ArchivDeutsches Ärzteblatt27-28/2021Lebendorganspende: Die Debatte ist angestoßen

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Lebendorganspende: Die Debatte ist angestoßen

Richter-Kuhlmann, Eva

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Kaum ein Bereich der Medizin bietet so vielfältige ethische Herausforderungen wie die Organtransplantation, bei der es in dieser Legislaturperiode einige gesetzliche Neuerungen gab. Eine öffentliche Diskussion über die Lebendorganspende wird Aufgabe einer neuen Bundesregierung sein.

Derzeit werden in Deutschland vor allem Nieren von lebenden Spenderinnen und Spendern auf Empfängerinnen und Empfänger übertragen. Foto: mauritius images/BSIP/A. Noor
Derzeit werden in Deutschland vor allem Nieren von lebenden Spenderinnen und Spendern auf Empfängerinnen und Empfänger übertragen. Foto: mauritius images/BSIP/A. Noor

Für Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ist die Debatte um eine Neuregelung der Organspende noch nicht abgeschlossen. Folgen müsse jetzt eine gesellschaftliche Diskussion über die Lebendorganspende. „Wir wollen aus dem Ministerium heraus einen Beitrag zu dieser Debatte leisten. Die Dinge müssen auf den Tisch – auch wenn sie emotional schwierig sind“, sagte er Ende Juni bei einem von seinem Haus digital veranstalteten Symposium zum Thema „Erweiterung des Spenderkreises bei der Lebendorganspende – eine Perspektive für Deutschland?“.

Auf der politischen Agenda

Die Förderung der Organspende sei ein wichtiges Anliegen in dieser Legislaturperiode gewesen, erklärte Spahn beim Symposium. Eine leistungsgerechte Vergütung in der Transplantationsmedizin, strukturelle Verbesserungen in den Kliniken, wie eine Freistellung der Transplantationsbeauftragten, sowie der Initiativplan Organspende könnten neben der gesellschaftlichen Debatte um die doppelte Widerspruchslösung und die Entscheidungslösung helfen, Aufmerksamkeit für das Thema zu erreichen und den Organmangel zu lindern. „Wir sollten aber auch die Lebendspende als eine Option diskutieren“, betonte der Minister. Das Symposium solle der Startpunkt für eine neue gesellschaftliche Debatte sein.

In Deutschland werden jährlich etwa 2 000 Nieren transplantiert, davon etwa 500 nach einer Lebendorganspende. Der rechtliche Rahmen dafür sei aber momentan sehr eng und spiegele das Spannungsfeld von altruistischer Hilfe und Spenderschutz beziehungsweise Wahrung der Freiwilligkeit wider, sagte Spahn. Darauf, ob die geltende rechtliche Regelung noch zeitgemäß sei, gebe es keine einfache Antwort. Er selbst habe jedoch „eine persönliche Offenheit“, die Lebendspende einfacher zu regeln.

Bislang ist die Lebendorganspende in Deutschland nach § 8 des Transplantationsgesetzes an strenge Voraussetzungen geknüpft, da sie für gesunde Spender und Spenderinnen keinen Heileingriff darstellt und mit Risiken verbunden ist. So müssen Spendende volljährig und einwilligungsfähig sowie mit dem Empfangenden besonders persönlich verbunden sein. Voraussetzung für die Lebendspende ist zudem eine positive ärztliche Beurteilung, eine umfangreiche Aufklärung über die Risiken und die Genehmigung einer Kommission. Diese muss gutachterlich dazu Stellung nehmen, ob die Einwilligung des Lebendspenders freiwillig erfolgt ist. Dadurch soll vor allem der Handel mit Organen unterbunden werden. Außerdem ist eine Lebendorganspende nur zulässig, wenn zu dem Zeitpunkt kein postmortales Spenderorgan zur Verfügung steht (Subsidaritätsprinzip).

BGH-Urteil sogt für Unsicherheit

Zudem müssen Spendewillige vor einer Lebendorganspende umfassend ärztlich über alle Risiken aufgeklärt werden. Dies untermauerte der Bundesgerichtshof (BGH) 2019 mit seinem Urteil. Bei mangelhafter Aufklärung haben Spendende, die gesundheitliche Schäden davontragen, Anspruch auf Schmerzensgeld und Entschädigung. Einer der Kläger vor dem BGH war Ralf Zietz, der 2010 seiner Frau eine Niere spendete.

Der Vorsitzende der Interessengemeinschaft Nierenlebendspende sprach sich beim Symposium gegen eine Ausweitung der Lebendspende aus: Sie könne schwere Nebenwirkungen für den Spender zur Folge haben, bei dem in einen gesunden Organismus eingegriffen werde, sagte er. Er selbst leide unter chronischer Erschöpfung (Fatigue-Syndrom) und eingeschränkter Nierenfunktion. Dies werde bei der Aufklärung oft nicht berücksichtigt. „Eine Nierenspende ist eine innere Amputation“, so Zietz. Die „Interessengemeinschaft Nierenlebendspende“ wolle die Nierenlebendspende nicht abschaffen, ihre Folgen dürften aber auch nicht verharmlost werden, sagte er. Zudem hätten viele Spendende schlechte Erfahrungen mit Versicherungen gemacht. Ständig gebe es Streitigkeiten über die Kostenübernahme von Folgeoperationen, über Lohnfortzahlungen und Rehakosten.

Auch Martin Wittke, Fachanwalt für Sozial- und Medizinrecht aus Offenburg und juristischer Beirat der Interessengemeinschaft Nierenlebendspende, berichtete über zivilrechtliche Klagen geschädigter Spender und Spenderinnen. Sein Fazit: Das Transplantationsgesetz habe zu Recht hohe Hürden für die Lebendorganspende aufgestellt. Diese müssten aber noch nachgebessert werden.

Von positiven Erfahrungen mit der Lebendorganspende berichtete hingegen Susanne Reitmaier, Vorsitzende des Vereins „Gegen den Tod auf der Organ-Warteliste“. Ihre Tochter erhielt in Spanien im Rahmen einer Cross-over-Spende eine Niere. „In elf europäischen Ländern ist es Standard, mit anderen Betroffenen zu tauschen“, erklärte Reitmaier. „Deutschland muss auf das gleiche Niveau kommen! Ich bitte Sie als leidgeprüfte Mutter, die deutsche Gesetzgebung zu ändern.“

Ähnlich äußerte sich Prof. Dr. med. Klemens Budde von der Charité – Universitätsmedizin Berlin, wo bereits 2007 eine Überkreuzspende realisiert wurde. Für ihn gehört die Cross-over-Spende zu den „ungenutzten Möglichkeiten“.

Daten zur Nierenlebendspende sammelt derzeit Prof. Dr. med. Barbara Suwelack vom Universitätsklinikum Münster. Diese sollen die Grundlage für das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte erste systematische deutsche Lebendspenderegister bilden. „Uns ist es besonders wichtig, dass die Sicherheit und die Lebensqualität des Spenders garantiert sind“, sagte Suwelack.

Register ist im Aufbau

Dazu brauche es dringend Daten über den Langzeitverlauf und darüber, wie es den Lebendspendern in der Folge physisch und psychisch gehe. „Wir befinden uns in einem Spannungsfeld von Dramatisierung und Bagatellisierung“, meinte die Ärztin. Nur diejenigen, die auf gesicherter Basis umfassend informiert seien, könnten am Ende auch guten Gewissens in die Spende einwilligen.

Die Aufklärung sei meist ein nachträglicher Informationsprozess, gab Prof. Dr. rer. nat. Silke Schicktanz, Medizinethikerin an der Universität Göttingen, zu Bedenken. „Wir wissen aus sozialmedizinischen Studien, dass eine Entscheidung für eine Spende im familiären Kontext schon längst vor einer Aufklärung getroffen wurde“, erläuterte sie. „Dies ist eine besondere Herausforderung. Denn in vielen Fällen handelt es sich meist um keine rationale, sondern um emotional mitgeprägte Entscheidung.“ Emotionale Verbundenheit könne auch eine Einschränkung der absoluten Freiwilligkeit bedeuten, argumentierte sie. Beziehungen könnten gerade durch die Spende in die Brüche gehen. Ihr Fazit: „Wir brauchen mehr Spenderschutz und eine Stärkung der Entscheidung. Zudem ist eine größere öffentliche und soziale Anerkennung der Lebendorganspende nötig.“ Diese müsse in Zukunft öffentlich sichtbarer werden.

Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann

Bekanntgabe zum Entwurf der Richtlinie
zum Empfängerschutz bei
der Lebendorganspende:
www.aerzteblatt.de/211380
oder über QR-Code.

3 Fragen an . . .

Prof. Dr. med. Bernhard Banas, Universitäres Transplantationszentrum Regensburg

Foto: privat
Foto: privat

Herr Professor Banas, brauchen wir neue Regelungen für die Lebendorganspende?

Ja, die brauchen wir dringend! Eine Lebendspende stellt einen wichtigen Baustein in der Transplantationsmedizin in Deutschland dar, den wir nicht verlieren dürfen. Die Gefahr, dass dies geschieht, ist aber nicht gering. Die Transplantationsmedizin braucht im Sinne ihrer Patientinnen und Patienten einen sicheren rechtlichen, ethischen und medizinischen Rahmen. Dann wären auch Überkreuz- sowie Poolspenden und Kettentransplantationen nach Lebendorganspende sinnvoll. Dabei ist nicht das Ziel, die Zahl der Lebendorganspenden deutlich zu steigern, sondern denjenigen zu helfen, für die eine normale Lebendspende medizinisch nicht möglich ist.

Sie spielen offensichtlich auf das Urteil des Bundesgerichtshofs von 2019 an. Wie bewerten Sie dieses?

Ich kritisiere nicht das Urteil per se, sehe es aber als einen Weckruf für den Gesetzgeber an. Derzeit muss man daran zweifeln, ob man Lebendspenden überhaupt noch ärztlich verantworten kann. Als das Transplantationsgesetz geschrieben wurde, waren mögliche Langzeitfolgen einer Lebendorganspende noch unklar. Man legte fest, dass eine Spenderin oder ein Spender nicht über die Operation hinaus gefährdet werden darf und gegebenenfalls „vor sich selbst geschützt werden muss“. Mittlerweile gibt es Belege für weitere Risiken. Es bleibt unklar, ob Spender und Ärzte solche Risiken bewusst eingehen dürfen.

Werden Risiken der Lebendorganspende kleingeredet?

Nein, das glaube ich nicht. Deutschlandweit wird etwa der Hälfte der potenziellen Spenderinnen und Spender von der Lebendorganspende ärztlich abgeraten, weil zu hohe Risiken für sie bestehen. Niemand wird so konsequent voruntersucht und wir klären so umfassend wie möglich auf. Allerdings: Eine standardisierte und rechtssichere Musteraufklärung wäre für Spender, Empfänger und deren Ärzte eine große Hilfe – leider fehlt uns diese.

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