ArchivDeutsches Ärzteblatt40/2021Prävalenz von SARS-CoV-2-Infektionen bei wohnungslosen Menschen in Köln
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COVID-19 hat einen erheblichen Einfluss auf die Gesellschaft: Nicht nur die direkten Krankheitsfolgen, sondern auch die persönlichen, wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen sind enorm. Menschen am Rand der Gesellschaft sind hierbei besonders betroffen, da Versorgungsangebote kaum auf sie zugeschnitten sind. So weisen Menschen mit niedrigem sozialen Status eine erhöhte Inzidenz und eine erhöhte Mortalität auf (1) – ein Befund, der sich auch bei vielen anderen Erkrankungen findet. Über die Bedeutung von COVID-19 bei obdachlosen Menschen ist wenig bekannt.

Menschen sind wohnungslos, wenn sie keine Wohnung bewohnen, die ihre Hauptadresse darstellt. Diese Personen kommen beispielsweise in Notschlafstellen, provisorischen Unterkünften, Frauenhäusern, städtischen Kältehilfebussen, bei Bekannten oder in Hotels unter. Ein Teil dieser Gruppe sind Obdachlose im engeren Sinn: Sie haben keine Unterkunft, schlafen also auf der Straße oder in anderen Bereichen im Freien. Zur Zahl der Obdachlosen gibt es nur Schätzungen; für Köln wird angenommen, dass circa 400 Personen obdachlos sind. Aufgrund der unzureichenden Erkenntnisse über die Bedeutung von COVID-19 bei Wohnungslosen wurde das vorliegende Projekt konzipiert, um dazu beizutragen, diese Wissenslücke zu schließen.

Methoden

Die Studie berichtet über eine Prävalenzerhebung von COVID-19 während der Hochphase der sogenannten 3. Welle im Mai 2021 vor Beginn einer Impfaktion der Stadt Köln für Menschen, die auf der Straße leben. Die Studie wurde von der Wilhelm H. Pickartz-Stiftung, Köln, und dem Verein Gesundheit für Wohnungslose e. V. (GfW), Köln, gefördert. Ein positives Ethikvotum liegt vor. Das Projekt verfolgt zusätzlich weitere Fragestellungen, die hier nicht dargestellt werden.

Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Studie wurden in einer Einrichtung zur Tagesbetreuung von Wohnungslosen („Gulliver“) sowie während eines aufsuchenden ehrenamtlichen Angebots zur medizinischen Versorgung auf der Straße (GfW) untersucht. Für die Teilnahme wurden sie durch persönliche Ansprache und Informationsweitergabe über die Studie an verschiedenen öffentlichen Orten gewonnen. Nach Aufklärung und Einwilligung wurden aus einem Rachenabstrich und aus einer Sputumprobe, die mittels Salivetten entnommen worden war, eine SARS-CoV-2-PCR (PCR, Polymerase-Kettenreaktion), durchgeführt. Die Validität der Tests wurde separat gezeigt (2). Die Diagnostik erfolgte mit einem PCR-Poolverfahren, bei dem zehn Proben in einer PCR-Testung untersucht wurden. Bei positivem Ergebnis wurden die einzelnen Proben eines Pools erneut separat analysiert. Die Probanden erhielten als „Aufwandsentschädigung“ einen Betrag von fünf Euro.

Ergebnisse

Die Basisdaten werden in der Tabelle gezeigt. Die Abstriche und die Sputumproben ergaben konkordante Ergebnisse. Bei vier Personen wurde SARS-CoV-2 identifiziert (3,1 %, 95-%-Konfidenzintervall: [0,11; 6,05]); diese waren asymptomatisch. Die ermittelten Viruslasten (gemessen in Ct-Werten) der positiven Resultate lagen zwischen Ct 25 und Ct 35. Die infizierten Personen waren ungeimpft und zeigten die SARS-CoV-2-Variante Alpha. Sie konnten im Nachgang kontaktiert und in einer von der Stadt Köln explizit für Wohnungslose vorgehaltenen Einrichtung zur Betreuung und Isolierung bei COVID-19 untergebracht werden. Zudem wurden vier Kontaktpersonen ermittelt, die ebenfalls dort isoliert wurden. Zwei weitere Probanden gaben COVID-19-typische Symptome an; diese hatten negative Testergebnisse.

Daten zu den Teilnehmern der Studie
Tabelle
Daten zu den Teilnehmern der Studie

Diskussion

Nach unserer Kenntnis ist dies die erste Studie, die Prävalenzdaten von COVID-19 bei asymptomatischen wohnungslosen Menschen in Deutschland vorlegt. Zudem war mehr als die Hälfte der Probanden obdachlos, also ohne jegliche Unterbringung. Ähnliche Studien in Italien, Kanada und den USA zeigen Prävalenzen von 2–4 % in Obdachlosenunterkünften (3, 4, 5). Somit sind die vorgestellten Daten mit internationalen Befunden vergleichbar, wobei zu berücksichtigen ist, dass unsere Daten überwiegend auf der Straße erhoben wurden.

Zum Vergleich der Ergebnisse kann die Inzidenz in der Bevölkerung, die im genannten Zeitraum um den Faktor 30 niedriger lag, nur bedingt herangezogen werden, da sich die Methodik der Inzidenzschätzung nach den Vorgaben des Robert Koch-Instituts von der hier angewandten unterscheidet. Dies gilt analog für die Rate positiver Tests, die im Studienzeitraum in den meisten Laboren bis 10 % betrug, was darauf zurückzuführen ist, dass hier symptomatische und asymptomatische Getestete enthalten waren. Für einen sinnvollen Bezug sind demnach nur asymptomatische Personengruppen heranzuziehen, für die jedoch kaum aktuelle Daten vorliegen. Nur wenige Befunde stammen aus der „Normalbevölkerung“. Bei nichtinternistischen Aufnahmescreenings in der Universitätsklinik Köln wurden im Studienzeitraum 1,8 % positive Ergebnisse erzielt (Befunddaten des Instituts für Virologie). Für diese Gruppe kann angenommen werden, dass hinsichtlich COVID-19 keine Symptomatik vorlag.

Neben der erschwerten Vergleichbarkeit der Resultate mit der allgemeinen COVID-19-Prävalenz ist einschränkend festzuhalten, dass in der vorliegenden Studie aufgrund der informellen Informationsweitergabe im öffentlichen Raum keine Angaben zur Teilnahmerate ermittelt werden konnten.

Fazit

Die Prävalenz von SARS-CoV-2 liegt bei asymptomatischen wohnungslosen Menschen in Köln zumindest auf dem Niveau der Normalbevölkerung, möglicherweise darüber. Aufgrund dieses Resultats und der verbreiteten Multimorbidität ist diese hochvulnerable Gruppe besonders durch COVID-19 bedroht. Die hier gezeigten Ergebnisse sollten dazu führen, dass auch diesen Menschen während einer Hochinzidenzphase Screeninguntersuchungen angeboten werden, um sie zu schützen.

Ethikvotum

Universitätsklinikum Düsseldorf: 2021–1489

Förderung

Die Studie wurde unterstützt durch die Wilhelm H. Pickartz-Stiftung, Köln, und den Verein „Gesundheit für Wohnungslose Köln e. V.“.

Mark Oette, Sara Corpora, Miriam Baron, Markus Laudenberg, Rolf Kaiser, Florian Klein, Eva Heger

Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Gastroenterologie und Infektiologie, Krankenhaus der Augustinerinnen, Köln (Oette, Corpora, Baron); moette@severinskloesterchen.de

Verein Gesundheit für Wohnungslose e. V., Köln (Oette)

Klinik für Pneumologie, Allergologie, Schlaf- und Beatmungsmedizin, Krankenhaus der Augustinerinnen, Köln (Laudenberg)

Institut für Virologie, Uniklinik Köln, Medizinische Fakultät der Universität zu Köln (Kaiser, Klein, Heger)

Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Manuskriptdaten
eingereicht: 18. 7. 2021, revidierte Fassung angenommen: 26. 8. 2021

Zitierweise

Oette M, Corpora S, Baron M, Laudenberg M, Kaiser R, Klein F, Heger E: The prevalence of SARS-CoV-2 infection among homeless persons in Cologne, Germany—an epidemiological study at the height of the third wave. Dtsch Arztebl Int 2021; 118: 678–9. DOI: 10.3238/arztebl.m2021.0327

Dieser Beitrag erschien online am 23. 9. 2021 (online first) auf www.aerzteblatt.de

►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter: www.aerzteblatt-international.de

1.
Hoebel J, Michalski N, Wachtler B, et al.: Socioeconomic differences in the risk of infection during the second SARS-CoV-2 wave in Germany. Dtsch Arztebl Int 2021; 118: 269–70 VOLLTEXT
2.
Costa MM, Benoit N, Dormoi J, et al.: Salivette, a relevant saliva sampling device for SARS-CoV-2 detection. J Oral Microbiol 2021; 13: 1920226 CrossRef MEDLINE PubMed Central
3.
Ralli M, Morrone A, Arcangeli A, et al.: Asymptomatic patients as a source of transmission of COVID-19 in homeless shelters. Int J Infect Dis 2021; 103: 243–5 CrossRef MEDLINE PubMed Central
4.
Kiran T, Craig-Neil A, Das P, et al.: Factors associated with SARS-CoV-2-positivity in 20 homeless shelters in Toronto, Canada, from April to July 2020: a repeated cross-sectional study. CMAJ Open 2021; 9: E302–8 CrossRef MEDLINE PubMed Central
5.
Rogers JH, Link AC, McCulloch D, et al.: Characteristics of COVID-19 in homeless shelters: a community-based surveillance study. Ann Intern Med 2021; 174: 42–9 CrossRef MEDLINE PubMed Central
Daten zu den Teilnehmern der Studie
Tabelle
Daten zu den Teilnehmern der Studie
1.Hoebel J, Michalski N, Wachtler B, et al.: Socioeconomic differences in the risk of infection during the second SARS-CoV-2 wave in Germany. Dtsch Arztebl Int 2021; 118: 269–70 VOLLTEXT
2.Costa MM, Benoit N, Dormoi J, et al.: Salivette, a relevant saliva sampling device for SARS-CoV-2 detection. J Oral Microbiol 2021; 13: 1920226 CrossRef MEDLINE PubMed Central
3.Ralli M, Morrone A, Arcangeli A, et al.: Asymptomatic patients as a source of transmission of COVID-19 in homeless shelters. Int J Infect Dis 2021; 103: 243–5 CrossRef MEDLINE PubMed Central
4.Kiran T, Craig-Neil A, Das P, et al.: Factors associated with SARS-CoV-2-positivity in 20 homeless shelters in Toronto, Canada, from April to July 2020: a repeated cross-sectional study. CMAJ Open 2021; 9: E302–8 CrossRef MEDLINE PubMed Central
5.Rogers JH, Link AC, McCulloch D, et al.: Characteristics of COVID-19 in homeless shelters: a community-based surveillance study. Ann Intern Med 2021; 174: 42–9 CrossRef MEDLINE PubMed Central

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