

Eine Stiftung, die sich selbst als unabhängig bezeichnet, lädt Ärztinnen und Ärzte zu einer Studie über Raucherentwöhnung und Schadensminderung ein. Kritikerinnen und Kritiker halten die Organisation für den verlängerten Arm eines Tabakkonzerns und warnen vor der Teilnahme.
Das Angebot klingt auf den ersten Blick unverdächtig: Beratungstätigkeit für eine Studie zur Raucherprävention, durchgeführt von einer Stiftung, die den Zigarettenkonsum reduzieren will. Ärztinnen und Ärzte in Deutschland und elf anderen Ländern rund um den Globus erhielten im Sommer eine solche „exklusive Einladung“ von einem Social-Media-Netzwerk für medizinisches Personal namens Sermo mit Sitz in den USA. Das Schreiben liegt dem Deutschen Ärzteblatt vor.
Im Rahmen des achtmonatigen Projekts sollten die Angeschriebenen demnach unter anderem Studienergebnisse bewerten, die sich mit der medizinischen Ausbildung zur Raucherprävention befassen. Darüber hinaus sollten sie ein „tiefgreifendes Verständnis“ für den aktuellen Wissensstand sowie Praktiken zur Raucherentwöhnung und der Reduzierung von Tabakschäden – auch auf Deutsch teils als „Harm Reduction“ bezeichnet – entwickeln. Pro Stunde wurden Teilnehmenden rund 250 Euro Aufwandsentschädigung in Aussicht gestellt.
Finanziert wird die Untersuchung dem Anschreiben zufolge von der Foundation for a Smoke-Free World (FSFW), zu Deutsch Stiftung für eine rauchfreie Welt. Sermo, das nach eigenen Angaben 1,3 Millionen Mitglieder aus dem Gesundheitsbereich in 150 Ländern zählt und sein Geld mit Umfragen unter diesen Mitgliedern verdient, beschreibt die Stiftung als eine unabhängige Nonprofit-Organisation, die es sich zum Ziel gesetzt habe, das Rauchen in dieser Generation zu beenden. Sie nehme zwar Spenden des Tabakkonzerns Philip Morris International (PMI) an, vertrete aber weder dessen Interessen noch die der Tabakindustrie, heißt es in dem Schreiben.
Warnung vor Teilnahme
Die Studienteilnahme sei in keiner Weise werbend und entspreche allen relevanten ethischen Richtlinien. Welche dies sein sollen, erklärt Sermo nicht. Auch darüber hinaus enthielt die Plattform den Ärztinnen und Ärzten, die sie für die Anfrage kontaktierte, wichtige Informationen vor, wie aus einer Mitteilung des Aktionsbündnisses Nichtrauchen e.V. (ABNR), einem Zusammenschluss von fünfzehn bundesweit tätigen Gesundheitsorganisationen, hervorgeht. Das Bündnis warnte deutsche Medizinerinnen und Mediziner im August explizit vor der Teilnahme an der Studie.
Die FSFW sei 2017 von PMI gegründet und für einen Zeitraum von zwölf Jahren mit fast einer Milliarde US-Dollar ausgestattet worden, wobei der Tabakkonzern der einzige Geldgeber sei, heißt es in einem Schreiben des ABNR. „Die Stiftung steht in der Tradition der langjährigen Strategie der Tabakindustrie, vermeintlich unabhängige wissenschaftliche Organisationen zu gründen, um nachzuweisen, dass ihre Produkte sicher sind“, so die Autoren. Dabei gehe es mittlerweile vor allem um neue Alternativen zur Zigarette wie Tabakerhitzer oder E-Zigaretten.
„Wie PMI setzt sich auch die FSFW für die ‚Harm Reduction‘-Strategie ein. So warb die Stiftung zum Beispiel in diversen Pressemitteilungen zum diesjährigen Weltnichtrauchertag für Schadensminderung durch neue Tabak- und Nikotinprodukte“, schreibt das ABNR. Mit Umfragen und Kooperationsangeboten versuchten PMI und FSFW, Angehörige der Gesundheitsberufe in ihre Strategie einzubinden. Dabei gehe es nur vordergründig um Schadensminderung, im Grunde aber darum, die neuen Produkte zu legitimieren.
Rekrutierung von Forschenden
„Es gibt eine sehr lange Geschichte von industrieeigener Forschung und auch der Rekrutierung und Bezahlung von Wissenschaftlern hinter den Kulissen“, erklärt auch Judith Mackay, Sonderberaterin des Global Centre for Good Governance in Tobacco Control. Das GGTC ist an der thailändischen Thammasat University als Teil der Südostasiatischen Tabakkontrollallianz angesiedelt und fungiert zugleich als Wissenszentrum für das Sekretariat des Rahmenübereinkommens der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs, FCTC (Framework Convention on Tobacco Control).
Hier wurde bereits 2005 festgelegt, dass gesundheitspolitische Maßnahmen zur Reduzierung des Rauchens vor Eingriffen durch die Tabakindustrie geschützt werden müssen. Dazu verpflichteten sich über 160 Vertragsparteien, darunter auch Deutschland und die EU.
„Die FSFW hofft auf eine Zusammenarbeit mit Ärztinnen und Ärzten, um Einfluss auf die Politik zu nehmen, insbesondere bei neuen Tabakprodukten. Dies würde der FSFW einen Platz am Tisch mit Gesundheitsberufen und Regierungen verschaffen, was im Widerspruch zur FCTC steht“, so Mackay.
Gemeinsam mit der Organisation Stopping Tobacco Organisations and Products (STOP), die von der US-Wohltätigkeitsorganisation Bloomberg Philanthropies finanziert wird und mit dem GGTC kooperiert, warnte Mackay bereits im Juli unter anderem die Bundesärztekammer vor einer möglichen Kontaktaufnahme durch die FSFW.
STOP habe die Steuerrückzahlungen der Stiftung aus den vergangenen drei Jahren analysiert, heißt es in der Nachricht. Die Untersuchungen zeigten, dass sich die FSFW strategisch an den Interessen von PMI ausrichte. Unter anderem habe die Stiftung trotz anderslautender Behauptungen keine weiteren Spender gewonnen, sondern werde auch vier Jahre nach seiner Gründung ausschließlich von dem Tabakkonzern finanziert, erklärt STOP auf seiner Website. Die Steuerunterlagen hätten zudem offengelegt, dass die FSFW etwa in den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit und Recht Verträge mit Organisationen geschlossen habe, die mit der Tabakindustrie verbunden seien.
Die FSFW betont auf Anfrage des Deutschen Ärzteblatts, unabhängig zu sein und verweist auf eine gemeinsame Verpflichtungserklärung mit PMI. Das Dokument belegt, das PMI von 2018 bis 2021 insgesamt 245 Millionen US-Dollar an die FSFW zahlte und plant, die Stiftung bis 2029 weiterhin jährlich mit 35 Millionen Dollar zu unterstützen. Diese finanzielle Übereinkunft bedeute jedoch keine Partnerschaft oder sonstige Beziehung der beiden Parteien, heißt es in dem Dokument weiter. „Die Stiftung wurde unter anderem gegründet, um unabhängige wissenschaftliche Forschung zu unterstützen, die frei von dem Einfluss einer kommerziellen Einrichtung ist. So steht es in der Gründungsurkunde“, erklärt eine Stiftungssprecherin. Die Arbeit werde von einem unabhängigen Vorstand überwacht.
Auch PMI erklärt auf Anfrage: „Die Foundation for a Smoke-Free World ist eine unabhängige, gemeinnützige Organisation. Sie wurde gegründet, um die Entwicklung evidenzbasierter Ansätze zur raschen Reduzierung der gesundheitlichen Auswirkungen des Zigarettenrauchens zu unterstützen.“
Taktik der Tabakindustrie
Kritikerinnen halten diese Darstellung für unglaubwürdig. „Die FSFW scheint ein Teil in der Gesamtstrategie von PMI zu sein, die letztlich dem Zweck dient, den Übergang zur neuen Generation nikotinhaltiger Produkte zu gestalten“, sagt Sonja von Eichborn von Unfairtobacco, einem Projekt der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Umwelt und Entwicklung, das sich unter anderem für die effektive Umsetzung der WHO-Rahmenkonvention FCTC einsetzt.
„Die Taktiken dahinter sind seit Jahrzehnten gleich: Zweifel an wissenschaftlichen Erkenntnissen durch die Finanzierung von Gegenstudien streuen, eigene Studien als wissenschaftlich und unabhängig darstellen, sich selbst als verantwortlich und gesellschaftlich engagiert darstellen und negative Auswirkungen der Tabakindustrie verschleiern“, so von Eichborn. Ärztinnen und Ärzten rät sie, nicht an Studien wie dieser teilzunehmen.
Auch Mackay warnt: „Teilnehmende Ärztinnen und Ärzte riskieren, dass ihr Name, der auf Wunsch von FSFW explizit im Zusammenhang mit dem Projekt genannt werden soll, neben dem der Tabakindustrie steht – einer Branche, die jährlich acht Millionen Menschen tötet.“ Medizinerinnen und Mediziner müssten immer alarmiert sein, wenn für die Teilnahme an einem Projekt Geld angeboten werde und die Frage stellen, woher die Finanzierung komme. Alina Reichardt
Die Rolle der Ärzteplattform Sermo
Die Social-Media-Plattform für Ärztinnen und Ärzte, Sermo, verschickte die Einladungen für die Studie der Foundation for a Smoke-Free World (FSFW). Sie nimmt die enge Verknüpfung mit der Tabakindustrie wissend in Kauf, glaubt die Tabakkontrollexpertin Judith Mackay: „Mittlerweile gibt es zahlreiche Artikel und Informationen, die den Zusammenhang zwischen Philip Morris International (PMI) und der FSFW offenlegen, aber Sermo hat seine Unterstützung für die Studie nicht zurückgezogen.“ Sermo schreibt auf Anfrage, man habe die Anschreiben aufgrund von Feedback „überarbeitet, um sicherzustellen, dass unsere Ärztinnen und Ärzte über die Beziehung zwischen der Stiftung und PMI informiert sind“. Welche Änderungen vorgenommen wurden, erklärt das Unternehmen nicht. Man setze sich aber weiter dafür ein, „Gespräche zwischen Ärztinnen, Ärzten und Unternehmen und Organisationen zu ermöglichen, die ihre Erkenntnisse und ihr Fachwissen suchen, um Strategien und Innovationen zu entwickeln, die das Potenzial haben, die Gesundheitsversorgung zu verbessern“, so eine Sprecherin.
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