ArchivDeutsches Ärzteblatt18/2021Von schräg unten: Unterwegs

SCHLUSSPUNKT

Von schräg unten: Unterwegs

Böhmeke, Thomas

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Die strahlende Frühlingssonne lockt das erste zarte Grün aus den kleinen Wintermänteln der Knospen von Büschen und Bäumen. Bald werden sie sich entfalten und mit den warmen Farben ihrer Blüten uns ins Freie locken, auf dass wir unsere Herzen verzaubern lassen. Diesem Ruf folgend schlendere ich, wie etliche andere auch, entspannt einen Weg entlang. Vor mir greift sich ein älterer Herr an die Brust, ringt um Atem und fällt in sich zusammen.

Gut geübten Reflexen folgend renne ich auf ihn zu, jedoch stellt sich mir ein auffällig unauffälliger Mann in den Weg. „Halt! Wo wollen Sie hin, was haben Sie vor?“ Na, Erste Hilfe leisten, was sonst? Könnten Sie mir mal aus dem Weg gehen? Sonst muss ich Sie über den Haufen laufen. „Nichts da! Hier läuft gar nichts, bis nicht alles ins letzte amtliche Detail geklärt ist! Die Republik steht still, so ich es will!“

Ich glotze ihn fassungslos an. „Alles ist genormt, geordnet und verordnet!“, so schreit er mich an, „wie kommen Sie eigentlich dazu, eigenmächtig handeln zu wollen, ohne dass es reguliert und kontrolliert, verifiziert und zertifiziert ist? Wer sind Sie überhaupt, Sie da?“ Ich bin Arzt, aber das ist eigentlich auch egal, ich muss jetzt zu dem Herrn, der dort am Boden liegt und Sie, lassen Sie mich mal durch, Sie da.

Er läuft puterrot an. „Was bilden Sie sich eigentlich ein, wie reden Sie mit mir? Wissen Sie überhaupt, mit wem Sie es zu tun haben? Hier geht alles seiner guten Ordnung geübten Gang! Zeigen Sie mir sofort Ihren Arztausweis!“ Also, mein alter Ausweis ist abgelaufen, und der eHBA dümpelt seit einem halben Jahr der Ausfertigung entgegen. „Höre ich da so etwas wie Kritik heraus?! Formulare brauchen Jahre, haben Sie das verstanden?!“ Nein, wie so vieles, was in unserem schönen Land passiert, verstehe ich das nicht.

„Sie sind doch nicht etwa so einer von diesen nichtsnutzigen niedergelassenen Ärzten, oder?“ Bin ich, ja. Höre ich da so etwas wie Kritik heraus? „Und ob! Sie sind also einer von denen, die meinen, sie könnten tun und lassen, was sie wollen, nur weil Sie meinen, Sie wären für die Menschen da!“ Und ob. So, genug der Schwafelei. Ich rempel Sie jetzt mal beiseite, denn dem älteren Herrn muss geholfen werden, Not kennt kein Gebot! Er kommt mir mit rotgeränderten Augen und geballten Fäusten bedrohlich nahe, seine tänzelnden Arteriae temporales verraten einen systolischen Druck jenseits der 300 mmHg. „Deutschland ist im Lot, denn für alles gibt es ein Verbot! Aber das scheint Sie als niedergelassener Arzt nicht zu interessieren, daher stehen Sie unter schärfster Beobachtung!“ Ach nee. „Ach doch! Sie sind einer von diesem rechtlosen Pack!“ Wie bitte?! „Sie haben richtig gehört! Allesamt Verbrecher! Prominente Gesundheitspolitiker haben nämlich festgestellt, dass Ihr nichts Weiteres im Sinn habt als unsere Priorisierungen gesetzeswidrig zu unterlaufen, sobald Ihr nur ein einziges unserer Impfseren in die Hände kriegt! Aber wieso maßen Sie sich eigentlich die Frechheit an, mit mir zu reden? Sie müssen, bevor Sie überhaupt angehört werden können, unter Vorlage eines amtlich beglaubigten Identitätsnachweises einen Antrag auf Bewilligung zur Erteilung einer Auskunft über die Rechtmäßigkeit eines Anhörungsersuchens ...“

Ich wache schweißgebadet auf, mein Herz rast, die Übelkeit kriecht bis in die Fingerspitzen. Du lieber Himmel! Ich hatte schon viele eklige Albträume, aber die deutsche Bürokratie – das ist der blanke Horror!

Dr. med. Thomas Böhmeke
ist niedergelassener Kardiologe in Gladbeck.

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