ArchivDeutsches Ärzteblatt48/2021Von schräg unten: Impfskepsis

SCHLUSSPUNKT

Von schräg unten: Impfskepsis

Böhmeke, Thomas

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Ich verstehe das nicht. Nun gut, ich verstehe ja vieles nicht, was Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, sicherlich kein bisschen wundert. Dass jedoch die Impfbereitschaft trotz niedrigstschwelliger Angebote so langsam voranschreitet lässt mich so verblüfft zurück wie ein Colonpolyp, um dessen Hals gerade eine Diathermieschlinge gelegt wird.

Sind nicht mit effektiver Durchimpfung wieder die Freuden der Freiheit zu feiern? Worauf beruht die Skepsis, wenn schon jemand wie ich die Impfung unbeschadet überstanden hat? Das Erkennen der eigenen Ratlosigkeit ist die Mutter aller Fragen, somit bin ich gefordert, das Rätsel der Impfverweigerung multidisziplinär zu eruieren.

Aus kardiologischer Sicht kann nicht bestätigt werden, dass Impfverweigerer kein Herz hätten, weil sie das bereits ausgelaugte Personal auf den Intensivstationen weit über die Grenze der Zumutbarkeit belasten könnten. Echokardiografisch war besagtes Organ bei allen Skeptikern, die meine Praxis aufsuchten, an korrekter Stelle zu finden. Seitens der Radiologie sind die schweren pulmonalen Veränderungen dokumentiert, diese Bilder sprechen eine ebenso eindeutige wie traurige Sprache. Nun ist Radiologisch nur eingeschränkt ins Deutsche zu übersetzen, daher empfehle ich den Zweiflern eine Schicht auf einer Intensivstation.

Als Nächstes rufe ich eine Fachfrau für Tiefenpsychologie an, die mir bereitwillig Auskunft erteilt: „Neben den bekannten Argumenten gegen die Impfung kann auch Folgendes sein: Corona hat uns nicht nur die Isolation aufgebürdet, sondern unser Selbstverständnis, unsere Sicherheit infrage gestellt. Auch die Wissenschaft hat sich nur herantasten können, klare Antworten gab es zunächst nicht. Das kann eine schwer zu ertragene Angstreaktion auslösen, da alles so unkalkulierbar gefährlich erscheint. Seine subjektive Selbstbestimmung kann man jedoch zurückerlangen, indem man hinsichtlich der Impfung eine Entscheidung trifft.“

Aha! Wenn ich das richtig verstehe, könnte die Impfablehnung der Angstabwehr dienen? „Durchaus.“

Wäre es daher ratsam, in der Diskussion mit Impfgegnern erst diese Ängste anzusprechen, um dann zur Sachebene zurückzukehren? „Wenn eine Angstreaktion vorliegt, ja.“

Das ist zwar ziemlich kompliziert für einen Kardiologen, aber ich habe verstanden. Danke!

„Sagen Sie mal, Herr Doktor Böhmeke, sind Sie nicht der aus dem Deutschen Ärzteblatt, der die Glossen schreibt?“ Äh ... ja, warum?

„Vermeiden Sie in Diskussionen mit Impfgegnern die für Sie typischen satirischen Bemerkungen. Nicht dass Sie etwa einem Impfskeptiker entgegnen, sie selbst seien nicht geimpft und würden freigiebig Coronaraviren durch die Welt schleudern.“ Oh, nette Idee. „Oh nein. Aus Sicht des Impfskeptikers müssen gerade Sie, als Arzt, kerngesund und geimpft sein. Schließlich geht es ja um seine Gesundheit und da sind keine Kompromisse zu machen!“ Habe verstanden!

Dr. med. Thomas Böhmeke
ist niedergelassener Kardiologe in Gladbeck.

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