ArchivDeutsches Ärzteblatt38/2021Blutspende: Unabhängig von der sexuellen Orientierung

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Blutspende: Unabhängig von der sexuellen Orientierung

Richter-Kuhlmann, Eva

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Die aktualisierte Richtlinie Hämotherapie liegt vor. Neu sind die Zulassungskriterien zur Blutspende von Personen mit sexuellem Risikoverhalten, die die Bundesärztekammer auf Basis einer gemeinsamen Analyse mit dem Bundesgesundheitsministerium und den Bundesoberbehörden festlegte.

Da Infektionen mit HBV, HCV oder HIV nach vier Monaten ausgeschlossen werden können, ist nach dieser Latenzzeit eine Zulassung zur Spende auch für Personen mit vorherigem Risikoverhalten möglich – ohne die Sicherheit der Blutprodukte zu gefährden. Foto: arcyto/stock.adobe.com
Da Infektionen mit HBV, HCV oder HIV nach vier Monaten ausgeschlossen werden können, ist nach dieser Latenzzeit eine Zulassung zur Spende auch für Personen mit vorherigem Risikoverhalten möglich – ohne die Sicherheit der Blutprodukte zu gefährden. Foto: arcyto/stock.adobe.com

Es ist Routine, die zumeist von der Öffentlichkeit unbemerkt abläuft: Regelmäßig werden die von der Bundesärztekammer im gesetzlichen Auftrag erstellten Richtlinien zum aktuellen Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft und Technik auf ihre Aktualität hin geprüft. „Fünf Jahre sind in der Medizin ein Zeitraum, in dem durchaus neue Erkenntnisse zu erwarten sind – daher werden unsere Richtlinien turnusgemäß auf ihre Aktualität hin überprüft“, erläutert Prof. Dr. med. Johannes Oldenburg von der Universität Bonn, Federführender des Ständigen Arbeitskreises Richtlinie Hämotherapie des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer (BÄK), dem Deutschen Ärzteblatt.

In diesem Jahr bot allerdings die Überarbeitung der Hämotherapierichtlinie einiges an Zündstoff. Knackpunkt war die Diskussion um die Zulassungskriterien zur Blutspende von Personen mit sexuellem Risikoverhalten. Es entwickelte sich eine medizinisch-wissenschaftliche Diskussion, die teilweise mit gesellschaftspolitischen Fragen vermischt wurde.

Empfängerschutz im Fokus

„Wissenschaftliche Evidenz ist nicht verhandelbar“ titelten deshalb Mitte Mai die Bundesärztekammer, medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaften und Blutspendedienste als Reaktion auf politische Bestrebungen, die Richtlinienkompetenz von der Bundesärztekammer auf weisungsgebundene Bundesoberbehörden zu verlagern. Sie erklärten öffentlich, dass „allein evidenzbasierte, wissenschaftliche Erkenntnisse und Daten Grundlage von Richtlinien in der Medizin sein dürfen“.

Zum Hintergrund: Der Skandal um mit dem Humanen Immundefizienzvirus (HIV) kontaminierte Blutprodukte und die Infektion von 1 500 Hämophilie-Patienten mit dem HI-Virus in den 1980er-Jahren, von denen viele mittlerweile an der Erkrankung gestorben sind, ist unvergessen. Ziel des Transfusionsgesetzes (TFG) ist deshalb, eine Balance zwischen den behördlichen Aufgaben der Arzneimittelzulassung durch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), der Krankheitsüberwachung und -prävention durch das Robert Koch-Institut, den Überwachungsaufgaben der Bundesländer und der ärztlichen Berufsausübung zu schaffen – und zwar entsprechend des anerkannten aktuellen Stands der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft und Technik.

In mittlerweile bewährter Weise haben das Bundesgesundheitsministerium, die zuständigen Bundesoberbehörden und die Bundesärztekammer als Richtliniengeber die aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen und epidemiologischen Daten gesichtet und bewertet. Gemeinsam kamen sie bei dieser Analyse zu dem Ergebnis, dass die Sicherheit von Blut und Blutprodukten auch weiterhin die Feststellung der Spendereignung und eine Testung der Spenden erfordert.

Es sei unstrittig, dass „risikobehaftetes Sexualverhalten von Blutspendenden, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, Auswirkungen auf die Infektionssicherheit der aus der entsprechenden Spende hergestellten Blutprodukte haben kann“, heißt es dazu in dem gemeinsamen Beratungsergebnis.

Zwar würden alle Spenden auf die relevanten Infektionserreger getestet, eine frische Infektion könne in der „Fensterphase“ aber auch mit den heutigen Testsystemen nicht ausgeschlossen werden. „In einem gründlichen wie auch zügigen Verfahren hat die Arbeitsgruppe im Mai eine Stellungnahme verabschiedet, die den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik zu diesem Thema ausführlich darstellt und bewertet“, erklärt Oldenburg, Direktor des Instituts für Experimentelle Hämatologie und Transfusionsmedizin am Universitätsklinikum Bonn.

Latenzzeit von vier Monaten

„Auf dieser Grundlage wurde unter anderem festgestellt, dass eine Zulassung zur Spende vier Monate nach Beendigung eines sexuellen Risikoverhaltens nicht zu einer Erhöhung des Risikos für die Empfängerinnen und Empfänger von Blut und Blutprodukten führt“, erläutert der Transfusionsmediziner. Dies ist neu. Denn bisher galt eine Rückstellfrist von zwölf Monaten. Eine differenzierte Risikostratifizierung ist jedoch nur möglich, wenn entsprechend differenzierte epidemiologische Daten vorliegen. Die gemeinsame Bewertung des Bundesgesundheitsministeriums, der Bundesoberbehörden und der Bundesärztekammer als Richtliniengeber unterstreicht den fachlichen und politischen Konsens. Zudem entspricht das Vorgehen dem Willen des historischen Gesetzgebers. Der hatte im Begründungstext des TFG klargestellt, dass er bezüglich wichtiger Sachverhalte eine „auf einem gesamtgesellschaftlichen Konsens gegründete Regelung“ erwarte.

Auch heute sind die Beteiligten sich sicher: Nur durch das Zusammenwirken ihrer differenzierten Aufgaben- und Verantwortungsgebiete innerhalb des TFG lassen sich seit 30 Jahren die hohen Standards in der Sicherheit und Qualität der Blutprodukte in Deutschland gewährleisten.

Beratungsergebnis ist umgesetzt

Mit der umschriebenen Fortschreibung der von der Bundesärztekammer im Einvernehmen mit dem PEI aufgestellten Richtlinie ist das gemeinsame Beratungsergebnis nun umgesetzt. Gemäß der von dem Ständigen Arbeitskreis des Wissenschaftlichen Beirats der BÄK überarbeiteten Richtlinie können somit nun Personen mit einem Sexualverhalten, das ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt, vier Monate nach Beendigung des Risikoverhaltens zur Blutspende zugelassen werden. Begründet wird dies damit, dass nach vier Monaten Infektionen mit dem Hepatitis-B-Virus (HBV), dem Hepatitis-C-Virus (HCV) oder HIV ausgeschlossen werden können.

Ein erhöhtes Risiko im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung besteht bei Sexualverkehr mit häufig wechselnden Partnern und/oder Partnerinnen einer Transperson oder zwischen Frau und Mann, bei Sexualverkehr zwischen Männern mit einem neuen Sexualpartner oder mehr als einem Sexualpartner, bei Sexarbeit, bei Sexualverkehr mit einer Person, die mit Hepatitis B, Hepatitis C oder HIV infiziert ist oder bei Sexualverkehr mit einer Person, die in einem Hochprävalenzland für diese Infektionen lebt oder von dort eingereist ist.

Besonderes Augenmerk wurde auf die Formulierungen der Rückstellkriterien gelegt. So wurde
auch infolge kritischer Rückmeldungen im Rahmen der schriftlichen Fachanhörung beispielsweise die Formulierung „Sexualverkehr zwischen Heterosexuellen“ zur Vermeidung des Anscheins einer Diskriminierung geändert in „Sexualverkehr zwischen Frau und Mann“.

Bereits im Vorfeld hatte die Bundesärztekammer die Unterstellung einer Diskriminierung bei der Blutspende entschieden zurückgewiesen und klargestellt, dass es einem methodischen Ansatz der medizinischen Wissenschaft entspricht, Gruppen zu definieren und zu vergleichen, um beispielsweise Aussagen über die Verbreitung sowie die Ursachen und Folgen von gesundheitsbezogenen Zuständen und Ereignissen in Bevölkerungen oder Populationen treffen zu können. Es sei ein unglückliches Missverständnis, wenn diese medizinisch-wissenschaftliche Vorgehensweise im Sinne des englischen Terminus „discrimination between“ mit einer Benachteiligung oder Herabwürdigung von Gruppen oder einzelnen Personen im Sinne von „discrimination against“ verwechselt werde.

Epidemiologie als Basis

Grund für die Rückstellung von Personen von der Blutspende sind epidemiologische Daten, die zeigen, dass bestimmte Verhaltensweisen mit einem hohen Risiko für den Erwerb von transfusionsrelevanten Erregern assoziiert sind. Eine Bewertung der sexuellen Orientierung nehmen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausdrücklich nicht vor. Keinesfalls darf diese medizinisch-wissenschaftliche Risikostratifizierung aus ihrem Regelungskontext gerissen und als Gradmesser für gesellschaftliche Akzeptanz oder Diskriminierung herangezogen werden, betonte die BÄK. Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann

Die Richtlinie im Internet:
http://daebl.de/SK79
oder über QR-Code.

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