ArchivDeutsches Ärzteblatt PP4/2021Pornografiesucht: Hilfe ohne Tabu

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Pornografiesucht: Hilfe ohne Tabu

Sonnenmoser, Marion

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In Deutschland ist etwa eine halbe Million Menschen, insbesondere junge Männer, von Pornografiesucht betroffen. Die Dunkelziffer ist hoch, weil das Thema tabuisiert ist. Die Tendenz zum problematischen Konsum ist steigend und wird durch die Coronapandemie verstärkt.

Foto: dmitrimaruta/stock.adobe.com
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Erotische Darstellungen gibt es bereits seit Tausenden von Jahren in verschiedenen Kulturen. Dazu gehört unter anderem die Darstellung menschlicher Sexualität, von Geschlechtsteilen und Sexualakten, die man seit Mitte des 19. Jahrhunderts als Pornografie bezeichnet. Pornografie hat durch das Internet eine globale Verbreitung gefunden. Etwa ein Viertel aller Suchanfragen im Internet pro Tag beziehen sich ausschließlich darauf. Die meiste Pornografie im Internet ist in Form von Texten, Bildern, Tonträgern, Videos und Filmen frei zugänglich. Sie spricht in erster Linie erwachsene Zuschauer an und zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass sie einfach, schnell, kostenlos, sehr mannigfaltig und rund um die Uhr verfügbar ist und anonym konsumiert werden kann. Allerdings befindet sie sich rechtlich in einer Grauzone, da teilweise verbotene Inhalte verbreitet werden und der Jugendschutz nicht gewährleistet ist.

Beinahe jeder Zweite konsumiert gelegentlich oder regelmäßig Pornografie, vor allem über das Internet, weniger über gedruckte Medien, sodass dieses Verhalten als sehr verbreitet angesehen werden kann. Etwa drei Viertel der Nutzer sind männlich, ein Viertel ist weiblich. Der erste Kontakt mit Pornografie erfolgt meistens über Laptop, Computer oder Smartphone und findet oft bereits im Grundschulalter statt, mit sinkender Alterstendenz.

Kinder sehen Hardcore-Porno

Mädchen kommen nach eigenen Angaben eher zufällig und unfreiwillig, Jungen hingegen eher freiwillig zusammen mit Freunden mit pornografischen Inhalten in Berührung und konsumieren sie dann oft regelmäßig. Laut einer deutschen Studie von 2017 hatten 50 Prozent der befragten 14- bis 20-jährigen Teilnehmer sogar schon Hardcore-Pornografie gesehen. Dieser frühe Kontakt mit Pornografie kann weitreichende Folgen haben (Kasten „Kinder und Pornografie“).

Pornografie wird aus unterschiedlichen Gründen konsumiert. So dient der Konsum zum Beispiel dem sexuellen Vergnügen, der Anregung, der Befriedigung von Neugier, der Sehnsucht nach Abenteuern, Rausch und Glücksgefühlen sowie dem Betrachten oder Miterleben sexueller Fantasien. Er wird aber auch zur Kompensation und Emotionsregulation eingesetzt, zum Beispiel um sich von Problemen abzulenken oder um Langeweile, Stress, Müdigkeit, Frustration, Einsamkeit und andere negative Emotionen zu reduzieren. Ferner wird Pornografie genutzt, um sich zu entspannen, in Krisen, aus Mangel an sexueller Befriedigung und liebevollen Beziehungen sowie bei Unzufriedenheit mit dem eigenen Sexualleben.

Welche Auswirkungen die Nutzung von Pornografie hat, hängt einerseits vom Umgang damit und andererseits von den eigenen Dispositionen ab. Die Mehrheit der Nutzer empfindet ihren Konsum als normal und unproblematisch, als folgenloses Vergnügen und als Bereicherung ihres Sexuallebens. Für einen kleinen Teil der Nutzer ist der eigene Konsum hingegen ein Problem. „Sie empfinden Scham, Schuldgefühle und eine starke Diskrepanz zwischen ihrem Verhalten und ihren moralischen und religiösen Werten“, sagen US-amerikanische Psychologen um PhD Joshua Grubbs an der Bowling Green State University. Zudem sind sie besorgt über die Ausmaße ihres Konsums und bezeichnen sich selbst als süchtig.

Wenig einschlägige Forschung

Zurzeit wird davon ausgegangen, dass in Deutschland etwa eine halbe Million Personen, insbesondere junge Männer, von Pornografiesucht betroffen sind, wobei die Dunkelziffer hoch ist, weil über das Thema kaum offen gesprochen wird. Die Tendenz zum problematischen Konsum von Pornografie ist steigend und wird durch die Coronapandemie verstärkt.

Da problematischer Pornografiekonsum beziehungsweise Pornografiesucht relativ neue Phänomene sind, gibt es bislang nur wenig einschlägige Forschung, keine Aufnahme in ein Klassifikationssystem für psychische Störungen und weder spezifische Therapieansätze noch einen Konsens über Definitionen und Referenzwerte, um eine Sucht zweifelsfrei diagnostizieren zu können. Momentan bleibt Betroffenen, Angehörigen und Therapeuten daher nur, auf Hinweise zu achten wie:

  • Pornografie hat für den Betroffenen einen sehr hohen Stellenwert.
  • Der Pornografiekonsum findet regelmäßig und über mehrere Stunden pro Tag statt.
  • Der Betroffene erfüllt körperliche Bedürfnisse immer öfter durch Pornografie.
  • Beim Betroffenen hat Gewöhnung eingesetzt. Um Befriedigung zu erlangen, benötigt er immer höhere Dosen, zum Beispiel durch eine höhere Konsumdauer und/oder Pornografie mit immer bedenklicheren und teilweise verbotenen Inhalten.
  • Der Betroffene fühlt sich dazu getrieben, Pornos anzusehen, und glaubt, keine andere Wahl zu haben. „Er empfindet einen Verlust an Autonomie und Kontrolle“, erklären die neuseeländischen Psychologen PhD Luke Sniewski und PhD Pani Farvid an der Auckland University of Technology.
  • Der Betroffene vernachlässigt andere Lebensbereiche, um seiner Sucht nachgehen zu können. Dadurch kann zum Beispiel einer Ausbildung oder einem Beruf nicht mehr nachgegangen werden oder Beziehungen zerbrechen.
  • Es treten Entzugserscheinungen auf, wenn der Betroffene sein Suchtmittel nicht erhält.

Pornografieabhängigkeit geht aber nicht nur mit Suchtsymptomen einher, sondern verändert auch andere Aspekte einer Person, wie die Erwartungen an Sexualität: Viele Betroffene haben ein einseitig von Pornografie geprägtes, unrealistisches Bild von Sexualität. Sie wollen es den Pornoakteuren gleich tun und erwarten dies auch von ihren Partnern oder Partnerinnen.

Unzufriedener mit Sexualität

Laut einer US-amerikanischen Studie sind Personen, die häufig und regelmäßig Pornografie konsumieren, unzufriedener mit ihrer Sexualität als solche, die weniger und unregelmäßig konsumieren. Viele finden Sexualität, die über Pornografie ausgelebt wird, weniger kompliziert als mit einem Partner oder einer Partnerin. Zudem sind sie oft nicht mehr fähig, sich auf einen echten Partner oder eine echte Partnerin empathisch einzulassen und herkömmliche partnerschaftliche Romantik und Sexualität zu leben.

Pornografie vermittelt Eindrücke von Beziehungen und partnerschaftlicher Sexualität, die oft im kompletten Widerspruch zur Realität stehen. Da die Betroffenen sich und ihre Partnerinnen oder Partner mit den Akteuren in den Videos und Filmen vergleichen und ihnen nacheifern, kommen ihnen ihre Beziehungen langweilig und ihre Partner nicht erregend vor, was zu Unzufriedenheit führt. Aber nicht nur die Betroffenen, sondern auch ihre Partner sind unzufrieden und auch eifersüchtig und verletzt, wenn sie bemerken, dass ihr Partner Pornos anschaut, oder wenn er etwas verlangt, das er in Pornofilmen gesehen hat und das sie nicht mitmachen wollen.

In pornografischen Filmen und Videos wird nicht selten das Fremdgehen dargestellt. Entsprechend diesem Vorbild sind Männer mit exzessivem Pornografiekonsum laut einer US-amerikanischen Studie eher bereit, ihre Partnerin zu betrügen als Männer, die keine Pornos sehen.

Pornografiesüchtige Personen halten pornografische Filme und Videos für einen gleichwertigen Ersatz für real gelebte Sexualität. Sie leben mit ihrer Hilfe ihre sexuellen Bedürfnisse aus und meinen, keine echten Beziehungen mehr zu benötigen. Laut einer US-amerikanischen Studie gehen mit dieser Meinung jedoch Isolation und Einsamkeit und das Unvermögen einher, echte Nähe zuzulassen.

Häufiger Pornografiekonsum wirkt im Gehirn wie harte Drogen und verändert seine Strukturen. Foto: aluxum/iStock
Häufiger Pornografiekonsum wirkt im Gehirn wie harte Drogen und verändert seine Strukturen. Foto: aluxum/iStock

Scham und Schuldgefühle

Pornografiesucht wird von verschiedenen Emotionen begleitet, beispielsweise von Scham und Schuldgefühlen: Die Betroffenen konsumieren Pornografie meist heimlich. Sie wollen nicht darüber sprechen und fürchten, von ihren Partnern, Eltern oder Kollegen dabei ertappt zu werden. Viele schämen sich dafür, haben Schuldgefühle und ein vermindertes Selbstwertgefühl. Darüber hinaus empfinden die Betroffenen Stress aufgrund ihrer Sucht, was dazu führt, dass sie sich sozial abschotten und im Alltag nicht wohlfühlen können. Außerdem wird in pornografischen Darstellungen Sexualität von Gefühlen wie Zuneigung und Liebe getrennt. Häufiger Konsum kann dazu führen, dass es schwerfällt, beides miteinander zu verbinden.

Der persönliche Umgang mit Pornografiesucht wird von Alter, Geschlecht, Erziehung, Herkunftsfamilie, Kultur, Religion, Moralvorstellungen und persönlichen Werten mitbestimmt. Sind diese mit dem Pornografiekonsum für den Betroffenen nicht vereinbar, durchlebt er starke innere Konflikte.

Laut einer US-amerikanischen Studie vergleichen männliche Betroffene ihre Körper mit denen von Pornodarstellern und empfinden sich oft nicht als muskulös genug. Sie sind unzufrieden mit ihrem Aussehen, spüren Druck, wie die Darsteller auszusehen, und haben Angst, ihren Partnerinnen nicht zu gefallen.

Häufiger Pornografiekonsum wirkt im Gehirn wie harte Drogen und verändert seine Strukturen. So haben zum Beispiel deutsche Wissenschaftler herausgefunden, dass der Nucleus caudatus, ein Teil des Belohnungssystems, bei starken Konsumenten auffällig verkleinert ist. Durch intensiven Pornografiekonsum kommt es zudem zu häufigen und sehr hohen Dopaminausschüttungen. Das Gehirn der Betroffenen gewöhnt sich daran und macht sie auf Dauer unempfindlicher gegenüber natürlichen sexuellen Reizen. Auch wurden Veränderungen im präfrontalen Kortex bei Betroffenen beobachtet. In dieser Gehirnregion werden moralisches Denken, Willensstärke und Impulskontrolle reguliert. Eine Schädigung kann mit unmoralischem, impulsivem und unvorhersehbarem Verhalten einhergehen. Mehrere Studien zeigen zudem, dass starker Pornografiekonsum die sexuelle Funktionsfähigkeit beeinträchtigen und mit Erektionsstörungen und Impotenz bei männlichen Betroffenen einhergehen kann.

Die überwiegende Mehrheit pornografischer Darstellungen konzentriert sich auf männlich dominierte und auf die Bedürfnisse männlicher Konsumenten zugeschnittene Sexualität. Laut einer kanadischen Studie wird weibliche Sexualität sehr oft als weniger bedeutsam als die männliche, übertrieben oder gänzlich falsch dargestellt, was zu unrealistischen Erwartungen und Einstellungen bei Pornografiekonsumenten führt.

Dominanz über Frauen

Männliche Betroffene mit einem geringen Selbstwertgefühl deuten laut einer US-amerikanischen Studie das Verhalten vieler männlicher Pornodarsteller als Ausdruck von Männlichkeit im Sinne von Machotum, Dominanz, Rücksichtslosigkeit, Brutalität, Aggressivität und Macht über Frauen. Sie eifern ihnen nach, um der vermeintlichen traditionellen Männerrolle gerecht zu werden und sich als „echte Männer“ fühlen zu können.

Viele Pornofilme transportieren sexistische Rollenklischees, was zur Folge haben kann, dass Männer mit problematischem Pornografiekonsum Frauen entpersonalisieren und als Objekte sehen, die sie dominieren und erniedrigen können. Laut einer australischen Studie glauben solche Männer, dass Frauen bereit seien, wie in pornografischen Filmen und Videos zu agieren, zum Beispiel ungeschützten Sex mit einem Fremden oder brutalen Sex zu haben. Eine US-amerikanische Studie belegt außerdem, das intensiver Pornografiekonsum in Kombination mit Gewaltbereitschaft, Frauenverachtung und einem traditionellen Männlichkeitsideal dazu führen können, dass die Hemmungen bei Männern sinken, Frauen sexuell zu belästigen und sie zu vergewaltigen.

Für Pornografieabhängige, die Hilfe suchen, gibt es verschiedene Möglichkeiten, die für sich allein oder kombiniert Anwendungen finden können:

  • Selbsthilfe: Zunächst sollten sich Betroffene eingestehen, dass ihr Pornografiekonsum zahlreiche negative Auswirkungen auf ihr Leben hat. Dann können verschiedene Maßnahmen helfen, sich allmählich von der Sucht zu befreien wie etwa Tagebücher führen (zum Beispiel über Umfang und Gründe für den Pornografiekonsum), mit vertrauten Personen darüber sprechen und sich soziale Unterstützung holen. Ferner kann es helfen, sich zu beschäftigen, zu entspannen und Erfolgserlebnisse zu verschaffen sowie Schutzsoftware zu installieren, die es verhindert, dass auf Internetpornografieseiten zugegriffen werden kann, oder die es vertrauten Personen ermöglicht, das Nutzungsverhalten des Betroffenen zu kontrollieren. Darüber hinaus können Berichte, Bücher und Filme von ehemals Betroffenen oder Suchttherapeuten sowie auf Pornografiesucht spezialisierte Internetseiten zahlreiche Tipps, Anregungen und Informationen liefern.
  • Beratung und Selbsthilfegruppen: Im deutschsprachigen Raum gibt es verschiedene Beratungs- und Gruppenangebote zu Internetsexsucht, Cybersexsucht, Onlinesucht und Pornosucht, an die sich Betroffene und Angehörige wenden können. Sie vermitteln, nicht allein mit der Sucht zu sein, helfen oft unkompliziert und kostenlos und bieten die Möglichkeit, sich offen und anonym auszutauschen und gegenseitig zu unterstützen. Beispielsweise findet man auf der Webseite der Impotenz-Selbsthilfe zurzeit die größte Datenbank an Kliniken, Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen für Betroffene der erektilen Dysfunktion.
  • Suchttherapie: Eine Therapie der Pornografieabhängigkeit sollte unabhängig von der diagnostischen Einordnung und der therapeutischen Orientierung bestimmte Elemente beinhalten. Dazu gehört unter anderem die Behandlung komorbider psychischer Störung, die Motivierung des Betroffenen, das Festlegen von Therapiezielen (zum Beispiel zu einer selbstbestimmten und verbindlichen Sexualität finden, Beziehungsfähigkeit aufbauen oder neu erlernen), das Erreichen und Einhalten von Abstinenz, die Bearbeitung von Ursachen und tiefer liegenden Problemen sowie Rückfallprophylaxe (siehe Kasten „Hohe Rückfallgefahr“). Darüber hinaus sollten das Selbstwertgefühl verbessert, Techniken der Entspannung und Stimuluskontrolle vermittelt sowie Möglichkeiten für Erfolgserlebnisse und Alternativen zum süchtigen Verhalten eruiert werden.

Pornografie ist weltweit verbreitet und ein enormer Wirtschaftsfaktor. Sie wird von unzähligen Menschen gelegentlich oder regelmäßig genutzt und hat sich längst als heimlicher Aufklärer etabliert. Dazu steht im Widerspruch, dass sie nach wie vor enorm tabuisiert ist.

Er könnte dadurch aufgelöst werden, dass Pornografiekonsum nicht mehr als randständiges Problem, sondern als weitverbreitetes Mediennutzungsverhalten anerkannt wird. Dann wäre es möglich, der starken Tabuisierung entgegenzutreten, offener damit umzugehen und zusammen mit Eltern, Lehrern, Erziehern, Politikern, Nutzern und der Gesellschaft als Ganzes Lösungen für verschiedene Gefahren und Probleme zu entwickeln, die mit Pornografie einhergehen. Vordringlich zu bearbeitende Problemfelder wären zum Beispiel der mangelnde Jugendschutz, der unbegleitete Pornografiekonsum durch Kinder und Jugendliche sowie die Verbreitung von Kinderpornografie und anderem deviantem Material. Darüber hinaus sollten Strategien entwickelt werden, die verhindern, dass viele Kinder und Jugendliche zuerst und primär durch Internetpornografie aufgeklärt werden und sich gegenseitig pornografisches Material zuschicken oder von Außenstehenden zugeschickt bekommen und unfreiwillig damit in Berührung kommen. Diskutiert und verändert werden sollten darüber hinaus die durch Pornografie transportierten sexistischen Rollenklischees, insbesondere stereotype Frauenbilder und problematische Männlichkeitsideale, die Verbreitung medizinischer Falschinformationen sowie die Entkopplung von Sexualität, Gefühlen und Beziehung. Denn sie tragen zu Verwirrung, Entfremdung, Unzufriedenheit und Selbstzweifeln bei den Nutzern bei und fördern psychische und körperliche Probleme, Rücksichtslosigkeit, Devianz und Gewaltbereitschaft. Angesichts der steigenden Betroffenenzahlen sollte außerdem die Versorgung verbessert werden. Dazu müssten beispielsweise die Pornografiesucht als eigenständige psychische Erkrankung anerkannt, spezifische Interventionen entwickelt und die Zahl der Hilfsangebote und Anlaufstellen ausgebaut werden. Marion Sonnenmoser

Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/pp/lit0421

Kinder und Pornografie

Der Konsum von Pornografie über das Internet ist unter Kindern und Jugendlichen weit verbreitet. Oft kommen sie bereits in der Grundschule zum Beispiel über Klassen-Chats, Cyber-Bullying oder illegale Streamingportale in Kontakt mit Pornografie. Die Reaktionen darauf sind unterschiedlich und reichen von Verstörung über Ekel, Abscheu, Faszination und Erregung bis hin zu Belustigung; manche empfinden es auch als eine Art Aufklärung.

Von sporadischem und eher zufälligem Ansehen pornografischen Materials wird angenommen, dass es zwar nicht altersgerecht ist, aber vermutlich keine schwerwiegenden Auswirkungen hat, vor allem wenn den jungen Zuschauern dabei geholfen wird, das Gesehene einzuordnen. Konsumieren Kinder und Jugendliche hingegen gezielt, regelmäßig und über einen längeren Zeitraum Pornografie, kann es problematisch werden und langfristig unter anderem zu Traumatisierung, Beziehungsunfähigkeit und Sucht führen. Der Erstkontakt mit Pornografie ist oft zugleich der erste Kontakt mit Sexualität überhaupt. Damit geht einher, dass Kinder und Jugendliche sich über Pornografie erste Eindrücke von Sexualität allgemein machen. Diese ersten Eindrücke sind prägend und liefern Orientierungen und Standards, mit denen sich die jungen Zuschauer vergleichen und messen. Dadurch entsteht nicht nur ein immenser Druck, dem entsprechen zu müssen, sondern auch eine veränderte Wahrnehmung des anderen Geschlechts (zum Beispiel als immer willig und verfügbar), eine Abneigung davor, eine echte Beziehung einzugehen sowie viele unrealistische Erwartungen (zum Beispiel über die durchschnittliche Penisgröße oder die durchschnittliche Dauer des Geschlechtsverkehrs).

Viele Eltern, die Internetpornografie von ihren Kinder fernhalten wollen, installieren Schutzsoftware auf den heimischen Computern. Allerdings können sie nicht verhindern, dass Kinder und Jugendliche anderweitig mit Pornografie in Berührung kommen und auch Verbote bringen nicht viel. Besser wäre es, wenn möglich in Zusammenarbeit mit Lehrern und Erziehern, das Gesehene zu begleiten, einzubetten und den Kindern immer wieder Gesprächs- und Diskussionsangebote zu machen.

Hohe Rückfallgefahr

Die Pornografiesucht zählt zu den stärksten Süchten, weil sie auf existenzielle Triebe ausgerichtet ist und das Gehirn ständig überstimuliert. Sie wird durch verschiedene Faktoren befeuert und aufrechterhalten: Beispielsweise ist Pornografie simpel strukturiert und bequem, denn sie vermittelt leicht verständliche, stereotype Botschaften, erfordert weder Wissen noch eine Ausbildung und verlangt weder Gespräche noch Rücksichtnahme, eine Auseinandersetzung oder ein Aufeinander-Eingehen. Auch richtet sie sich nicht nach „political correctness“ und Regeln oder Grenzen, sondern vermittelt, dass alles möglich und erlaubt sei. Sie ist einfach und schnell zu konsumieren, was sie zu einer Art mentalem Fastfood macht, immer verfügbar, stets präsent und verspricht unkompliziertes, grenzenloses Vergnügen. Nutzer können sich auch deshalb kaum entziehen, weil Pornografievideoportale so programmiert sind, dass nach dem Ende eines Videos sofort das nächste losgeht. Auch auf Social-Media-Seiten und anderen Angeboten im Internet lauern zahlreiche Fallen, die zum Pornografiekonsum verführen. All dies macht es schwierig, sich den Reizen und Triggern zu widersetzen, den Konsum zu stoppen, Rückfälle zu verhindern und längerfristig abstinent zu bleiben.

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