ArchivDeutsches Ärzteblatt15/2021Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen: Behandlungsstau durch Corona

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Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen: Behandlungsstau durch Corona

Osterloh, Falk

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Während zunehmend Post-COVID-Patienten in Rehakliniken betreut werden, geraten immer mehr Einrichtungen in eine finanzielle Schieflage. Denn obwohl sich ein Behandlungsstau aufbaut, sinkt die Zahl der Rehaanträge – weil die Patienten fürchten, sich mit COVID-19 zu infizieren.

Foto: juananbarros/stock.adobe.com
Foto: juananbarros/stock.adobe.com

Je höher die Zahl der Post- COVID-Patienten steigt, desto mehr rücken die Einrichtungen in den Fokus, in denen diese Patienten behandelt werden: die Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen. In einer S2k-Leitlinie wurden nun erstmals Behandlungskonzepte für Post-COVID-Patienten in Rehakliniken vorgelegt (siehe folgenden Artikel). Derweil kämpfen die Rehakliniken nach einem Jahr Coronapandemie mit den finanziellen Auswirkungen der Krise.

„Die Pandemie setzt die Rehabranche wirtschaftlich stark unter Stress.“ Christof Lawall, DEGEMED. Foto: DEGEMED
„Die Pandemie setzt die Rehabranche wirtschaftlich stark unter Stress.“ Christof Lawall, DEGEMED. Foto: DEGEMED

„Die Pandemie setzt die gesamte Rehabranche wirtschaftlich stark unter Stress“, sagt der Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Rehabilitation (DEGEMED), Christof Lawall, dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ). „Denn die Rehaeinrichtungen sind seit Beginn der Pandemie starken Belegungsschwankungen ausgesetzt. Damit schwanken auch die Umsatzerlöse, die für sehr viele Einrichtungen die einzige relevante Einnahmequelle sind.“

Rettungsschirm für die Reha

Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen finanzieren sich in erster Linie über Tagespflegesätze, die sie mit den unterschiedlichen Sozialversicherungsträgern vereinbaren (Kasten). Um ihre Finanzierung in der Pandemie zu sichern, spannte die Bundesregierung über den Rehakliniken einen Rettungsschirm auf. So erhielten die Einrichtungen zu Beginn der Pandemie für jedes nicht besetzte Bett einen Betrag in Höhe von 60 Prozent des durchschnittlichen Vergütungssatzes von der gesetzlichen Krankenversicherung. Die gesetzliche Renten- und Unfallversicherung zahlte 75 Prozent als Ausgleich. Im Herbst 2020 kam ein Zuschlag in Höhe von acht Euro pro Patient und Tag für hygienische Schutzmaßnahmen hinzu. Die pauschalen Ausgleichszahlungen wurden allerdings auf 50 Prozent gekürzt.

„Die Bundesregierung hat zu Beginn der Pandemie schnell reagiert“, lobt Lawall. Allerdings glichen die Zuschüsse die Verluste der Einrichtungen nur teilweise aus. „Der Aufwand, den die Einrichtungen haben, um Schutzmaßnahmen für Patienten und Mitarbeiter zu organisieren, geht teilweise erheblich über die gezahlte Pauschale hinaus. Es wäre daher besser, den Mehraufwand einrichtungsindividuell zu erfassen und von Anfang an zu bezahlen“, meint Lawall.

Auch der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Privatkliniken (BDPK), Thomas Bublitz, ist mit dem Rettungsschirm in seiner jetzigen Ausprägung nicht zufrieden. „Die vorhandenen Coronahilfspakete ändern leider nur wenig daran, dass immer mehr Reha- und Vorsorgeeinrichtungen in eine bedrohliche finanzielle Schieflage geraten“, sagt er dem DÄ. „Belegung und Umsatz sind gegenüber dem Vorjahr im Schnitt um knapp 50 Prozent eingebrochen, während die Personalkosten gleich geblieben sind und zudem coronabedingte Mehrkosten entstehen.“ Durch die Ausgleichszahlungen würden die Mindererlöse aber nur zur Hälfte ausgeglichen, das sei kaum zu verkraften. Zusätzlich mache die fehlende Planungssicherheit zu schaffen.

Große Unsicherheit

„Den ersten Rettungsschirm für die Reha gab es bis zum 30. September, danach für anderthalb Monate nichts“, erklärt Bublitz. „Ab dem 18. November wurde dann der Ausgleich auf 50 Prozent reduziert. Die Regelung war bis zum 31. Januar befristet und wurde erst kurz vor Ablauf bis Ende Februar verlängert. Dann gab es eine Verlängerung bis zum 11. April und aktuell steht im Entwurf einer Rechtsverordnung der 31. Mai. Wie es danach weitergeht, wissen wir nicht. Die Unsicherheit kann kaum größer sein.“

„Verschleppte Therapien rufen einen zusätzlichen Rehabedarf hervor.“ Wilfried von Eiff, HHL Leipzig Graduate School of Management. Foto: HHL Leipzig
„Verschleppte Therapien rufen einen zusätzlichen Rehabedarf hervor.“ Wilfried von Eiff, HHL Leipzig Graduate School of Management. Foto: HHL Leipzig

Der Gesundheitsökonom Prof. Dr. rer. pol. Dr. biol. hom. Wilfried von Eiff beobachtet den Rehasektor seit vielen Jahren. Auch er sieht aktuell eine finanzielle Schieflage bei vielen Einrichtungen. „Bereits vor der Pandemie waren 28 Prozent der Rehaeinrichtungen von einem hohen Insolvenzrisiko betroffen“, sagt der Akademische Direktor des Centers for Health Care Management and Regulation an der HHL Leipzig Graduate School of Management dem DÄ. „Schon vor der Pandemie befand sich die Branche in einem Konsolidierungsprozess.“

Durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflichten würden kritische finanzielle Schieflagen zudem verschleiert. Insolvenzen träten somit erst mit deutlichem Zeitverzug ein. „Verlässliche Zahlen über Schieflagen und mögliche Insolvenzen gibt es derzeit nicht“, sagt von Eiff, der auch das Centrum für Krankenhausmanagement an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster leitet. Der Verband der Privatkrankenanstalten in Bayern (VPKA) habe allerdings bereits im Oktober 2020 von mindestens zehn Prozent der Einrichtungen berichtet, die vor einer Insolvenz stünden.

Von Eiff zufolge sind die Rehakliniken unterschiedlich von den Auswirkungen der Pandemie betroffen. „Das liegt aber nur teilweise am vertretenen Fachgebiet, da alle Bereiche Einschränkungen erleiden“, sagt der Gesundheitsökonom. Eher hänge der Grad der Betroffenheit davon ab, wie die Rehakliniken in den jeweiligen Regionen mit den Akutkrankenhäusern zusammenarbeiteten. „Es gab Spezialkrankenhäuser, die keine Coronapatienten versorgt haben, weil diese Versorgung durch andere Akuthäuser übernommen wurde – mit der Konsequenz, dass das akutstationäre Programm weiterlaufen konnte und die Patienten in der Rehabilitation weiterversorgt wurden“, erklärt von Eiff. Außerdem seien nicht alle Rehaeinrichtungen durch die zuständige Kreisverwaltung dazu verpflichtet worden, verlegbare Akutbehandlungsfälle zu übernehmen und auch Kurzzeitpflegepatienten, geriatrische Fälle sowie leichtere Coronafälle zu versorgen.

Aufnahme von COVID-Patienten

In der ersten Welle der Pandemie hatte die Bundesregierung rechtlich die Möglichkeit dafür geschaffen, dass Rehakliniken auch Akutpatienten behandeln oder Kurzzeitpflege anbieten können. Genaue Zahlen dazu, wie viele Rehakliniken sich auf diese Weise in die Bewältigung der Coronapandemie eingebracht haben, liegen Bublitz zufolge allerdings noch nicht vor.

„Ausschlaggebend für die Art und den Umfang der Beteiligung von Rehaeinrichtungen sind die jeweiligen Behandlungsschwerpunkte der einzelnen Kliniken“, sagt der BDPK-Geschäftsführer. „Eine pneumologische Spezialklinik kann sich anders einbringen als eine Einrichtung für orthopädische Erkrankungen und eine Rehaklinik für Herz-Kreislauf-Patienten kann dem Krankenhaus im Nachbarort eher Patienten abnehmen als eine Klinik für Psychosomatik.“ Unterschiede gebe es auch zwischen Stadt und Land, weil die meisten Rehakliniken eher im ländlichen Raum angesiedelt seien. „In manchen Großstädten ist die nächstgelegene Rehaklinik für die schnelle Aufnahme von Akutpatienten zu weit entfernt, umgekehrt wissen wir aus vielen ländlichen Regionen, dass die Rehaeinrichtungen gerade dort für wertvolle Entlastung sorgen und gesorgt haben“, so Bublitz.

„Während der ersten Welle der Pandemie im vergangenen Frühjahr haben viele Rehaeinrichtungen den Status als ‚Hilfs-‘ oder ‚Ersatzkrankenhaus‘ bekommen“, sagt auch Lawall. „Die Grundlage dafür war immer eine Entscheidung des jeweiligen Landes. So hat etwa die Klinik Bad Reichenhall der DRV Bayern Süd bereits im April 2020 erste noch infektiöse Patienten als ‚COVID-Hilfskrankenhaus‘ aufgenommen und versorgt. Diese Einrichtung ist dann zu Beginn der zweiten Welle im November 2020 erneut in die Versorgung eingestiegen – parallel zum Rehabetrieb.“ Die Zusammenarbeit zwischen den Versorgungssektoren sei dadurch enger und besser geworden. „Wir hoffen, dass das auch nach der Pandemie so bleibt“, sagt Lawall.

Von Eiff erwartet im Rehabilitationssektor einen Behandlungsstau infolge der Pandemie. „Das ist einerseits der Tatsache geschuldet, dass zahlreiche Krankenhäuser selbst von einem Behandlungsstau betroffen sind, der sich in der Folge auf die Rehaeinrichtungen in Form einer Übernachfrage auswirkt. Dieser Übernachfrage stehen aber geschrumpfte Behandlungskapazitäten aufgrund von Hygienemaßnahmen gegenüber. Andererseits ist eine zusätzliche Versorgungsnachfrage aufgrund rehabilitationsbedürftiger direkter Coronakrankheitsfolgen zu erwarten.“ Allein im Bereich der Herz-Kreislauf-Erkrankungen sei aktuell eine „Bugwelle“ von 20 bis 25 Prozent der Kapazität des Jahres 2019 erkennbar. Diese Bugwelle abzubauen, werde weit in das Jahr 2022 hineinreichen.

„Durch Corona wird sich die Krankheitslast in Deutschland erhöhen“, meint von Eiff. „Das Aussetzen von Heilverfahren wirkt sich bei psychischen Krankheitsbildern ebenso aus wie bei somatischem Rehabedarf. So werden amputierte Patienten, die auf Wartelisten stehen, zunächst nicht im Umgang mit der Prothese trainiert, sondern zu Hause mit einem Rollstuhl versorgt – mit allen Folgeproblemen und einer reduzierten Rehaerfolgsaussicht. Gleiche Effekte sind durch das Fehlen von Nachsorgeangeboten wie Funktionstraining und Rehasport zu erwarten. Die Rehawartezeiten werden auch in dem Maß steigen, wie die Akutkrankenhäuser den OP-Betrieb wieder aufnehmen. Es ist absehbar, dass sich diese Wartezeiten auf eine Chronifizierung von Beschwerden negativ auswirken und durch verschleppte kurative Therapien ein zusätzlicher Rehabedarf hervorgerufen wird.“

Der Behandlungsstau steht der Reha allerdings erst noch bevor. „Seit Jahresanfang gehen die Antragszahlen eher zurück“, sagt Lawall. „Das liegt nach unserer Einschätzung nicht an medizinischen Gründen. Die Pandemie macht die Menschen ja nicht gesünder. Wir sehen vielmehr, dass manche Patienten zögern, ihre Reha anzutreten, weil sie unsicher sind und Infektionsrisiken in den Rehaeinrichtungen befürchten.“ Die Einrichtungen täten alles dafür, um den Aufenthalt so sicher wie möglich zu machen und Infektionsrisiken für Patienten und Mitarbeiter so gut wie möglich auszuschließen, betont der DEGEMED-Geschäftsführer und rät: „Wenn eine medizinische Rehabilitation notwendig ist, sollte der Patient auch unverzüglich damit beginnen und die Leistung antreten. Nur so können eine Chronifizierung einer Erkrankung und eine Verschlechterung des Gesundheitszustands effektiv verhindert werden.“

„Die Jahre 2021 und 2022 stellen für die Reha- und Vorsorgeeinrichtungen wirtschaftlich und medizinisch eine große Herausforderung dar“, sagt von Eiff. „Ökonomisch begrenzen die bisherigen Ertragsausfälle die Finanzkraft, die erforderlich ist, um eine qualifizierte medizinische, psychosomatische und soziale Patientenversorgung zu gewährleisten.“ Die medizinischen Spätfolgen sowie die volkswirtschaftlichen Kosten unterlassener Vorsorgeuntersuchungen bei Brustkrebs-Screening, Hautkrebs-Screening und diagnostischen Koloskopien ließen sich darüber hinaus nur erahnen.

Auch Lawall erwartet schwere Jahre für die Rehakliniken. Neben den Einnahmeverlusten infolge der Belegungsschwankungen liege der Grund dafür in der Ungewissheit, wie lange die derzeitige Lage noch andauere. „Das macht die mittel- und langfristige Planung sehr schwer“, sagt Lawall. „Darunter leiden die Personalgewinnung, die Investitionsplanung oder auch die fachlich-konzeptionelle Ausrichtung einer Klinik. Gleichzeitig erwarten Politik und Kostenträger, dass die Einrichtungen die Versorgungssicherheit aufrechterhalten und die Patientensicherheit gewährleisten.“ Die Rehabranche brauche daher jetzt Klarheit, wie Politik und Kostenträger langfristig die Pandemiefestigkeit der medizinischen Rehabilitation herstellen wollten. „Dazu müssen wir raus aus dem Krisenreaktionsmodus und dürfen nicht mehr nur von Quartal zu Quartal denken“, fordert Lawall. Falk Osterloh

Das Rehasystem in Deutschland

Dem Statistischen Bundesamt zufolge gab es 2019 in Deutschland 1 112 Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen mit 163 336 Betten. Die Fallzahl lag bei knapp zwei Millionen, die durchschnittliche Verweildauer bei 25,4 Tagen und die durchschnittliche Bettenauslastung bei 84,9 Prozent. 601 der Einrichtungen befanden sich 2019 in privater Trägerschaft (1,3 Millionen Fälle), 306 in freigemeinnütziger (298 000 Fälle) und 205 in öffentlicher (383 000 Fälle). Die meisten Rehakliniken befinden sich in Bayern (250), Baden-Württemberg (185) und Nordrhein-Westfalen (135), die wenigsten in den drei Stadtstaaten (13), dem Saarland (15) und Sachsen-Anhalt (21). Von den 1,7 Millionen vollstationär in Einrichtungen mit mehr als 100 Betten behandelten Patienten wurden 561 000 wegen einer Krankheit des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes behandelt, 274 000 wegen einer psychischen oder Verhaltensstörung, 254 000 wegen einer Krankheit des Kreislaufsystems und 175 000 wegen einer Krebserkrankung.

Um sich zu finanzieren, schließen die Träger der Einrichtungen Versorgungsverträge mit den jeweiligen Trägern der Sozialversicherungen. In der Regel erfolgt die Abrechnung dabei über indikationsspezifische Tagespflegesätze, bisweilen auch über Fallpauschalen. Der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) zufolge lagen die trägerübergreifenden Gesamtausgaben 2019 erstmals über 40 Milliarden Euro. Das waren 5,1 Prozent mehr als im Vorjahr. Mit 52 Prozent haben die Träger der Eingliederungshilfe daran den höchsten Anteil, die in erster Linie Maßnahmen für die Teilhabe von behinderten Menschen finanzieren. Auf die Rentenversicherung entfielen 17 Prozent der Ausgaben, die Rehamaßnahmen finanziert, um eine Wiedereingliederung in das Berufsleben zu ermöglichen. Die Unfallversicherung hat einen Anteil von 13 Prozent und die gesetzliche Krankenversicherung von neun Prozent, die Rehamaßnahmen finanziert, um einer Pflege vorzubeugen. Sechs Prozent der Ausgaben entfielen auf die Bundesagentur für Arbeit.

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