ArchivDeutsches Ärzteblatt16/2021Krebserkrankungen: Über Infektion und chronische Inflammation zur Invasion

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Krebserkrankungen: Über Infektion und chronische Inflammation zur Invasion

Schenk, Maren

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Die Art und Weise, wie Erreger und Entzündungsmediatoren das Tumorwachstum triggern, lässt sich nutzen, um neue Therapien abzuleiten.

Onkoviren im Transmissions- Elektronenmikroskop: Intrazelluläre RNA-Viruspartikel sind innerhalb von Gewebe des Zentralnervensystems sichtbar gemacht (blau). Laut WHO gehen bis zu 17 % aller Krebserkrankungen auf Onkoviren zurück. (<a class=14). Foto: Science Photo Library/Science Source" />
Onkoviren im Transmissions- Elektronenmikroskop: Intrazelluläre RNA-Viruspartikel sind innerhalb von Gewebe des Zentralnervensystems sichtbar gemacht (blau). Laut WHO gehen bis zu 17 % aller Krebserkrankungen auf Onkoviren zurück. (14). Foto: Science Photo Library/Science Source

Mehr als ¹/3 aller Krebserkrankungen (37 %) in Deutschland sind durch vermeidbare Risikofaktoren verursacht (1). Zu diesen Krebsrisikofaktoren gehören – neben Rauchen an erster Stelle – eine ungesunde Ernährung, Übergewicht und Bewegungsmangel auf den nachfolgenden „Plätzen“, aber auch Infektionen und hoher Alkoholkonsum. „Etwa jede 5. Krebserkrankung steht in Zusammenhang mit einer Infektion“, sagte Prof. Dr. med. Michael Baumann, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg bei einer Pressekonferenz anlässlich des Weltkrebstages.

Auch chronische Entzündungen können zu Krebserkrankungen führen: So steht laut Baumann ein hoher, derzeit aber nicht genau bekannter Anteil der Krebserkrankungen im Zusammenhang mit chronischen Entzündungen. Sie seien beispielsweise bei Leber-, Darm- oder Brustkrebs an der Entstehung beteiligt. Das hepatozelluläre Karzinom (HCC) gilt als Paradebeispiel für eine mit Entzündung assoziierte Krebserkrankung, sagte Prof. Dr. rer. nat. Mathias Heikenwälder, Leiter der Abteilung Chronische Entzündung und Krebs am DKFZ. Leberentzündungen gehen einem HCC meistens voraus – mehr noch: „Eine chronische Entzündung ist der Motor von Leberkrebs“, so der Mikrobiologe und Genetiker.

Ursachen für diese Entzündungen können zum einen chronische, persistente Infektionen mit Hepatitis-B- oder Hepatitis-C-Viren sein, Alkoholabusus beziehungsweise die alkoholische Fettleber (ASH, alcoholic steatohepatitis) sowie die nichtalkoholische Fettlebererkrankung (non alcoholic fatty liver disease, NAFLD).

Alles beginnt mit der Fettleber

Sie ist inzwischen die häufigste chronische Lebererkrankung weltweit und die zweithäufigste Indikation zur Lebertransplantation (2). Zur NAFLD zählen die nichtalkoholische Fettleber (non alcoholic fatty liver, NAFL) und die nichtalkoholische Steatohepatitis (non alcoholic steatohepatitis, NASH), ohne oder mit Fibrose.

Aus der Leberentzündung kann sich eine Zirrhose entwickeln, die wiederum das Risiko für ein HCC erhöht. Aber nicht bei allen Patienten entwickelt sich ein HCC aus einer Zirrhose: Nach verschiedenen Studien hatten nur 42 beziehungsweise 46 % der Patienten mit NAFLD- oder NASH-assoziiertem HCC eine Zirrhose. Dagegen hatten 97 % der HCV-assoziierten HCC eine zirrhotische Leber (3).

Verschiedene Faktoren tragen zur Entwicklung einer NAFLD bei: neben genetischen Faktoren sind dies Umweltfaktoren wie Ernährung oder Lebensstil. Als wichtigste Risikofaktoren für die Fettleber gelten Übergewicht – insbesondere im Zusammenhang mit übermäßiger Fettablagerung im Bauchraum –, Fehlernährung (fett-/zuckerreich) und zu wenig Bewegung.

NAFLD als Folge von Adipositas und metabolischem Syndrom betrifft schätzungsweise ¹/3 der Erwachsenen in vielen entwickelten und sich entwickelnden Ländern. In den USA habe bereits jeder 3. Amerikaner eine Fettleber. In Europa gehe man von 80–100 Millionen Menschen mit Fettleber aus, berichtete Heikenwälder. Auch bei adipösen Kindern hat man schon NAFLD festgestellt (4).

Da Adipositas weltweit schon früh beginnt – 41 Millionen Kinder unter 5 Jahren sind bereits übergewichtig – und das metabolische Syndrom ebenfalls zunimmt, geht man von einer absehbar steigenden Prävalenz von Fettlebererkrankungen und möglichen Folgen wie Leberkrebs aus. Auch hierzulande hat sich die Zahl von Fettleber-Patienten zwischen 1980 und 2011 beinahe verfünffacht. In Deutschland leben schätzungsweise 10 bis 20 Millionen Menschen mit einer Fettleber – viele ohne es zu wissen, da sie anfangs symptomlos verläuft. „Die Dunkelziffer dürfte daher hoch sein“, vermutet Heikenwälder.

Alkohol verschlimmert Fettleber

Es mehren sich die Hinweise, dass selbst ein moderater Alkoholkonsum die Progression zu Leberfibrose bei Fettleberpatienten massiv beschleunigt. So gebe es immer mehr Patienten mit BASH (both alcoholic and non-alcoholic steatohepatitis), die durch schlechte Ernährung und Alkoholkonsum eine Steatohepatitis entwickeln, erklärte Heikenwälder. „Alkoholkonsum bei Fettleberpatienten erhöht das Risiko, Leberkrebs zu bekommen, um das 5- bis 7-Fache.“

Bis zu 25 % der Fettleber-Patienten entwickelten eine NASH, bis zu 20 % der NASH-Patienten eine Fibrose oder Zirrhose unterschiedlicher Stadien, erklärte Heikenwälder die Entzündungskaskade. Bei insgesamt 2,4–12,8 % der Fettleberpatienten schreitet die Krankheit bis zu einem HCC fort (3).

Das Risiko, bei einer chronischen Virus-Hepatitis (HBV oder HCV) ein HCC zu entwickeln, ist an sich zwar höher als bei NAFLD. Da jedoch Fettlebererkrankungen massiv zunehmen, geht man künftig von einem ebenso starken Anstieg NAFLD-assoziierter Leberkrebsfälle aus. In den USA sind inzwischen bereits 59 % der HCC-Fälle mit einer NAFLD assoziiert.

Ein hepatozelluläres Karzinom entsteht fast ausschließlich auf dem Boden einer chronischen Leberentzündung (5). Unabhängig von der Ätiologie ist die typische Progression die von der chronischen Nekroinflammation nach dem Absterben von Leberzellen, der kompensatorischen Leberregeneration, der Induktion von Leberfibrose und Zirrhose und dann bei einigen Patienten ein HCC (Grafik).

Pathogenese und natürlicher Verlauf der nichtalkoholischen Fettlebererkrankung
Grafik
Pathogenese und natürlicher Verlauf der nichtalkoholischen Fettlebererkrankung

„Die Persistenz des Stimulus – also Viren, metabolisches Syndrom, Alkoholabusus – ist der Treiber der Entzündung“, sagte Heikenwälder. Sein Team erforscht, welche Mechanismen chronische Entzündungen induzieren und an der Progression hin zum Krebs beteiligt sind. Wichtig bei chronischen Lebererkrankungen und HCC ist die Dysregulation des eigentlich gut kontrollierten Immunnetzwerks der Leber: Immunzellen, die gegen eigene Leberzellen arbeiten, werden aktiviert.

Seine Arbeitsgruppe hat an Mäusen gezeigt, dass eine fettreiche Diät Adipositas, eine Fettleber und Leberentzündungen induziert – vergleichbar mit NASH bei Menschen. ¹/3 dieser Mäuse bekommt Leberkrebs, ohne je eine krebsauslösende Substanz erhalten zu haben – einzig und allein aufgrund der fetthaltigen Diät und deren Konsequenzen. „Wir konnten somit zeigen, dass die ernährungsbedingte Entzündung die Entwicklung von der pathologischen Fettleber über eine NASH hin zum HCC antreibt“, so Heikenwälder.

Sein Team identifizierte 2 Typen von Immunzellen, die eine bedeutende Rolle bei der Veränderung von normalen zu pathologischen Hepatozyten spielen: aktivierte CD8+-T-Zellen und Natürliche Killer-T-Zellen (NKT) (6). Weitere Untersuchungen der Gruppe wiesen nach, dass Thrombozyten, die mit Leber- und Immunzellen interagieren, entscheidend bei der Initiierung von Fettleber, NASH und der Hepatokarzinogenese beteiligt sind. Die Blutplättchen werden durch erste Schädigungen der Leber angelockt und sorgen dafür, dass Immunzellen die Leber infiltrieren (6).

Neue Therapieansätze

Die Forscher fragten sich nun, ob eine Anti-Plättchen-Therapie (APT) ein therapeutischer Ansatz wäre. Eine Pilotstudie mit 24 NAFLD-Patienten zeigte (6): Eine APT mit Acetylsalicylsäure (ASS) und Clopidogrel für 6 Monate führte zu einer massiven Abnahme von Fettablagerungen in der Leber, das Lebervolumen wurde um 0,5 Liter reduziert – und dies, obwohl die Patienten ihren ungesunden Lebensstil weitergeführt hatten. Andere Arbeitsgruppen konnten dies bestätigen. In einer prospektiven Kohortenstudie mit 361 NAFLD-Patienten war die tägliche Einnahme von 100 mg ASS/Tag mit einem niedrigeren Risiko für eine Fibrose-Progression und für NASH assoziiert – im Vergleich zu unregelmäßiger Einnahme (7). Den größten Benefit zeigte hierbei eine ASS-Therapie über mindestens 4 Jahre.

Daten der Nurses’ Health Study und der Health Professionals Follow-up Study zeigen ebenfalls eine Assoziation zwischen der regelmäßigen Einnahme von ASS (mindestens 325 mg/Woche) und einem um 13–51 % verminderten HCC-Risiko – und damit eine mögliche Primärprävention von HCC (8). Das damit verbundene Blutungsrisiko lässt sich in einer Beobachtungsstudie allerdings nur schwer erkennen.

ASS könnte HCC-Risiko senken

ASS wurde auch bei virusassoziiertem Leberkrebs untersucht: Eine retrospektive schwedische Registerstudie ergab, dass die Einnahme von niedrig dosierter ASS bei Patienten mit chronischer Hepatitis B oder C mit einem signifikant geringeren Risiko für HCC und reduzierter Sterblichkeit durch Lebererkrankungen assoziiert ist – im Vergleich zu keiner ASS-Behandlung (medianes Follow-up 7,9 Jahre) (9).

Heikenwälder sucht derzeit mit seinem Team nach spezifischen antiinflammatorischen Anti-Plättchen-Substanzen zur Behandlung von NASH und zur Prävention von Leberkrebs – und dies möglichst ohne negative Beeinflussung der Blutgerinnung. Die Wissenschaftler vermuten, dass spezifische Makrophagen der Leber, die Kupffer-Zellen, Thrombozyten in die Leber locken. Die eingewanderten Blutplättchen docken dort an Kupffer-Zellen an. Dabei spielt das Glykoprotein GPIbα auf der Oberfläche der Thrombozyten eine entscheidende Rolle. „Dieses Glykoprotein ist also wichtig für die inflammatorische Funktion dieser Zellen, aber nicht für die Blutgerinnung.“

„Wir generieren gerade monoklonale Antikörper, die dieses Molekül blockieren, und untersuchen sie in einem präklinischen Modell“, erklärte Heikenwälder. Das Ziel ist, die Inflammation und damit das Risiko für Leberkrebs zu reduzieren. „Möglicherweise eignen sich solche Substanzen aber auch gut gegen Entzündungsreaktionen in anderen Organen“, so der Forscher. Viele Fragen sind laut Heikenwälder noch offen: Warum entwickelt sich bei manchen Patienten aus einer Fettleber eine pathologisch relevante NASH, bei anderen aber nicht? Wann ist das Risiko für ein HCC erhöht? Und wie lassen sich NAFLD-Patienten mit hohem Risiko besser stratifizieren?

Ein Risikofaktor ist beispielsweise die Zeit. Je länger die Leber gestresst ist, desto mehr Schäden trägt sie davon, desto eher entwickelt sich NASH, so der Forscher. Das Risiko für einen 60-jährigen Fettleberpatienten, eine NASH zu entwickeln, ist höher als für einen 20-jährigen. Aber sowohl die Fettleber als auch eine NASH sind zum Teil revertierbar – mit Ernährungsumstellung und mehr Bewegung. Zuerst sollten Patienten daher ihre Ernährung umstellen, nach der Gewichtsreduktion sei dann auch mehr Bewegung und Sport möglich. „Sport ist das Antikrebs-Medikament schlechthin. Wir wissen, dass Sport das Krebswachstum reduziert, aber noch nicht, wie dies auf zellulärer und molekularer Ebene funktioniert“, so Heikenwälder.

Erreger als Krebstreiber

Bedeutende Krebsrisikofaktoren sind nicht zuletzt Pathogene: Viren, Bakterien oder auch Parasiten. „Die wichtigsten Infektionserreger im Zusammenhang mit Krebs beim Menschen sind Viren“, erklärte Prof. Dr. rer. nat. Ralf Bartenschlager, Leiter der Abteilung Virus-assoziierte Karzinogenese am DKFZ und der Abteilung Molekulare Virologie des Uniklinikums Heidelberg.

Inzwischen sind 8 krebsrelevante Virusinfektionen beim Menschen bekannt (Tabelle).

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Tabelle
Krebsrelevante Virusinfektionen beim Menschen (Quelle 10, 15)

Am Beispiel von Hepatitis-Viren erläuterte er die Krebsentstehung. „Man vermutet, dass ¹/3 und mehr aller Leberkrebsfälle in Zusammenhang mit einer Hepatitis-Virus-Infektion stehen“, sagte Bartenschlager (10). Deren Häufigkeit wird zukünftig, bedingt durch verbesserte Therapien, abnehmen, die Zahl der Fälle in Zusammenhang mit NAFLD aber zunehmen.

Bislang sind 5 Hepatitisviren beim Menschen bekannt, 3 davon stehen in Zusammenhang mit Krebs, da sie eine chronische Infektion auslösen können: Hepatitis-B-Viren (HBV), Hepatitis-C- (HCV) und Hepatitis-D-Viren (HDV); Hepatitis-A- und Hepatitis-E-Viren lösen dagegen keine chronische Infektion aus. „Aber die Viren induzieren die Leberentzündung nicht direkt, sondern die Immunantwort gegen infizierte Zellen“, präzisierte der Virologe.

Wenn T-Zellen erschöpf sind

Eine chronische Leberentzündung nach Virusinfektion ähnelt einer chronischen Entzündung, die durch Fehlernährung, Übergewicht oder durch Toxine wie Alkohol induziert wird. Sie kann eine ähnliche Endstrecke auslösen: über Fibrose und Zirrhose zu einem hepatozellulärem Karzinom, manchmal ohne Zirrhose, erklärte Bartenschlager.

Eine HBV-Infektion von Erwachsenen verläuft fast immer akut selbstlimitierend, erläuterte der Virologe: Das Immunsystem wird aktiviert und bekämpft die Infektion. Allerdings induziere HBV aus Gründen, die noch nicht ausreichend verstanden sind, bei 5–10 % der Erwachsenen nur eine sehr ungenügende Immunantwort, die die Viren nicht kontrollieren kann.

Diejenigen T-Zellen, die für die Virusabwehr entscheidend sind, würden zunehmend „schlaffer“ und würden schließlich verschwinden. „Es kommt also zur T-Zell-Erschöpfung und zum T-Zell-Verlust“, erläuterte Bartenschlager das Versagen der Immunantwort in Sachen Infektionskontrolle. Stattdessen attackiert das Immunsystem unproduktiv die Leberzellen, wodurch es zu einer chronischen Entzündungsreaktion kommt.

Anders verlaufen HBV-Infektionen bei Säuglingen: 90 % werden chronisch – „vermutlich, weil ihr Immunsystem noch unreif ist“, so Bartenschlager. Es gibt zwar seit 1982 eine HBV-Impfung, aber keine kurative Therapie. Inzwischen sind zahlreiche Virostatika zugelassen, um die Viruslast zu reduzieren. Eine lebenslange Therapie verringert so das HCC-Risiko bei Patienten mit chronischer HBV-Infektion.

HDV ist ein Satellitenvirus von HBV. Es könne selbst keine Hülle herstellen, sondern „klaue“ sie von HBV, erklärte Bartenschlager. Schätzungsweise 10 % der HBV-Infizierten – wahrscheinlich aber mehr – sind mit HDV koinfiziert. Genau weiß das aber niemand, weil das bisher nicht ausreichend untersucht wurde. HDV verstärkt den Leberschaden und erhöht das Risiko für Leberzirrhose und Leberkrebs.

Impfung schützt vor Satellit

Die HBV-Impfung schützt zwar auch gegen HDV, weil beide dieselbe Hülle haben, die von der Impfantwort erkannt wird, aber bis vor Kurzem war keine Therapie verfügbar. Inzwischen wurde mit Bulevirtid das erste Medikament konditional zugelassen. Diese Substanz blockiert den Eintritt von HDV und HBV in die Zelle. Noch sind einige Phase-3-Studien nicht abgeschlossen und der Einsatz gegen HBV wird laufend weiter überprüft. Aufgrund des Bedarfs wird das Medikament aber bereits verabreicht.

Die Entdecker des Hepatitis-C-Virus erhielten 2020 den Nobelpreis für Medizin (11). Schätzungsweise 80 % der HCV-Infektionen verlaufen chronisch. Weltweit leben nach Schätzungen der WHO 71 Millionen Menschen mit chronischer Hepatitis C. Seit 2015 gibt es Therapien, die das Virus bei mehr als 95 % der Behandelten eliminieren können (12). „Die Substanzen sind gut verträglich, sorgen für ein anhaltendes virologisches Ansprechen (SVR) – und die Therapie dauert nur 12 Wochen“, betonte Bartenschlager, der entscheidend an der mehr als 2 Jahrzehnte dauernden Entwicklung der Substanzen beteiligt war.

„Die HCV-Elimination und frühe Behandlung sind von größter Bedeutung für die Prävention von Leberkrebs“, betonte Bartenschlager. Die dauerhafte HCV-Eradikation reduziert das Risiko für Leberkrebs, wie beispielsweise eine Studie mit 819 Patienten zeigte, die mit direkt antiviral wirksamen Medikamenten (DAA) behandelt wurden: Das Risiko, ein HCC zu entwickeln, war nach DAA-Therapie geringer als nach Interferon-Therapie (historische IFN-Kohorte) (13). Allerdings bleibt das HCC-Risiko hoch, wenn zu spät behandelt wird und bereits eine Zirrhose vorliegt, sagte Bartenschlager. Trotz der Therapieoptionen sei eine Impfung gegen HCV nötig (12). Dafür gebe es mehrere Gründe: So sind bisher weltweit geschätzt nur etwa 5 % der Infektionen diagnostiziert, und es gibt eine hohe Zahl an Neuinfektionen. 2015 gab es circa 1,75 Millionen neue HCV-Infektionen weltweit.

Ziel: HCV-Eradikation bis 2030

Außerdem ist der Zugang zu Diagnostik und Therapie für die mehr als 90 % Infizierten, die in weniger privilegierten Ländern leben, nicht ausreichend gesichert. Und selbst nach erfolgreicher Viruselimination ist eine Reinfektion möglich. Zum Glück sind Therapieversagen aufgrund von Resistenzen eher selten.

Ziel der WHO ist eine Reduktion der HCV-Infektionen um 90 % bis 2030. Bartenschlager ist skeptisch: „Ohne Impfung ist die globale Eradikation von HCV fraglich.“ Derzeit werde daher auch in Heidelberg im Rahmen eines Projekts des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) an einer HCV-Vakzine gearbeitet. „Das Haupthindernis ist die hohe genomische Variabilität“, erklärt der Virologe. Denn HCV sei viel variabler als etwa SARS-CoV-2, ein einziger Patient produziere 1012 HCV-Varianten. Außerdem seien wichtige Epitope für neutralisierende Antikörper im Innern des Virus verborgen.

Mögliche Ansätze seien zum Beispiel multiple Antigene von verschiedenen HCV-Genotypen, um so die Variabilität zu überwinden, und die Impfung mit Vektoren, die T- und B-Zell-Antworten induzieren. „Und wir könnten auch von der Coronapandemie lernen, denn wir haben gelernt, dass mRNA-Impfstoffe eine gute Antikörperantwort auslösen können“, so Bartenschlager. Maren Schenk

Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit1621
oder über QR-Code.

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Pathogenese und natürlicher Verlauf der nichtalkoholischen Fettlebererkrankung
Grafik
Pathogenese und natürlicher Verlauf der nichtalkoholischen Fettlebererkrankung
Krebsrelevante Virusinfektionen beim Menschen (Quelle 10, 15)
Tabelle
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