MEDIZIN: Kurzmitteilung
Frühe Immunsuppression bei Kindern und Jugendlichen mit Morbus Crohn
Daten aus dem CEDATA-GPGE-Register
Early immune suppression in children and adolescents with Crohn‘s disease—data from the CEDATA GPGE registry
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Zur medikamentösen Behandlung von Morbus Crohn (MC) erhalten Kinder und Jugendliche nach Versagen der Erstlinientherapie bislang eine Eskalationstherapie, bei der Immunmodulatoren, zum Beispiel Azathioprin, oder Biologika, beispielsweise Infliximab, eingesetzt werden (1). In den letzten Aktualisierungen der internationalen Leitlinie wurde eine Stratifizierung der Therapie mit beschleunigter Therapieeskalation („accelerated step-up“) oder primärer Therapie mit Biologika anhand von Prädiktoren vorgeschlagen, die ein schlechteres klinisches Ergebnis vorhersagen („predictors of poor outcome“ [POPO]) (2). Das Ziel der vorliegenden Erhebung war es, dieses Konzept der frühen Immunsuppression anhand der Daten des größten Registers für Kinder und Jugendliche mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) in Europa zu beurteilen.
Patienten und Methode
CEDATA-GPGE ist ein multizentrisches Patientenregister in deutschsprachigen Ländern mit Daten von inzwischen mehr als 5 000 Kindern und Jugendlichen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen und über 50 000 dokumentierten Kontakten. Für die vorliegende Auswertung wurden alle Patienten mit MC erfasst, die folgende Kriterien erfüllten: Alter 1–18 Jahre, Diagnose in teilnehmenden Zentren 2004–2018, Einschluss ins Register innerhalb von drei Monaten nach Diagnose zur Verringerung eines Recall-Bias und mindestens zwei Follow-up-Visiten. Patienten mit mindestens einem Prädiktor für ein schlechtes Outcome wurden als POPO-positiv klassifiziert, Patienten ohne diese Merkmale als POPO-negativ. POPO umfassen folgende Kriterien: perianale Erkrankung; strikturierend, penetrierendes Erkrankungsverhalten; schwere Wachstumsverzögerung; ausgedehnte, panenterische Erkrankung sowie persistierende Krankheitsaktivität trotz adäquater Induktionstherapie. Zum einen wurde die Häufigkeit negativer Outcomeparameter (insbesondere extraintestinale Manifestation [EIM] und Notwendigkeit für operative Maßnahmen) ermittelt und zum anderen wurden Patienten, bei denen früh mit einer Azathioprin- oder Infliximab-Gabe begonnen wurde, verglichen mit Patienten, bei denen dies nicht der Fall war. Es wurden eine Kaplan-Meier-Analyse und eine Cox-Regression durchgeführt, wobei Medikationen nach Auftreten des Endpunkts vor der Analyse ausgeschlossen wurden.
Ergebnisse
Von 2 980 Patienten im Register wurden gemäß der genannten Kriterien 1 084 inkludiert. Die mediane Nachbeobachtung betrug 10 Kontakte („interquartile range“ [IQR] 5–15 Kontakte, maximal 94 Kontakte) über einen Zeitraum von 769 Tagen (Median; IQR 275–1 595 Tage, maximal 3 570 Tage). 709 Patienten (65,4 %) hatten mindestens ein POPO-Kriterium (bei Kindern unter 6 Jahren 70 %). POPO-Positive und -Negative unterschieden sich nicht in Alter, Geschlecht oder diagnostischer Latenz, allerdings in der Krankheitsaktivität bei Diagnose (Paediatric Crohn’s Disease Activity Index 23,3 versus 19,3; p = 0,05).
Die Nutzung von Azathioprin und Infliximab nahm über den Beobachtungszeitraum zu (Azathioprin 2004: 45 %, 2018: 62 %; Infliximab 2004: 3 %, 2018: 35 %). POPO-positive gegenüber POPO-negativen Patienten erhielten im ersten Jahr nach Diagnosestellung etwas häufiger Infliximab (11,1 % versus 7,3 %; p = 0,047) und Azathioprin (64,4 % versus 61,5 %; p = 0,35). Die POPO-positiven Patienten mit Abszessen, Fisteln oder Stenosen bekamen häufiger Infliximab als Patienten ohne entsprechende Befunde (37,1 % versus 22,1 %, p = 0,06). Dies war auch bei der Notwendigkeit von Operationen der Fall (17,1 % versus 7,2 %, p = 0,054). Bei Patienten, die vor 2009 diagnostiziert wurden, war der frühe Einsatz von Azathioprin mit einem geringeren Operationsrisiko assoziiert (Odds Ratio [OR] 0,59; 95-%-Konfidenzintervall [0,35; 0,98]; p = 0,032; Grafik 1).
In der Cox-Regression zeigte sich, dass die Diagnosestellung nach 2009 der Parameter war, der stark mit einer Risikoreduktion für EIM assoziiert war (Hazard Ratio [HR] 0,32 [0,2; 0,51]). Wenn der Diagnosezeitpunkt, also vor versus nach 2009, unberücksichtigt blieb, war die Gabe von Infliximab in den ersten drei Monaten nach Diagnose mit einem geringeren Risiko für EIM verbunden, im Vergleich zu späterer Gabe HR = 0,27 [0,036; 2,0]. Diese Assoziation zeigte sich jedoch nicht bei der Verabreichung von Azathioprin (HR = 1,45 [0,6; 3,1]). Der Trend zeigte sich auch am Ende der Beobachtungszeit in der Kaplan-Meier-Analyse bei Infliximab (OR 0,17 [0,05–0,61]), aber nicht bei Azathioprin (OR 1,00 [0,70; 1,44]; Grafik 2).
Der Prädiktor „persistierende Erkrankung trotz adäquater Induktionstherapie“ war assoziiert mit einem erhöhten Risiko, eine steroidfreie Remission über 1 Jahr (OR 1,49 [1,07; 2,07], p = 0,02) zu verfehlen.
Diskussion
Die präsentierten Daten weisen auf eine Risikoreduktion durch den frühen Einsatz von Infliximab hin. Sie unterstreichen die aktuelle Forderung nach einer früheren Therapieeskalation oder initialen Therapie mit Biologika in ausgewählten Fällen (3), mit dem Ziel, eine persistierende Erkrankung adäquat kontrollieren zu können. Unsere Ergebnisse werden durch eine Kohortenstudie mit 825 Patienten bestätigt, bei der eine früh beginnende Infliximab-Behandlung mit einer geringeren Operationshäufigkeit einherging (4). Es muss berücksichtigt werden, dass in den letzten 15–20 Jahren auch andere Faktoren zum Rückgang operativer Eingriffe geführt haben. Die Reduktion des Risikos extraintestinaler Manifestationen nach der Gabe von Infliximab, aber nicht von Azathioprin, deutet auf eine bessere Wirksamkeit der frühen Behandlung mit Anti-Tumornekrosefaktor(Anti-TNF)-alpha-Antikörper gegenüber einer frühen Immunmodulation hin, die auch in einer anderen kleineren Gruppe beschrieben wurde (5).
Unsere Beobachtungsstudie unterstützt das Therapiekonzept der internationalen Leitlinie anhand der Auswertung von Daten einer großen Kohorte. Die vorliegenden Ergebnisse können zu einer wissenschaftlich fundierten, patientenzentrierten und bedarfsorientierten Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit CED beitragen.
Schlussfolgerung
Der vermehrte und frühzeitige Einsatz von Infliximab in den letzten 15–20 Jahren ist mit einer verminderten Notwendigkeit für chirurgische Eingriffe bei Kindern und Jugendlichen mit Morbus Crohn assoziiert. Die frühe Krankheitskontrolle ist gerade bei Patienten mit Risikofaktoren notwendig, um langfristig Komplikationen zu vermindern und eine Remission zu erreichen.
Jan de Laffolie, Klaus-Peter Zimmer, Keywan Sohrabi, Almuthe Christina Hauer und die CEDATA-GPGE-Studiengruppe
Abteilung Allgemeine Pädiatrie und Neonatologie, Justus Liebig Universität Gießen (Laffolie, Zimmer) jan.delaffolie@paediat.med.uni-giessen.de
Technische Hochschule Mittelhessen Gießen, Bereich Gesundheit (Sohrabi)
Klinische Abteilung für Allgemeine Pädiatrie, Medizinische Unversität Graz, Österreich (Hauer)
CEDATA-GPGE – Liste der Kontributoren (contributors)
Dr. med. Stephan Buderus, Bonn
Prof. Dr. med. Philip Bufler, Berlin
Dr. med. Martin Claßen, Bremen
Prof. Dr. med. Jan Däbritz, Rostock
Dr. med. Söhnke Dammann, Stuttgart
Dr. med. Jan de Laffolie, Gießen
Prof. Dr. med. Almuthe Christina Hauer, Graz, Austria
Prof. Dr. med. Klaus-Michael Keller, Wiesbaden
Prof. Dr. med. Sibylle Koletzko, München
Dr. med. Andreas Krahl, Darmstadt
Dr. med. Martin Laaß, Dresden
Dr. med. Thomas Lang, Regensburg
Dr. med. Carsten Posovszky, Ulm
PD Dr. med. Burkhard Rodeck, Osnabrück
Dr. med. Stefan Trenkel, Potsdam
Unterstützung und Förderung
Das CEDATA-GPGE-Register wurde/wird unterstützt durch die Justus Liebig Universität Gießen, die Medizinische Universität Graz sowie die Rudolf-Chaudoire-Wissenschaftsförderung für Schweiz, Deutschland und Österreich. Es wurde/wird gefördert durch Abbvie, Dr. Falk Pharma, Vifor, BILD hilft e.V. „Ein Herz für Kinder” und Takeda.
Interessenkonflikt
PD Dr. de Laffolie wurde für Beratertätigkeit honoriert (Advisory Board) von Abbvie.
Prof. Hauer wurde für Beratertätigkeit honoriert von Abbvie, MSD, Nutricia, Shire, Milupa und Hipp. Sie bekam Studienunterstützung (Drittmittel) von Firma Janssen.
Die übrigen Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 23. 11. 2020, revidierte Fassung angenommen: 14. 4. 2021
Zitierweise
de Laffolie J, Zimmer KP, Sohrabi K, Hauer AC: Early immune suppression in children and adolescents with Crohn‘s disease—data from the CEDATA GPGE registry.
Dtsch Arztebl Int 2021; 118: 421–2. DOI: 10.3238/arztebl.m2021.0214
►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
www.aerzteblatt-international.de
1. | Buderus S, Scholz D, Behrens R, et al.: Inflammatory bowel disease in pediatric patients—characteristics of newly diagnosed patients from the CEDATA-GPGE registry. Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 121–7 VOLLTEXT |
2. | Rheenen PF, Aloi M, Assa A, Bronsky J, et al.: The medical management of paediatric crohn‘s disease: an ECCO-ESPGHAN guideline update. J Crohns Colitis 2020: jjaa161. doi: 10.1093/ecco-jcc/jjaa161. Epub ahead of print. PMID: 33026087 CrossRef MEDLINE |
3. | Brückner A, Werkstetter KJ, de Laffolie J, et al.: Incidence and risk factors for perianal disease in pediatric crohn disease patients followed in CEDATA-GPGE Registry. J Pediatr Gastroenterol Nutr 2018; 66: 73–8 CrossRef MEDLINE |
4. | Ashton JJ, Borca F, Mossotto E, et al.: Increased prevalence of anti-TNF therapy in paediatric inflammatory bowel disease is associated with a decline in surgical resections during childhood. Aliment Pharmacol Ther 2019; 49: 398–407 CrossRef MEDLINE |
5. | Walters TD, Kim MO, Denson LA, et al.: Increased effectiveness of early therapy with anti-tumor necrosis factor-alpha vs an immunomodulator in children with Crohn‘s disease. Gastroenterology 2014; 146: 383–91 CrossRef MEDLINE |
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Psychoanalytische Familientherapie, 202310.30820/1616-8836-2023-1-47