MEDIZINREPORT
Kardiotoxizität unter Tumortherapie: Auch auf das Herz achten


Therapeutische Fortschritte in der Onkologie haben zu signifikanten Verbesserungen in der Überlebensrate von Krebspatienten geführt. Doch die Tumortherapie kann dem kardiovaskulären System schaden, und dadurch das Überleben und die Lebensqualität der Patienten gefährden.
Der klinische Nutzen einer Tumortherapie kann durch kardiotoxische Effekte zum Teil deutlich beeinträchtigt sein. Bei einem Symposium anlässlich des Deutschen Kongresses für Kardiologie plädierte Dr. med. Dominik Berliner von der Klinik für Kardiologie und Angiologie der Medizinischen Hochschule Hannover daher für eine enge Zusammenarbeit von Kardiologen und Onkologen in jedem Stadium der Behandlung – vor, während und danach.
Die Effekte der Krebstherapie auf das kardiovaskuläre System wirken sich negativ auf die Prognose der Patienten aus, wobei sie direkt oder indirekt, akut oder nach Jahren auftreten können. Die zunehmende Vielfalt an Krebsmedikamenten – derzeit kommen bis zu 30 neue Substanzen pro Jahr hinzu– erhöht die Komplexität des Langzeittherapiemanagements von Krebspatienten massiv. In vielen Fällen sei die Diagnose Krebs zu einer chronischen Krankheit avanciert, was langfristige onkologische Behandlungen und dauerhaftes Management der mit der Krebstherapie verbundenen Toxizität erfordere, gab Berliner zu bedenken.
Kardiotoxizität bedroht Überleben und Lebensqualität
Kardiotoxische Nebenwirkungen können die Lebensqualität und das Überleben von Tumorpatienten in Behandlung erheblich einschränken. Akute und chronische kardiotoxische Effekte umfassen Bluthochdruck, venöse und arterielle thromboembolische Ereignisse, akute und chronische Koronarsyndrome, Herzinsuffizienz und Arrhythmien (1).
Kardiotoxizität ist eine der Hauptnebenwirkungen von Krebstherapien wie Chemotherapeutika oder Bestrahlung. Bei bis zu 37,5 % der Patienten unter Tumortherapie (zum Beispiel Anthrazykline) wurde Kardiotoxizität mit Myokardschäden festgestellt. Diese wurden bei etwa 31,6 % der Fälle als leicht (asymptomatisch, linksventrikuläre Ejektionsfraktion [LVEF] > 50 %, erhöhte Biomarker oder ≥ 1 auffälliger Parameter im Herz-Echo), bei 2,8 % als mittelschwer (asymptomatisch, LVEF zwischen 40 und 49 %, gegebenenfalls erhöhte Biomarker oder pathologische Echo-Befunde) und bei 3,1 % als schwer (klinisch manifeste Herzinsuffizienz oder asymptomatisch mit einer LVEF unter 40 %) eingestuft (2).
Zahlreiche Risikofaktoren für Kardiotoxizität wurden bereits identifiziert, wie beispielsweise das Alter (≥ 65 Jahre), Rauchen, Komorbidität (atherothrombotische Erkrankungen, Diabetes mellitus, Dyslipidämie, Elektrolytstörungen, Hypercholesterinämie, Hypothyreose), Übergewicht und vorbestehende kardiovaskuläre Erkrankungen. Berliner empfahl bei jedem Patienten im Vorfeld einer geplanten und potenziell kardiotoxischen Tumortherapie initial eine kardiovaskuläre Risikoabschätzung durchzuführen (3).
Bei der Prädiktion von Kardiotoxizität können gegebenenfalls Biomarker hilfreich sein. In einer Metaanalyse mit 61 Studien (n = 5691) konnte gezeigt werden, dass Biomarker wie Troponin eine krebstherapiebedingte linksventrikuläre Dysfunktion vorhersagen können. Somit kann die Erhebung des Troponinspiegels als Screening-Tool genutzt werden, um Patienten zu identifizieren, die kardioonkologisch betreut werden müssen und von Präventionsstrategien profitieren können (4).
Zusammenarbeit von Onkologen und Kardiologen erforderlich
Zur Detektion, Prävention und Behandlung der Chemotherapie-assoziierten Kardiotoxizität sollten Onkologen und Kardiologen eng zusammenarbeiten, so Berliner. Um das kardiale Risiko genauer festlegen zu können, empfiehlt er, initial und im weiteren Verlauf (zum Beispiel nach 2, 4 und 12 Wochen) der Tumortherapie die Troponin-Werte zu bestimmen, um steigende oder fallende Werte richtig einzuordnen. Insbesondere Risikopatienten benötigten gegebenenfalls eine echokardiografische Abklärung, ergänzte er.
Wird eine subklinische Kardiotoxizität festgestellt, sollte eine kardioprotektive Herzinsuffizienztherapie in Erwägung gezogen werden. Dabei kann es sich beispielsweise um die prophylaktische Gabe von ACE-Hemmern und/oder Betablockern handeln. Beim Auftreten einer symptomatischen oder asymptomatischen Herzinsuffizienz gelte es, diese leitlinienkonform zu therapieren, so Berliner.
Dabei sollte die kardiale Dysfunktion so adressiert werden, dass eine Chemotherapie (gegebenenfalls mit Dosisreduzierung) fortgesetzt werden kann. Das Absetzen einer Krebstherapie ist laut Berliner das letzte Mittel nach Ausschöpfen aller kardioprotektiven Maßnahmen (5).
Unter Immuncheckpoint Inhibitoren (ICI) ist eine Myokarditis eine schwere, jedoch seltenere Komplikation. Die Prävalenz der ICI-assoziierten Myokarditis liege bei etwa 1,5–2 %, berichtete PD Dr. med. Lorenz Lehmann von der Klinik für Innere Medizin, Kardiologie, Angiologie und Pneumologie am Universitätsklinikum Heidelberg. Allerdings werde die Häufigkeit der ICI-assoziierten Myokarditis womöglich unterschätzt und sei auch in Bezug auf Kombinationstherapien derzeit noch relativ unklar.
Daten aus einem dänischen Register zeigen, dass die Rate an kardiovaskulären Ereignissen etwa bei Patienten mit Lungenkrebs oder malignen Melanomen unter ICI-Therapie erhöht ist. Die absoluten Risiken waren in der Real-World-Analyse höher als in früheren Pharmakovigilanzstudien. So lag zum Beispiel das 1-Jahres-Risiko für eine Peri-/Myokarditis bei 1,8 % (6).
Die Diagnose und Therapie einer ICI-assoziierten Myokarditis stellt laut Lehmann eine besondere Herausforderung dar, was die Bedeutung einer regen interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Kardiologen und Onkologen weiter unterstreiche. Bei kardiovaskulären Auffälligkeiten (zum Beispiel Erhöhungen des Troponin-Werts) sollte eine ICI-Therapie zunächst gestoppt werden, um die Befunde weiter diagnostisch abzuklären (zum Beispiel durch eine Myokardbiopsie), so sein Rat.
Meist hätten Patienten mit Kardiotoxizität unter Tumortherapie eine genetische Prädisposition für kardiovaskuläre Ereignisse oder diese lägen schon vor der Krebstherapie latent vor, gab Lehmann zu bedenken. Eine erneute Exposition gegenüber einer Therapie mit ICI sei möglich, wenn der Patient ein engmaschiges Monitoring erhalte, aber auch, wenn sonst Therapiealternativen fehlen würden, zum Beispiel bei Patienten in einer hoch palliativen Situation.
Bekannt sei auch ein Zusammenhang zwischen Krebs und Thrombosen , sagte Prof. Dr. med. Matthias Totzeck von der Klinik für Kardiologie und Angiologie am Universitätsklinikum Essen. Das relative Risiko ist sowohl für arterielle Thromboembolien (ATE) als auch für venöse Thromboembolien (VTE) bei Krebspatienten signifikant erhöht. Um das Risiko von Thrombosen bei Krebs zu senken, kommen direkte orale Antikoagulanzien (DOAK) zur Anwendung. Allerdings erfolge der Einsatz von DOAK wie zum Beispiel Apixaban, Dabigatran, Edoxaban und Rivaroxaban immer im Spannungsfeld zu möglichen Blutungsrisiken (7).
Zu den Tumortherapien mit einem hohen Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen zählen laut Prof. Dr. med. Andreas Hochhaus, Hämatologe und internistischer Onkologe am Universitätsklinikum Jena, unter anderem Anthrazykline (zum Beispiel Doxorubicin, Epirubicin, Daunorubicin, Idarubicin, Mitoxantron). Bei einer hohen Dosis kommt es bei bis zu 47 % der Patienten zu einer Schädigung des Herzmuskels. Ein hohes Potenzial für Kardiotoxizität haben darüber hinaus ICI (unter anderem. Ipilimumab, Atezolizumab, Avelumab, Durvalumab), BRAF-Inhibitoren, Proteasom-Inhibitoren (zum Beispiel Bortezomib, Carfilzomib), Alkylanzien (zum Beispiel Cyclophosphamid, Ifosfamid) und Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitoren (8, 9).
Kinder und Jugendliche frühzeitig kardial beurteilen
Bei Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren treten in Deutschland etwa 1 800–2 000 onkologische Neuerkrankungen pro Jahr auf. In dieser Altersgruppe sind akute Leukämien (34 %), Hirntumoren (22 %) und Lymphome (12 %) häufig. Kardiale Kontrollen erfolgen bei ehemals krebskranken Kindern und Jugendlichen in Abhängigkeit von der vorausgegangenen Tumortherapie.
Zur Überprüfung auf strahlentherapieassoziierte kardiovaskuläre Komplikationen sollte bei Kindern und Jugendlichen frühzeitig, spätestens nach 2 Jahren (Erwachsene 1 Jahr) nach der Bestrahlung eine kardiale Beurteilung erfolgen, so Hochhaus (8). Dr. rer. nat. Christine Willen
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit2321
oder über QR-Code.
1. | Totzeck M & Rassaf T: Neue onkologische Therapien und ihre kardiovaskulären Risiken – Was sollte der Kardiologe kennen? Herz 2020; 45 (2): 129–33 CrossRef MEDLINE |
2. | López-Sendón J, Álvarez-Ortega C, Zamora Auñon P, et al.: Classification, prevalence, and outcomes of anticancer therapy-induced cardiotoxicity: the CARDIOTOX registry. Eur Heart J 2020; 41 (18): 1720–9 CrossRef MEDLINE |
3. | Zamorano JL, Gottfridsson C, Asteggiano R, et al.: The cancer patient and cardiology. Eur J Heart Fail 2020; 22 (12): 2290–309 CrossRef MEDLINE |
4. | Michel LM, Mincu RI, Mahabadi AA, et al.: Troponins and brain natriuretic peptides for the prediction of cardiotoxicity in cancer patients: a meta-analysis. Eur J Heart Fail 2020; 22 (2): 350–61 CrossRef MEDLINE |
5. | Trapani D, Zagami P, Nicolò E, et al.: Management of Cardiac Toxicity Induced by Chemotherapy. J Clin Med 2020; 7; 9 (9): 2885 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
6. | D’Souza M, Nielsen D, Svane IM, et al.: The risk of cardiac events in patients receiving immune checkpoint inhibitors: a nationwide Danish study. Eur Heart J 2021; 42 (16): 1621–31 CrossRef MEDLINE |
7. | Grilz E, Posch F, Nopp S, et al.: Relative risk of arterial and venous thromboembolism in persons with cancer vs. persons without cancer – a nationwide analysis. Eur Heart J 26. März 2021; doi: 10.1093/eurheartj/ehab171 CrossRef MEDLINE |
8. | Rassaf T, Totzeck M, Backs J, et al.: Onkologische Kardiologie – Konsensuspapier der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung, der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler und der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie. Kardiologe 2020; 14: 267–93 CrossRef |