SUPPLEMENT: Perspektiven der Diabetologie
Adipositas: Kardiale Risiken trotz metabolischer Gesundheit


EASD-Kongress: Eine Analyse der Krankenakten von Patienten ohne kardiale Vorerkrankungen und einem BMI von über 30 belegt, dass normale Stoffwechselparameter adipöse Menschen nicht vor kardiovaskulären Komplikationen schützen.
Adipöse Menschen haben auch dann ein erhöhtes Risiko auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wenn ihr Blutzucker und andere Stoffwechselparameter normal sind. Dieses Ergebnis einer bevölkerungsbasierten Studie wurde auf der Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD) vorgestellt und kürzlich publiziert (1).
Bei den meisten adipösen Menschen sind die Gewichtsprobleme Teil einer Risikokonstellation, zu der auch Hypertonie, Dyslipidämie und Typ 2-Diabetes gehören. Dieses metabolische Syndrom ist mit einem deutlichen Anstieg von kardiovaskulären Erkrankungen verbunden. Es gibt allerdings auch adipöse Menschen, bei denen Blutdruck und Laborparameter im Normalbereich sind. Diese Konstellation wird häufig als „metabolisch gesunde Adipositas“ bezeichnet, was suggeriert, dass die Adipositas keine negativen gesundheitlichen Auswirkungen hat.
Eine Analyse der Krankenakten von allen Patienten, die 2013 aus französischen Krankenhäusern entlassen wurden, lässt jedoch bezweifeln, dass adipöse Menschen auf der sicheren Seite sind, solange ihre Stoffwechselparameter normal sind. Die Analyse beruht auf 2,95 Mio. Patienten ohne kardiale Vorerkrankungen, von denen 272 838 (9,5 %) mit einem Body-Mass-Index (BMI) von 30 oder mehr adipös waren. In den folgenden 4,9 Jahren sind bei den Patienten 510 439 neue schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse aufgetreten. Darunter waren 77 924 Herzinfarkte, 391 637 Neuerkrankungen an Herzinsuffizienz, 84 042 Schlaganfälle und 100 633 Todesfälle durch kardiovaskuläre Erkrankungen; 257 287 Patienten entwickelten ein Vorhofflimmern.
Laurent Fauchier vom Centre Hospitalier Universitaire Trousseau in Tours teilte die Patienten nach ihrem BMI und ihrer metabolischen Gesundheit in mehrere Gruppen. Als metabolisch gesund wurden Personen eingestuft, bei denen weder Blutdruck, Cholesterin, andere Lipide noch der Blutzucker erhöht waren. Die Analyse, die Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht und Raucherstatus berücksichtigt, kommt zu dem Ergebnis, dass die adipösen, aber metabolisch gesunden Patienten in den folgenden 4,9 Jahren keineswegs seltener im Krankenhaus wegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen behandelt wurden.
Die metabolisch gesunden adipösen Patienten erkrankten oder starben zu 22 % häufiger an Myokardinfarkt, einem ischämischen Schlaganfall oder einer Herzinsuffizienz (MACE-HF) als normalgewichtige Personen ohne metabolische Störungen. Bei Vorliegen einer metabolischen Störung war das Risiko bei den normalgewichtigen Patienten um 36 % und bei den adipösen um 63 % erhöht. Bei 2 metabolischen Störungen stieg das Risiko um 61 % und 104 %, bei 3 metabolischen Störungen um 95 % und 148 %. In beiden Gruppen erhöhten die metabolischen Störungen das kardiovaskuläre Risiko, die Auswirkungen waren jedoch bei adipösen Patienten jeweils stärker.
Ähnliche Tendenzen wurden auch bei Neuerkrankungen an einer Herzinsuffizienz und beim Vorhofflimmern gefunden, wobei der Zusammenhang beim Vorhofflimmern besonders deutlich war. Normalgewichtige Menschen hatten auch bei Vorliegen von 3 metabolischen Störungen ein „nur“ um 21 % erhöhtes Risiko. Bei den adipösen Patienten war es ohne metabolische Störungen schon um 33 % erhöht und es stieg bei 3 metabolischen Störungen um 68 % an.
Für die Endpunkte Herzinfarkt, ischämischer Schlaganfall und den kardiovaskulären Tod war kein Unterschied zwischen adipösen und nichtadipösen Patienten erkennbar. Dies könnte allerdings an der relativ kurzen Nachbeobachtungszeit gelegen haben, da Herzinfarkt und Schlaganfall zu den langfristigen Folgen einer Atherosklerose gehören, vor denen adipöse Menschen nach den Ergebnissen der Studie möglicherweise nicht geschützt sind.
Übrigens war nur knapp ein Drittel (32,8 %) der adipösen Patienten metabolisch gesund, verglichen mit 72,7 % derjenigen, die nicht adipös waren. Jüngere Menschen sollten deshalb besser nicht darauf hoffen, dass ihre Gewichtsprobleme im Alter ohne metabolische Konsequenzen bleiben.
DOI: 10.3238/PersDia.2021.11.05.05
Rüdiger Meyer
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