

Wir leben in einer Demokratie, einer der besten vorstellbaren Formen des gesellschaftlichen Zusammenseins. Entscheidungen, die zum Glück des Einzelnen sowie der Gemeinschaft getroffen werden, beruhen auf intensiver Diskussion unter Würdigung aller Fakten. Transparenz und Teilhabe, Diskurs und Demoskopie sind die funkelnden Edelsteine unserer gemeinschaftlichen Ordnung. Wobei alles, das wissen wir Ärzte leider nur zu gut, seine Nebenwirkungen hat – auch die Diskussion.
So können ausufernde Dispute bei schnell zu treffenden Entscheidungen ins Unglück führen. Hätten sich beispielsweise unsere Vorfahren im Anblick von heranstürmenden, offenkundig kalorienbedürftigen Säbelzahntigern in einen stundenlangen Streit darüber verstrickt, ob Wegrennen oder Steinewerfen die bessere Option wäre, so gäbe es uns heute nicht.
Vor diesem Hintergrund bin ich, so muss ich gestehen, etwas irritiert über die Haltung der Impfskeptiker, auch wenn sich die Bedrohung durch das Virus derzeit nicht so schnell aufbaut wie bei den frühzeitlichen Säbelzahntigern. Man wolle erst mal abwarten, so höre ich immer wieder, ob die Impfe nicht doch furchtbar schädlich sei, auch wenn diese Wartezeit mit einem relevanten Erkrankungsrisiko behaftet ist.
Dass die Impfe, wie vielfach behauptet, uns alle zu willenlosen Zombies der Regierung macht, kann ich als Durchgeimpfter nicht feststellen. Ich ärgere mich jedenfalls ordnungsgemäß über jeden Bürokratiewahnsinn und habe auch nicht vor, dies zu ändern. Zudem habe ich festgestellt, dass die Impfung doch eine höchst erfreuliche Lockerheit in meinen Alltag bringt, trotzdem ich die Hygienemaßnahmen nicht außer Acht lasse.
Was habe ich – und das bleibt jetzt bitte unter uns – zu Beginn der Pandemie zusammenfantasiert, wie ich den marodierenden Viren Paroli bieten könnte, da ich ja im Rahmen meiner Berufsausübung die 1,5-Meter-Grenze häufig unterbieten musste.
Die Idee, mich in einen Abfallsack zu stecken und die Luft anzuhalten, habe ich verworfen. Wer will schon von einem Abfallsack, der obenrum blau anläuft, fachärztlich betreut werden? Verworfen hatte ich auch die Idee, mich in einen Neoprenanzug zu stecken und die benötigte Luft über einen Taucherhelm zuzuführen. Man stelle sich den Schock für meine Schutzbefohlenen vor, denen sich ein Tiefseetaucher mit Stethoskop um die Taucherglocke nähert, ein übergestülpter weißer Kittel hätte das Trauma nur potenziert. Was bin ich froh und dankbar, dass ich solche apokalyptischen Auswüchse dank der Impfungen nunmehr auf dem Müllhaufen fiebriger Albträume entsorgen kann. Somit eile ich frohgemut in die Praxis, um mich meiner Schutzbefohlenen anzunehmen. Der Erste, bitte! Guten Morgen, sind Sie schon geimpft? „Nein, Herr Doktor!“ Was?! Nicht geimpft?! Hören Sie mal, wer heutzutage in eine Praxis kommt und nicht rechtzeitig bei Drei auf dem Baum ist, kriegt den Piks! Er schaut mich böse an. „Keine Chance!“ Oje, da bahnt sich eine höchst katastrophale Impfgegner-Diskussion an. Aber ich muss mich dem genauso stellen wie besagte Vorfahren den Säbelzahntigern, also: Warum will er sich denn nicht impfen lassen? „Würde ich ja gerne! Aber ich habe einen Bandscheibenvorfall, ich kann weder stehen noch sitzen noch liegen und wegen der Impfschlangen komme ich auch nicht bis zu meinem Hausarzt durch! Ich schaffe es bei Drei noch nicht mal bis zum nächsten Baum, geschweige denn hinauf!“
Ach so. Kein Problem, ich besorge ihm blitzartig Termine bei unseren Orthopäden und zum MRT! Und die Impfe kriegt er bei uns auch. Er strahlt mich an. Je schneller Missverständnisse geklärt werden, desto kürzer die Diskussion, umso glücklicher werden alle.
Dr. med. Thomas Böhmeke
ist niedergelassener Kardiologe in Gladbeck.