ArchivDeutsches Ärzteblatt22/2021Coronaimpfungen: Zu große Erwartungen

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Coronaimpfungen: Zu große Erwartungen

Schmedt, Michael

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Michael Schmedt, Stellv. Chefredakteur
Michael Schmedt, Stellv. Chefredakteur

Die Politik bleibt sich treu, möchte man zynisch sagen. Sie schafft es im Zuge der Bund-Länder-Treffen weiterhin nicht, nachvollziehbare Strategien vorzubereiten und gut zu kommunizieren. In der vergangenen Woche begann das Dilemma bereits in den Tagen vor dem sogenannten Impfgipfel. Mit der Ankündigung, allen Kindern und Jugendlichen bis Ende August ein Impfangebot machen zu wollen, baute Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eine viel zu große Erwartungshaltung auf. Dass er für dieses Angebot direkt BioNTech-Dosen reservieren wollte, machte es noch schlimmer. Die Länder hielten Impfdosen zurück. Aus Berlin hörte man, Impfzentren planten bereits Impfstraßen nur für Kinder und Jugendliche. Und mit einem Mal war die imaginäre Impfkampagne für die junge Bevölkerung geboren. Da war wohl der Wunsch, sich im Wahljahr als Wohltäter zu präsentieren, der einen schnellen Urlaub für die Familien und einen risikofreien Schulbesuch nach den Ferien ermöglicht, zu groß. Denn mehr Impfdosen für Kinder und Jugendliche gibt es nicht. Nachvollziehbar entstand in der Bevölkerung der Eindruck, dass mit der Aufhebung der Impfpriorisierung am 7. Juni nun auch Kinder und Jugendliche direkt einen Impftermin bekämen. Auf der anderen Seite wurde wieder die Impfpflichtdiskussion losgetreten. Auch wissenschaftlich bewegt sich Spahn auf schwierigem Terrain, als er ankündigte, sich über die Ständige Impfkommission (STIKO) hinwegsetzen zu wollen, die signalisiert hatte, sich mangels ausreichender Daten nicht für eine generelle Impfempfehlung aller Kinder und Jugendlichen aussprechen zu wollen. Auch viele Ministerpräsidenten kritisierten die STIKO, deren Urteile man bislang respektiert hatte. Vergessen darf man aber nicht, dass das Gremium wissenschaftlich und eben nicht politisch entscheiden muss.

Am Ende konnte die Bund-Länder-Runde all die Ankündigungen nicht einhalten und nur ein mageres Ergebnis des Impfgipfels präsentieren: Kinder und Jugendliche können geimpft werden und müssen sich bei den Impfungen nun einreihen. Die Eltern haben es in der Hand, ihre Jüngsten impfen zu lassen. Hätte man direkt kommuniziert, es gibt gute Gründe, Kinder und Jugendliche zu impfen – übrigens auch, weil sie es selbst wollen –, sich abgesprochen und dieses Ergebnis als weitere Säule der gesamten Impfkampagne vorgestellt, wäre dies wohl ein kleiner Erfolg gewesen. Aber so wird die Politikmüdigkeit forciert – und das im Bundestagswahljahr.

Das hat auch der Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) von Sachsen-Anhalt erkannt, der im Morgenmagazin sagte: „Es ist eine Erwartung geweckt worden, die nicht erfüllt werden kann.“ Dann verstieg er sich aber zu dem Wunsch, es sollten zu diesem Thema keine Pressekonferenzen mehr aus dem Bund kommen. Dies hänge „damit zusammen, dass wir klare Botschaften brauchen“. Auch das macht deutlich, wie wenig Politiker ihren Wählerinnen und Wählern zutrauen.

Bei all diesen Diskussionen hört man übrigens kaum etwas über das Schicksal derjenigen Kinder und Jugendlichen, die wegen der Einschränkungen in der Pandemie krank geworden sind. Keine Schule, keine Freunde, kein Sport haben Folgen. Für diese Kinder und Jugendlichen, die Hilfe von außen suchen, gibt es kaum Termine für Therapien und Beratungsgespräche. Ein kleiner Piks in den Oberarm hilft hier nicht. Es ist längst Zeit für einen Kinder- und Jugendlichengipfel.

Michael Schmedt
Stellv. Chefredakteur

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