SUPPLEMENT: Perspektiven der Kardiologie
Gerinnungsstörungen bei COVID-19: Wie Antikörper Thrombozyten aktivieren


Bei der Pathophysiologie von COVID-19-assoziierten thromboembolischen Ereignissen sind sowohl Elemente des hämostatischen Systems als auch des Immunsystems beteiligt.
Die Pathophysiologie von COVID-19-assoziierten thromboembolischen Ereignissen ist komplex und multifaktoriell – sowohl Reaktionen des Blutgerinnungssystems als auch des Immunsystems auf SARS-CoV-2 spielen dabei eine Rolle. Tübinger Wissenschaftler konnten nun wichtige „Bausteine“ dieses komplexen Systems identifizieren – Antikörper und aktivierte Thrombozyten.
Es mehren sich die Hinweise, dass ein Zusammenhang besteht zwischen einer SARS-CoV-2-assoziierten Pneumonie und einer überaktivierten Blutgerinnung bei COVID-19-Patienten, die eine Intensivbehandlung benötigen. Bei fast der Hälfte dieser Intensivpatienten treten Komplikationen auf, die mit aktivierter Blutgerinnung zusammenhängen können:
- akute pulmonale Embolie (PE),
- tiefe Venenthrombose,
- ischämischer Schlaganfall,
- Herzinfarkt und/oder
- systemische arterielle Embolie.
Bei der Pathophysiologie von COVID-19-assoziierten thromboembolischen Ereignissen sind sowohl Elemente des hämostatischen Systems als auch des Immunsystems beteiligt.
Eine Tübinger Arbeitsgruppe identifizierte nun die Aktivierung von Thrombozyten als wichtige Ursache für die Störung des Blutgerinnungssystems und publizierte ihre Ergebnisse in „Blood“ (1). Die „Tübinger Studie zur Gerinnungsstörung bei COVID-19-Patienten“ wurde von Prof. Dr. Tamam Bakchoul, Ärztlicher Direktor des Zentrums für Klinische Transfusionsmedizin (ZKT) am Universitätsklinikum Tübingen, und Prof. Dr. Rosenberger, Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin Tübingen, geleitet und von der Deutschen Herzstiftung mit über 100 000 Euro unterstützt.
Bereits zu Beginn der Coronapandemie wurden in Tübingen Obduktionen durchgeführt. Daher wurde schon früh erkannt, dass viele COVID-19-Patienten keine großen Lungenembolien, sondern viele kleine Thrombosen an verschiedenen Stellen hatten – in der Lunge, aber auch in Leber und Darm, erklärt Erstautorin Dr. Karina Althaus, Fachärztin für Transfusionsmedizin und Hämostaseologie am ZKT Tübingen. Und: „In Blutanalysen von intensivpflichtigen Patienten mit schwerer COVID-19-Infektion haben wir gesehen, dass bei ihnen die Blutgerinnselbildung kürzere Zeit benötigt und die Gerinnungsfaktoren stärker aktiviert werden als bei anderen stationären Patienten“, berichtet Bakchoul (2). Die Studiengruppe stellte die Hypothese auf, dass die Blutgerinnungsstörungen bei intensivbehandelten COVID-19-Patienten von prokoagulierenden Thrombozyten und Thrombozyten-Apoptose begleitet werden, gefolgt von Veränderungen des Gerinnungssystems.
Um die genauen Mechanismen der überaktivierten Blutgerinnung herauszufinden, untersuchte die Arbeitsgruppe Blutproben von 21 COVID-19-Patienten auf der Intensivstation (ICU), 4 COVID-19-Patienten, die nicht auf der ICU behandelt wurden, und 18 gesunden Kontrollpersonen. Eine gesteigerte Aktivierung des Gerinnungssystems beginnt meist 4 Tage nach Aufnahme auf die Intensivstation.
Phosphatidylserin bindet Gerinnungsfaktoren
Die Forscher untersuchten den Phänotyp von zirkulierenden Thrombozyten der ICU-COVID-19-Patienten und fanden eine signifikante Erhöhung verschiedener Apoptose-Marker. So zeigten deren Thrombozyten zum Beispiel eine verstärkte Phosphatidylserin-(PS-)Externalisierung. Phosphatidylserin wird bei Aktivierung von Thrombozyten auf der Außenseite der Zellmembran präsentiert und bindet Gerinnungsfaktoren (Grafik). Diese und andere Zellveränderungen zeigten die Thrombozyten der Vergleichsgruppen (gesund, nicht-ICU) nicht in diesem Ausmaß. „So ist bei schwer kranken COVID-19-Patienten beispielsweise bei einigen Blutplättchen der Fibrinogen-Rezeptor in nur noch kleinerer Zahl auf der Oberfläche vorhanden – den brauchen Thrombozyten unter normalen Bedingungen immer für die Gerinnung – und dieser ist unwichtig geworden. Dagegen ist Phosphatidylserin stark auf der Oberfläche vertreten – und kann alleine Thrombosen auslösen“, erklärt Althaus.
Die Autoren zeigten, dass eine verstärkte PS-Externalisierung bei ICU-COVID-19-Patienten mit erhöhtem SOFA-Score (sequential organ failure assessment) und Plasmaspiegel von D-Dimeren korreliert. Außerdem hatten Patienten mit Thrombosen eine signifikant höhere PS-Externalisierung. Daraus folgern sie, dass die Prokoagulanz der Blutplättchen zur anhaltenden Entzündung und dem erhöhten thromboembolischen Risiko beiträgt. Die Tübinger Forscher identifizierten zirkulierende prokoagulierende Thrombozyten als einen neuen Biomarker für die Schwere einer COVID-19-Erkrankung, schreiben Prof. Dr. Shawn Jobe und Dr. Renren Wen vom Medical College of Wisconsin in ihrem Editorial (3). Die Autoren zeigten aber auch, wie die Thrombozyten aktiviert werden, so die Editorialisten.
Durch In-vitro-Untersuchungen mit Serum von schwer erkrankten COVID-19-Patienten erkannten die Tübinger Forscher, dass Antikörper, die als Antwort auf SARS-CoV-2 induziert wurden, die Bildung von prokoagulierenden Thrombozyten und Apoptose auslösen können. Allerdings kennt man noch nicht das Antigen, gegen das die Antikörper gerichtet sind.
Bei schweren COVID-19-Verläufen reagiert das Immunsystem der Patienten mit einer überschießenden Immunantwort auf das Entzündungsgeschehen („Thrombo-Inflammation“) und der Körper produziert unkontrolliert Antikörper gegen SARS-CoV-2. „Wir vermuten, dass die Antikörper eine ähnliche Bindungsstelle an die Oberfläche von Thrombozyten wie an die Oberfläche von SARS-CoV-2 haben“, so Bakchoul (2). Binden die Antikörper an die Blutplättchen, lösen sie dort komplexe Veränderungen aus, sodass es bei einem Teil der Blutplättchen zur Apoptose kommt.
Bei einem anderen Teil verändern die Thrombozyten ihre Zelloberfläche so, dass sie gerinnungsfördernde Faktoren freisetzen und Thrombosen fördern. „Je stärker also die Immunreaktion auf SARS-CoV-2 ausfällt, desto höher ist das Risiko der Thrombozyten-Aktivierung“, erklärt Bakchoul (2).
Die Autoren schlussfolgern in ihrer Blood-Publikation aus ihren Daten, dass prokoagulierende Thrombozyten und Thrombozyten-Apoptose zur anhaltenden Entzündung und erhöhtem thromboembolischen Risiko bei COVID-19-Patienten beitragen und daher ein potenzielles Therapieziel darstellen.
Die verstärkte Aktivierung der Thrombozyten lässt sich nämlich nicht mit einer Standardtherapie wie Acetylsalicylsäure hemmen. „Durch eine gezieltere Antikoagulation hoffen wir, das thromboembolische Risiko von SARS-CoV-2-infizierten Patienten auf der Intensivstation senken zu können“, so Althaus (4). Derzeit untersuchen die Forscher den Pathomechanismus weiter und testen verschiedene Substanzen, die die Gerinnungsaktivierung bei COVID-19-Patienten verhindern könnten.
Die Editorialisten Jobe und Wen schätzen die Ergebnisse der Tübinger Mediziner als „ermutigend“ ein: „Die Ergebnisse stellen einen neuen Ausgangspunkt für weitere Anstrengungen der wissenschaftlichen Community dar, den thrombo-inflammatorischen Sturm durch SARS-CoV-2 zu mildern und zu besiegen“.
DOI: 10.3238/PersKardio.2021.04.16.01
Maren Schenk
1. | Althaus K, et al.: Antibody-induced procoagulant platelets in severe COVID-19 infection. Blood 2021. DOI: 10.1182/blood.202000876 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
2. | Pressemitteilung der Deutschen Herzstiftung, 15. März 2021. |
3. | Jobe SM, Wen R: Another front in COVID-19’s perfect storm. Blood 2021. DOI:10.1182/blood.202001045 CrossRef MEDLINE |
4. | Pressemitteilung der Universität Tübingen, 11. Januar 2021. |
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