

In der vorletzten Sitzungswoche verabschiedete der Bundestag das letzte Gesetz in der Gesundheitspolitik: Darin enthalten sind eine Pflegereform, neue Mindestmengenregelungen, Ansätze einer Notfallreform sowie neue Aufgaben für den Gemeinsamen Bundesausschuss.
Ein letzter Aufschlag in der gesundheitspolitischen Gesetzgebung für diese Legislatur: Als umfangreiches und kleinteiliges Regelwerk hat der Bundestag in seiner vorletzten Sitzungswoche das „Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung“ (GVWG) mit den Stimmen von Union und SPD beschlossen. Darin werden neben einem zusätzlichen Bundeszuschuss für die gesetzlichen Krankenkassen in Höhe von sieben Milliarden Euro, auch Teile einer Pflegereform und viele weitere Projekte der Koalition beschlossen. Im Vorfeld der Schlussberatungen im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages lagen rund 300 Seiten Änderungsanträge vor. Auch die Oppositionsfraktionen hatten noch mehrere Themen eingebracht, über die noch abschließend im Plenum des Bundestages debattiert werden sollte.
Pflegereform im Mittelpunkt
Doch für diese vielen Vorhaben und für die Pflegereform blieb im Bundestag dann nur rund 30 Minuten für eine Plenardebatte. Das beklagte vor allem der gesundheitspolitische Sprecher der Linken, Harald Weinberg: „Für diese wichtigen Themen, die Pflege und all das andere, was da auf 200 Seiten versteckt ist, benötigt es mehr Debattenzeit.“ Aber der Linken-Abgeordnete hoffe noch auf einen Antrag der Grünen für die letzte Parlamentswoche, um noch einmal grundsätzlich über eine Reform der Pflegeversorgung diskutieren zu können.
Im Fokus der kurzen Aussprache stand dann auch die Pflegereform, die von der Regierung gelobt und gleich von zwei Bundesministern – Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) – begleitet wurde, von der Opposition als „Reförmchen“ tituliert. Als Ergebnis aus mehreren Jahren der Beratungen im Rahmen der „Konzertierten Aktion Pflege“ von drei Bundesministerien sei dies nun ein mageres Ergebnis, heißt es von den Grünen. Die FDP lehnte generell einen größeren staatlichen Einfluss auf die Pflege ab, die AfD forderte weniger Bürokratie und sieht keinen Grund für Tariflöhne in dem Berufsfeld (ausführlich zur Pflegereform siehe Seite 1206 in dieser Ausgabe).
Neben den ersten Schritten der Pflegereform enthält das Gesetz auch zahlreiche andere kleinere oder größere Reformprojekte, die noch in dieser Legislatur angegangen werden sollen: Dazu zählt die Erhöhung des Bundeszuschusses aus Steuergeldern für die gesetzlichen Krankenkassen von fünf Milliarden auf sieben Milliarden. Für Vertragsärztinnen und -ärzte sieht das Gesetz eine verpflichtende Haftpflichtversicherung mit einer Mindestversicherungssumme von drei Millionen Euro je Fall vor.
Neue Mindestmengenregelung
Das Gesetz verschärft beispielsweise die Mindestmengenregelung. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) prüft kontinuierlich die Evidenz zu bereits festgelegten Mindestmengen sowie die Evidenz für die Festlegung neuer Mindestmengen. Der G-BA muss einmal aufgenommene Beratungen zu einer Mindestmenge innerhalb von zwei Jahren abschließen. Miteinander in Beziehung stehende Mindestmengen werden zudem verknüpft. „So könnte beispielsweise die Zulässigkeit der Erstimplantation einer Prothese davon abhängig gemacht werden, dass die Einrichtung neben der für die Erstimplantation geltenden Mindestmenge auch Erfahrung bei dem Revisionseingriff am selben Gelenk durch Erfüllung der geltenden Mindestmenge darlegt“, heißt es dazu in der Gesetzesbegründung. Die bislang geltende Ausnahmeregelung, bei der „bei nachgewiesener hoher Qualität“ eine Unterschreitung der Mindestmengen möglich war, wird gestrichen. Die Bundesländer können jedoch weiterhin Ausnahmen von der Mindestmengenregelung für einzelne Krankenhäuser vornehmen – allerdings nur im Einvernehmen mit den regionalen Krankenkassenverbänden.
Stärkung von Qualitätsverträgen
Abgeschafft wird dagegen eines der Kernelemente des 2016 in Kraft getretenen Krankenhaus-Strukturgesetzes (KHSG): die qualitätsorientierte Vergütung in Form von Zu- und Abschlägen. Nach einhelliger Auffassung der gemeinsamen Selbstverwaltung hätten diese wegen unerwarteter Umsetzungshindernisse auch mittelfristig nicht umgesetzt werden können, heißt es zur Erklärung im GVWG. Stattdessen sollen die ebenfalls mit dem KHSG eingeführten Qualitätsverträge gestärkt werden, bei denen Krankenkassen und Krankenhäuser Anreize zur Erbringung höherwertiger Qualität vereinbaren können. Bislang können Qualitätsverträge in vier Indikationsbereichen geschlossen werden. Im GVWG wird nun ein jährliches Ausgabevolumen der Krankenkassen pro Versichertem für Qualitätsverträge vorgeschrieben. Zudem soll der G-BA bis zum Jahr 2024 weitere Anwendungsbereiche für Qualitätsverträge bestimmen.
Instrument Personalbemessung
Ebenfalls bis Ende 2024 sollen die Partner der Selbstverwaltung auf Bundesebene ein wissenschaftlich fundiertes Instrument zur Bemessung des Pflegepersonalbedarfs in der unmittelbaren Patientenversorgung im Krankenhaus erarbeiten. In der stationären Langzeitpflege wurde ein solches Instrument im GVWG gerade eingeführt. Die derzeit geltenden Pflegepersonaluntergrenzen sollen dabei ihre Gültigkeit behalten. Das neue Verfahren soll bedarfsgerecht, standardisiert, aufwandsarm, transparent, digital anwendbar und zukunftsfähig sein. Das Personalbemessungsverfahren müsse eine standardisierte, bundesweit einheitliche Anwendung sicherstellen, die unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten, zum Beispiel hinsichtlich der Einordnung des Pflegebedarfs, keinen Raum lasse.
Einmal im Jahr geprüft und möglicherweise angepasst werden sollen die bestehenden Personaluntergrenzen im Krankenhaus. Zudem wird der Frist für die Vorlage des Evaluationsberichts zu den Pflegepersonaluntergrenzen wegen der Coronapandemie um ein Jahr auf Ende 2023 verschoben.
Ein weiteres Projekt für die Zukunft ist die Notfallversorgung. Dazu hatte Bundesgesundheitsminister Spahn eigentlich eine größer angelegte Reform geplant, die allerdings wegen der Coronapandemie nicht weiter verfolgt wurde. Stattdessen hat der Bundestag den G-BA dazu verpflichtet, eine standardisierte Ersteinschätzung in der ambulanten Notfallversorgung auf den Weg zu bringen. Diese soll unter anderem Vorgaben zur Qualifikation des medizinischen Personals enthalten, das die Ersteinschätzung vornimmt. Zudem sollen darin die Fälle bestimmt werden, „in denen bei der Feststellung des Nichtvorliegens eines sofortigen Behandlungsbedarfs ein Arzt oder eine Ärztin darüber zu entscheiden hat, dass die Patientin und der Patient nicht vor Ort versorgt werden muss“. Der G-BA soll dabei die bereits in den zentralen Notaufnahmen vorhandenen Verfahren zur Behandlungspriorisierung berücksichtigen.
Finanzierung für Beratung
Im Bereich der Krankenhausversorgung soll die Patientenbefragung weiterentwickelt sowie der Anspruch auf weitere planbare Eingriffe erweitert werden. Hier soll der G-BA die entsprechenden Indikationen festlegen. Auch bei der Tabakentwöhnung wird der G-BA künftig tätig: So sollen evidenzbasierte Entwöhnungsprogramme künftig einmalig für GKV-Versicherte gezahlt werden. Die Rahmenbedingungen wird der G-BA in den kommenden zwei Jahren festlegen. Dieses Programm kann nach drei Jahren noch einmal wiederholt werden. Ebenso soll der G-BA den Anspruch von Versicherten auf Zweitmeinungen bei weiteren planbaren Eingriffen festlegen.
Zusätzlich legt das Gesetz den Krankenkassen zwei weitere Finanzierungen auf: So sollen die Krebsberatungsstellen besser finanziert werden. Der Gesamtbetrag von derzeit 21 Millionen Euro wird auf 42 Millionen Euro verdoppelt, anteilig beteiligt sich nun auch die private Krankenversicherung. Auch sollen sich die Krankenkassen künftig an der Finanzierung der Koordination von Aktivitäten in regionalen Hospiz- und Palliativnetzwerken beteiligen.
Außerdem: Patientenbefragungen im Krankenhaus werden weiterentwickelt und sollen künftig auch digital erfolgen können.
Vor Inkrafttreten wird das Gesetz Ende Juni vom Bundesrat zur Kenntnis genommen.
Rebecca Beerheide, Falk Osterloh
KBV und SpiFa kritisieren MGV-Bereinigung
Die KBV und der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (SpiFa) übten im Vorfeld der abschließenden Beratung des GVWG Kritik an den Anpassungen der partiellen Bereinigung der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV). Hintergrund ist eine Regelung aus dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), wonach bestimmte Leistungen, welche hauptsächlich aus den Terminservicestellen (TSS) entstehen, gesondert vergütet werden sollten. Damit wollte die Bundesregierung unter anderem offene Sprechstunden sowie die Terminvergabe durch die TSS fördern. In diesem Zusammenhang sollte eine Bereinigung der MGV um die Leistungsbestandteile erfolgen, welche zuvor schon Teil ebendieser waren – Krankenkassenverbände hatten darauf verwiesen, dass es hierbei aufgrund verschiedener Faktoren zu einer Unterschätzung der zu bereinigenden Summen gekommen sein könnte. Im Rahmen des GVWG wurden nun die Bereinigungsmechanismen abgeändert. So soll laut Begründung gewährleistet werden, „dass die nicht geplante Unterbereinigung auf das im TSVG vorgesehene Niveau abgesenkt wird.” Die GKV werde um etwa zwei Milliarden Euro entlastet – bei den vertragsärztlichen Leistungserbringern verblieben rund 500 Millionen Euro an Mehrhonorar. Laut KBV seien Festlegungen zum Korrekturverfahren auf Bundesebene nicht zielgenau und könnten nicht alle regionalen Spezifitäten abbilden. Zudem lägen der Bundesebene hierfür nicht die erforderlichen Daten vor. aha
Paulukat, Dirk