MEDIZINREPORT
Saugglockengeburt: Dammschnitt gegen anale Risse


Geburtshelfer und Hebammen bemühen sich seit Langem, die Episiotomierate bei der natürlichen Geburt gering zu halten – auch, um Verletzungen der Schließmuskeln am Anus zu verhindern. Bei der Vakuumgeburt könnte der Dammschnitt jedoch helfen, das Risiko für Sphinkterrisse zu senken.
Unter den 521 333 natürlichen Geburten im Jahr 2019 in Deutschland waren insgesamt 52 829 vaginal-operative Entbindungen (1). Da bei diesen überwiegend der Vakuumsog eingesetzt wird, muss rund jede zehnte Schwangere bei einer natürlichen Geburt mit jenen Verletzungen rechnen, die nach einer Saugglockengeburt eher drohen als nach unkomplizierter Entbindung.
Dazu zählen insbesondere Einrisse des äußeren und inneren Schließmuskels am Darmausgang (Obstetric Anal Sphinkter Injuries, OASIS), der Hauptursache für eine Analinkontinenz bei der Frau. In der deutschen Terminologie sind hiermit höhergradige Dammrisse gemeint, wobei die Tiefe der Verletzungen sich danach richtet, ob und wie stark die M. sphinkter ani externus und internus (Grad III) betroffen sind oder zusätzlich die Rektumschleimhaut eröffnet ist (Grad IV).
Vor Sphinkterschäden bewahrt
Manche Übersichtsarbeiten beziffern den Anteil der Frauen mit OASIS nach Saugglockengeburten auf bis zu 28 % (2). Vor solchen Schäden könnte ein Dammschnitt bewahren, wie jetzt eine hochrangig publizierte, populationsbasierte Studie aus Schweden nahelegt (3).
Das Ärzteteam um PD Dr. med. Sophia Brismar Wendel, Chefärztin der Frauenklinik am Karolinska Institut in Stockholm, hat hierfür die Daten von 63 654 Erstgebärenden nach Vakuumgeburt von Einzelkindern in den Jahren 2000–2011 ausgewertet. Eine laterale oder medio-laterale Episiotomie – der richtige Schnittwinkel ist für das Resultat wichtig – reduzierte die OASIS-Rate von 15,5 % auf 11,8 %. Um bei einer Schwangeren einen Schließmuskelschaden abzuwenden, mussten 27 Dammschnitte vorgenommen werden.
Alsbald warnten Skeptiker in einer Antwort auf diese Resultate vor einer Ausweitung der Dammschnittrate in dieser Konstellation (4). Andere Kommentatoren, darunter der Nestor der britischen Urogynäkologie, Professor Abdul Hameed Sultan, betonen, es gebe nun endlich genügend Evidenz, um von einer nachweislichen Protektion der Schließmuskeln durch eine Episiotomie bei Saugglockengeburten sprechen zu dürfen (5).
Tatsächlich gehen die Ansichten der Fachwelt über den Nutzen von Dammschnitten vor dem Einsatz der Saugglocke auseinander. Die aktuelle deutsche S3-Leitlinie zur natürlichen Geburt befürwortet wie Sultan und andere internationale Fachgremien eine liberale Indikation: „Insofern kann eine Episiotomie bei instrumenteller Geburt (hier v. a. Forcepsentbindung) großzügig erwogen werden“, heißt es darin (6). Für die Zangen- oder Forcepsentbindung wird dies eigens betont, weil hier die Risikoreduktion für OASIS noch klarer zutage tritt.
In einem Papier der Weltgesundheitsorganisation WHO zur Versorgung der Schwangeren heißt es indes, die Rolle der Episiotomie bei vaginal-operativen Eingriffen sei noch nicht vollständig geklärt (7).
Das hat unter anderem damit zu tun, dass der Dammschnitt als solcher als eigener Risikofaktor für Schließmuskeldefekte gilt (8). Dies ist insbesondere bei einer medianen Schnittrichtung der Fall, die genau von der Mitte der hinteren Scheidenkommissur gerade auf den Anus zielt und infolgedessen zum Darmausgang hin weiter reißen kann.
Empfohlen wird daher die medio-laterale Schnittführung. Hier durchtrennt man die Haut sowie die M. transversus perinei superficialis und bulbospongiosus, indem man von der hinteren Scheidenkommissur aus in einem 60°-Winkel in Richtung Tuber ischiadicum einschneidet. Dann gibt es noch die laterale Episiotomie, hier liegt schon der Ansatz seitlich der Kommissur.
Die mediane Episiotomie sollte auch hierzulande obsolet sein, ist es jedoch nicht (9). Ausweislich der Daten des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) wurden 2019 in Deutschland von 87 398 Dammschnitten immerhin noch 8 117 in medianer Schnittrichtung vorgenommen (1).
Scham und Sexualstörungen
Neben den akuten Wundkomplikationen geht die Episiotomie langfristig mit einer Dyspareunie, also Schmerzen beim Sexualverkehr, einher. Es ist eine Wahl zwischen Skylla und Charybdis, denn nach OASIS leiden die Frauen häufig unter analer Inkontinenz. Sie fühlen sich wegen der Flatulenzen oder des Verlustes von flüssigem oder gar festem Stuhl sozial stigmatisiert und haben häufig nur noch ein schambehaftetes, unbefriedigendes Sexualleben (10).
Da solche Symptome noch immer stark tabuisiert sind, sprechen die Patientinnen dies selbst gegenüber Ärzten immer noch selten an. Ein Team um PD Dr. med. Miriam Deniz von der Universitätsfrauenklinik in Ulm fordert daher in einer aktuellen Publikation zum Thema OASIS die Kollegen auf, aktiv nach dieser durchaus häufigen Symptomatik zu fahnden (11). Dr. med. Martina Lenzen-Schulte
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit2521
oder über QR-Code.
1. | Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG): Bundesauswertung zum Erfassungsjahr 2019 Geburtshilfe/14. Juli 2020 https://iqtig.org/downloads/auswertung/2019/16n1gebh/QSKH_16n1-GEBH_2019_BUAW_V02_2020-07-14.pdf (last accessed on 17 June 2021) |
2. | Lund NS, Persson LK, Jangö H, et al.: Episiotomy in vacuum-assisted delivery affects the risk of obstetric anal sphincter injury: a systematic review and meta-analysis. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol 2016; 207: 193–9 CrossRef MEDLINE |
3. | Ankarcrona V, Zhao H, Jacobsson B, Brismar Wendel S: Obstetric anal sphincter injury after episiotomy in vacuum extraction: an epidemiological study using an emulated randomised trial approach. BJOG. 2021 Feb 4 doi: 10.1111/1471–0528.16663 (last accessed on 17 June 2021) CrossRef MEDLINE |
4. | Boujenah J, Beddock R, Harvey T: Re: obstetric anal sphincter injury after episiotomy in vacuum extraction: an epidemiological study using an emulated randomised trial approach: robustness and external validity of different practices. BJOG. 2021 Jun 11. doi: 10.1111/1471–0528.16766 (last accessed on 17 June 2021) CrossRef MEDLINE |
5. | Sultan AH, De Leeuw JW: Episiotomy and operative vaginal delivery – Do wie need more evidence? BJOG. 2021 May 31. doi: 10.1111/1471–0528.16783 (last accessed on 17 June 2021) CrossRef MEDLINE |
6. | S3-Leitlinie Vaginale Geburt am Termin (22.12.2020). AWMF-Register Nr.015/083 https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/015-083k_S3_Vaginale-Geburt-am-Termin_2021-01_1.pdf (last accessed on 17 June 2021). |
7. | Sultan AH, Thakar R, Ismail KM, et al.: The role of mediolateral episiotomy during operative vaginal delivery. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol 2019; 240: 192–6 CrossRef MEDLINE |
8. | Meyer R: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/69283/Geburtshilfe-US-Fachgesellschaft-raet-grundsaetzlich-von-Episiotomie-ab |
9. | Sonnenburg T, Uhlig N, Köhler U: Die Episiotomie – noch zeitgemäß? Ärzteblatt Sachsen 2020; 10: 30 |
10. | Darmody E, Bradshaw C, Atkinson S: Women‘s experience of obstetric anal sphincter injury following childbirth: An integrated review. Midwifery. 2020;91:102820. doi: 10.1016/j.midw.2020.102820 (last accessed on 17 June 2021) CrossRef MEDLINE |
11. | Schütze S, Hohlfeld B, Friedl TWP, et al.: Fishing for (in)continence: long-term follow-up of women with OASIS-still a taboo. Arch Gynecol Obstet. 2021; 303 (4): 987–97 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
Wenderlein, J. M.