ArchivDeutsches Ärzteblatt47/2021Interview mit Prof. Dr. med. Claus-Dieter Heidecke, Leiter des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG): „Wir brauchen eine Inventur der Qualitätsindikatoren“

THEMEN DER ZEIT: Interview

Interview mit Prof. Dr. med. Claus-Dieter Heidecke, Leiter des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG): „Wir brauchen eine Inventur der Qualitätsindikatoren“

Beerheide, Rebecca; Osterloh, Falk

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS
Claus-Dieter Heidecke leitet das IQTIG seit Anfang 2021. Zuvor arbeitete er über fast zwei Jahrzehnte als Direktor der Klinik für Allgemeine Chirurgie, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie am Universitätsklinikum Greifswald. Foto: IQTIG/Oliver Betke
Claus-Dieter Heidecke leitet das IQTIG seit Anfang 2021. Zuvor arbeitete er über fast zwei Jahrzehnte als Direktor der Klinik für Allgemeine Chirurgie, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie am Universitätsklinikum Greifswald. Foto: IQTIG/Oliver Betke

IQTIG-Leiter Prof. Dr. med. Claus-Dieter Heidecke über den Stand der stationären Qualitätssicherung, die Ausweitung von Mindestmengen und die Bewahrung der intrinsischen Motivation von Ärztinnen und Ärzten.

Herr Professor Heidecke, wie bewerten Sie den aktuellen Stand der Qualitätssicherung im stationären Bereich?

Derzeit erfassen wir die Qualität im Krankenhaus in 15 Qualitätssicherungsverfahren nach der Richtlinie zur datengestützten einrichtungsübergreifenden Qualitätssicherung, der DeQS-Richtlinie, mithilfe von zahlreichen Qualitätsindikatoren. Über alle Fachrichtungen verteilen sich diese Indikatoren allerdings sehr unterschiedlich. Bei der Behandlung von Herzerkrankungen sind wir gut aufgestellt. Etwa 85 Prozent der Leistungen werden hier abgedeckt: von der Koronarchirurgie bis zur Herzschrittmacherversorgung. Auch über die Geburtshilfe und die Versorgung mit neuen Hüft- und Kniegelenken haben wir einen guten Überblick. Danach wird die Datenbasis aber langsam dünn. Bei der Inneren Medizin haben wir zum Beispiel viele Bereiche, die gar nicht durch die Qualitätssicherung abgedeckt sind. Aus meiner Sicht wäre es besser, wenn wir mit der Qualitätssicherung sämtliche Bereiche der Medizin abdecken würden – allerdings nicht mehr so kleinteilig wie heute. Ich würde ein Monitoring aller Leistungsbereiche befürworten, bei dem es vor allem darum geht, grobe Abweichungen der Qualität zu erkennen.

Viele Ärztinnen und Ärzte kritisieren, dass die Qualitätssicherung sie von der Patientenversorgung abhalte und insofern die Qualität der Versorgung eher reduziere. Wie viel Qualitätssicherung braucht es im deutschen Gesundheitswesen?

Ich habe selbst über Jahrzehnte im Krankenhaus gearbeitet und ich weiß: Der Dokumentationsaufwand treibt jeden Kliniker um. Selbst, wenn pro dokumentiertem Fall nur einige Minuten anfallen, addiert sich das am Ende zu ganzen Arbeitstagen. Deshalb müssen wir so oft es geht Daten nutzen, die bereits im System vorhanden sind. Das sind vor allem die Sozialdaten der Patientinnen und Patienten, die vom Krankenhaus ohnehin erfasst und dokumentiert werden: Wann wurde der Patient aufgenommen? Wann wurde er operiert? Welche unerwünschten Ereignisse sind aufgetreten? Andere Daten, zum Beispiel zur Beweglichkeit nach einer Knie-TEP, gehören allerdings nicht dazu.

Darüber hinaus brauchen wir eine Inventur der Qualitätsindikatoren. Dabei müssen wir uns genau überlegen, welche Indikatoren wir wirklich brauchen und welche nicht. Genau daran arbeiten wir auch zurzeit. Wenn es uns gelingt, wenig aussagekräftige Indikatoren zu streichen, könnten wir auch die Akzeptanz für die Qualitätssicherung erhöhen.

Sollte man nicht mehr auf die intrinsische Motivation von Ärztinnen und Ärzten vertrauen, gute Leistungen zu erbringen und ihnen insofern weniger Vorschriften machen.

Ich würde mir wünschen, dass es künftig im Gesundheitswesen weniger Arbeitsverdichtung gibt, um auf diese Weise wieder mehr Freiräume für Ärztinnen und Ärzte zu schaffen. Heute ist es doch häufig so, dass wegen des Zeitdrucks im klinischen Alltag viele Qualitätskonferenzen in den Kliniken nur noch pro forma stattfinden. Damit ist keinem gedient. Um ein Qualitätsmanagement wirklich leben zu können, muss man dafür zeitliche Kontingente hinterlegen. Je mehr der Zeitdruck im Alltag sinkt, desto mehr wird die intrinsische Motivation von Ärztinnen und Ärzten und dem Pflegepersonal erhöht.

Welche Rolle sollten Mindestmengen im Rahmen der Qualitätssicherung spielen?

Ich befürworte die Ausweitung von Mindestmengen, so, wie sie jetzt in den Mindestmengenregelungen festgelegt ist und vom Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz, dem GVWG, gestärkt wurde. In kritischen Bereichen müssen die Krankenhäuser einfach eine hohe Expertise haben. Und die erhalten sie nur, wenn sie Leistungen häufig erbringen. Derzeit ist es so, dass das IQWiG zunächst in einer Literaturrecherche darlegt, ob es für eine bestimmte Indikation einen Zusammenhang zwischen Volumen und Outcome gibt. Ist dies der Fall, wird das IQTIG beauftragt zu prüfen, welche Folgen es für eine Region hätte, wenn eine Klinik eine bestimmte Leistung nicht mehr erbringen würde. Auch das halte ich für sinnvoll.

Die Länder haben im GVWG die Möglichkeit erhalten, Ausnahmen festzulegen. Dies sollte jedoch nicht die Ergebnisqualität negativ beeinflussen. Wenn man wirklich eine qualitätsgesteuerte Planung will, wird man nicht umhin kommen, einen kleinen Teil der hoch spezialisierten Versorgung auch aus einer Fachabteilung herauszunehmen. Wichtig wäre, dass sich die Landesplanungsbehörden in den Prozess der Umsetzung der Mindestmengenregelung einbringen.

Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund den Strukturwandel in der deutschen Krankenhauslandschaft?

In strukturschwachen Regionen gibt es oftmals gar nicht genügend Patientinnen und Patienten, die das Betreiben eines klassischen Krankenhauses wirtschaftlich ermöglichen. Da befinden wir uns zurzeit schon in einem echten Wandel. Allerdings sollen die Krankenhäuser in diesen Regionen nicht geschlossen werden, sondern neue Funktionen bekommen – im Sinne von Gesundheitszentren, die die Versorgung dann in Verbindung mit niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten anbieten. Da sind wir in Deutschland aber noch ziemlich am Anfang.

Und wer sollte die konkreten Mindestmengen am Ende festlegen?

Heute ist es so, dass die zuständige Arbeitsgruppe beim G-BA einen Vorschlag für die Festlegung der Mindestmenge macht. Das halte ich auch für richtig. Die Politik alleine wäre mit dieser Aufgabe überfordert. Ich sehe auch die Fachgesellschaften in der Verantwortung, Mindestmengen auf der Grundlage ihrer wissenschaftlichen Expertise zu benennen, um auf diese Weise den Prozess im G-BA zu unterstützen. Das ist bislang allerdings kaum geschehen. Die Krankenhäuser sollten sich in jedem Fall jetzt schon darauf einstellen, dass neue Mindestmengen kommen werden, um sich rechtzeitig zu positionieren.

Sie haben Anfang dieses Jahres Christof Veit als Leiter des IQTIG abgelöst. Wie sehen Sie die Rolle des Instituts im deutschen Gesundheitswesen? Und welche Ziele haben Sie sich für Ihre Arbeit gesetzt?

Das IQTIG sehe ich zunächst einmal in der Rolle eines Dienstleisters. Der G-BA tritt mit spezifischen Aufträgen an uns heran, die wir dann zeitnah umsetzen. Dabei ist es mein Ziel, das Institut intern so umzugestalten, dass wir strukturierter arbeiten und unsere Ergebnisse am Ende schneller und zuverlässiger abliefern. Gleichzeitig sehe ich das IQTIG auch in der Rolle eines Impulsgebers. Zehn Prozent unseres Budgets können wir dafür aufwenden, eigene Themen wissenschaftlich zu bearbeiten und entsprechende Positionen zu kommunizieren. Das werden wir auch tun. Das IQTIG soll im Gesundheitswesen als Partner auf Augenhöhe wahrgenommen werden.

Eines der Themen, die mich persönlich beschäftigen, ist die Risikoadjustierung. Ich halte es im Bereich der Qualitätssicherung für essenziell, die Patientendaten so zu adjustieren, dass man am Ende faire Vergleiche vornehmen kann. Es gibt Krankenhäuser, die deutlich kränkere Patienten versorgen, zum Beispiel, weil sie in der Nähe von Pflegeheimen liegen. Dadurch darf den Krankenhäusern kein Nachteil entstehen – wenn zum Beispiel durch präoperative Sicherheitsmaßnahmen eine Zeitschiene nicht eingehalten werden kann. Es wäre nicht fair, sie dafür zu bestrafen. In einem solchen Fall würde die Risikoadjustierung dazu führen, dass der vorgegebene Schwellenwert abgesenkt wird.

Wie bewerten Sie die Rolle des Datenschutzes in Deutschland?

Der Datenschutz hat natürlich absolut seine Berechtigung. Aber er muss sich stets an den Interessen der Patientinnen und Patienten orientieren und nicht an sich selbst. Beim Implantateregister, zum Beispiel, hat der Datenschutz dazu geführt, dass man die eingetragenen Daten nicht mit Daten der Qualitätssicherung verknüpfen kann. Jetzt kann man zwar Patienten identifizieren, denen ein fehlerhaftes Implantat eingesetzt wurde, man kann die Daten aber nicht für die Qualitätssicherung auswerten. Das halte ich für eine Fehlkonstruktion.

Das Interview führten Rebecca Beerheide und Falk Osterloh.

Das IQTIG

Das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) wurde im Jahr 2014 mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung als zentrales Institut für die gesetzlich verankerte Qualitätssicherung im deutschen Gesundheitswesen gegründet. Das IQTIG entwickelt im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) Qualitätssicherungsverfahren und beteiligt sich an deren Durchführung. Zu seinen Kernaufgaben gehören die Erarbeitung von Instrumenten der Qualitätssicherung und die Darstellung der Versorgungsqualität im Gesundheitswesen. Dazu zählen auch die Entwicklung und Durchführung von Verfahren, um die externe Qualitätssicherung in der stationären und ambulanten Versorgung besser zu verzahnen, sowie die Schaffung von Kriterien zur Bewertung von Zertifikaten und Qualitätssiegeln im ambulanten und stationären Bereich. Zudem baut es eine Internetseite auf, die es Patienten ermöglicht, Krankenhäuser hinsichtlich ihrer Qualität miteinander zu vergleichen. Mit dem Krankenhaus-Strukturgesetz erhielt das IQTIG weitere Aufgaben, zum Beispiel die Entwicklung von planungsrelevanten Qualitätsindikatoren und die Evaluation von Qualitätsverträgen. Das Institut hat seinen Sitz in Berlin-Tiergarten. Es beschäftigt circa 150 Mitarbeiter. Von 2014 bis 2020 wurde es von Dr. med. Christof Veit geleitet.

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote