MEDIZINREPORT
SARS-CoV-2: Nicht ohne Impfung in den OP-Saal


Operationen steigern die COVID-19- Risiken erheblich. Wer operiert werden muss, sollte bei Impfungen priorisiert werden.
Die aktuelle Pandemie hat die Chirurgen aus zahlreichen Gründen dazu gezwungen, ihr Operationsmanagement dramatisch umzustellen und zahlreiche Eingriffe aufzuschieben (1). Dies war organisatorisch notwendig, um Klinikkapazitäten zu schonen und Betten für COVID-19-Kranke vorzuhalten. Zum anderen mussten Klinikmitarbeiter vor Infektionen geschützt werden. Ein weiterer wichtiger Grund ist jedoch das perioperative Risiko einer SARS-CoV-2-Infektion für die Patienten. Darauf wies Prof. Dr. med. Thomas Schmitz-Rixen, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) und Direktor der Klinik für Gefäß- und Endovascularchirurgie an der Universitätsklinik in Frankfurt, anlässlich des diesjährigen, rein virtuell stattgefundenen 138. Kongresses der DGCH hin.
Schmitz-Rixen beruft sich auf Daten der COVIDSurg Collabora-tive, einem internationalen Zusammenschluss von mehr als 1 600 chirurgischen Zentren aus derzeit 122 Ländern, koordiniert von der University of Birmingham in England. Chirurgen aus aller Welt hatten sich im letzten Jahr zusammengetan, um während der SARS-CoV-2-Pandemie Patientendaten (von inzwischen 142 815 Fällen) zu sammeln, auszuwerten und für die Verbesserung der chirurgischen Versorgung den Kliniken bereitzustellen (2).
SARS-CoV-2 gefährdet Operierte
Mit perioperativen SARS-CoV-2-Infektionen müssen derzeit laut diesen Daten rund 0,6–1,6 % der chirurgischen Patienten rechnen. Nicht in jedem Fall wird die Infektion im Krankenhaus erworben, sie kann auch vor oder nach dem stationären Aufenthalt stattgefunden haben (3).
Die Risiken sind umso höher, je älter der Patient ist, ein bekanntes Muster im Zusammenhang mit SARS-CoV-2: Bei den über 70-Jahrigen ist die Sterblichkeit 30 Tage nach dem Eingriff 7- bis 8-fach höher, wenn eine COVID-19-Erkrankung einen frisch Operierten befällt. Handelte es sich um Tumorpatienten, so war bei diesen die 30-Tage-Mortalität bei einer Kombination aus onkologischem Eingriff und perioperativer Infektion mit SARS-CoV-2 ebenfalls mit 18,6 % deutlich erhöht.
Für den Fall, dass bei einem bereits aus der Klinik entlassenen Patienten nach einer größeren Operation – Schmitz-Rixen nannte aus seinem Fachgebiet die Versorgung eines Aneurysmas der Bauchaorta als Beispiel – erst zu Hause eine Infektion erfolgt oder festgestellt wird, empfiehlt der Frankfurter Gefäßchirurg, die Schwelle für eine erneute stationäre Einweisung denkbar niedrig anzusetzen.
Inzwischen wurden für zahlreiche Operationsindikationen zum Teil in anekdotischen Fallberichten, zum Teil in Beobachtungsstudien die Risiken dokumentiert. Diese sind in einigen Bereichen besorgniserregend. So zeigt zum Beispiel eine Arbeitsgruppe aus mehreren Zentren in London anhand der Auswertung verschiedener nationaler Datenbanken Großbritanniens für kardiovaskuläre Eingriffe bei ins-gesamt 755 Patienten: Eine COVID-19-Erkrankung steigert hier die Sterblichkeit von 3,5 auf 24,5 %; der postoperative stationäre Aufenthalt verlängerte sich von durchschnittlich 6 auf 11 Tage (4).
COVID-19 nach OP als Problem
Die Wissenschaftler konnten zudem zeigen, dass es sich offenbar besonders problematisch auswirkt, wenn die SARS-CoV-2-Infektion postoperativ akquiriert wird. Denn jene, die vor der Operation befallen worden waren, erholten sich ähnlich rasch und gut nach dem Eingriff wie nichtinfizierte Patienten nach vergleichbaren Operationen; die postoperativ Infizierten benötigten jedoch länger (12 versus 7 Tage). Auch war dann die Sterblichkeit mit 37 % exzessiv höher – während von denen, die vor der Operation infiziert worden waren, kein Patient verstorben ist.
Zwar waren die präoperativ Infizierten etwas jünger und hatten auch einen leicht höheren Body-Mass-Index (BMI), beides Risikofaktoren für einen komplizierteren COVID-19-Verlauf. Doch es gab keine Unterschiede in Bezug auf die Dringlichkeit oder die Komplexität des chirurgischen Eingriffs. Die Autoren vermuten, dass die nach einer Operation veränderte, geschwächte immunologische Situation auch die Antwort auf das Virus beeinträchtigen könnte.
Vergleichbare Beobachtungen machte eine italienische Arbeitsgruppe aus der Lombardei. Dort haben Ärzte die Daten aus der 1. Welle im Frühjahr 2020 in Bezug auf gefäßchirurgische Eingriffe ausgewertet und jetzt publiziert (5). Es zeigte sich, dass Patienten, die wegen einer akuten Extremitätenischämie operiert worden sind, ein 4-fach höheres Risiko hatten, im Krankenhaus zu versterben (25 % versus 6 %; p < 0,001).
Insbesondere onkologische Patienten sind eigenen Risiken ausgesetzt, wenn chirurgische Eingriffe zur Entfernung des Tumors anstehen. Hier konnte eine frühe Auswertung der Daten von 800 Tumorpatienten zwar zunächst die beruhigende Nachricht liefern, dass Chemotherapien, Immuntherapien, Hormontherapien und Bestrahlung keinen negativen Effekt auf den Verlauf hatten, wenn diese Patienten an COVID-19 erkrankten (6). Vielmehr waren – wie sonst auch – Alter, Geschlecht und Komorbidi-täten die Hauptrisikofaktoren.
Ob das im Falle einer zusätzlichen Operation der Patienten auch noch gilt, ist weniger klar. Die jüngste Publikation weist jedenfalls eine gesteigerte 30-Tage-Mortalität nach, wenn der onkologische Eingriff von einer perioperativen Infektion mit SARS-CoV-2 verkompliziert wird (3).
Derzeit gibt es zahlreiche individuelle Überlegungen, wie angesichts der einerseits dringlichen Indikationen – bei fortgeschrittenem Tumor – und der erhöhten perioperativen Risiken im Falle der Infektion vorgegangen werden soll (7). Manche Operationsteams verweisen überdies darauf, dass bestimmte Operationen bereits für sich genommen mit einem erhöhten Risiko für pulmonale Komplikationen einhergehen, etwa bei einer Ösophagektomie wegen Speiseröhrenkrebs (8). Die Komplikationen würden dann durch eine zusätzliche SARS-CoV-2-Infektion potenziert.
Wohl eindeutig positiv fällt die Bilanz bei Transplantationen aus – zu warten, um den Erfolg einer Organtransplantation nicht wegen einer zusätzlichen COVID-Erkrankung zu gefährden, ist offensichtlich keine Option. Transplantations-chirurgen verweisen hier auf Daten aus England: von 6132 Patienten auf der Warteliste für ein neues Organ wurden 3,8 % positiv auf SARS-CoV-2 getestet, 11 % von ihnen starben. Hingegen verstarben nur 0,5 % von denjenigen, die ein Transplantat erhalten hatten und positiv getestet worden waren (9).
Transplantationschirurgen machen zudem auf die zum Teil erheblichen Einschnitte in ihrem Fachgebiet aufmerksam. Das Spendenvolumen für Pankreastransplantationen sank beispielsweise von 46,4 % auf 7,1 % (10).
Wegen der erkennbar erhöhten Risiken im Falle einer perioperativen SARS-CoV-- Infektion fordern die Chirurgen hierzulande seit Längerem, dass Patienten mit dringender Operationsindikation bevorzugt eine COVID-19-Impfung erhalten sollten. Eine aktuelle Studie konnte zeigen, dass diese Priorisierung hocheffektiv ist. Es bedarf lediglich der Impfung von 559 Personen unter den 50–69-jährigen Patienten, die wegen eines malignen Tumors operiert werden müssen, um damit einen Todesfall zu verhindern. Bei gesunden Personen gleichen Alters müssten hingegen 13 000 Personen geimpft werden, um den gleichen Erfolg zu erzielen (2).
Testung präoperativ ist Pflicht
Jeder chirurgische Patient wird in Deutschland derzeit präoperativ getestet. Wer mit SARS-CoV-2 infiziert ist, muss die Operation um 6–7 Wochen verschieben. Das gilt auch für den Fall, dass keine oder nur milde Symptome vorliegen. Denn die postoperative Sterblichkeit ist nach einer Infektion in den ersten 6 Wochen um das Vierfache gesteigert. Erst in der 7. Woche sinkt sie wieder auf vergleichbare Werte wie bei den nicht operierten Infizierten (11).
Dass das Hinausschieben von Operationen auf Dauer die chirur-gische Versorgung beeinträchtige, zeichne sich schon ab, auch darauf machte Schmitz-Rixen aufmerksam. So beobachte man bereits jetzt, dass die Zahl der Extremitätenamputationen in Deutschland ansteige, weil Patienten mit einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) offenbar nicht rechtzeitig versorgt werden könnten. Dies liegt auch daran, dass weniger Ressourcen in den Kliniken zur Verfügung stehen.
Anders als in anderen Ländern, wo eigens Klinikkomplexe für Infizierte und potenziell Infizierte umgewidmet und geschaffen worden seien, sei man hierzulande in der Gesundheitspolitik solchen Vorschlägen nicht gefolgt. Absehbar werde sich die Problematik bei weiteren Pandemiewellen verschärfen, so die Prognose des Vizepräsidenten der Chirurgen.
Dr. med. Martina Lenzen-Schulte
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit1621
oder über QR-Code.
COVID-19 verschoben. News Deutsches Ärzteblatt 15. Mai 2020. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/112862/28-Millionen-chirurgische-Eingriffe-weltweit-aufgrund-von-COVID-19-verschoben (last accessed on 15 April 2020).
1. | Bracale U, Podda M, Castiglioni S, et al. for the CLOUD-19 Collaborative Group: Changes in surgicaL behaviOrs dUring the CoviD-19 pandemic. The SICE CLOUD19 Study. Updates Surg 2021; 73 (2): 731–4 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
2. | Lenzen-Schulte M: 28 Millionen chirurgische Eingriffe weltweit aufgrund von COVID-19 verschoben. News Deutsches Ärzteblatt 15. Mai 2020. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/112862/28-Millionen-chirurgische-Eingriffe-weltweit-aufgrund-von-COVID-19-verschoben (last accessed on 15 April 2020). |
3. | COVIDSurg Collaborative, GlobalSurg Collaborative: SARS-CoV-2 vaccination modelling for safe surgery to save lives: data from an international prospective cohort study.Br J Surg (Online ahead of print) 24 Mar 2021, doi: 10.1093/bjs/znab101 (last accessed on 15 April 2021) CrossRef MEDLINE PubMed Central |
4. | Sanders J, Akowuah E, Cooper J, et al.: Cardiac surgery outcome during the COVID-19 pandemic: a retrospective review of the early experience in nine UK centres. J Cardiothorac Surg 2021; 16 (1): 43. DOI: 10.1186/s13019–021–01424-y (last accessed on 15 April 2021) CrossRef MEDLINE PubMed Central |
5. | Kahlberg A, Mascia D, Bellosta R, et al.: Vascular Surgery During COVID-19 Emergency in Hub Hospitals of Lombardy: Experience on 305 Patients. Eur J Vasc Endovasc Surg 2021; 61 (2): 306–15 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
6. | Lee LYW, Cazier JB, Starkey T, et al.: COVID-19 mortality in patients with cancer on chemotherapy or other anticancer treatments: a prospective cohort study. Lancet. 2020; 395 (10241): 1919–26 CrossRef |
7. | Gorphe P, Grandbastien B, Dietz A, et al.: Safety and Feasibility of Surgery for Oropharyngeal Cancers During the SARS-CoV-2-Pandemic. Front Oncol 2021; 11: 651123 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
8. | Nurczyk K, Chan C-E, Nowak N, et al.: COVID-19 Pneumonia on Post-Operative Day 2 after Esophagectomy: Performing Esophago-Gastric Junction Cancer Surgery during the SARS-Cov-2 Second Wave. Curr Oncol 27March 2021; 28 (2): 1348–53 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
9. | Ravanan R, Callaghan CJ, Mumford L, et al.: SARS-CoV-2 infection and early mortality of waitlisted and solid organ transplant recipients in England: A national cohort study. Am J Transplant 2020; 20 (11): 3008–18 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
10. | World Pancreas Transplant Covid-19 Collaborative Group: Impact of SARS-CoV-2 on pancreas transplant activity: survey of international surgeons. Br J Surg (Online ahead of print) 29 Dez 2020, DOI: 10.1093/bjs/znaa105 (last accessed on 15 March 2021) CrossRef MEDLINE PubMed Central |
11. | CovidSurg Collaborative and GlobalSurg Collaborativ: Timing of Surgery following SARS-CoV-2 infection: an international prospective cohort study. Anasethesia (Epub ahead of print) 9 March 2021 DOI: 10.111/anae.15458 (last accessed on 13 April 2021 CrossRef MEDLINE |