MEDIZINREPORT
SARS-CoV-2: Long COVID in der Pädiatrie
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Die meisten Kinder und Jugendlichen haben eine SARS-CoV-2-Infektion gut bewältigen können. Dennoch sind einige von ihnen von den Folgen im Sinne eines Long COVID betroffen. Dieses Beschwerdebild gilt es – nicht zuletzt im Hinblick auf psychische Auswirkungen der Pandemiemaßnahmen selbst – diagnostisch sorgfältig abzugrenzen.
Schon früh wurden bei einem Teil der erwachsenen COVID-19-Patienten eine Persistenz der Symptome oder andere Beschwerden nach einer durchgestandenen SARS-CoV-2-Infektion beschrieben. Wichtig ist hierbei, dass sich dieser als „Long COVID“ bezeichnete Symptomenkomplex auch nach initial mildem Verlauf etablieren kann (1).
Long COVID umfasst ein breites Spektrum verschiedener, zum Teil unspezifischer subjektiver Beschwerden und objektiver Befunde. Es ist bisher ungenau definiert – auch in Bezug auf den zeitlichen Verlauf. Zu Kindern und Jugendlichen gibt es trotz weltweit mehrerer Millionen dokumentierter SARS-CoV-2-Infektionen in dieser Altersgruppe kaum Evidenz, vor allem keine systematischen Studien.
Die Tatsache, dass vor allem durch Viren verursachte Infektionen prinzipiell zu persistierenden Symptomen führen können, ist gut bekannt. Dies ist zum Beispiel nach Denguefieber, Influenza, anderen Coronaviruserkrankungen oder bei Adoleszenten vor allem nach Pfeifferschem Drüsenfieber durch Epstein-Barr-Virus (EBV) bekannt.
Postvirale Chronische Fatigue
Leitsymptome sind Erschöpfung (Fatigue) und Belastungsintoleranz, sowie eine Symptomverschlechterung nach geringer Anstrengung. Letzteres wird als „post-exertionelle Malaise“, kurz PEM, bezeichnet.
Typische Beschwerden sind außerdem Schlafstörungen, Kopf-, Bauch-, Muskel- und Gliederschmerzen, neurokognitive Symptome wie Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Licht- und Lärmempfindlichkeit, vegetative Symptome, etwa Kreislaufprobleme, Störungen der Wärmeregulation oder auch grippale Symptome wie Halsschmerzen und geschwollene Lymphknoten. Falls sich differenzialdiagnostisch keine andere Ursache der Symptome findet, die Krankheitsdauer länger als 3 (Kinder, Jugendliche) beziehungsweise 6 (Erwachsene) Monate beträgt und definierte klinische Kriterien erfüllt sind, wird die Diagnose eines postinfektiösen Chronischen Fatigue-Syndroms, kurz CFS, gestellt. Dies ist auch unter dem Synonym Myalgische Encephalomyelitis (ME) bekannt und wird unter ICD-10 G93.3 kodiert.
In einer amerikanischen Studie wurde 6, 12 und 24 Monate nach Pfeifferschem Drüsenfieber durch EBV bei 13 %, 7 % und 4 % der betroffenen Jugendlichen ein ME/CFS diagnostiziert – was zudem die Erholungslatenz widerspiegelt (2).
Es ist nicht verwunderlich, dass Verläufe mit komplexer, langwieriger Symptomatik auch nach SARS-CoV-2-Infektion beschrieben werden. Auf länger als 4 Wochen persistierende Symptome haben zuerst Betroffene aufmerksam gemacht und dafür den Begriff „Long COVID“ geprägt (3). Wie die akute Erkrankung COVID-19 kann auch Long COVID unterschiedliche Organsysteme betreffen und respiratorische, kardiologische, neurologische, nephrologische, gastrointestinale, immunologische und vaskulitische Symptome zeigen, die zum Teil mit nachweisbaren Organveränderungen oder messbaren Funktionsstörungen einhergehen.
Anstelle des von Betroffenen geprägten Begriffs Long COVID wurde die Bezeichnung „Post-COVID-19-Zustand“ oder „Post-acute sequelae of COVID (PASC)“ vorgeschlagen, bei mehr als 3 Monate Dauer auch „Chronisches COVID-Syndrom“ (CCS). Post-COVID-Symptome werden in der ICD-10-Klassifikation unter U09.9 kodiert. Wenn zusätzlich die Diagnosekriterien für ME/CFS erfüllt sind, sollte der Terminus Post-COVID-CFS gewählt werden (hierfür lautet die Kodierung ICD-10 G93.3).
Differenzialdiagnose schwierig
Besonders bedeutsam ist ein sorgfältiger Ausschluss anderer Krankheitsursachen. Unter anderem müssen pandemiebedingte psychische und somatische Folgen der zum Teil ausgeprägten Belastungen für Kinder und deren Familien sorgfältig differenzialdiagnostisch abgegrenzt werden. Letztere sind nicht immer klar von Long COVID zu trennen. Aber auch Kinder und Jugendliche können von Long COVID schwer und lange betroffen sein (4).
In seltenen Fällen können Kinder außerdem ein von den oben beschriebenen Manifestationen unabhängiges und nahezu ausschließlich für diese Altersgruppe spezifisches Krankheitsbild entwickeln, das durch eine übermäßig gesteigerte Inflammationsreaktion gekennzeichnet ist, das „Paediatric Inflammatory Multisystem Syndrome“ (PIMS) oder „Multisystem Inflammatory Syndrome in Children“ (MIS-C). Hierbei handelt es sich um ein hochakutes Krankheitsbild, das sich aus völliger Gesundheit heraus wenige Wochen nach einer klinisch manifesten, aber auch nach inapparenter SARS-CoV-2-Infektion entwickeln kann (5).
Im Gegensatz zu PIMS schildern die wenigen Berichte zu Long COVID bei Kindern und Jugendlichen eine Symptompersistenz im direkten Anschluss an eine SARS-CoV-2-Infektion. Eine Umfrage aus Großbritannien ergab, dass etwa 10–15 % der erfassten Kinder und Jugendlichen 5 Wochen nach der akuten Infektion noch mindestens ein persistierendes Symptom aufwies (Abb. 1). Die häufigsten Beschwerden aller Altersgruppen waren Müdigkeit, Schlafstörungen, Husten, Kopfschmerzen, Myalgien, aber auch Konzentrationsstörungen sowie ein persistierender Verlust des Geruchs- oder Geschmackssinns (6).
In einer Studie aus Italien berichteten 162,5 (± 113,7) Tage nach COVID-19 noch 46 von 129 befragten Kindern und Jugendlichen (Durchschnittsalter 11 ± 4,4 Jahre) über mindestens eines der untersuchten Symptome, wobei die Ergebnisse dieser Studie zum Teil inkonsistent sind und über keine geeignete Kontrollgruppe verfügen (7). Beispielsweise wird als häufigstes Symptom Fatigue angegeben. Zwar litten tatsächlich 14 Teilnehmer nach COVID-19 an einer stärkeren Fatigue-Symptomatik als zuvor. Allerdings berichteten auch 17 der Betroffenen nach der Diagnose von COVID-19 von einer Besserung der vorher bestehenden Fatigue-Symptomatik.
Bisher wenig Daten zu Kindern
Ein anderer Survey beschreibt 510 Kinder und Jugendliche mit länger als 4 Wochen persistierenden Symptomen nach gesicherter oder vermuteter COVID-19, darunter 196 jünger als 10 Jahre. Nur 22 Patienten waren initial hospitalisiert; insgesamt 320 konnten über mindestens 7 Monate beobachtet werden (8). Bei einigen Betroffenen waren die Symptome anhaltend, bei anderen zeigten sich Rückfälle nach Phasen der Besserung oder vorübergehender Erholung.
Nur circa 10 % der Kinder und Jugendlichen waren zum Zeitpunkt des Berichts (nach mindestens 7 Monaten) wieder so aktiv wie vor ihrer Erkrankung. Hauptsächlich wurde über Müdigkeit, Schwäche, Fatigue, Kopf-, Bauch-, Muskel- und Gelenkschmerzen sowie Hautausschläge geklagt. Bei mehr als der Hälfte fand sich die für postinfektiöse Fatigue und ME/CFS typische PEM. Allerdings lagen keine Informationen zur Dauer der PEM vor, die bei ME/CFS definitionsgemäß mindestens 14 (24) Stunden beträgt.
Insgesamt ist zu solchen Fallserien und Erhebungen kritisch zu diskutieren, dass die erhobenen Ergebnisse nicht zur Häufigkeit vergleichbarer Symptome in der Normalbevölkerung in Bezug gestellt werden und nicht für Einflussfaktoren der SARS-CoV-2-Pandemie selbst kontrolliert sind. So werden in anderen Studien auch ohne Long-COVID-Bezug in einem hohen Prozentsatz der Kinder und Jugendlichen Belastungen und unspezifische Beschwerden wie Kopfschmerzen und Abgeschlagenheit beschrieben (9).
Diese kritische Bewertung soll nicht die Existenz von Long COVID bei Kindern und Jugendlichen in Abrede stellen. Sie zeigt aber, dass systematische und prospektive Studien mit klar definierten klinischen Diagnosekriterien und Kontrollgruppen notwendig sind, um belastbare Daten zu gewinnen und Eltern evidenzbasiert beraten zu können (Kasten). In der „LongCOVIDKids“-Selbsthilfegruppe unterstützen sich Eltern und junge Betroffene gegenseitig und engagieren sich für altersspezifische Öffentlichkeitsarbeit (10).
Situation in Deutschland
Da in Deutschland vermutlich zunächst weniger Kinder von COVID-19 betroffen waren als in den USA und Großbritannien und erst seit der 2 Welle mehr Kinder daran erkrankten, ist mit zunehmenden Long-COVID-Fallzahlen auch in Deutschland zu rechnen. Nach eigenen Erfahrungen sowie durch informelle Umfragen bei niedergelassenen Kinder- und Jugendärzten und -ärztinnen scheinen Long-COVID-Verläufe bei Kindern/Jugendlichen in Deutschland bisher jedenfalls noch selten zu sein.
Allerdings melden sich vermehrt betroffene Adoleszente und junge Erwachsene in den Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin. Dort muss eine sorgfältige multidisziplinäre Differenzialdiagnostik erfolgen, um Long COVID von anderen Kranheitsursachen und den Folgen der allgemeinen Belastungssituation der Kinder und Jugendlichen durch die Pandemie abzugrenzen.
Long-COVID-Symptome bei Kindern und Jugendlichen sollten daher auch in Deutschland systematisch erfasst, unterschiedliche Subgruppen definiert und deren mögliche Risikofaktoren identifiziert werden. Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) hat deshalb seit dem 11. April 2021 unter Federführung der Kinderklinik der TU Dresden einen Online-Survey eingerichtet, in das insbesondere auch niedergelassene Pädiater und andere Kollegen Fälle melden können.
Zudem wird das Post-COVID-CFS im Vergleich zu CFS nach Pfeifferschem Drüsenfieber in den MUC-CFS-Studien der Kinderklinik der TUM näher untersucht. Schließlich wird in Kooperation mit dem Charité Fatigue Centrum (CFC) eine multizentrische Registerstudie mit Biobank etabliert, um diese Krankheitsbilder und andere Formen von ME/CFS altersübergreifend genauer zu beschreiben und Biomarker sowie Therapieansätze zu identifizieren.
Kinder- und Jugendärzte in Deutschland sollten sich auf ein Auftreten von Long COVID im Kindes- und Jugendalter vorbereiten und den Patienten und ihren Familien informierte Ansprechpartner sein. Dazu sollten die diagnostischen Abläufe, die Diagnosekriterien und Behandlungsempfehlungen für diese Betroffenen festgelegt und diese Informationen an alle deutschen Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin und niedergelassenen Kinder-, Jugend- und Hausärzte weitergegeben werden.
Mehr Forschung ist notwendig
Die Betreuung komplexerer Fälle sollte interdisziplinär in geeigneten Zentren erfolgen, an denen die für die Differenzialdiagnostik erforderlichen Expertisen aus der pädiatrischen Infektiologie, Kardiologie, Pneumologie, Neurologie, Immunologie und Rheumatologie verfügbar sind. Gleichzeitig mit der Aufklärung und deutschlandweiten Registrierung der Betroffenen ist es notwendig, öffentliche Fördermittel bereitzustellen, um Long COVID auch bei Kindern und Jugendlichen effizient zu erforschen.
Prof. Dr. med. Johannes Hübner,
Abteilung Pädiatrische Infektiologie Dr. von Hauner’sche Kinderklinik, LMU München
Prof. Dr. med. Uta Behrends,
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
Klinikum rechts der Isar der TU München
Prof. Dr. med. Dominik Schneider,
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin,
Klinikum Dortmund
Dr. med. Thomas Fischbach,
Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte BVKJ e.V, Köln
Prof. Dr. med. Reinhard Berner,
Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Dresden
Interessenkonflikte:
Prof. Hübner gibt an, Vortragshonorare von AstraZeneca und Forschungsunterstützung vom BMBF und dem Freistaat Bayern erhalten zu haben.
Prof. Behrends gibt an, Drittmittelgelder der gemeinnützige Weidenhammer-Zöbele-Stiftung erhalten zu haben.
Die übrigen Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
Dieser Artikel unterliegt nicht dem Peer-Review-Verfahren.
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit2421
oder über QR-Code.
Lockdownschaden und Long COVID
In einer aktuellen deutschen Studie mit 1 560 Schülern und Schülerinnen der 8. bis 12. Klasse (Altersmedian
15 Jahre) in Dresden und Umland hatte eine Gruppe eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht, die Vergleichsgruppe hatte sich nicht angesteckt (11). Sie waren nach Symptomen wie Konzentrationsschwierigkeiten, Gedächtnisverlust, Teilnahmslosigkeit, Kopf- und Bauchschmerzen, Myalgien, Arthralgien, Fatigue, Schlaflosigkeit und emotionalen Verstimmungen gefragt worden. Jedes einzelne Symptom trat bei mindestens 35 % der Schüler in der letzten Woche vor der Befragung auf.
Allerdings gab es keinen Unterschied in der Symptomhäufigkeit zwischen den seropositiven (1 365) und den seronegativen Teilnehmern (188). Es machte zudem keinen Unterschied, ob die Befragten wussten, dass sie infiziert waren, oder keine Kenntnis davon hatten. Die Autorengruppe der Kinderklinik am Universitätsklinikum in Dresden um Dr. med. Judith Blankenburg schlussfolgert, dass Long COVID seltener bei Kindern und Jugendlichen vorkomme als bisher angenommen. Zudem formuliert sie als Fazit, dass die Resultate insbesondere einen großen Einfluss von Pandemiemaßnahmen wie dem langen Lockdown selbst auf das Wohlbefinden und die geistige Gesundheit der Schüler dokumentieren. mls
1. | Ludvigsson JF: Systematic review of COVID-19 in children shows milder cases and a better prognosis than adults. Acta Paediatr 2020; 109 (6): 1088–95 CrossRef |
2. | Katz BZ, Shiraishi Y, Mears CJ, et al.: Chronic fatigue syndrome after infectious mononucleosis in adolescents. Pediatrics Juli 2009; 124 (1): 189–93 CrossRef |
3. | Lenzen-Schulte M: Long-COVID: Eigenes Erleben schlägt Evidenz. Dtsch Arztebl 2020; 117 (49): A-2422/B-2041 VOLLTEXT |
4. | Ludvigsson JF: Case report and systematic review suggest that children may experience similar long-term effects to adults after clinical COVID-19. Acta Paediatr März 2021;11 0(3): 914–21 CrossRef |
5. | Hoste L, Van Paemel R, Haerynck F: Multisystem inflammatory syndrome in children related to COVID-19: a systematic review. Eur J Pediatr 18. Februar 2021; 1–16 doi: 10.1007/s00431–021–03993–5 (last accessed on 2 June 2021) CrossRef CrossRef |
6. | https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/962830/s1079-ons-update-on-long-covid-prevalence-estimate.pdf (last accessed on 10 June 2021). |
7. | Buonsenso D, Munblit D, De Rose C, et al.: Preliminary evidence on long COVID in children. Acta Paediatr 9. April 2021 (online ahead of print); doi: 10.1111/apa.15870 (last accessed on 2 June 2021) CrossRef |
8. | Buonsenso D, Espuny Pujol F, Munblit D, et al.: Clinical Characteristics, Activity Levels and Mental Health Problems in Children with Long COVID: A Survey of 510 Children. Preprints 2021, 2021030271. doi: 10.20944/preprints202103.0271.v1 (last accessed on 10 June 2021) CrossRef |
9. | COPSY-Längsschnittstudie zu den Auswir-kungen und Folgen der COVID-19-Pandemie auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland: https://www.uke.de/kliniken . |
10. | Long Covid Kids org – Support Group/Selbsthilfe Gruppe für Eltern und Gesund-heitsberufe: https://de.longcovidkids.org/ (last accessed on 2 June 2021). |
11. | Blankenburg J, Wekenborg MK, Reichert J, et al.: Mental health of Adolescents in the Pandemic: Long-COVID19 or Long-Pandemic Syndrome? Preprint 11. Mai 2021. doi: 10.1101/2021.05.11.21257037. https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.05.11.21257037v1 (last accessed on 2 June 2021). |