THEMEN DER ZEIT
SARS-CoV-2-Ausbruch: Wenn Maximalversorger maximal betroffen sind
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Von Dezember 2020 bis Anfang März 2021 verzeichnete das über 1 000 Betten starke, etwa 3 300 Mitarbeiter beschäftigende Klinikum Bayreuth eine Reihe von COVID-19-Ausbrüchen. Ein Bericht über das Management und die Maßnahmen zur Bewältigung des hausweiten Ausbruchsgeschehens mit zwei SARS-CoV-2-Varianten.
Nordostbayern hat sich seit Dezember 2020 zu einer Coronahochinzidenzregion entwickelt, woran die Ausbreitung der britischen Variante (B.1.1.7) erheblichen Anteil hat. Das Klinikum Bayreuth hat zwei Betriebsstätten und liegt im Regierungsbezirk Oberfranken. Bereits in der ersten SARS-CoV-2-Welle war die Region schwer betroffen, im Klinikum Bayreuth wurden viele schwer kranke COVID-19-Patienten versorgt. Von Beginn der Pandemie an wurde ein strenges Hygienemanagement etabliert, welches ein breit gefächertes Maßnahmenbündel umfasste von Eingangskontrollen und Besucherrestriktion über Testung aller stationären Patienten auf SARS-CoV-2, spezielle Pausenkonzepte und FFP2-Masken für Mitarbeiter (MA) mit wechselnden Einsatzorten bis hin zu Routinereihentestung von MA aus Coronarisikobereichen. Unter diesem Hygienekonzept gab es von März bis Dezember 2020 nur drei kleinere Ausbruchsgeschehen, welche rasch unter Kontrolle gebracht werden konnten. Bis dahin führten nur enge und längere Kontakte, das heißt bei nach Robert Koch-Institut (RKI) klassifizierten Kontaktpersonen der Kategorie 1 (KP1), zu Infektionen.
Rasche und rigide Maßnahmen
Trotz fortgesetzter Hygienemaßnahmen änderte sich Anfang Dezember 2020 die Dynamik des Ausbruchsgeschehen gravierend, allein im Dezember kam es zu fünf Ausbrüchen. Am Anfang stand ein Ausbruch auf der geriatrischen Normalstation, dessen Umfang so groß war, dass das Ausbruchsmanagement verschärft werden musste. Von nun an wurden – zusätzlich zu den üblichen Isolations- und Quarantänemaßnahmen – ab dem ersten nosokomialen Fall oder bei einem positiv getesteten Mitarbeiter umgehend alle Patienten sowie das gesamte Personal des jeweiligen Bereichs mittels PCR getestet. Ab zwei Fällen wurde die gesamte Station gesperrt, Zu- und Abverlegungen waren untersagt, die Patienten mussten im Zimmer bleiben, apparative Untersuchungen wurden auf dringliche Indikationen begrenzt, FFP2-Masken für das Personal waren Pflicht, Pausen mussten alleine verbracht werden. Alle Kontaktpatienten, die in Kategorie 2 (KP2), das heißt nur kurzer Kontakt mit Masken und/oder Abstand, eingruppiert waren, wurden umgehend unter Quarantäne gestellt. Nach weiteren positiven Tests wurde dies auf alle Patienten der Station ausgeweitet. Trotz dieser raschen und rigiden Maßnahmen wurden insgesamt 20 Patienten und neun Mitarbeiter SARS-CoV-2 positiv, acht Patienten verstarben. Ähnlich verlief parallel dazu aber am anderen Standort der SARS-CoV-2-Ausbruch auf unserer Stroke-Unit. Alarmierend war, dass sich in beiden Ausbrüchen sowohl MA, welche mit kompletter Schutzausrüstung (PSA), also Kontaktpersonen der Kategorie 3 (KP3), gearbeitet hatten als auch isolierte Patienten ansteckten. Im Gegensatz zu unseren früheren Erfahrungen (bis Dezember 2020) wurden in diesen Ausbrüchen 27 KP2/3 positiv, ein MA musste intensivmedizinisch behandelt werden, bei ihm wurde die weniger bekannte und inzwischen von der britischen Variante B.1.1.7 in Deutschland weitgehend verdrängte Variante B.1.258 nachgewiesen. Als weitere Verschärfung führten wir daraufhin eine FFP3-Maskenpflicht auf der Geriatrie ein. Letztlich konnte das Ausbruchsgeschehen unter Kontrolle gebracht werden. Die Überprüfung der Lüftungsanlagen ergab keinen Hinweis auf Mängel. Die LMU München unterstützte uns mit Sequenzierungsanalysen und konnte den gesamten Ausbruch in der Geriatrie B.1.258 zuordnen.
Ausbrüche mit B.1.1.7-Variante
Nachdem der Ausbruch auf der Geriatrie zum Stillstand gekommen war, kam es Anfang Januar auf der Stroke-Unit erneut zu nosokomialen Infektionen und Erkrankungen von Mitarbeitern. Sequenzierungsanalysen des Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) Bayern, der LMU München sowie der Universität Regensburg wiesen hier später die Variante B.1.1.7 nach. Das bedeutet, es handelte sich um ein zweites, unabhängiges Ausbruchsgeschehen, das sich trotz des streng gelebten Hygienekonzepts ereignen konnte. Im Rahmen dieses Ausbruchs erkrankten 16 Mitarbeiter, von denen drei invasiv beatmet werden mussten. Obwohl alle Akutpatienten auf der Stroke-Unit von nun an immer in voller Schutzausrüstung vom Personal betreut wurden, kam es auch hier zu weiteren Infektionen bei Patienten. In diesem Ausbruch hatten wir auch erstmals den Eindruck, dass Inkubationszeiten von bis zu 14 Tagen auftraten und dass die B.1.1.7-Variante deutlich infektiöser und auch gefährlicher sein könnte als die initiale Form des Virus oder auch andere Varianten.
Fast parallel zu dem Ausbruch auf der Stroke-Unit wurde auf der nephrologischen Station eine asymptomatische Patientin im SARS-CoV-2-Entlassabstrich hochpositiv getestet, die sofort veranlasste „Schnell-PCR“ (Cepheid) der Zimmernachbarin ergab ebenfalls ein hochpositives Ergebnis. Die anderen Patienten und das Personal der Station wurden umgehend mittels PCR (Seegene) untersucht. Dabei ergaben sich bei 16 Patienten sowie vier MA positive Befunde. Im weiteren Verlauf wurden schließlich mit nur einer Ausnahme alle Patienten und insgesamt 16 MA positiv getestet. 14 von 30 Patienten verstarben und neun Mitarbeiter, nicht nur ältere, waren aufgrund der Folgen von COVID-19 über Wochen nicht arbeitsfähig. Dieser Ausbruch setzte sich im Dialysebereich der Klinik fort. Von dort kamen weitere neun Fälle, sieben Mitarbeiter und zwei Patienten hinzu. Sequenzierungsanalysen zeigten später, dass in diesem Ausbruch sowohl die Varianten B.1.258 als auch B.1.1.7 vorkamen, wobei letztere dominierte.
Absolute Transparenz
Aufgrund der beschriebenen Ausbrüche sowie täglich neuer Infektionen bei Mitarbeitern und Patienten in insgesamt 16 Bereichen des Hauses, insbesondere auf den COVID-19-Stationen, und einer lokalen Inzidenz von bis zu 324 Neuinfektionen/100 000 Einwohner/sieben Tage Mitte Januar entschlossen wir uns im Coronakrisenstab zur nächsten Eskalationsstufe (Maßnahme 1, Grafik): Absage aller verschiebbaren Behandlungen, Schließung der MVZ, Verschärfung des Testkonzeptes (Abstriche bei allen hausinternen Verlegungen), Probenversand zur Analyse von Varianten, Testung der FFP-Masken sowie Reihentestung aller 3 300 Mitarbeiter und aller stationären Patienten. Aus unserer Einschätzung war das stark akzelerierte Ausbruchsgeschehen am ehesten durch eine hohe Anzahl asymptomatisch SARS-CoV-2-positiver Mitarbeiter und Patienten, durch das Vorkommen von Varianten oder beide Möglichkeiten zu erklären. Die drastischen Maßnahmen am Klinikum Bayreuth, dem einzigen Maximalversorger der Region, hatten naturgemäß erhebliche Auswirkungen auf die regionale Notfallversorgung. Deshalb wurden sie vorab eng mit den Kreisverwaltungsbehörden und dem Gesundheitsamt abgestimmt. Um die Bürger im Stadt- und Landkreis zu informieren und medialen Spekulationen vorzubeugen, wurde das Geschehen transparent kommuniziert.
Sechs Tage nach Beginn des Lockdowns unseres gesamten Großklinikums kamen vom LGL Bayern die elf ersten positiven Befunde für die Variante B.1.1.7. Dies führte noch am selben Abend und erneut am Folgetag zu ausgedehnten Telefonkonferenzen mit den verantwortlichen Mandatsträgern und Behörden einschließlich des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege. In diesem Rahmen wurden weitere Regelungen (Maßnahme 2, Grafik) festgelegt: genereller Aufnahmestopp, Abverlegungsstopp für COVID-19-Patienten, Pendelquarantäne für alle Mitarbeiter des Klinikum Bayreuth mit gleichzeitiger Verschärfung des Testkonzeptes (wöchentliche PCR-Tests für alle MA, eigenverantwortliche Schnelltests für jeden patientennahen Mitarbeiter jeweils vor Dienstbeginn sowie Entlassabstriche für alle Patienten). Vom Aufnahmestopp ausgenommen waren Patienten mit Tracer-Diagnosen (Herzinfarkt, Sepsis, Reanimation, Polytrauma, Hirninfarkt und Schädel-Hirn-Trauma) sowie dringliche Geburten.
Wochen des Lockdown
Infolge der Maßnahmen sank die Belegung des Hauses zwischenzeitlich auf unter 40 Prozent, das Ausbruchsgeschehen konnte eingedämmt und schließlich zum Erliegen gebracht werden. Sechs Wochen nach Verhängen des Krankenhaus-„Lockdowns“, am 3. März 2021 konnten wir das Gesamtausbruchsgeschehen für beendet erklären. In der Summe hatten sich 89 Mitarbeiter und 98 Patienten im Rahmen der Ausbrüche mit SARS-CoV-2 infiziert, 26 Patienten waren verstorben und vier unserer Mitarbeiter mussten zwischenzeitlich beatmet werden. Insgesamt litten oder leiden noch immer 23 Mitarbeiter über Wochen an COVID-19-Folgen und waren im Krankenstand. Der Ehemann einer MA erlitt ebenfalls eine Infektion und verstarb leider im weiteren Verlauf. Einen Überblick über das Gesamtgeschehen gibt die Grafik.
Rückblickend demonstrieren die Sequenzierungsergebnisse, dass in unserem Ausbruchsgeschehen sowohl die Variante B.1.258 als auch B.1.1.7 vorkam, wobei Letztere dominierte. Der „Lockdown“ des Klinikums, das deutlich verschärfte Testkonzept, die erhöhte Hygienecompliance durch die gesteigerte Wachsamkeit sowie die steigende Zahl geimpfter Mitarbeiter waren aus unserer Sicht die wesentlichen Maßnahmen, die eine rasche Bewältigung der Situation möglich gemacht haben. Ein sehr anspruchsvoller und wesentlicher Aspekt des Ausbruchsmanagement war die Kommunikation der Maßnahmen nach intern und extern, da nur so eine umfassende Compliance ermöglicht wurde. Kritisch bezüglich der Regeneration aller Mitarbeiter und damit der Funktionsfähigkeit des Klinikums war die Pendelquarantäne, welche von allen als starke psychische und auch im Alltag belastende Maßnahme empfunden wurde, sodass einige sogar kündigten. Es kam auch zu Stigmatisierungen. Dabei wurden zum Beispiel Kinder von Mitarbeitern in Kitas zum Teil alleine in ein Zimmer platziert, Mitarbeiter, die anhand der Parkplakette des Klinikums erkennbar waren, wurden von der Tankstelle vertrieben et cetera. Aber wir erhielten auch viel Rückhalt und Unterstützung in der Bevölkerung sowie durch die lokale Politik, welche den Auswüchsen schnell und effektiv entgegentrat. Die hier skizzierten negativen Auswirkungen, auch diese Erkenntnis kann aus dem Geschehen gewonnen werden, müssen bei der Anordnung drastischer Maßnahmen stets mitbedacht und sorgfältig gegen den Nutzen abgewogen werden.
Sehr enge Überwachung nötig
Unsere äußerst einschneidenden Erfahrungen mit zwei gleichzeitigen schweren Ausbrüchen unterschiedlicher SARS-CoV-2-Varianten in einem Krankenhaus der Maximalversorgung zeigen, dass es einer sehr engen Überwachung von COVID-19-Infektionen auf der Basis eines umfangreichen Testkonzeptes und „contact tracing“ bedarf, um plötzliche Veränderungen in der Übertragungsdynamik neuer Varianten zu erkennen. Es sind sowohl eine gute Surveillance als auch die umgehende und drastische Eskalation der Hygienemaßnahmen nötig, welche eine Eindämmung derartiger Ausbruchsgeschehen ermöglichen, ganz im Sinne eines Prinzips von Paul Ehrlich: „frapper fort et frapper vite“.
- Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2021; 118 (14): A 709–12
Anschrift der Verfasser:
Dr. med. Thomas Bollinger
Institut für Laboratoriumsmedizin, Mikrobiologie und Krankenhaushygiene
Klinikum Bayreuth
Preuschwitzer Str. 101, 95445 Bayreuth
Dr. med. Bollinger, Pandemiebeauftragter ab 1. Februar 2021
Prof. Dr. med. Rupprecht, Pandemiebeauftragter bis 31. Januar 2021
Dr. rer. nat. Schmitt
Prof. Dr. med. Raab, Ärztlicher Direktor und Medizinischer Geschäftsführer