MEDIZINREPORT
Diabetestechnologien: Potenzial in allen Lebensphasen


Verbesserungen der Sensorgenauigkeit, mehr Komfort und Benutzerfreundlichkeit sowie eine Ausweitung der Kostenerstattung haben zu einer zunehmenden Akzeptanz der kontinuierlichen Glukosemessung geführt – auch in verschiedenen Lebensphasen wie Kindheit, Schwangerschaft und Alter.
Ob Kleinkind, Grundschulkind oder Teenager – die Anforderungen, die junge Patienten an Diabetestechnologie stellen, sind in den verschiedenen Altersklassen sehr ähnlich: Ein attraktives digitales System zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) zeichnet sich durch seine Funktionen und Anwenderfreundlichkeit aus. Dazu zählen etwa eine einfache Anzeige mit Farbkodierung für Werte und Trends sowie eine Follower-Funktion für die Eltern des Kindes.
Insulinpumpen punkten durch flexible Konnektivität, kleine Größe, Vielfalt an Kathetern sowie eine einfache Bedienung. Junge Diabetespatienten wünschen sich außerdem vor allem frei kombinierbare, kleine, diskrete, stabil arbeitende Produkte mit wenig Fehlalarmen und hohem Automatisierungsgrad. „Umso jünger ein Kind bei Erstmanifestation sei, desto passgenauer sollte das CGM-System sein“, sagte Dr. med. Simone von Sengbusch von der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, beim diesjährigen virtuellen Kongress der Deutschen Diabetes Gesellschaft.
„Freundliche“ Technik für Kinder
Ein patientenfreundliches CGM-System verfüge über eine möglichst kurze Einführnadel, stabile Performance, wenig Fehlalarme, Apps zum Mitlesen und hautfreundliche Pflaster, nannte Dr. von Sengbusch. Vorteilhaft wären darüber hinaus Upgrade-fähige Pumpen, um einen schnellen Zugang zu den Fortschritten im Bereich der Diabetestechnologien zu ermöglichen. „Die positive Datenlage zu Insulinpumpen und sensorgestützten Insulinpumpen hat das Potenzial, leitlinienrelevante Veränderungen herbeizuführen“, prognostizierte von Sengbusch.
Es hat sich mittlerweile gezeigt, dass eine kontinuierliche subkutane Infusionstherapie per Insulinpumpe im Vergleich zu mehreren täglichen Insulininjektionen bei Kindern mit Typ-1-Diabetes mit einer verbesserten Stoffwechselkontrolle assoziiert ist. Unklar ist aber immer noch, wann nach der Erstdiagnose am besten mit einer Pumpentherapie begonnen werden sollte. Eine Studie an 311 Diabeteszentren in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Luxemburg untersuchte diese Fragestellung: 8 332 Patienten, die zum Zeitpunkt der Diabetesdiagnose 6 Monate bis 15 Jahre alt waren, erhielten entweder früh eine Insulinpumpentherapie (innerhalb der ersten 6 Monate) oder erst im 2. bis 3. Jahr (verzögerte Behandlung) nach der Diabetesdiagnose (1).
„Die Studienergebnisse liefern Hinweise auf ein verbessertes klinisches Outcome bei frühem Beginn einer Insulinpumpentherapie bei Kindern mit Typ-1-Diabetes“, resümierte von Sengbusch. So zeigten Patienten mit frühem Beginn der Insulinpumpentherapie im Vergleich zu Patienten mit verzögertem Beginn signifikant niedrigere mittlere HbA1c-Werte und niedrigere Raten an hypoglykämischen Schocks und Krankenhauseinweisungen. Darüber hinaus war bei Patienten mit frühzeitigem Beginn der Pumpentherapie ein besseres kardiovaskuläres Risikoprofil zu beobachten: ein niedrigerer systolischer Blutdruck und ein niedrigeres HDL-Cholesterin. Diastolischer Blutdruck, LDL- und Nicht-HDL-Cholesterin sowie Triglyceride und Body-Mass-Index (BMI) unterschieden sich jedoch nicht signifikant (1). „Problematisch ist, dass nicht alle Pumpen oder Pumpen-Sensor-Kombinationen für alle Altersklassen zugelassen sind“, sagte von Sengbusch. Bei Patienten unter 6 Jahren könne aber unter Umständen ein individueller Heilversuch unternommen werden, wenn beispielsweise die Standardtherapie nicht anschlage, eine nachhaltige Besserung des Krankheitsbildes in Aussicht stehe und der Nutzen die Risiken deutlich überwiege. „In solchen Fällen ist außerdem eine Abklärung der Kostenübernahme mit der Krankenkasse, eine lückenlose Dokumentation (inklusive der schriftlichen Einwilligung der Eltern) sowie eine engmaschige Nachbetreuung vonnöten“, so die Pädiaterin.
Option auch für Schwangere
Bei ungefähr 6 % der schwangeren Frauen tritt in der Schwangerschaft ein Diabetes auf. Die Behandlung des Gestationsdiabetes verringert die Inzidenz von Präeklampsie, Schulterdystokie, Frühgeburtlichkeit und Makrosomie. Reichen Änderungen des Lebensstils nicht aus, sollte eine medikamentöse Blutzuckereinstellung erfolgen.
Bei der Behandlung von Schwangeren mit präkonzeptionellem Diabetes mellitus können CGM-Systeme insbesondere beim Typ 1, wahrscheinlich aber auch beim Typ 2, Vorteile für die Stoffwechseleinstellung haben. Dies zeigte unter anderem ein Review von 3 randomisierten Studien: Frauen mit Typ-1-Diabetes in der Schwangerschaft hatten darin unter CGM eine verbesserte glykämische Kontrolle, zudem war das Outcome für die Neugeborenen besser: Eine CGM war mit einer stärkeren Reduktion des HbA1c, mehr Zeit im Zielbereich und einer Verringerung ungünstiger neonataler Ergebnisse verbunden (2).
Dr. med. Matthias Kaltheuner, Facharzt für Innere Medizin am Diabetes-Zentrum Leverkusen, wies aber noch auf weitere Vorteile von CGM hin, etwa die Vollerfassung (24/7) der Blutzuckerprofile einschließlich der nächtlichen sowie prä- und postprandialen Verläufe. „Die Übertragung der Daten in eine Cloud und die entsprechenden Auswertungsfunktionen bieten eine ideale Lösung beispielsweise auch für telemedizinische Behandlungsoptionen“, so seine Einschätzung.
Bis dato kommen CGM-Technologien bei Schwangeren mit Diabetes mellitus noch relativ selten zum Einsatz. Schon die Verordnung von Blutzuckermessgeräten könne eine Herausforderung darstellen, da die Kostenübernahme oft unklar sei, berichtete Kaltheuner. Außerdem fehle es an klar vereinbarten glykämischen Zielen, was die Gefahr einer Überkorrektur berge.
Während die Real-Time-(rt-)CGM ihre Wirksamkeit hinsichtlich Blutzuckerkontrolle und Vermeidung von Hypoglykämien bewiesen hat, sind die Daten zu patientenbezogenen Endpunkten wie Wohlbefinden, Lebensqualität und Krankheitsbelastung noch nicht schlüssig. Oft fallen die Effekte geringer aus als bei den glykämischen Parametern (3).
Dennoch versprechen neuere Gerätegenerationen mit kontinuierlicher subkutaner Insulininfusion und sensorverstärkte Pumpensysteme eine deutliche Verbesserung der diabetesbezogenen Lebensqualität. Eine intensive Beratung und Schulung sowie engmaschige Kontrollen tragen dabei zu einem größeren Wohlbefinden der Patienten bei (4).
Auch bei älteren Menschen mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes kann Diabetestechnologie von Nutzen sein. Das gelte für Blutzuckereinstellung und Hypoglykämierisiko ebenso wie für die Lebensqualität, betonte Dr. med. Alexander Friedl, Ärztlicher Leiter des Geriatrischen Zentrums am Klinikum Stuttgart.
Kognition ist limitierender Faktor
Doch kognitive, motorische und psychische Einschränkungen sowie Seh- und Hörprobleme können die Einsatzmöglichkeiten limitieren. Patienten mit Diabetes mellitus hätten etwa doppelt so häufig eine Demenz als Nichtdiabetespatienten, gab er zu bedenken. Und kognitive Einschränkungen gehen bei Diabetes mit einem deutlich erhöhten Risiko für Hypoglykämien einher. Hinzu kommt, dass Ältere oft wenig Übung mit neuen Technologien haben. Der Nutzen von Diabetestechnologien müsse individuell beurteilt und regelmäßig überprüft werden und zwar je nach den aktuellen Fähigkeiten und Gegebenheiten, so Friedls Rat.
Die Diabetestechnologien sollten zudem dem Alter entsprechend angepasst sein: ein großer, gut ausgeleuchteter Bildschirm, ein großes Bedienfeld und gut hörbare Warntöne. Zur besseren Orientierung in der Praxis fehlten aber, so Friedl, derzeit noch konkrete Leitlinien zum Einsatz von Diabetestechnologien in der älteren Bevölkerung (5). Dr. rer. nat. Christine Willen
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit2521
oder über QR-Code.
1. | Kamrath C, Tittel SR, Kapellen TM, et al.: Early versus delayed insulin pump therapy in children with newly diagnosed type 1 diabetes: results from the multicentre, prospective diabetes follow-up DPV registry. Lancet Child Adolesc Health 2021; 5 (1): 17–25 CrossRef |
2. | Feig DS, Murphy HL: Continuous glucose monitoring in pregnant women with Type 1 diabetes: benefits for mothers, using pumps or pens, and their babies. Diabet Med 2018; 35 (4): 430–5 CrossRef MEDLINE |
3. | Ehrmann D, Heinemann L, Freckmann G, et al.: The Effects and Effect Sizes of Real-Time Continuous Glucose Monitoring on Patient-Reported Outcomes: A Secondary Analysis of the HypoDE Study. Diabetes Technol Ther 2019; 21 (2): 86–93 CrossRef MEDLINE |
4. | Polonsky WH: Psychosocial Aspects of Diabetes Technology: Adult Perspective. Endocrinol Metab Clin North Am 2020; 49 (1): 143–55 CrossRef MEDLINE |
5. | Toschi E, Munshi MN: Benefits and Challenges of Diabetes Technology Use in Older Adults. Endocrinol Metab Clin North Am 2020; 49 (1): 57–67 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
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