ArchivDeutsches Ärzteblatt42/2021Ärztliche Kommunikation: Grundlagen guter Behandlungsgespräche

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Ärztliche Kommunikation: Grundlagen guter Behandlungsgespräche

Beck, Martin; Diste, Heinz; Reimann, Sandra; Thielscher, Christian

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Die Komplexität von Behandlungsgesprächen, aber auch unterschiedliche Erwartungen und Ziele der Gesprächsbeteiligten können die ärztliche Kommunikation gefährden. Darum gilt es, diese zu adressieren.

Foto: DOC RABE Media/ stock.adobe.com
Foto: DOC RABE Media/ stock.adobe.com

Warum ärgert man sich als Ärztin oder Arzt, wenn man in Empfehlungen zur Kommunikation „Tipps“ liest wie: „Nehmen Sie sich Zeit für den Patienten“, „Nehmen Sie ihr Gegenüber ernst“, „Sprechen Sie auf Augenhöhe“? Vielleicht, weil man sich selbst nicht ernst genommen fühlt? Denn schließlich dürfte es allgemeiner Konsens sein, dass man Patientinnen und Patienten ernst nehmen soll und auch möchte. Es liegt also keineswegs ein kognitives Problem auf ärztlicher Seite vor, wie solche Artikel unterstellen. „Salus aegroti suprema lex“ – „das Wohl des Patienten ist höchstes Gesetz“ gilt schon seit der Antike.

Oder fühlt man sich ertappt? Denn jede Ärztin, jeder Arzt weiß auch, dass man sich eben nicht immer genug Zeit für das Gegenüber nimmt, und zwar nicht nur, weil ein hartes Zeitproblem vorliegt.

Dass in der ärztlichen Kommunikation nicht alles optimal läuft, wissen Ärztinnen und Ärzte aus Erfahrung, und wer es nicht glaubt, muss nur einen Blick auf Arztbewertungsportale werfen, in denen zum Teil bittere Fallschilderungen von Patientinnen und Patienten zu lesen sind.

Wo liegt also das Problem? Schürft man gedanklich tiefer, als lediglich Wissensmangel zu unterstellen, zeigt sich, dass das ärztliche Gespräch gegenüber der alltäglichen Kommunikation einige Besonderheiten aufweist, die leicht zu Missverständnissen und/oder Konflikten führen können.

Komplexe Gesprächssituation

Zum einen sind ärztliche Gesprächssituationen komplex, voraussetzungsvoll und manchmal angsterfüllt. Bei einem alltäglichen Gespräch geht schon deswegen wenig schief, weil seine Bedeutung (meist) gering ist. Das ärztliche Gespräch handelt häufig ebenfalls von nahezu trivialen Vorgängen (zum Beispiel bei der Verlängerung eines unkritischen Rezeptes), manchmal aber bezieht es sich auf Schicksalsschläge (bei der Eröffnung einer ungünstigen Diagnose) oder gar auf das Management lebensbedrohlicher Zustände. Je nach Situation wissen die Beteiligten nicht, was auf sie zukommt und sind entsprechend angespannt. Auch unterschiedliche Annahmen über die Bedeutung des Gespräches können zu misslungener Kommunikation führen: wenn zum Beispiel die zu behandelnde Person glaubt, schwer krank zu sein, während die Ärztin/der Arzt die Situation sehr entspannt einschätzt und auch so kommuniziert.

Die ärztliche Kommunikation ist zudem voraussetzungsvoll und weicht damit erheblich von der Alltagskommunikation ab. So darf und soll beispielsweise die Ärztin oder der Arzt, so weit es zur Diagnostik beziehungsweise Therapie erforderlich ist, in die Intimsphäre der Patientin oder des Patienten eindringen und sie oder ihn sogar verletzen (zum Beispiel bei chirurgischen Eingriffen). Auch darüber können die Meinungen beider Seiten auseinandergehen: Wie viel ärztlich-professionelle „Hartnäckigkeit“ ist erforderlich, wie viel Rücksichtnahme möglich? Außerdem ist grundsätzlich von einem Wissensgefälle auszugehen: die medizinische Expertise einerseits, das Laienverständnis andererseits. Die klassische Rollenverteilung ist also ratgebende Person auf der einen und ratsuchende auf der anderen Seite. Das erfordert beispielsweise von Letzterer ein (vorläufiges) Vertrauen in die Kenntnisse der Ärztin oder des Arztes.

Vor allem beim Erstkontakt ist es für beide Seiten schwer, das Gegenüber richtig einzuschätzen. Das erzeugt Angst und zwar auch auf ärztlicher Seite – zum Beispiel davor, bei der Anamnese eine wichtige Frage zu vergessen.

Kommunikationsziele

Nicht immer sind die Ziele der Kommunikation – ebenso wie die Erwartungen und Eigenschaften der Beteiligten – offensichtlich. Außerdem können manchmal Interessen konfligieren.

Ziele der Kommunikation können umfassen:

  • dass die Krankheit der Person präzise erfasst und richtig behandelt wird,
  • dass alle Beteiligten, vor allem aber die oder der Betroffene, zufrieden sind,
  • dass sie oder er die Krankheit beziehungsweise die Behandlung tatsächlich verstanden hat oder glaubt, sie verstanden zu haben,
  • dass eine Verhaltensänderung erfolgt (bei Diabetes zum Beispiel eine Ernährungsumstellung),
  • dass die Kommunikation eine vertrauensvolle Zusammenarbeit ermöglicht und unterstützt,
  • dass ein angenehmes Gesprächsklima besteht.

Diese Ziele unterscheiden sich je nach Person und sie können unterschiedliche Vorgehensweisen erfordern. Als Ärztin oder Arzt sieht man sich daher manchmal Zielkonflikten gegenüber. „Allen alles recht machen“ ist dann weder die richtige Strategie noch die richtige Empfehlung. So scheint oft aus rein medizinisch-technischer Sicht gar kein langes Gespräch erforderlich, weil sehr schnell klar ist, was zu tun ist. Das dürfte einer der Gründe dafür sein, dass Patientinnen und Patienten im Erstgespräch durchschnittlich schon nach ungefähr 20 Sekunden unterbrochen werden. Für die Diagnostik kann das durchaus angemessen sein; es entspricht aber nicht immer dem Wunsch der Betroffenen.

Stattdessen muss man entlang der Kommunikationsziele und Personengruppen differenzieren und priorisieren: Wem kann man Unterbrechungen im Gesprächsfluss zumuten, wem nicht? Dazu gehört die Reflexion der Erklärstrategien – etwa Beispiele, Übersetzungen von Fachausdrücken, der Einsatz von Vollformen statt Kurzwörtern oder weiterführende zielgruppenangemessene Erläuterungen des Inhalts.

Auch die Erwartungshaltung der Patientinnen und Patienten kann sich auf unterschiedliche Dinge beziehen:

  • Zahlen, Daten, Fakten: „Wie lange dauert die Erkrankung?“ – Die Patientin/der Patient möchte möglichst viele Informationen über ihre Krankheit.
  • Meinung: „Was ist aus Ihrer Sicht die beste Therapie?“ – Die Patientin/der Patient möchte einen Rat, sie behält sich vor, sich selbst eine Meinung zu bilden.
  • Gefühl: „Mir geht es nicht gut.“ – Die Patientin/der Patient wünscht sich Mitgefühl und Verständnis für ihr Leid.
  • Aktion: „Helfen Sie mir.“ – Die Patientin/der Patient will gar nichts Genaueres wissen, sondern eine klare Handlungsanweisung.
  • Humor: „Ich hab wohl irgendeinen Kettenbrief nicht weitergeleitet, was?“ – Die Patientin/der Patient braucht jemanden, die/der ihr die Schwere der Erkrankung nimmt.
  • Reflexion: „Da muss ich jetzt noch einmal in Ruhe drüber nachdenken.“ – Die Patientin/der Patient braucht Ruhe und Zeit, um über den Befund zu reflektieren.

Die Eigenschaften von Patientinnen und Patienten können ganz unterschiedlich sein und eine unterschiedliche Kommunikation erfordern, ohne dass dies zu Gesprächsbeginn immer klar wäre (beispielsweise sozialer Status, Intelligenz, Vorwissen, kulturelle Faktoren und vieles mehr). Selbstverständlich kann die Krankheit als solche die Kommunikation behindern (zum Beispiel eine bisher unerkannte Depression). Ein spezielles, aktuelles Thema sind Vorinformationen aus dem Internet. Mit dieser (neuen) Situation des „Experten in der Praxis mit gradueller Abstufung“ (Reimann: „Sprache des Hungerns“, Tübingen 2018, 80) ist gar nicht so leicht umzugehen: Die oder der Betroffene übernimmt Verantwortung und wird aktiv, will aber vielleicht eine Behandlung, die gar nicht passt.

Interessenkonflikte

Schließlich können Interessen konfligieren, zum Beispiel zwischen (wartenden) Patientinnen und Patienten, zwischen Betroffenen und ihren Angehörigen oder zwischen mehreren an der Diagnostik beziehungsweise der Therapie beteiligten Ärztinnen und Ärzten und ihren Mitarbeitenden. In solchen Fällen können nicht immer alle Wünsche gleich gut erfüllt werden. Denn das ärztliche Gespräch bildet zwar das Zentrum der Behandlungskommunikation, aber darüber dürfen die Kommunikationsprozesse zwischen Mitarbeitenden und Betroffenen, Patientinnen und Patienten untereinander, Behandelnden und Mitarbeitenden und so weiter nicht übersehen werden. Sie folgen eigenen Regeln und Besonderheiten.

Übrigens dürften die Komplexität und Schwierigkeit der ärztlichen Kommunikation zum verblüffenden Befund beitragen, dass bessere Kommunikation empirisch nicht unbedingt zu besseren Behandlungsergebnissen führt – allerdings meist zu einer höheren Zufriedenheit auf Seite der Patientinnen und Patienten.

Dr. med. Martin Beck, Heinz Diste,

Prof. Dr. phil. Sandra Reimann,

Prof. Dr. med. Christian Thielscher

Zur Artikelserie

Diese Serie aus drei Artikeln beschäftigt sich mit der ärztlichen Kommunikation. Im aktuellen Teil wird die Frage erörtert, was gute Kommunikation ist und wie sie entsteht. In den folgenden Beiträgen werden konkrete Beispiele missglückter und gelungener Kommunikation aus der Praxis (Teil 2) besprochen und es wird aufgezeigt, was Linguistik und Marketingtheorie zur Lösung typischer Probleme beitragen (Teil 3).

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