MEDIZIN: Korrespondenz
Arbeitsunfähigkeit nach Coronaimpfung bei medizinischem Personal
Inability to work after corona vaccination in medical staff
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Impfnebenwirkungen umfassen typische Impfreaktionen und darüber hinausgehende meldepflichtige gesundheitliche Beeinträchtigungen. Für die in Deutschland zugelassenen COVID-19-Impfstoffe von Biontech/Pfizer, Moderna und AstraZeneca nennen die Zulassungsstudien Häufigkeiten von Impfreaktionen. Das Paul-Ehrlich-Institut verzeichnete zum 12. 3. 2021 auf 1 000 Impfungen 5,2 Impfreaktionen für den Vektorimpfstoff von AstraZeneca und 1,5–2,5 für die mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna. Medienberichte ließen vermuten, dass Arbeitsunfähigkeit durch Impfreaktionen die Dienstbereitschaft in kritischen Infrastrukturbereichen gefährdet.
Methode
Die Mitarbeiterimpfung im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein erfolgte frühzeitig entsprechend der Impfverordnung. Bis zum 12. 3. 2021 wurden 16 816 Impfdosen verabreicht, ohne dass es eine Differenzialindikation für verschiedene Impfstoffe gab: Zunächst wurden 11 184 Dosen des Biontech-Impfstoffs verwendet, dann 2 140 Dosen des Moderna-Impfstoffs (jeweils Erst- und Zweitimmunisierung), zuletzt 3 492 Dosen des AstraZeneca-Impfstoffs (nur Erstimmunisierung). Nach Zustimmung der Ethikkommission wurden alle Mitarbeiter gebeten, einen Online-Fragebogen zu Impfreaktionen auszufüllen und der Auswertung zu Forschungszwecken zuzustimmen. Antworten von 7 859 Mitarbeitern zu 12 732 Injektionen (76 %) waren auswertbar (Antwortrate zwischen 71 % nach AstraZeneca-Impfung und 87 % nach Moderna-Erstimpfung). Arbeitsunfähigkeit wurde ausschließlich über den Fragebogen erfasst.
Ergebnisse
Die berichteten Symptome entsprachen im Wesentlichen den Angaben der Produktinformationen. In Abhängigkeit vom Impfstoff zeigten sich keine auffälligen Unterschiede in der Art der Symptome. Deutlich waren jedoch Unterschiede in Häufigkeit und Ausmaß. Eine Arbeitsunfähigkeit trat nach Zweitimpfung mit mRNA-Impfstoffen häufiger auf als nach Erstimpfung (Biontech-Impfstoff: 22,7 % versus 7,6 %, Moderna: 56,8 % versus 11,5 %). Nach Erstimpfung mit AstraZeneca-Impfstoff waren 65,3 % arbeitsunfähig (Grafik 1).
Besonders nach Verabreichung von AstraZeneca-Vakzin waren die Beschwerden altersabhängig: 84,3 % der 18- bis 29-Jährigen waren vorübergehend arbeitsunfähig, 50,3 % sogar 2 Tage oder länger (Grafik 2). In der für jede Impfart (Biontech 1. Impfung, Biontech 2. Impfung, Moderna 1. Impfung, Moderna 2. Impfung, AstraZeneca 1. Impfung) getrennt durchgeführten multivariaten Analyse des Einflusses von Alter und Geschlecht zeigte sich bei Frauen eine erhöhte Odds Ratio für Arbeitsunfähigkeit (je nach Impfart 1,6–2,5; p ≤ 0,002). Mit zunehmendem Alter sank im Vergleich zu 18- bis 29-Jährigen die Odds Ratio: 30- bis 39-Jährige 0,4–1,0; 40- bis 49-Jährige 0,2–0,8; 50- bis 59-Jährige 0,2–0,7 und ≥ 60-Jährige 0,1–0,6. Die Altersassoziation war signifikant für AstraZeneca-Vakzin 1. Impfung, Biontech 2. Impfung und Moderna 1. Impfung (p < 0,001), ansonsten ein Trend (p < 0,1).
Diskussion
Die deutlicheren Impfreaktionen nach mRNA-Zweitimpfung sind wahrscheinlich Folge der Vorimmunisierung und des Vorhandenseins spezifischer T- und B-Zellen (1, 2). Die stärkere Beeinträchtigung beim Moderna-Impfstoff könnte durch die höhere Dosierung (100 versus 30 µg mRNA) beziehungsweise unterschiedliche RNA-Modifikationen begründet sein. Die ausgeprägteren Reaktionen nach AstraZeneca-Erstimpfung könnten Folge parallel verlaufender Immunreaktionen sein, die über die Immunreaktion gegenüber dem Spikeprotein hinausgehen (zum Beispiel gegen Kapsidproteine oder andere codierte Proteine), sie könnten aber auch Folge der Dosierung sein, die sich nicht direkt mit den mRNA-Impfstoffen vergleichen lässt. Zulassungsstudien beschreiben einen milderen Verlauf nach der (hier noch nicht verabreichten) zweiten Dosis (3).
Frauen waren häufiger und länger arbeitsunfähig. Generell zeigen Frauen eine stärkere Immunantwort, neigen eher zu Autoimmunreaktionen und stärkeren Impfreaktionen (4), wofür hormonelle und genetische Faktoren verantwortlich sein könnten (5). Die gehäuft bei Frauen beobachteten Sinusthrombosen im Zuge einer Autoimmunreaktion nach AstraZeneca-Impfung könnten dies widerspiegeln. Wegen des durchschnittlich geringeren Körpergewichts von Frauen und ausgeprägterer Nebenwirkungen könnten Dosisanpassungen sinnvoll sein.
Alle Zulassungsstudien dokumentierten ausgeprägtere Impfreaktionen bei 18- bis 55-Jährigen (ohne weitere Untergliederung) im Vergleich zu Älteren (1, 2, 3). Unsere Mitarbeiter zeigten insbesondere beim AstraZeneca-Impfstoff einen linearen Zusammenhang zwischen Alter und Impfbeeinträchtigungen.
Da nacheinander verschiedene Impfstoffe zur Verfügung standen und die Kenntnis der Berufsgruppenzugehörigkeit für die Auswertung nicht verfügbar war, ist eine Verzerrung durch Gruppenunterschiede denkbar (zum Beispiel anfangs Impfung hochmotivierter Mitarbeiter mit Biontech, Impfung spezialisierter Mitarbeiter ohne Patientenkontakt nur mit AstraZeneca). Dies sollte allerdings zum allmählichen Anstieg von Arbeitsunfähigkeitsraten während der Impfkampagne oder vermehrter Arbeitsunfähigkeit nach Einschluss weiterer Gruppen führen. Stattdessen stiegen die Arbeitsunfähigkeitsraten sprunghaft nach Impfstoffwechsel, sodass Gruppenunterschiede keinen relevanten Effekt haben sollten. Eine teilweise behauptete Neigung jüngerer Mitarbeiter zur Krankmeldung bereits bei schwächerer Symptomatik würde nicht erklären, warum ein altersabhängiger Effekt je nach Impfart unterschiedlich stark ausgeprägt war. Grundsätzlich könnten Mitarbeiter mit starken Impfreaktionen eher an der Umfrage teilgenommen haben. Dadurch würde die tatsächliche Arbeitsunfähigkeitsrate überschätzt. Falls alle nichtantwortenden Mitarbeiter durchgehend arbeitsfähig gewesen wären, lägen die Arbeitsunfähigkeitsraten je nach Impfstoff und -art (Erst- beziehungsweise Zweitimpfung) zwischen 6,3 und 46,5 %.
Resümee
Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Erstimpfung mit AstraZeneca-Vakzin und die Zweitimpfung mit Moderna-Vakzin gehäuft zu mehrtägiger Arbeitsunfähigkeit führen, wobei generell Impfreaktionen bei Frauen und jüngeren Mitarbeitern häufiger auftreten. Daher muss bei der Planung von Impfterminen gerade in Bereichen mit kritischen Infrastrukturen ein potenzieller Ausfall von Mitarbeitern berücksichtigt werden. Daneben sollte bei der Erfassung und Interpretation von Impfreaktionen angestrebt werden, die Altersgruppen in den Zulassungsstudien ausgewogener zu stratifizieren. Unabhängig von Überlegungen zu Thrombembolien deuten unsere Daten darauf hin, dass jüngere Personen eher mit mRNA-Impfstoffen versorgt werden sollten. Generell ermöglichen die präsentierten Zahlen die Patienten individuell aufzuklären und Impftermine unter Berücksichtigung der Folgen einer möglichen Arbeitsunfähigkeit auf die private und berufliche Situation zu planen. Aufgrund der überragenden Schutzwirkung aller drei Impfstoffe vor COVID-19 überwiegen jedoch insgesamt die Vorteile einer Impfung gegenüber dem Auftreten einer temporären Arbeitsunfähigkeit.
Malte Ziemann, Siegfried Görg
Institut für Transfusionsmedizin Lübeck, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (Ziemann, Görg) malte.ziemann@uksh.de
Danksagung
Die Autoren danken allen Organisatoren und Mitarbeitern der UKSH-Impfzentren in Kiel und Lübeck.
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 17. 3. 2021, revidierte Fassung angenommen: 7. 4. 2021
Zitierweise
Ziemann M, Görg S: Inability to work after corona vaccination in medical staff.
Dtsch Arztebl Int 2021; 118. DOI: 10.3238/arztebl.m2021.0205 (online first)
Dieser Beitrag erschien online am 13. 4. 2021 (online first) unter www.aerzteblatt.de
►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
www.aerzteblatt-international.de
1. | Walsh EE, Frenck RW, Falsey AR, et al.: Safety and immunogenicity of two RNA-based Covid-19 vaccine candidates. N Engl J Med 2020; 383: 2439–50 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
2. | Baden LR, El Sahly HM, Essink B, et al.: Efficacy and safety of the mRNA-1273 SARS-CoV-2 vaccine. N Engl J Med 2021; 384: 403–16 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
3. | Ramasamy MN, Minassian AM, Ewer KJ, et al.: Safety and immunogenicity of ChAdOx1 nCoV-19 vaccine administered in a prime-boost regimen in young and old adults (COV002): a single-blind, randomised, controlled, phase 2/3 trial. Lancet 2021; 396: 1979–93 CrossRef |
4. | Giefing-Kröll C, Berger P, Lepperdinger G, Grubeck-Loebenstein B: How sex and age affect immune responses, susceptibility to infections, and response to vaccination. Aging Cell 2015; 14: 309–21 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
5. | Klein SL, Flanagan KL: Sex differences in immune responses. Nat Rev Immunol 2016; 16: 626–38 CrossRef MEDLINE |
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Deutsches Ärzteblatt international, 202110.3238/arztebl.m2021.0291
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Vaccines, 202210.3390/vaccines10050650
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Deutsches Ärzteblatt international, 202110.3238/arztebl.m2021.0292
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Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie, 202210.1007/s40664-021-00448-4
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BMC Public Health, 202310.1186/s12889-023-16415-y
Seydel, Johannes
Ziemann, Malte; Görg, Siegfried