POLITIK
COVID-19-Pandemie: Pflegende deutlich häufiger krank
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Eine aktuelle Auswertung von AOK-Daten zeigt: Der ohnehin schon erhöhte Krankenstand von Pflegenden im Vergleich zu allen anderen Berufen ist in der Pandemie noch einmal angestiegen. Ein Grund dafür ist der schlechte Pflegeschlüssel in den Krankenhäusern.
Die SARS-CoV-2-Pandemie hat in nahezu allen Bereichen des Gesundheitswesens und insbesondere in den COVID-Bereichen der Krankenhäuser zu einer erheblichen physischen und psychischen Belastung der Mitarbeitenden geführt. Im Rahmen der zweiten und dritten Welle zeigten sich beispielsweise im Intensivregister der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) immer wieder erhebliche Einschränkungen der Versorgung durch einen progredienten Personalmangel auf den Intensivstationen.
Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, empirisch darzustellen, in welchem Ausmaß die Pandemie die Berufstätigen in der Pflege betrifft oder betroffen hat. Dazu wurden die Arbeitsunfähigkeitsdaten der mehr als 14 Millionen AOK-versicherten Erwerbstätigen analysiert, mit denen das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) die bisherige Entwicklung der Pandemie kontinuierlich überwachte (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7). Dabei wird deutlich, dass gerade die Pflegeberufe während der COVID-19-Pandemie im Vergleich zu anderen Berufsgruppen besonders stark betroffen waren. Schon vor Beginn der Pandemie zeigte die Gruppe der Pflegenden einen erhöhten Krankenstand im Vergleich zu allen anderen Berufen: Die Diskrepanz stieg von 1,2 Prozentpunkten im Jahr 2012 auf 1,5 Prozentpunkte im Jahr 2019 an (siehe eGrafik).
Höherer Krankenstand
In der Pandemie vergrößerte sich der Abstand zwischen Januar 2020 und April 2021 weiter. Im Mittel lag der Krankenstand aller AOK-versicherten Erwerbstätigen in diesem Zeitraum bei 5,4 Prozent, bei den Beschäftigten in den Pflegeberufen bei 7,0 Prozent (siehe Grafik 1). Während der Anteil der im Jahr 2012 angefallenen Arbeitsunfähigkeitstage bei den Pflegeberufen knapp ein Viertel (23,2 Prozent) über dem Durchschnitt aller Berufsgruppen lag, liegt er aktuell seit Januar 2020 fast ein Drittel (30,8 Prozent) über dem Durchschnitt aller Beschäftigten. Dies zeigt sich über alle Monate hinweg: Während der Krankenstand aller Arbeitstätigen während der Pandemie bei 4,4 bis 7,8 Prozent lag, war die der Pflegenden in jedem Monat substanziell höher und bewegte sich zwischen 6,0 und 9,1 Prozent. Die höchsten Krankenstände waren jeweils auf der Spitze der ersten und zweiten Welle zu verzeichnen.
Mehr Infektionen
Im Vergleich zu den anderen AOK-versicherten Erwerbstätigen fällt dabei in den Pflegeberufen eine deutlich höhere Zahl von SARS-CoV-2-Infektionen auf. Dazu wurden ausschließlich die auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dokumentierte Diagnose mit Nachweis des SARS-CoV-2-Virus (ICD-10 GM: U07.1) analysiert. Insbesondere in der ersten und zweiten Welle zeigt sich eine deutlich stärkere Betroffenheit unter den Beschäftigten in den Pflegeberufen (siehe Grafik 2).
Allerdings lässt sich nur mutmaßen, ob diese Infektionen auf eine arbeitsbedingte Exposition zurückzuführen sind oder ob sie im privaten Umfeld erworben wurden. Da die Diskrepanz zu den übrigen Berufsgruppen überproportional hoch ist, kann von einer nicht unerheblichen Zahl arbeitsbedingter Infektionen ausgegangen werden. Dies belegen auch aktuelle Zahlen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung zu den anerkannten COVID-19-Berufskrankheiten, denen zufolge COVID-19-Erkrankungen ein größeres Gesundheitsrisiko im Beruf darstellen als alle anderen Berufskrankheiten und Arbeitsunfälle zusammen. Besonders häufig erkrankten dabei Pflegende.
Schlechte Personalschlüssel
Wie gezeigt schlägt sich die enorme physische und psychische Belastung der täglichen pflegerischen Arbeit seit Jahren im Krankenstand der Pflegenden nieder (8, 9). Zumindest in den hoch belastenden Bereichen kann dies als ein Grund für die mangelnde Berufszufriedenheit gewertet werden. Eine entsprechende auch finanzielle Anerkennung der Arbeit sowie eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen erscheinen essenziell, um diesem Trend entgegenzuwirken. Der hohe Krankenstand in der Pflege während der COVID-19-Pandemie kann zudem als Indiz dafür gewertet werden, dass der Personalschlüssel in der Pflege in Deutschland so schlecht ist, dass es den Pflegenden in der Pandemie nicht immer möglich war, die Schutzmaßnahmen einzuhalten. Entscheidend ist daher eine schnelle Reduktion der Arbeitslast durch einen verbesserten Pflegeschlüssel und durch eine Objektivierung der Arbeitslast mithilfe eines Pflegebedarfsbemessungsinstruments. Denn man muss sich vor Augen führen, dass die Berufsmüdigkeit vieler Pflegender nach der Pandemie auf das zurzeit beginnende Austreten der Babyboomer-Generation aus dem Berufsleben trifft – ohne dass eine ausreichende Anzahl neuer Pflegenden in den Beruf eintritt. Ohne eine schnelle und umfassende Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege werden sich daher erhebliche Versorgungsengpässe nicht verhindern lassen.
Die SARS-CoV-2-Infektionen der Pflegekräfte und anderer Gesundheitsfachberufe sind seit März 2021 deutlich rückläufig, trotz einer starken dritten Infektionswelle durch die dominierende Alpha-Variante. Es ist zu vermuten, dass dieser Effekt auf den guten Impffortschritt unter den Mitarbeitenden des Gesundheitswesens zurückzuführen ist, der Ende 2020 begann. Erfreulich ist gerade auch der gute Impffortschritt unter den Pflegenden, der dazu geführt hat, dass sich die Infektionszahlen in der Berufsgruppe dem Bevölkerungsschnitt im April fast vollständig angenähert haben. Da sich dies aus den Zahlen nur indirekt ableiten lässt, ist ein zentrales Impfmonitoring nicht nur unter Beschäftigten im Gesundheitswesen und nicht nur für COVID-19 eine der wichtigen Zukunftsaufgaben. Angesichts der weltweiten Pandemie sollte zudem zügig ein optimiertes COVID-19- Monitoring aufgebaut werden. Denn aktuell werden Informationen über Getestete, Geimpfte und Genesene stark fragmentiert in verschiedenen Datentöpfen vorgehalten. Der von Versorgungsforschern vorgeschlagene Weg einer Ergänzung der GKV-Routinedaten mit den entsprechenden Informationen könnte das Wissen über den Stand der Pandemie und insofern auch die politischen Handlungsspielräume deutlich erweitern (10). Das Vorgehen anderer Staaten wie Großbritannien, Israel und der skandinavischen Länder zeigt, dass die Verzahnung dieser Daten schon heute möglich ist.
- Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2021; 118 (): A 1352–3.
Anschrift für die Verfasser:
Prof. Dr. med. Christian Karagiannidis
Kliniken Köln, Lungenklinik Köln-Merheim, ARDS und ECMO Zentrum
Ostmerheimer Straße 200, 51109 Köln
Christian.Karagiannidis@uni-wh.de
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit2721
eGrafik im Internet:
www.aerzteblatt.de/211352
oder über QR-Code.
Wissenschaftliches Institut der AOK: Schröder
Universitätsklinikum Frankfurt, Betriebsärztlicher Dienst: Wicker
St. Antonius Hospital Eschweiler, Klinik für Innere Medizin: Janssens
1. | Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO): Presseinformation vom 8. Juli 2020: Krankschreibungen und Krankenhaus-Aufenthalte von Beschäftigten in der Lockdown-Phase: Gesundheitsberufe besonders stark von COVID-19 betroffen, unter: https://www.wido.de/news-events/aktuelles/2020/covid-19-krankschreibungen-und-krankenhausaufenthalte. |
2. | Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO): Presseinformation vom 8. Juli 2020: Krankschreibungen und Krankenhaus-Aufenthalte von Beschäftigten in der Lockdown-Phase: Gesundheitsberufe besonders stark von COVID-19 betroffen, unter: https://www.wido.de/news-events/aktuelles/2020/covid-19-krankschreibungen-und-krankenhausaufenthalte. |
3. | Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO): Presseinformation vom 13. Oktober 2020: Erwerbstätige COVID-19-Patienten mit Krankenhausbehandlung: Lange Fehlzeiten auch im Anschluss an den Klinikaufenthalt, unter: https://www.wido.de/news-events/aktuelles/2020/covid-19-bedingte-fehlzeiten. |
4. | Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO): Presseinformation vom 15. Oktober 2020: Fehlzeiten in der Pandemie: Weniger Krankmeldungen, aber längere Krankheitsdauer wegen psychischer Erkrankungen, unter: https://www.wido.de/news-events/aktuelles/2020/fehlzeiten-in-der-pandemie/. |
5. | Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO): Presseinformation vom 21. Dezember 2020: Krankschreibungen wegen COVID-19: Erziehungs- und Gesundheitsberufe am stärksten betroffen, unter: https://www.wido.de/news-events/aktuelles/2020/krankschreibungen-wegen-covid-19/. |
6. | Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO): Presseinformation vom 9. März 2021: Berufe in der Kindererziehung und Gesundheitsberufe waren 2020 am stärksten von COVID-19 betroffen, unter: https://www.wido.de/news-events/aktuelles/2021/krankschreibungen-aufgrund-von-covid-19/. |
7. | Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO): Presseinformation vom 2. Mai 2021: Ein Jahr COVID-19-bedingte Fehlzeiten am Arbeitsplatz: Jeder zwölfte betroffene Beschäftigte musste stationär behandelt werden, unter: https://www.wido.de/news-events/aktuelles/2021/ein-jahr-covid-bedingte-fehlzeiten/. |
8. | Badura B, Ducki A, Schröder H, Klose J, Meyer M (Hrsg.): Fehlzeiten-Report 2020. Schwerpunkt: Gerechtigkeit und Gesundheit. Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 CrossRef |
9. | Drupp M, Meyer M, Winter W (2021): Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) für Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser unter Pandemiebedingungen, in: Jacobs/Kuhlmey/Greß/Klauber/Schwinger (Hrsg.): Pflege-Report 2021. Schwerpunkt: Sicherstellung der Pflege: Bedarfslagen und Angebotsstrukturen. Springer (Heidelberg) CrossRef |
10. | Janssens U, Kluge S, Marx G, Hermes C, Salzberger B, Karagiannidis C: [Attitude towards vaccination against SARS-CoV-2: Survey among employees in hospitals before and after the start of vaccinations in German hospitals]. Med Klin Intensivmed Notfmed 2021; 116: 421–30 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
11. | Schröder H, Repschläger U, Walker J (2020): Daten bündeln gegen Corona, in: Gesundheit und Gesellschaft, Ausgabe 5/21, 24. Jahrgang: 21–5. |