BRIEFE
Digitalisierung: Üble Praxis


Es gibt sehr viele Kolleginnen und Kollegen, die die totale Digitalisierung des Gesundheitswesens und die ökonomische Verwertung von Patientendaten sehr kritisch sehen. Sie haben schon vor der Einführung der Telematikinfrastruktur davor gewarnt, dass ein solches flächendeckendes digitales System nur dann funktional und auch „profitabel“ betrieben werden kann, wenn man gleichzeitig das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und den Patienten-Datenschutz erheblich einschränkt. Demgegenüber haben die Protagonisten aus Politik und Digitalindustrie – allen voran der mit der Digitalindustrie gut vernetzte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) – bislang immer wieder behauptet, der Datenschutz bleibe erhalten und die Nutzung wäre ja auch nur freiwillig.
Nun wird aber die Katze Stück für Stück aus dem Sack gelassen. Nach neuesten Plänen des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) soll die elektronische Patientenakte nun also bereits ab Geburt (!) obligatorisch für jeden Säugling angelegt werden. Man darf nur noch widersprechen. Das heißt, maßgebliche Teile der Politik sowie die Gesundheits- und Digitalwirtschaft wollen fortan auf das Prinzip „Wer nicht aktiv widerspricht, hat zugestimmt“ bauen. Diese üble Praxis hat ein höchstrichterliches Urteil bereits im Falle der Geschäftsbedingungen der Banken als eindeutig rechtswidrig gebrandmarkt.
Für Grundrechte gilt dies in besonderem Maße, weil sie unveräußerlich sind und damit unabhängig von jeder Zustimmung oder Ablehnung einzelner bestehen. Deshalb ist das Vorgehen, flächendeckend das Aussetzen des Grundrechtes auf informationelle Selbstbestimmung vom ausdrücklichen Widerspruch des einzelnen (Säuglings!) abhängig zu machen, verfassungswidrig. Die Ideenschmiede für diese Art von Grundrechtsentzug, der SVR, erklärt Datenschutz und Datensparsamkeit zu einem Investitionshindernis und fordert unverblümt, informationelle Grund- und Schutzrechte unter dem Deckmantel von „bedarfsgerechter Versorgung“ und „Forschung“ zu schleifen. Die Schutzregeln der Datenschutz-Grundverordnung betrachten sie als „zu hohen Aufwand“ und sehen darin „ein beträchtliches Risiko, dass die digitalen Akten nur von wenigen beziehungsweise in der Fläche nur sehr lückenhaft genutzt werden.“ Das ist entlarvend. Mit der sukzessiven Einschränkung des Gesundheitsdatenschutzes wollen sie der Digital- und Gesundheitswirtschaft ein Geschenk machen, damit diese über große Nutzerzahlen überhaupt erst Profite generieren kann. Im Vordergrund steht also nicht die Gesundheit der Patienten, sondern „eHealth“ und „Big Data“. Vereinzelte Vorteile für Patienten und Behandler sind dabei nur das Abfallprodukt aus dem Geschäft mit unseren Gesundheitsdaten, für den wir einen hohen Preis bezahlen müssen.
Heiko Boumann, 57334 Bad Laasphe
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