ArchivDeutsches Ärzteblatt46/2021Rückgang von Hepatitis-C-Virus-assoziierten Lebertransplantationen in Deutschland
Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS

In Deutschland liegt die anti-HCV-Prävalenz zwischen 0,2 und 1,9 % der Allgemeinbevölkerung (1). Die Infektion mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV) kann zu einer chronischen Lebererkrankung führen, deren Folgen eine Leberzirrhose und ein hepatozelluläres Karzinom (HCC) sind. Somit war eine HCV-Infektion über viele Jahre hinweg eine der häufigsten Ursachen für Lebertransplantationen bei dekompensierten Zirrhosen oder HCCs. In den vergangenen zehn Jahren wurden in Deutschland zwischen 800 und 1 200 Lebertransplantationen pro Jahr durchgeführt. Mit der Einführung von hocheffektiven und sicheren, direkt antiviral wirkenden Substanzen (DAA) gegen HCV im Jahr 2014 stellte sich die Frage, in welchem Maße die Notwendigkeit für HCV-bedingte Lebertransplantationen seitdem gesunken ist. In einer ersten Analyse von elf deutschen Transplantationszentren konnten wir bereits im Jahr 2016 Hinweise finden, dass der Anteil an Patienten mit einer HCV-bedingten Lebertransplantation nach Einführung der DAA in Deutschland rückläufig war (2). In dieser Arbeit präsentieren wir ein Follow-up dieser Studie.

Methoden

An elf deutschen Transplantationszentren wurden fragebogengestützt retrospektiv Daten zu Wartelisten und durchgeführten Transplantationen zwischen 2010 und 2020 erhoben: Anzahl der erwachsenen (≥ 18 Jahre) Patienten (mit und ohne HCV-Infektion) auf der Warteliste für eine Lebertransplantation, Anzahl der lebertransplantierten Patienten (mit und ohne HCV-Infektion), Anzahl der Patienten, die auf der Warteliste antiviral mit DAA behandelt wurden sowie Anzahl der ausgeheilten Patienten und Anzahl der Therapieabbrüche. Mehr als 55 % aller in Deutschland durchgeführten Lebertransplantationen wurden erfasst. Die Abfrage erfolgte anonymisiert und enthielt keine personenbezogenen Patientendaten, sodass für diese Auswertung kein Ethikvotum notwendig war.

Ergebnisse

Abnahme der Anzahl an gelisteten und transplantierten Patienten mit Hepatitis C

An den Zentren, die an der Erhebung teilgenommen haben, wurden im Zeitraum 2010–2020 jährlich zwischen 632 und 1 135 erwachsene Patienten neu für eine Lebertransplantation gelistet und 434–687 Patienten wurden transplantiert. Dies entspricht mehr als der Hälfe der in Deutschland in diesem Zeitraum insgesamt gelisteten beziehungsweise transplantierten Patienten. Im untersuchten Zeitraum sind auf der Warteliste jährlich zwischen 110 und 285 Patienten verstorben. Im gleichen Zeitraum sind pro Jahr zwischen 43 und 187 erwachsene Patienten, die mit HCV infiziert waren, neu gelistet worden. Der Anteil der Patienten mit Hepatitis C an der Gesamtzahl der gelisteten Patienten ist in Grafik 1a dargestellt. Zwischen 2010 und 2013 waren jeweils mehr als 15 % der Patienten aufgrund einer Hepatitis C gelistet worden. Dieser Anteil ist in den Jahren 2014–2020 kontinuierlich gefallen. Im Jahr 2020 waren nur noch 43/734 (5,9 %, 95-%-Konfidenzintervall [4,3; 7,7]) aller Patienten wegen einer Hepatitis C gelistet. Ebenfalls war ein drastischer Abfall an Patienten, die zum Zeitpunkt der Listung HCV-RNA-positiv waren, zu verzeichnen (2013: 108/878; 12 % [10; 15 ]; 2020: 13/374; 1,8 % [1,0; 2,9 ]). Ein ähnlicher Trend zeigte sich auch für Patienten, die transplantiert worden sind (Grafik 1b). Der Anteil der HCV-RNA-positiven Patienten im Jahr 2020 betrug nur noch 9/435 (2,1 % [1,0; 3,7]).

Teilnehmende Zentren im Zeitraum 2010–2020
Grafik
Teilnehmende Zentren im Zeitraum 2010–2020

Antivirale Therapie und Warteliste

In den Jahren 2010–2013 wurde lediglich ein geringer Anteil der Patienten mit HCV auf der Warteliste antiviral therapiert (34/187; 18 % [13; 24]) in 2010 beziehungsweise 26/128; 20 % [14; 28] in 2013). Dieser Anteil war in den Jahren 2014–2017 transient erhöht, um danach auf < 10 % abzusinken. Die Ausheilungsraten sind entsprechend in den letzten Jahren deutlich gestiegen und haben 2019 und 2020 jeweils 100 % erreicht. Entsprechend ist zuletzt der Anteil von gelisteten Patienten mit HCV mit einer aktiven replikativen Infektion zum Zeitpunkt der Lebertransplantation deutlich zurückgegangen (Grafik 1c).

Anteil von transplantierten Patienten mit Hepatitis C und hepatozellulärem Karzinom

Während in den Jahren 2010–2013 jährlich etwa 50 % aller gelisteten Patienten mit HCV wegen eines HCC transplantiert wurden, ist dieser Anteil in den letzten Jahren deutlich gestiegen. 2020 wurden 21/26 (81 % [63; 92]) der neu gelisteten Patienten mit HCV und einem HCC lebertransplantiert.

Diskussion

Die vorliegende Auswertung aus elf bundesdeutschen Transplantationszentren demonstriert eindrücklich, wie sich die Einführung hocheffektiver und sicherer Hepatitis-C-Therapien mit DAA auf das deutsche Transplantationswesen auswirkt. Es konnte gezeigt werden, dass eine starke Assoziation zwischen der Notwendigkeit von HCV-assoziierten Lebertransplantationen und der Einführung direkt antiviraler Substanzen besteht. Damit ergibt sich für Patienten mit anderen Lebererkrankungen eine erhöhte Chance auf eine Transplantation. Im Jahr 2020 standen in den teilnehmenden Zentren im Vergleich zu 2013 knapp 50 Organe für andere Indikationen zur Verfügung.

Die vorliegenden Daten stimmen mit Beobachtungen aus anderen Ländern überein (3). Aktuell ist festzustellen, dass ein Patient mit HCV bis auf wenige Ausnahmen letztlich nur noch transplantiert werden muss, wenn er ein HCC entwickelt. Vor diesem Hintergrund ist von Bedeutung, dass mit einer Ausheilung der HCV-Infektion das Risiko für die Entwicklung eines HCCs zwar reduziert, jedoch nicht komplett eliminiert wird (4).

Bei der vorliegenden Arbeit kann nicht ausgeschlossen werden, dass leichte Verzerrungen im Laufe der Jahre durch Verschiebungen zwischen den Zentren, deren Zahlen für die Analyse berücksichtigt wurden, und den Zentren, die nicht an der Erhebung teilgenommen haben, entstanden sind.

Wir empfehlen, alle Patienten mit HCV, auch wenn ein hepatozelluläres Karzinom mit kurativem Therapieansatz vorliegt, einer antiviralen Therapie zuzuführen oder die Therapie im Anschluss an eine Lebertransplantation einzuleiten. Eine Therapieindikation sollte jedoch zurückhaltend gestellt werden, wenn ein Labor-MELD-Score > 20 vorliegt (5).

Heiner Wedemeyer, Kerstin Herzer, Yvonne Serfert, Richard Taubert, Christian Trautwein, Dennis Eurich, Christian P. Strassburg, Melanie Lang, Karl Heinz Weiss, Thomas Berg, Peter R. Galle, Hauke Heinzow, Stefan Zeuzem

Collaborators

Katharina Willuweit, Theresa Kirchner, Cennet Sahin, Julius Plewe, Ulrich Spengler, Martin-Walter Welker, Martina Sterneck, Arianeb Mehrabi, Adam Herber, Tim Zimmermann, Hartmut Schmidt

Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie, Medizinische Hochschule Hannover (Wedemeyer, Taubert, Kirchner) wedemeyer.heiner@mh-hannover.de

Leberstiftungs-GmbH Deutschland, Hannover (Wedemeyer, Serfert)

Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie, Universitätsklinikum Essen, Universität Duisburg-Essen (Herzer, Willuweit, Schmidt)

Knappschafts-Klinik, Bad Neuenahr (Herzer)

Medizinische Klinik III, Universitätsklinikum Aachen (Trautwein, Sahin)

Chirurgische Klinik Campus Charité Mitte/Campus Virchow-Klinikum CCM/CVK, Berlin (Eurich, Plewe)

Medizinische Klinik und Poliklinik I, Universitätsklinikum Bonn (Strassburg, Spengler)

I. Medizinische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) (Lang, Sterneck)

Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie, Universitätsklinikum Heidelberg (Weiss, Mehrabi)

Innere Medizin, Krankenhaus Salem der Evangelischen Stadtmission Heidelberg (Weiss)

Klinik und Poliklinik für Gastroenterologie, Universitätsklinikum Leipzig (Berg, Herber)

I. Medizinische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Mainz (Galle, Zimmermann)

Medizinische Klinik B, Universitätsklinikum Münster (UKM) (Heinzow, Schmidt)

Medizinische Klinik 1, Brüderkrankenhaus Trier (Heinzow)

Medizinische Klinik 1, Universitätsklinikum Frankfurt, Frankfurt am Main (Zeuzem, Welker)

Klinik für Innere Medizin I, Kreisklinik Groß-Umstadt (Welker)

Klinikum Worms, Medizinische Klinik II (Zimmermann)

Interessenkonflikt Formblatt
Prof. Wedemeyer bekam Beraterhonorare von Abbvie, Alogos, Altimmune, Biotest, BMS, BTG, Dicerna, Enanta, Gilead, Janssen, Merck/MSD, MYR GmbH, Roche und Vir Biotechnology. Er wurde für Vorträge honoriert von Abbvie, Biotest, Gilead und Merck/MSD. Studienunterstützung (Drittmittel) wurde ihm zuteil von Abbvie, Altimmune, BMS, Gilead, Janssen, Merck/MSD, MYR GmbH, Novartis, Vir Biotechnology, Biotest und Roche.

Prof. Herzer erhielt Honorare für eine Beratertätigkeit von Novartis und Chiesi. Sie bekam Kongressgebühren- und Reisekostenerstattung von Gilead. Sie wurde für Vorträge honoriert von Novartis, Astellas, Chiesi und Biotest.

PD Dr. Taubert bekam Kongressgebühren- und Reisekostenerstattung von Astellas. Er erhielt Vortragshonorare von MSD und Abbvie.

PD Dr. Eurich bekam Kongressgebühren- und Reisekostenerstattung von Gilead und Janssen. Er wurde für Vorträge honoriert von BMS.

Prof. Strassburg wurde für Vorträge honoriert von BMS, Janssen und Gilead.

Prof. Weiss erhielt Kongressgebührenerstattung von Gilead und Abbvie, Reisekostenerstattung von Gilead und Vortragshonorare von Abbvie.

Prof. Berg erhielt Beraterhonorare, Reiskostenerstattung, Vortragshonorare und Studienunterstützung (Drittmittel) von Abbvie, Gilead, Janssen und MSD/Merck.

Prof. Galle erhielt Studienunterstützung (Drittmittel) von Abbvie und Gilead.

Prof. Heinzow erhielt Beraterhonorare, Kongressgebühren- und Reisekostenerstattung von Abbvie und Gilead.

Prof. Zeuzem bekam Beraterhonorare von Abbvie, Gilead, Intercept, Janssen und SoBi. Er wurde für Vorträge honoriert von Abbvie, Gilead, MSD und SoBi. Er erhielt für mehr als 50 Studien in den Bereichen Endokrinologie, Gastroenterologie und Hepatologie Unterstützung von verschiedenen Firmen.

Dr. Serfert, Prof. Trautwein und Dr. Lang erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Manuskriptdaten
eingereicht: 31. 5. 2021, revidierte Fassung angenommen: 12. 8. 2021

Zitierweise
Wedemeyer H, Herzer K, Serfert Y, Taubert R, Trautwein C, Eurich D, Strassburg CP, Lang M, Weiss KH, Berg T, Galle PR, Heinzow H, Zeuzem S: Declining numbers of hepatitis-C-virus-associated liver transplantations in Germany. Dtsch Arztebl Int 2021; 118: 797–8. DOI: 10.3238/arztebl.m2021.0318

►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
www.aerzteblatt-international.de

1.
Sperle I, Steffen G, Leendertz SA, et al.: Prevalence of Hepatitis B, C, and D in Germany: results from a scoping review. Front Public Health 2020; 8: 424 CrossRef MEDLINE PubMed Central
2.
Herzer K, Gerken G, Kroy D, et al.: Impact of direct-acting antiviral therapy on the need for liver transplantation related to hepatitis C in Germany. J Hepatol 2018; 69: 982–4 CrossRef MEDLINE
3.
Sahakyan Y, Lee-Kim V, Bremner KE, Bielecki JM, Krahn MD: Impact of direct-acting antiviral regimens on mortality and morbidity outcomes in patients with chronic CrossRef hepatitis C: systematic review and meta-analysis. J Viral Hepat 2021; 28: 739–54 MEDLINE
4.
Ebel F, Deterding K, Port K, et al.: Letter: a 5-year long-term follow-up study after DAA treatment confirms a reduced HCC risk in a central European cohort of HCV patients with liver cirrhosis. Aliment Pharmacol Ther 2020; 51: 194–5 CrossRef MEDLINE
5.
Sarrazin C, Zimmermann T, Berg T, et al.: S3-Leitlinie „Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Hepatitis-C-Virus(HCV)-Infektion“. Z Gastroenterol 2020; 58: 1110–31 CrossRef MEDLINE
Teilnehmende Zentren im Zeitraum 2010–2020
Grafik
Teilnehmende Zentren im Zeitraum 2010–2020
1.Sperle I, Steffen G, Leendertz SA, et al.: Prevalence of Hepatitis B, C, and D in Germany: results from a scoping review. Front Public Health 2020; 8: 424 CrossRef MEDLINE PubMed Central
2.Herzer K, Gerken G, Kroy D, et al.: Impact of direct-acting antiviral therapy on the need for liver transplantation related to hepatitis C in Germany. J Hepatol 2018; 69: 982–4 CrossRef MEDLINE
3.Sahakyan Y, Lee-Kim V, Bremner KE, Bielecki JM, Krahn MD: Impact of direct-acting antiviral regimens on mortality and morbidity outcomes in patients with chronic CrossRef hepatitis C: systematic review and meta-analysis. J Viral Hepat 2021; 28: 739–54 MEDLINE
4.Ebel F, Deterding K, Port K, et al.: Letter: a 5-year long-term follow-up study after DAA treatment confirms a reduced HCC risk in a central European cohort of HCV patients with liver cirrhosis. Aliment Pharmacol Ther 2020; 51: 194–5 CrossRef MEDLINE
5.Sarrazin C, Zimmermann T, Berg T, et al.: S3-Leitlinie „Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Hepatitis-C-Virus(HCV)-Infektion“. Z Gastroenterol 2020; 58: 1110–31 CrossRef MEDLINE

Kommentare

Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote