DEUTSCHER ÄRZTETAG
Klimaschutz im Gesundheitswesen: Klimaneutralität bis 2030
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„Klimaschutz ist Gesundheitsschutz“ war das Schwerpunktthema des 125. Deutschen Ärztetages. Die Delegierten betonten die Dringlichkeit, mit der auch im Gesundheitswesen die Emission von Treibhausgas reduziert werden müsse. Die Ärzteschaft will dabei mit gutem Beispiel vorangehen.
Der 125. Deutsche Ärztetag hat an alle Entscheidungsträger im Gesundheitswesen appelliert, die notwendigen Maßnahmen in Angriff zu nehmen, um bis zum Jahr 2030 eine Klimaneutralität für das deutsche Gesundheitswesen zu erreichen. Ein zwingender erster Schritt dafür sei die Initiierung der erforderlichen rechtlichen Rahmenbedingungen, die Benennung von Klimabeauftragten und die Verabschiedung von Klimaschutzplänen in allen Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens. Dabei beriefen sich die Delegierten auf den Lancet Policy Brief 2019, dem zufolge der deutsche Gesundheitssektor für die Emission von 70 Millionen Tonnen CO2- Äquivalenten verantwortlich sei. Das sind 5,2 Prozent der gesamten Emissionen Deutschlands.
„Das Gesundheitswesen hat daher ein beträchtliches Potenzial, selbst einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten“, betonten die Delegierten. „Dies beinhaltet, CO2- Emissionen von Gebäuden und Liegenschaften von Krankenhäusern zu reduzieren, ressourcensparend mit diagnostischen und therapeutischen Substanzen während des gesamten Prozesses (Herstellung, Transport, Distribution, Verwendung und Entsorgung) umzugehen, aber beispielsweise auch hoch klimaschädliche Narkosegase und Asthmainhalatoren durch klimafreundlichere zu ersetzen.“
Dabei will die Ärzteschaft ihren Beitrag leisten, um bis zum Jahr 2030 ein klimaneutrales Gesundheitswesen zu erreichen. So hat der Ärztetag das Ziel des Vorstandes der Bundesärztekammer (BÄK) befürwortet, die Geschäftsstelle inklusive der Gremiensitzungen sowie das Verwaltungshandeln der BÄK bis zum Jahr 2030 klimaneutral auszugestalten.
Klimafreundliche Ärztekammern
In diesem Zusammenhang unterstützten die Delegierten die vom BÄK-Vorstand im August 2021 gefasste Erklärung „Klimaneutrale Bundesärztekammer bis zum Jahr 2030“. Geprüft werden soll demnach eine emissionsarme Mobilität sowohl der hauptamtlichen Mitarbeiter der BÄK als auch der ehrenamtlich engagierten Ärztinnen und Ärzte und eine Verringerung des Reiseaufwands durch eine stärkere Nutzung von Telefon- und Videokonferenzsystemen.
Darüber hinaus soll es eine Fokussierung auf Regionalität, Saisonalität, Klimaschutz und Nachhaltigkeit beim Angebot in der Kantine geben, die Förderung einer papierarmen und ressourcenschonenden Arbeit, die Umsetzung der Zielsetzung „Klimaneutralität“ bei einem Neu- beziehungsweise Umbau eines Kammergebäudes sowie die Nutzung nachhaltiger Energieressourcen für Strom, Heizung, Lüftung und Kühlung.
Verantwortung übernehmen
„Zum Erreichen der Klimaschutzziele muss jeder Sektor beitragen“, heißt es in dem entsprechenden Beschluss der Delegierten. „Viele Einrichtungen des Gesundheitssektors, auch Landesärztekammern, haben sich in den letzten Jahren auf den Weg gemacht, ihre CO2-Emissionen zu reduzieren und klimafreundlicher zu werden. Die Bundesärztekammer signalisiert mit der Erklärung ihre Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und eine Vorbildfunktion insbesondere bezüglich des vorgesehenen Zeitrahmens wahrzunehmen.“
Zudem forderte der Ärztetag, dass alle im Gesundheitswesen Tätigen einen konkreten Beitrag zum Klimaschutz leisten. Dies sei möglich, „indem alle Ärztekammern eine Erklärung zum Klimaschutz abgeben, welche mit konkret zu benennenden Maßnahmen zu untersetzen ist, und alle Berufsverbände und Fachgesellschaften Vorschläge für die Fachgebiete erarbeiten, an welchen Stellen im klinischen und ambulanten Alltag sie konkrete Maßnahmen zum Klimaschutz beitragen können“, erklärten die Delegierten.
Der Präsident der Ärztekammer Berlin, PD Dr. med. Peter Bobbert, betonte, dass die Zeiten von freiwilligen Selbstkontrollen beim Klimaschutz vorbei seien. „Die Ärzteschaft muss jetzt verpflichtende Ziele benennen“, sagte Bobbert, der auch der Arbeitsgruppe zur Vorbereitung des Themas Klimaschutz auf dem Ärztetag vorgesessen hat. Er erinnerte daran, dass der Klimaschutz im § 1 der (Muster-)Berufsordnung genannt wird. Dort heißt es: „Es ist die Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte, an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Menschen mitzuwirken.“ Bobbert appellierte vor diesem Hintergrund an alle Ärztinnen und Ärzte, eine Vorbildfunktion einzunehmen: „Wir dürfen den Klimaschutz nicht nur predigen, sondern wir müssen ihn auch praktizieren.“
Sabine Gabrysch: „Der tiefgreifende gesellschaftliche Wandel kommt nicht von oben.“
Ähnlich äußerten sich viele Delegierte. „Die Ärzteschaft ist gefordert“, sagte der Präsident der Bayerischen Landesärztekammer, Dr. med. Gerald Quitterer. „Das heißt, jeder einzelne von uns ist in seinem persönlichen Lebensstil gefordert.“ Dr. med. Hans Ramm, Delegierter aus Hamburg, betonte: „Wir müssen unser Leben umstellen und wir müssen unsere Patienten mitnehmen.“ Und Dr. med. Helene Michler, Delegierte aus Berlin, erklärte: „Wir wollen unserer Berufsordnung entsprechend die Gesundheit und den Lebensraum der Menschen schützen. Das erwartet die Gesellschaft zu Recht von uns. Wir müssen deshalb Verantwortung übernehmen und wir können uns nicht in eine unpolitische ärztliche Tätigkeit zurückziehen.“ Dr. med. Christian Schwark, Delegierter aus Hessen, nannte Beispiele, wie Ärztinnen und Ärzte schon heute an ihren Arbeitsplätzen das Klima schützen können: „Wir können dafür sorgen, dass nachts die Computer ausgeschaltet werden, dass nachts nur die Räume klimatisiert sind, die auch klimatisiert werden müssen, dass die Heizungen an den jeweiligen Bedarf angepasst werden.“
Pilotprojekte starten
Auch Sylvia Hartmann, stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG), forderte in ihrer Rede vor dem Plenum Ärztinnen und Ärzte dazu, sich für mehr Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen zu engagieren. „Starten Sie Pilotprojekte!“, sagte sie. Inspiration dafür gebe es ausreichend. Als Beispiele nannte sie den Hausarzt Dr. med. Ralph Krolewski aus Gummersbach, der eine „Klimasprechstunde“ ins Leben gerufen habe, um Patienten über die Möglichkeit aufzuklären, Gesundheit und Klima gleichzeitig zu schützen. Ebenfalls als Vorbild könne das Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe in Berlin dienen, das sich bereits vor einem Jahr das Ziel gesetzt habe, bis 2030 klimaneutral zu sein.
Ein weiteres Instrument, um das Klima positiv zu beeinflussen, nannte Prof. Dr. Dr. med. Sabine Gabrysch, Professorin für Klimawandel und Gesundheit an der Charité Berlin. „Ärzteversorgungswerke könnten Milliarden für unsere Altersvorsorge in fossile Energien desinvestieren“, sagte sie. Dies sei ein „riesiger Hebel“. In England, Kanada und Australien sei hier schon einiges passiert, während die Debatte über Divestment in Deutschland gerade erst beginne.
Gabrysch, die auch die Forschungsabteilung Klimaresilienz am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung leitet, zeigte sich überzeugt, dass Deutschland mit England beim Thema Klimaneutralität im Gesundheitssektor zum Vorreiter werden könne. Der britische National Health Service (NHS) hat sich verpflichtet, seine eigenen Emissionen bis 2040 auf Null zu reduzieren. In einem kürzlich erschienen Eilbrief an die 80 000 globalen Zulieferer, der im BMJ erschienen ist, sprach sich eine Gruppe globaler Gesundheits- und Technologieunternehmen zudem dafür aus, die NHS-Lieferketten bis 2045 vollständig zu dekarbonisieren und somit der erste Netto-Null-Gesundheitsdienst der Welt zu werden. Klar ist laut Gabrysch aber auch: „Der tiefgreifende gesellschaftliche Wandel kommt nicht von oben. Denn es gibt massive Interessen, die dem entgegenstehen.“ Dabei gehe es um Macht, wie man an den Erfahrungen mit der Tabakindustrie bei der Regulierung des Rauchens sehen könne. „Wir haben beim Klima aber keine 30 Jahre Zeit wie beim Rauchen“, sagte Gabrysch.
Gesundheit und Klimaschutz
Gerald Quitterer: „Jeder einzelne von uns ist gefordert.“
Besonders wichtig sind Gabrysch die Co-Benefits von Klimaschutz und Gesundheit. Dass es gemeinsame Ursachen vieler Gesundheitsprobleme und der planetaren Krise gebe, sei eine gute Nachricht, erklärte die Ärztin und Epidemiologin und fügte hinzu: „Wo es gemeinsame Ursachen gibt, gibt es auch gemeinsame Lösungen – sogenannte Win-win-Lösungen: gut für den Planeten und gut für die Gesundheit.“ Als Beispiel nannte sie den Verkehrssektor, der ein Viertel aller Treibhausgasemissionen verantworte und die Hauptquelle für Feinstaub sei. Zugleich seien Bewegungsmangel, Verkehrslärm sowie Unfälle und Luftverschmutzung enorme gesundheitliche Risikofaktoren. „Eine Verkehrswende hin zu fahrradfreundlichen und begrünten Städten würde Klima und Gesundheit schützen“, sagte Gabrysch. „Würde man aufhören, fossile Energien zu verbrennen, um den Klimawandel zu stoppen, würde dies schätzungsweise 3,6 Millionen Todesfälle pro Jahr allein durch Luftverschmutzung vermeiden – viele davon in Europa.“
An der Dringlichkeit, dem Klimawandel auch im Gesundheitswesen entgegentreten zu müssen, ließen die Redner auf dem Ärztetag keinen Zweifel. Hartmann von KLUG verwies auf Extremwetterereignisse und Hitzewellen. Dies seien aber nicht die einzigen Folgen des Klimawandels, die die Menschen in Deutschland zu spüren bekämen. „Die Allergiesaison wird länger“, sagte Hartmann. „Die Luftverschmutzung durch Feinstaub, Stickoxide und Quecksilber, die vorrangig durch die Verbrennung fossiler Energieträger entsteht, ist ein Risikofaktor für eine Vielzahl an Erkrankungen wie Lungenkrebs, Diabetes mellitus und Alzheimer.“ Sogar in ungeborenen Babys seien diese Stoffe nachweisbar. Zudem warnte Hartmann vor der Zunahme von posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen, Angststörungen, einem erhöhten Suizidrisiko sowie der existenziellen Angst um die eigene Zukunft, die bereits heute mehr als die Hälfte der jüngeren Bevölkerung betreffe.
Ressourcen schonen
Die Delegierten des Ärztetages wiesen auf zahlreiche Probleme hin, die Ärztinnen und Ärzte in ihrem Alltag haben, wenn sie sich nachhaltig verhalten wollen. Prof. Dr. med. Andreas Umgelter, Delegierter aus Berlin, kritisierte die Verschwendung von Ressourcen am Beispiel eines Nadelhalters, den er dem Plenum präsentierte. „Die Produktion dieses Nadelhalters führt zum Ausstoß von Kohlendioxid im Umfang des Dreifachen seines Gewichtes“, betonte er. Ein Nadelhalter koste im Handel 2,50 Euro. Dabei sei er nur deshalb so billig, „weil wir hiermit eine Hypothek aufnehmen, die wir nicht bezahlen müssen: eine Hypothek zulasten von Atemwegserkrankungen in China und zulasten all derer, die nach uns geboren werden“.
Vor diesem Hintergrund rief der Ärztetag den Gesetzgeber dazu auf, umweltverträgliches Verhalten in Kliniken und Praxen im Sinne des Klimaschutzes zu fördern. Von Krankenhäusern und Praxisinhabern forderte er, vermehrt auf nachhaltiges und umweltfreundliches Wirtschaften zu achten. So könne der Müll zum Beispiel durch die Nutzung recycelbarer Materialien anstelle von Einweginstrumenten und Wegwerfartikeln reduziert werden. Zudem könne durch die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten bei der Produkt- und Lieferantenauswahl eine deutliche Verbesserung der Klimabilanz des Gesundheitssektors erreicht werden. Im Allgemeinen verursache umweltzuträgliches Verhalten aber höhere Kosten, die dann auf die Praxisinhaber oder Klinikträger zurückfielen. „An vielen Stellen wird Umweltschutz bereits staatlich gefördert, beispielsweise mit dem Umweltinnovationsprogramm des Bundesumweltministeriums auf Unternehmensebene oder bei der Bezuschussung von Solarpaneelen und Elektroautos auf Individualebene“, erklärten die Delegierten. Ähnliche Programme brauche es auch für den stationären und ambulanten Sektor, um den Klimaschutz im Gesundheitssektor vorantreiben zu können.
Ärztetag fordert Tempolimits
Darüber hinaus forderten die Delegierten die Einführung von Geschwindigkeitsbegrenzungen sowohl auf deutschen Autobahnen als auch auf Bundes-, Land- und Ortsstraßen, um auf diese Weise die Emissionen von Treibhausgasen in Deutschland zu reduzieren. Ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen – eine Festlegung auf eine Höchstgeschwindigkeit enthält der Beschluss nicht – gehöre zu den wenigen sofort realisierbaren und dabei kostengünstigen Maßnahmen, die darüber hinaus die Zustimmung der Mehrheit der deutschen Bevölkerung habe.
Zudem forderte der Ärztetag, eine Aufklärung der Patienten über die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels im Rahmen einer Klimasprechstunde als abrechenbare Leistung im EBM abzubilden. Als präventive Maßnahme zur Gesundheitsförderung gehöre diese Beratung zu den zentralen Aufgaben der Ärzteschaft. In diesem Zusammenhang forderten die Delegierten die BÄK und die Landesärztekammern auf, zeitnah allen Ärztinnen und Ärzten regelmäßige Fortbildungen zum Thema „Klimaschutz ist Gesundheitsschutz“ anzubieten sowie über die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels für die Menschen regelmäßig im Deutschen Ärzteblatt beziehungsweise den entsprechenden regionalen Ärzteblättern zu berichten.
Der Ärztetag diskutierte auch darüber, wie das Gesundheitssystem an den Klimawandel angepasst werden kann. Melissa Camara Romero, Delegierte aus Nordrhein, beschrieb dabei die großen Schäden, die das Hochwasser im Juli dieses Jahres im St.-Antonius-Hospital in Eschweiler verursacht hat, in dem sie arbeitet. Das Krankenhaus habe sich den Empfehlungen eines Gutachten folgend gegen Hochwasserschäden gesichert. Die Schutzvorrichtung sei sogar höher gebaut worden, als es in dem Gutachten vorgesehen war, so Romero. Dennoch habe sie nicht ausgereicht.
Auf Hitzewellen vorbereiten
Der Ärztetag forderte die Träger von Gesundheitseinrichtungen dazu auf, sich auf Extremwetterereignisse vorzubereiten. „Die Vulnerabilität der Infrastruktur haben wir bislang unterschätzt“, heißt es in einem Beschluss. „Jeder sollte daher in seinem Wirkbereich umgehend beginnen, sich mit umfassenden und konkreten Anpassungsmaßnahmen und Sicherheitskonzepten für die jeweiligen Einrichtungen zu befassen.“
Zudem müssten sowohl Bund, Länder und Kommunen als auch die Träger der Einrichtungen des Gesundheitswesens ihre Maßnahmen zur Gefahrenabwehr bei Hitzewellen intensivieren. Dazu gehörten das Aufstellen von Hitzeaktionsplänen oder das Schaffen kühler Aufenthalts- und Versorgungsbereiche in den Einrichtungen. Insbesondere vulnerable Gruppen und Erkrankte müssten dabei geschützt werden, um eine hitzebedingte Übersterblichkeit zu vermeiden. Für bauliche Anpassungen seien finanzielle Mittel bereitzustellen.
Kathrin Gießelmann, Falk Osterloh
Fazit
TOP II
- Der Ärztetag hat eine Klimaneutralität für das deutsche Gesundheitswesen bis zum Jahr 2030 gefordert.
- Die Delegierten befürworteten das Ziel der Bundesärztekammer, bis zum Jahr 2030 klimaneutral zu werden.
- Die Delegierten forderten Geschwindigkeitsbegrenzungen auf deutschen Straßen, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu senken und die Lebensqualität der Menschen zu erhöhen.
- Der Ärztetag hat gefordert, eine Aufklärung der Patienten über die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels im Rahmen einer Klimasprechstunde als abrechenbare Leistung im EBM abzubilden.
- Gesundheitseinrichtungen brauchen finanzielle Mittel, um sich besser auf Extremwetterereignisse wie Hitzewellen und Überschwemmungen vorbereiten zu können, betonten die Delegierten.
Die Entschließungen zu TOP II im Internet: www.aerzteblatt.de/2021btop2
Das gesamte Beschlussprotokoll im Internet: https://www.aerzteblatt.de/2021b_beschlussprotokoll
Illichmann, Y.