MEDIZIN: Originalarbeit
Krankheitslast für COPD durch Ozon-Exposition in Deutschland
The burden of COPD due to ozone exposure in Germany
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Hintergrund: Chronische Effekte von Ozon wurden bisher selten in Krankheitslastenstudien betrachtet. Unsere Zielsetzung war es, diese Krankheitslast in Deutschland für die Jahre 2007–2016 zu berechnen. Ein besonderes Augenmerk galt dabei der Schätzung der Krankheitslast durch Ozon basierend auf Effektschätzern, die für Feinstaub (PM2,5) und Stickstoffdioxid (NO2) adjustiert wurden.
Methoden: Basierend auf modellierten Ozon-Daten und Einwohnerzahlen in Deutschland wurde die flächendeckende, räumlich hoch aufgelöste (2 km × 2 km), mittlere bevölkerungsbezogene Exposition gegenüber Ozon während der Sommermonate („Sommer-Ozon“) berechnet. Unter Verwendung der aus Kohortenstudien vorhandenen Risikoschätzer wurde anschließend die Krankheitslast für chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) quantifiziert. Dabei wurden Daten zu Bevölkerungszahlen, Lebenserwartung und Mortalität für Deutschland verwendet, um die nationale Situation möglichst adäquat abzubilden.
Ergebnisse: Der Schätzer für verlorene Lebensjahre (YLL, Years of Life Lost) aufgrund von Sommer-Ozon lag im Bereich von 18,33 (95-%-Konfidenzintervall: [14,02; 22,08]) (Jahr 2007) bis 35,77 YLL pro 100 000 Einwohner [27,45; 42,98] (Jahr 2015). Die Ergebnisse deuten auf einen von anderen Luftschadstoffen unabhängigen Effekt von Ozon auf die COPD-Krankheitslast hin. Insgesamt ist im Zeitraum 2007 bis 2016 kein eindeutiger zeitlicher Trend in der COPD-Krankheitslast zu erkennen.
Schlussfolgerung: Langzeitexpositionen gegenüber Ozon tragen in der deutschen Allgemeinbevölkerung zur COPD-Krankheitslast bei. Angesichts einer infolge des Klimawandels möglichen Zunahme der Ozonkonzentration sind intensivere Forschungen zu den Auswirkungen des Ozons auf die Gesundheit erforderlich.


Das Konzept der Krankheitslast wurde entwickelt, um den Verlust an Lebenszeit sowie den Gesundheitsverlust durch Krankheit, Verletzung und Risikofaktoren in Bevölkerungen zu beschreiben (1, 2, 3, 4, 5). Diesem Konzept liegt die Annahme zugrunde, dass alle Menschen eine gewisse Anzahl an Jahren leben können, jedoch aufgrund von Einschränkungen der Gesundheit durch Erkrankungen und vorzeitigem Versterben eine bestimmte Anzahl an gesunden Lebensjahren verloren geht. Der Ansatz der umweltbedingten Krankheitslast ermöglicht es wiederum, die Krankheitslast, die durch den Einfluss eines umweltassoziierten Risikofaktors auf die menschliche Gesundheit entsteht, quantitativ zu erfassen (1). Neben anderen Maßzahlen können zur Darstellung der umweltbedingten Krankheitslast die Lebensjahre berechnet werden, die durch frühzeitiges krankheitsbedingtes Versterben aufgrund von Umweltrisikofaktoren verloren gehen, die Years of Life Lost (YLL) (6, 7).
Wegen seiner starken chemischen Reaktionseigenschaften wirkt Ozon reizend und verursacht zum Beispiel oxidative Schäden an den Zellen und Schleimhäuten der Atemwege sowie immuninflammatorische Reaktionen in der Lunge (8). Wissenschaftlich als gesichert und als kausal bewertet gilt, dass eine kurzfristige Ozon-Exposition zu einer erhöhten Sterblichkeit aufgrund von Atemwegskrankheiten und zu mehr atemwegsbedingten Notfallkonsultationen und Krankenhausaufnahmen führt (8, 9, 10). Eine langfristige Exposition gegenüber Ozon – die in dieser Arbeit im Fokus steht – ist unter anderem mit einer eingeschränkten Lungenfunktion und der Verschlechterung von Lungenkrankheiten (11) sowie einer erhöhten Mortalität aufgrund von Atemwegserkrankungen verbunden (12, 13, 14). Eine 2020 veröffentlichte sehr umfassende Literaturrecherche der US-amerikanischen Umweltbehörde (U.S. Environmental Protection Agency) kommt zu dem Schluss, dass eine Assoziation zwischen einer langfristigen Ozon-Exposition und der respiratorischen Mortalität als wahrscheinlich kausal einzustufen ist (8). Als wahrscheinlich kausal werden dabei Zusammenhänge bezeichnet, bei denen es klare Hinweise auf Kausalität gibt, aber die Datenlage als nicht ausreichend für die Erfüllung aller Kausalitätskriterien bewertet wurde (10).
Nur wenige Studien haben bislang die durch Langzeitexpositionen gegenüber Ozon verursachte Krankheitslast quantifiziert (15, 16). Erst kürzlich wurde die letzte Krankheitslastschätzung durch langfristige Ozonexpositionen auf die COPD-Mortalität (COPD, chronisch obstruktive Lungenerkrankung) als Ergebnis der „Global Burden of Disease“(GBD)-Studie publiziert (17). Allerdings beruht diese Schätzung auf modellierten Ozondaten mit einer räumlichen Auflösung von 11 km × 11 km. Darüber hinaus ist die in der GBD-Studie verwendete, standardisierte Lebenserwartung höher als die in Deutschland dokumentierte Lebenserwartung.
Ziel dieser Arbeit war die Berechnung der durch Ozon verursachten Krankheitslast in Deutschland für die Jahre 2007–2016. Die Berechnung basierte dabei auf einer flächendeckenden und räumlich hoch aufgelösten (2 km × 2 km) mittleren bevölkerungsbezogenen Exposition gegenüber Ozon während der Sommermonate („Sommer-Ozon“) und Daten zur Bevölkerung, Lebenserwartung und Mortalität für Deutschland, um die nationale Situation möglichst adäquat widerzuspiegeln. Zudem wurde weitere epidemiologische Evidenz zum COPD-Mortalitätsrisiko aufgrund von Langzeitexpositionen gegenüber Ozon aus den neuesten Kohortenstudien berücksichtigt. Ein weiteres Ziel war, die Krankheitslast durch Ozon auch nach Adjustierung für weitere Luftschadstoffe (Feinstaub [PM2,5], Stickstoffdioxid [NO2]) zu schätzen.
Methoden
Auswahl des Gesundheitsendpunkts
Die Krankheitslast wurde in dieser Arbeit nur für COPD geschätzt, da hierfür eine starke Evidenz aus epidemiologischen Studien sowie biologische Plausibilität aus experimentellen Studien (tierexperimentelle und mechanistische/in-vitro-Studien) vorlag. Die Beurteilung der Evidenz wurde in der Studie, die dieser Arbeit zugrunde liegt, mithilfe einer systematischen Literaturrecherche sowie von Systematic Mappings durchgeführt (18).
Expositionsschätzung
Grundlage für die deutschlandweite Ermittlung der bevölkerungsbezogenen Ozon-Exposition waren flächendeckende Daten der räumlichen Verteilung der Ozonwerte in der Außenluft (19). Für die Berechnung wurden Daten der Jahre 2007 bis 2016 genutzt, die das Belastungsniveau im ländlichen und städtischen Hintergrund in einer räumlichen Auflösung von circa 2 km × 2 km (Ozon-Gitterzelle) abbildeten. Die Daten wurden anhand des chemischen Transportmodells REM/CALGRID generiert und mit Ozon-Messdaten aus dem deutschlandweiten Luftmessnetz der Bundesländer und des Umweltbundesamtes mittels der Methodik der Optimalen Interpolation kombiniert (20).
Als Ozon-Expositionsindikator wurden die Sommer-Ozon-Konzentrationen (in µg/m³) für jedes Jahr als Mittelwert über die täglichen Maxima der gleitenden 8-Stunden-Mittelwerte von April bis September für jede Ozon-Gitterzelle berechnet (19). Diese Ozon-Daten wurden mit räumlichen Daten zu Einwohnerzahlen in Deutschland des Zensus 2011 (Statistische Ämter des Bundes und der Länder – Version 1; 23. 04. 2015) kombiniert, und die bevölkerungsgewichtete Sommer-Ozon-Exposition wurde für jedes Jahr im Zeitraum 2007–2016 berechnet.
Quantifizierung der durch Ozon verursachten Krankheitslast
Eingangsdaten
Für die Quantifizierung der durch Ozon verursachten Krankheitslast wurden Daten zu Bevölkerung, Lebenserwartung und Todesfällen für Deutschland verwendet, um die nationale Situation möglichst adäquat widerzuspiegeln. Eine detaillierte Beschreibung der Eingangsdaten ist im eMethodenteil zu finden.
Schätzung der Krankheitslast durch Ozon
Zur Berechnung der Krankheitslast durch die Sommer-Ozon-Exposition wurden ausschließlich Risikoschätzer aus Kohortenstudien herangezogen, die die Langzeitexposition (jährlicher Durchschnitt der Sommer-Ozon-Konzentrationen) untersucht haben. Wenn mehrere belastbare Effektschätzer für den Expositions-Wirkungs-Zusammenhang aus verschiedenen Studien vorhanden waren, wurden diese in einem ersten Schritt mithilfe einer Metaanalyse mit zufälligen Effekten zusammengefasst (21) (eMethodenteil).
Mithilfe der bevölkerungsgewichteten Ozon-Exposition in Deutschland und der zusammengefassten Effektschätzer wurde dann der sogenannte attributable Anteil berechnet (3, 22) – der Anteil der COPD-Krankheitslast, der dem Risikofaktor Ozon mittels statistischer Verfahren zugeschrieben werden kann.
In einem weiteren Schritt wurde die Anzahl der Lebensjahre, die aufgrund von vorzeitigem COPD-bedingten Versterben verlorengingen (YLL) bestimmt (7). Diese wurden durch Multiplikation der jährlichen Todesfälle aufgrund von COPD mit der statistischen Restlebenserwartung der Bevölkerung Deutschlands berechnet (1, 7) (eMethodenteil). Die durch Ozon verursachte Krankheitslast für COPD wurde schließlich durch Multiplikation des attributablen Anteils mit den durch COPD-Sterblichkeit verlorenen Lebensjahren geschätzt.
Ein prinzipielles Problem bei Studien zur schadstoffbedingten Krankheitslast besteht in der Unsicherheit, die Krankheitslast tatsächlich einem einzelnen Schadstoff zuzuordnen („single pollutant“-Effektschätzer), da Luftschadstoffe stets als Gemisch von Schadstoffen, die häufig gleichen Quellen entstammen, auftreten. Ein besonderes Augenmerk in dieser Arbeit galt deshalb der Schätzung der Krankheitslast durch Sommer-Ozon basierend auf Effektschätzern, die für PM2,5 und NO2 adjustiert wurden.
Sensitivitätsanalysen
In einer Sensitivitätsanalyse wurde alternativ ein Expositions-Wirkungs-Zusammenhang nach Adjustierung für PM2,5, NO2 und darüberhinaus Temperatur (12) für die Berechnung des attributablen Anteils und der YLL bezüglich COPD-Krankheitslast verwendet.
Ergebnisse
Der Großteil der deutschen Bevölkerung (durchschnittlich 95,3 %, Minimum: 79,6 % in 2015, Maximum 99,0 % in 2013) war in den Jahren 2007–2016 mit Sommer-Ozon-Werten von 75–95 µg/m³ exponiert (Grafik). Durchschnittlich lebten 1,1 % der Menschen in den am wenigsten belasteten Gebieten mit einem Sommer-Ozon unter 75 µg/m³, von 0,0 % im Jahr 2015 bis 3,4 % im Jahr 2007. Durchschnittlich 3,6 % der Menschen lebte in Gebieten mit Sommer-Ozon-Werten höher als 95 µg/m³.
COPD-Krankheitslast durch Langzeitexposition gegenüber Sommer-Ozon
Die Ergebnisse zur COPD-Krankheitslast (basierend auf den Todesfällen mit ICD-10-Kodierung J40–J44) durch Langzeitexposition gegenüber Sommer-Ozon in den Jahren 2007–2016 sind in Tabelle 1 dargestellt. Basierend auf dem Altersbereich der Studienpopulationen wurde als Altersbereich 30 Jahre und älter festgelegt. Wichtig für die Interpretation der gezeigten Ergebnisse ist, dass die verlorenen Lebensjahre nicht gleichverteilt auf alle Einwohner zu sehen sind, sondern vielmehr einige Einwohner mehr Lebensjahre als andere verlieren.
Insgesamt ist im Zeitraum 2007–2016 keine eindeutige Tendenz in der Krankheitslast zu erkennen – im Beobachtungszeitraum von zehn Jahren war eine Schwankung der Krankheitslast von mehr als einem Drittel von Jahr zu Jahr zu beobachten. Zusätzlich sind Schwankungen in der Krankheitslast durch Schwankungen der COPD-Mortalität bedingt. Der höchste attributable Anteil und auch die höchsten YLL wurden für das Jahr 2015 beobachtet und spiegeln damit auch die sehr hohen Ozon-Konzentrationen dieses Jahres wider.
Krankheitslast durch Ozon nach Adjustierung für weitere Luftschadstoffe
In Tabelle 2 sind schließlich die Ergebnisse zur Krankheitslast durch Langzeitexposition gegenüber Sommer-Ozon nach Adjustierung für PM2,5 und NO2 dargestellt. Im Vergleich zu den Ergebnissen in Tabelle 1 wird die Krankheitslast für COPD nach Adjustierung für PM2,5 und NO2 sogar höher. Insgesamt deuten die Ergebnisse auf einen unabhängigen Effekt von Ozon auf die COPD-Krankheitslast hin.
Sensitivitätsanalysen
Die Verwendung des Expositions-Wirkungs-Zusammenhangs nach Adjustierung für Feinstaub, Stickstoffdioxid und darüber hinaus Temperatur ist in Tabelle 3 exemplarisch für das Jahr 2016 dargestellt. Ein entsprechender Risikoschätzer ist nur aus einer Studie (12) vorhanden. Daher sind zur besseren Vergleichbarkeit in Tabelle 3 auch die Krankheitslastschätzung unter Verwendung des „single pollutant“-Effektschätzers sowie nach Adjustierung für Feinstaub und Stickstoffdioxid aufgeführt. Es wurden keine wesentlichen Änderungen des attributablen Anteils und der YLL beobachtet; allerdings wurden die Konfidenzbereiche sehr weit. Insgesamt deuten die Ergebnisse auf einen unabhängigen Effekt von Sommer-Ozon auf die COPD-Krankheitslast hin, auch nach Adjustierung für Temperatur.
Diskussion
Langzeitexpositionen gegenüber Ozon tragen in der deutschen Allgemeinbevölkerung zur Krankheitslast bei. So lag für die COPD-Krankheitslast der Schätzer für verlorene Lebensjahre im Bereich von 18,33 YLL pro 100 000 Einwohner (95-%-Konfidenzintervall: [14,02; 22,08]) (Jahr 2007) bis 35,77 YLL pro 100 000 Einwohner [27,45; 42,98] (Jahr 2015). Insgesamt ist im Zeitraum 2007–2016 kein eindeutiger zeitlicher Trend in der Krankheitslast zu erkennen – im Beobachtungszeitraum von zehn Jahren war eine Schwankung der relativen Krankheitslast von mehr als einem Drittel von Jahr zu Jahr zu beobachten. Nach einer zusätzlichen Adjustierung der Effektschätzer für PM2,5 und NO2 war die COPD-Krankheitslast durch Ozon im Vergleich zu den unadjustierten Ergebnissen etwas höher.
Es gibt bislang nur wenige Studien, die die durch Langzeitexpositionen gegenüber Ozon verursachte Krankheitslast quantifiziert haben (15, 16). Erst kürzlich wurde die letzte Krankheitslastschätzung durch langfristige Ozonexpositionen auf die COPD-Mortalität als Ergebnis der „Global Burden of Disease“-Studie publiziert (17). Im Gegensatz zu früheren Krankheitslaststudien lag dieser Schätzung ein aus drei Kohortenstudien gemittelter Risikoschätzer zugrunde. Für das Jahr 2016 wurden dabei für Deutschland 43,05 ozonbedingte YLL pro 100 000 Personen [18,14; 74,06] publiziert. Diese Zahlen liegen über den in der vorliegenden Arbeit geschätzten 27,92 YLL [21,38; 33,60] im Jahr 2016. Allerdings beruhte die Schätzung der GBD-Studie auf modellierten Ozondaten mit einer räumlichen Auflösung von 11 km × 11 km, während in der aktuellen Studie eine hohe Auflösung von 2 km × 2 km verwendet wurde. Darüber hinaus ist die in der GBD-Studie verwendete standardisierte Lebenserwartung höher als die in Deutschland dokumentierte Lebenserwartung. Außerdem wurde in der GBD-Studie die Krankheitslast für alle Altersgruppen ab 25 Jahren geschätzt, während die aktuelle Studie die untere Altersgrenze auf 30 Jahre festlegte.
Im Hinblick auf die biologische Plausibilität eines Zusammenhangs zwischen langfristiger Ozonbelastung und COPD-Mortalität weisen experimentelle Studien (tierexperimentelle und mechanistische/In-vitro-Studien) darauf hin, dass eine chronische Exposition gegenüber Ozon COPD-ähnliche pathophysiologische Prozesse auslöst (8, 11). Hierzu gehören anhaltende Entzündungsprozesse, oxidativer Stress sowie die Schädigung und strukturelle Umgestaltung der Atemwege, die zu irreversiblen Veränderungen führen, einschließlich fibrotischer und emphysematöser Veränderungen der Lunge (8).
Interessant sind die erstmals vorgelegten Schätzungen für die COPD-Krankheitslast durch Ozon mit Effektschätzern, die für andere Luftschadstoffe (PM2,5 und NO2) adjustiert wurden. Die Ergebnisse deuten auf einen von anderen Luftschadstoffen weitestgehend unabhängigen Effekt von Ozon auf die COPD-Krankheitslast hin. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Höhe der Ozonkonzentrationen und der Schadstoffmix in den USA (alle berücksichtigten Studien wurden dort durchgeführt) nicht unbedingt mit denen in Deutschland vergleichbar sind, unter anderem wegen einer unterschiedlichen Emittentenstruktur, anderer klimatischer Verhältnisse und damit anderer atmosphärischer Umwandlungsprozesse.
Vergleiche der Krankheitslastschätzung in dieser Arbeit mit jenen für Feinstaub (23, 24) und Stickstoffdioxid (25) müssen die Komplexität der den Schätzungen zugrunde liegenden Daten und Methoden berücksichtigen. Zunächst sind die betrachteten Gesundheitsendpunkte und die verwendeten Risikoschätzer sehr verschieden. Weitere Unterschiede ergeben sich auch für die betrachteten Zeitperioden und die räumlichen Auflösungen der flächendeckenden Schadstoffexpositionen. Bei aller Unsicherheit und unter zusätzlicher Einbeziehung der Ergebnisse der GBD-Studie (17) scheint sich eine deutliche Abstufung der Krankheitslasten für die drei untersuchten Luftschadstoffe abzuzeichnen. Die langfristige Ozonexposition zeigt die niedrigste Krankheitslast, vermutlich gefolgt von NO2 und PM2,5 mit der mit Abstand höchsten Krankheitslast.
Stärken und Limitationen
Diese Arbeit hat eine Reihe von Stärken. So ist die Auflösung der flächenbezogenen Ozonkonzentration für ein Raster von 2 km × 2 km in dieser Studie höher als in allen anderen vergleichbaren Studien. Die Verwendung der aktuellen Effektschätzer in Studien der American Cancer Society (ACS) (13) und der Canadian Census Health and Environment Cohort (CanCHEC) (26) sowie weiterer erstmals publizierter Effektschätzer wird als zusätzliche Stärke dieser Studie angesehen. In weiteren Analysen wurden Effektschätzer, die für Feinstaub, Stickstoffdioxid und darüber hinaus Temperatur adjustiert wurden, zur Schätzung der Krankheitslast durch Ozon verwendet. Dies ist besonders wichtig, weil seit Jahren die Anwendung von Schätzern aus „single pollutant“-Modellen bemängelt wird (27), vielfach ohne Abhilfe zu schaffen.
Allerdings gibt es auch eine Reihe von Limitationen: Im Hinblick auf die berechnete Exposition mit Ozon muss deutlich darauf hingewiesen werden, dass es sich dabei lediglich um die modellierte Ozonkonzentration in einem bestimmten (kleinräumigen) Polygon über Deutschland handelt. Dies ist insbesondere wegen der unterschiedlichen Aufenthaltsdauern von Personen eine stark vereinfachte – wenn auch übliche – Vorgehensweise, um eine Exposition abzuschätzen. Auch wird eine mögliche Fehlklassifikation der Exposition durch Umzüge und Hinzuzüge nicht oder nur teilweise berücksichtigt; dies gilt insbesondere zum Beispiel für Migranten, deren COPD-Rate aufgrund der Situation in den Heimatländern besonders hoch sein kann (28).
Zudem muss erwähnt werden, dass es sich bei COPD um eine Erkrankung handelt, die über Jahrzehnte progredient ist. Die Entstehung beziehungsweise die Ursache für die Entstehung von COPD liegt weiter zurück als die hier betrachteten jährlichen Expositionen. Neben Ozon sind auch andere Faktoren bekannt, die zur Entstehung von COPD beitragen können (zum Beispiel Rauchen, genetische Veranlagung, berufsbedingtes Einatmen von Stäuben, Infektionen der Atemwege in der Kindheit oder Frühgeburtlichkeit).
Wie bei allen umweltbedingten Krankheitslaststudien sind auch die Ergebnisse dieser Studie ausschließlich für die Ableitung von Aussagen auf der Bevölkerungsebene zu verwenden. Informationen zum Gesundheitszustand einzelner Individuen können nicht abgeleitet werden (29). Des Weiteren handelt es sich um Schätzer, die durch Berechnungen ermittelt werden. Hierzu müssen verschiedene Annahmen getroffen werden, wie zum Beispiel über den verwendeten Expositions-Wirkungs-Zusammenhang oder die Restlebenserwartung zum Todeszeitpunkt. Die verwendeten Effektschätzer stammen aus großen nordamerikanischen Studien und die Übertragbarkeit auf deutsche Verhältnisse ist eine erforderliche, pragmatische Vorgehensweise, weil keine einschlägigen Daten aus Deutschland beziehungsweise Europa zur Verfügung stehen.
Die Unsicherheitsbereiche der Krankheitslastschätzungen durch Ozon, wie sie zum Beispiel durch die Konfidenzintervalle sichtbar werden, sind groß. Deswegen ist explizit von einer unkritischen Verwendung des Punktschätzers ohne Angabe des Konfidenzintervalls zu warnen.
Schlussfolgerung
Langzeitexpositionen mit Ozon tragen in der deutschen Allgemeinbevölkerung zur Krankheitslast bei. Angesichts einer als Folge des Klimawandels möglichen Zunahme der Ozonkonzentration (30, 31) sind intensivere Forschungen zu den gesundheitlichen Wirkungen des Ozons und zur Krankheitslast aufgrund von Ozon erforderlich. So sind generell mehr Kohortenstudien zur Langzeitwirkung von Ozon in Europa und speziell in Deutschland nötig. Zudem wird bislang nicht ausreichend berücksichtigt, dass die regulierten Luftschadstoffe, wie Feinstaub, Stickstoffdioxid und Ozon, stets als Schadstoffgemisch auftreten. Des Weiteren sind Interaktionen zwischen der Langzeit-Ozonexposition mit Temperatur, flüchtigen organischen Verbindungen, ultrafeinen Partikeln und Grünflächen bislang im Hinblick auf gesundheitliche Wirkungen nur unzureichend erforscht.
Danksagung/Förderung
Das Projekt wurde gefördert vom Umweltbundesamt im Rahmen des Ressortforschungsplans 2018 des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (Forschungskennzahl 3718 62 208 0).
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 9. 3. 2021, revidierte Fassung angenommen: 1. 6. 2021
Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. Joachim Heinrich
Institut und Poliklinik für Arbeits-,
Sozial- und Umweltmedizin
LMU Klinikum
Ziemssenstraße 1, 80336 München
joachim.heinrich@med.uni-muenchen.de
Zitierweise
Breitner S, Steckling-Muschack N, Markevych I, Zhao T, Mertes H, Nowak D, Heinrich J: The burden of COPD due to ozone exposure in Germany. Dtsch Arztebl Int 2021; 118: 491–6. DOI: 10.3238/arztebl.m2021.0258
►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
www.aerzteblatt-international.de
Zusatzmaterial
eMethodenteil:
www.aerzteblatt.de/m2021.0258 oder über QR-Code
Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München: Dr. rer. nat. Susanne Breitner
Institut für Epidemiologie, Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH): Dr. rer. nat. Susanne Breitner, Dr. hum. biol. Iana Markevych,
Tianyu Zhao MSc
Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, LMU Klinikum,
Comprehensive Pneumology Center (CPC) München, Deutsches Zentrum für Lungenforschung (DZL): Dr. PH Nadine Steckling-Muschak, Dr. hum. biol. Iana Markevych, Tianyu Zhao MSc,
Hanna Mertes MPH, Prof. Dr. med. Dennis Nowak, Prof. Dr. Joachim Heinrich
Institut für Psychologie, Jagiellonen-Universität Krakau, Polen: Dr. hum. biol. Iana Markevych
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