fälle pro Million BioNTech- Impfdosen beziehungsweise 2,5 Fällen pro Million Moderna-Impfdosen angegeben (5). Nicht geimpft werden dürfen Patienten mit einer bekannten früheren schweren allergischen Reaktion auf Inhaltsstoffe des Impfstoffes oder auf die 1. COVID-19-Impfung.

Weitere Informationen hierzu finden sich auf einem Infoblatt der DGAKI zu Allergie und COVID-
19-Impfung (6) als auch in einer entsprechenden gemeinsamen Stellungnahme der allergologischen Fachgesellschaften (7).

Fazit

Die 4 Fallberichte aus unserem Universitätsklinikum zeigen, dass verzögerte lokale Reaktionen nach Impfung mit beiden in der EU gegen COVID-19 zugelassenen mRNA-Impfstoffen beobachtet werden können. Sie scheinen überwiegend bei weiblichen Patienten aufzutreten. Trotz teils ausgeprägten lokalen Befunden konnte die Grundimmunisierung in diesen Fällen abgeschlossen werden beziehungsweise ist die zeitgerechte Komplettierung des 2-Dosen-Schemas geplant.

Therapeutisch sollten analog zu gesteigerten Lokalreaktionen bei Insektenstichen in erster Linie kühlende Maßnahmen und polidocanolhaltige Externa appliziert werden. Wenn notwendig können systemische Antihistaminika der
2. Generation (zum Beispiel Loratadin) als auch topische Steroide der Klasse II-III (zum Beispiel Prednicarbat, Momethasonfuroat) angewendet werden (8).

Dr. med. Sebastian Hoehl
Institut für Medizinische Virologie,
Universitätsklinikum Frankfurt

Dr. med. Bartosz Malisiewicz
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Universitätsklinikum Frankfurt

Dr. Dr. med. Christoph Königs
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Frankfurt

Prof. Dr. Dr. med. Sabine Wicker
Betriebsärztlicher Dienst,
Universitätsklinikum Frankfurt

Prof. Dr. med. Sandra Ciesek
Institut für Medizinische Virologie,
Universitätsklinikum Frankfurt

Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit1421
oder über QR-Code.

1.
Baden LR, Sahly HME, Essink B, et al.: Efficacy and Safety of the mRNA-1273 SARS-CoV-2 Vaccine. New Engl J Med 2020; 384: 403–16 CrossRef MEDLINE PubMed Central
2.
Polack FP, Thomas SJ, Kitchin N, et al.: Safety and Efficacy of the BNT162b2 mRNA Covid-19 Vaccine. New Engl J Med 2020; 383: 2603–15 CrossRef MEDLINE PubMed Central
3.
Blumenthal KG, Freeman EE, Saff RR, et al.: Delayed Large Local Reactions to mRNA-1273 Vaccine against SARS-CoV-2. New Engl J Med 3. März 2021; doi: 10.1056/
NEJMc2102131 CrossRef MEDLINE PubMed Central
4.
Kounis NG, Koniari I, de Gregorio C, et al.: Allergic Reactions to Current Available COVID-19 Vaccinations: Pathophysiology, Causality, and Therapeutic Considerations. Nato Adv Sci Inst Se 2021; 9: 221 CrossRefMEDLINE PubMed Central
5.
Shimabukuro TT, Cole M, Su JR: Reports of Anaphylaxis After Receipt of mRNA COVID-19 Vaccines in the US – December 14, 2020–January 18, 2021. JAMA 2021; 325: 1101–2 CrossRefMEDLINE
6.
Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI): Patienteninformation „Allergie und COVID-19-Impfung“; https://dgaki.de/wp-content/uploads/2021/01/Impf_info_A4_web_neu.pdf.
7.
Klimek L, Novak N, Hamelmann E, et al.: Severe allergic reactions after COVID-19 vaccination with the Pfizer/BioNTech vaccine in Great Britain and USA. Allergo J Int 2021; 30: 1–5.
8.
Przybilla B, Ruëff F: Insect Stings. Deutsches Aerzteblatt Online 2012; 109: 238–48 VOLLTEXT
Im Seitenvergleich deutliche Schwellung im Bereich des M. deltoideus der Injektionsseite ein Tag nach der 2. Comirnaty-Impfung (A) im Vergleich zur kontralateralen Seite (B). C, D, E: Aufsicht des Lokalbefundes mit von der Injektionsstelle nach lateral verlaufendem, teils erhabenem Erythem. Exkoriationen bei Juckreiz 7 Tage nach der ersten Impfung (C, E).
Abbildung 1
Im Seitenvergleich deutliche Schwellung im Bereich des M. deltoideus der Injektionsseite ein Tag nach der 2. Comirnaty-Impfung (A) im Vergleich zur kontralateralen Seite (B). C, D, E: Aufsicht des Lokalbefundes mit von der Injektionsstelle nach lateral verlaufendem, teils erhabenem Erythem. Exkoriationen bei Juckreiz 7 Tage nach der ersten Impfung (C, E).
Flächiges Erythem um die beziehungsweise leicht lateral der Einstichstelle an Tag 12 nach der Moderna- Impfung.
Abbildung 2
Flächiges Erythem um die beziehungsweise leicht lateral der Einstichstelle an Tag 12 nach der Moderna- Impfung.
Verzögerte lokale Hautreaktion an Tag 10 nach der Comirnaty-Impfung.
Abbildung 3
Verzögerte lokale Hautreaktion an Tag 10 nach der Comirnaty-Impfung.
Verzögerte lokale blasse Hautreaktion an Tag 7 nach der Moderna- Impfung.
Abbildung 4
Verzögerte lokale blasse Hautreaktion an Tag 7 nach der Moderna- Impfung.
1.Baden LR, Sahly HME, Essink B, et al.: Efficacy and Safety of the mRNA-1273 SARS-CoV-2 Vaccine. New Engl J Med 2020; 384: 403–16 CrossRef MEDLINE PubMed Central
2.Polack FP, Thomas SJ, Kitchin N, et al.: Safety and Efficacy of the BNT162b2 mRNA Covid-19 Vaccine. New Engl J Med 2020; 383: 2603–15 CrossRef MEDLINE PubMed Central
3.Blumenthal KG, Freeman EE, Saff RR, et al.: Delayed Large Local Reactions to mRNA-1273 Vaccine against SARS-CoV-2. New Engl J Med 3. März 2021; doi: 10.1056/
NEJMc2102131 CrossRef MEDLINE PubMed Central
4.Kounis NG, Koniari I, de Gregorio C, et al.: Allergic Reactions to Current Available COVID-19 Vaccinations: Pathophysiology, Causality, and Therapeutic Considerations. Nato Adv Sci Inst Se 2021; 9: 221 CrossRefMEDLINE PubMed Central
5.Shimabukuro TT, Cole M, Su JR: Reports of Anaphylaxis After Receipt of mRNA COVID-19 Vaccines in the US – December 14, 2020–January 18, 2021. JAMA 2021; 325: 1101–2 CrossRefMEDLINE
6.Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI): Patienteninformation „Allergie und COVID-19-Impfung“; https://dgaki.de/wp-content/uploads/2021/01/Impf_info_A4_web_neu.pdf.
7.Klimek L, Novak N, Hamelmann E, et al.: Severe allergic reactions after COVID-19 vaccination with the Pfizer/BioNTech vaccine in Great Britain and USA. Allergo J Int 2021; 30: 1–5.
8.Przybilla B, Ruëff F: Insect Stings. Deutsches Aerzteblatt Online 2012; 109: 238–48 VOLLTEXT
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