ArchivDeutsches Ärzteblatt28-29/1996Extrakorporale Stoßwellentherapie: Mit Schallwellen gegen Pseudarthrosen

POLITIK: Medizinreport

Extrakorporale Stoßwellentherapie: Mit Schallwellen gegen Pseudarthrosen

Meyer, Rüdiger

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LNSLNS Die extrakorporale Stoßwellentherapie (ESWT) hat sich seit ihrer Einführung im Jahr 1980 in der Behandlung diverser "Steinleiden" fest etabliert. Bei Nieren- und Harnleitersteinen ist sie heute weltweit (soweit verfügbar) Mittel der Wahl. Auch zur Zertrümmerung von Konkrementen in den Gallen- und Pankreasgängen wird sie zunehmend eingesetzt. Abgesehen von Hautblutungen führen die Schallwellen zu keiner Schädigung des Gewebes. Beim Fokussieren muß der Therapeut allerdings darauf achten, daß sich keine Knochen im Bestrahlungsfeld befinden. Diese würden sonst ebenso wie die Steine fragmentieren.
Was in einem Fall ein schwerer Kunstfehler wäre, kann im anderen Fall jedoch ein gewünschter Effekt sein. Der Körper reagiert auf eine Fragmentierung des Knochens bekanntlich mit einer Kallusbildung, die eine Voraussetzung für die Knochenheilung ist. Bleibt die Kallusbildung aus, entwickelt sich häufig eine Pseudarthrose. Und hier ist die ESWT offenbar eine sehr wirksame Behandlungsmethode. Darauf deuten bereits 1992 an der Ruhr-Universität Bochum durchgeführte Versuche an der Ratte hin. Hier konnten mit 5 mal 100 Schockwellen zu 14 oder 18 kV subperiostale Blutungen mit nachfolgender Kallusbildung induziert werden. Im gleichen Jahr berichteten R. Schleberger und T. Senge (Bochum) erstmals über die Behandlung von vier Patienten (Arch. Orthop. Trauma Surg. 1992; 111: 224–7). Nach 2 000 Impulsen zu 18 kV kam es bei drei Patienten innerhalb von sechs Wochen zur Kallusbildung.
Seither sind in Bochum weitere Patienten behandelt worden. Dabei werden in der Regel 3 000 Impulse bei 28 kV einmalig in Allgemein- oder Regionalanästhesie appliziert. Laut einer retrospektiven Untersuchung von G. Haupt und P. Katzmeier (Universität Bochum) wurde bei 22 von 30 Patienten nach einmaliger Behandlung eine röntgenologische Konsolidierung des Knochens erzielt.
Dies entspricht immerhin einer Heilungsrate von 73 Prozent in einem ausgesprochenen Negativkollektiv: Alle Patienten waren vorher erfolglos mehrfach osteosynthetisch behandelt und zum Teil auch mit Spongiosaplastik versorgt worden. Die ESWT konnte in vielen Fällen eine erneute operative Revision verhindern. Zwischenzeitlich sind laut den Autoren weitere 30 Patienten behandelt worden.
Die ESWT wurde außerdem bei Weichteilbeschwerden wie Tendinosis calcarea, Epicondylitis radialis und Achillesansatzbeschwerden erprobt. Auch hier soll eine Reizwirkung der Stoßwellen, möglicherweise über eine lokale Hyperämie, die Regeneration des Gewebes "anstoßen". Die applizierte Energie ist mit durchschnittlich 1 225 Impulsen bei 15,5 kV niedriger als bei der Pseudarthrosenbehandlung. Die Ergebnisse sind vielversprechend. Laut Haupt und Katzmeier konnte bei 37 von 41 Patienten eine Symptomlinderung erzielt werden, 21 Patienten wurden sogar schmerzfrei. Alle Patienten waren zuvor erfolglos konservativ (Infiltrationen, physikalische Therapie etc.) behandelt worden.
Trotz dieser Erfolge ist die Behandlung bei den Weichteilerkrankungen nicht unumstritten. D. Richter (BGKlinik "Bergmannsheil", Bochum) berichtet in einer kleinen prospektiven Studie an 16 Patienten mit therapieresistenten Beschwerden einer Epicondylitis humeri radialis zwar ebenfalls über eine gute kurzfristige Wirkung (Orthopäde, Band 1995; 24: 303–306). 13 Patienten wurden über einen Zeitraum von drei Monaten schmerzfrei. Danach kehrten die Schmerzen jedoch bei elf Patienten zurück. Es sei nicht auszuschließen, daß ein Plazeboeffekt mit zu der zwischenzeitlichen Schmerzlinderung beigetragen habe. Nach Ansicht der Autoren müsse die ESWT vor einer breiten Anwendung erst noch in einer größeren prospektiven Studie untersucht werden. Rüdiger Meyer

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