THEMEN DER ZEIT
Gewalt gegen Ärztinnen und Ärzte: Null Toleranz
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In der COVID-19-Pandemie häufen sich Angriffe, Drohungen und Beleidigungen gegen medizinisches Personal über das Handy, im Internet oder auch direkt. Was Betroffene tun können.
Mörder – so lautete nur eine der Beleidigungen in einer SMS, die der Hausarzt Dr. med. Christian Kröner in diesem Jahr erhielt. Der Absender bedrohte den Mediziner, der sich immer wieder öffentlich für das Impfen einsetzt, in seiner Textnachricht. Die US-Armee werde ihn „einkassieren“. Jetzt wurde der Mann vom Amtsgericht Günzburg in Bayern zu drei Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Das in der Pandemie immer deutlicher zutage tretende Problem von Gewalt und Gewaltandrohungen gegen Ärztinnen und Ärzte ist damit nicht gelöst, weder für Kröner noch für Deutschland.
Rund 280 Anzeigen liegen der örtlichen Polizeidienststelle des Neu-Ulmer Mediziners mittlerweile vor. „Seit Beginn der Pandemie habe ich teilweise 20 Strafanzeigen innerhalb einer Woche stellen müssen“, erzählt Kröner dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ). „So etwas habe ich noch nie erlebt. Ich bin in meiner Karriere vorher noch nie bedroht oder beleidigt worden.“ Auch Kolleginnen und Kollegen berichteten über Drohanrufe, Anfeindungen über Briefe, SMS, Social Media oder E-Mail, gefälschte Bewertungen im Internet.
Handfeste Morddrohungen
„Alle, die sich irgendwie öffentlich zu Impfungen äußern, stehen unter Beschuss“, so Kröner. Als seine Praxis begonnen habe, im Frühsommer auch Kindern ab zwölf Jahren Impfungen gegen COVID-19 anzubieten, obwohl eine offizielle Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) noch ausstand, habe die Situation dramatische Ausmaße angenommen. „Ich habe handfeste Morddrohungen bekommen. Da haben Menschen geschrieben: ‚Wir holen dich aus der Praxis und hängen dich auf‘“, erzählt Kröner. Zeitweise stand er unter Polizeischutz, an Impftagen wurde die Praxis teils polizeilich gesichert.
Das Bundeskriminalamt (BKA) bezeichnet Impfgegner und Coronaleugner mittlerweile als relevantes Risiko im Zusammenhang mit verbalen und tätlichen Angriffen auf Impfzentren und andere Einrichtungen des Gesundheitswesens. Für das dort tätige Personal bestehe die Gefahr, „zumindest verbalen Anfeindungen bis hin zu Straftaten“ wie etwa Körperverletzung ausgesetzt zu sein, wie das BKA kürzlich erklärte.
Das Problem: Der gefühlte Anstieg lässt sich bislang nicht mit Zahlen belegen. „Angriffe auf Ärztinnen und Ärzte werden bisher nicht gesondert erfasst, Zahlen lassen sich nur regional anfragen“, erklärte ein Sprecher des BKA auf Anfrage. Bundesweit würden solche Angriffe nur für bestimmte Personengruppen erfasst, beispielsweise für Obdachlose. Dazu, ob dies künftig auch für medizinisches Personal geplant sei, gebe es noch keine Informationen, so der Sprecher.
Auch die Landesärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) erfassen Angriffe gegen ihre Mitglieder bislang nicht systematisch. Doch auch hier wird die Zunahme an Übergriffen registriert, etwa in den Ländern Sachsen und Sachsen-Anhalt, wo vergleichsweise viele Einwohner die Impfung gegen COVID-19 ablehnen. In der Pandemie habe die Aggressivität zugenommen, heißt es aus der Ärztekammer Sachsen-Anhalt. Zudem gebe es einen Anstieg der Übergriffe. „Übergriffe auf Ärzte oder medizinisches Personal verurteilen wir auf das Schärfste“, so die Kammer. Unterschiedliche Meinungen oder Standpunkte rechtfertigten keine Drohungen oder körperliche Gewalt. So etwas sei inakzeptabel.
Zunahme an Aggressivität
„In der Pandemie hat die Aggressivität zugenommen, aber auch davor war schon ein Anstieg zu verzeichnen“, erklärt auch die Sächsische Landesärztekammer (SLÄK). Genaue Zahlen dazu gebe es aber nicht. Ärztinnen und Ärzte seien vor allem Beleidigungen und Drohungen bis hin zu Gewaltandrohungen ausgesetzt. So habe es Morddrohungen gegen Mitglieder der Sächsischen Impfkommission und Sachbeschädigungen an Arztpraxen gegeben, die sich am Impfen beteiligen. Auch Ärzte, die in Schulen impfen, seien beschimpft worden.
Die Aggression gegen Ärzte und medizinisches Personal habe eine Größenordnung erreicht, die nicht mehr tolerierbar sei, betonte Erik Bodendieck, Präsident der Sächsischen Landesärztekammer. „Diese Menschen verbringen den ganzen Tag damit, anderen Menschen zu helfen und werden dafür auch noch angefeindet.“ Wenn ein Impfteam vor Ort impfwillige Menschen betreuen wolle, könne es nicht sein, dass sich andere darüber hinwegsetzten und die Ärzte als Mörder und Verbrecher bezeichneten.
Um eine Vorstellung über Zahlen und Formen von ausgeübter Gewalt zu erhalten, hat die Landesärztekammer Hessen (LÄKH) im Frühjahr 2019 den Meldebogen „Gewalt gegen Ärztinnen und Ärzte und Team“ entwickelt und auf ihrer Website eingestellt. Bis November 2021 sind 64 Meldebögen bei der Kammer eingegangen, 27 vor Beginn der Pandemie und 37 danach.
Der überwiegende Teil der Meldungen stammt aus Arztpraxen. „Aus den Freitextangaben wird deutlich, dass das aggressive Verhalten vorwiegend gegenüber dem Praxisteam, insbesondere gegenüber den Medizinischen Fachangestellten, ausgeübt wird“, berichtet die LÄKH. „Auch in den Fällen, in denen Gewalt im direkten Zusammenhang mit der Pandemie erlebt wurde, kristallisierte sich heraus, dass insbesondere Medizinische Fachangestellte beleidigt, beschimpft und bedroht wurden, da die Patientinnen und Patienten aufgrund der überfüllten Infektionssprechstunde längere Wartezeiten bemängelten oder ohne Termin in der Praxis erschienen sind und auf eine Behandlung drängten. Teilweise drohten diese Patienten aufgrund von längerer Wartezeit mit der Polizei. In einem Fall wurde eine Medizinische Fachangestellte während der Pandemiesprechstunde gegen die Wand geschubst, damit der Patient in das Sprechzimmer gelangen konnte.“
Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen sieht als eine Ursache der Aggressionen das gestiegene Anspruchsdenken der Patienten. „Eine zunehmende Anzahl von Patienten formuliert klare Forderungen wie: ‚Ich will aber jetzt die Impfung!‘“, so die KV. Besonders Impfgegner beschimpften und bedrohten Impfpraxen telefonisch und per E-Mail. „Einige wenige Praxen hatten kurzfristig die 2G-Regelung für Patienten eingeführt“, erklärt die KV. „Diese Praxen sind massiv beleidigt worden – bis hin zu Morddrohungen.“ In Medizinerkreisen werde viel über Übergriffe von Patienten gesprochen. Ungeduldige Patienten, die leicht ausfällig werden, seien an der Tagesordnung. Vor allem das Fachpersonal in den Praxen habe unter der übersteigerten Anspruchshaltung der Patienten zu leiden.
Strafanzeige gestellt
Ähnlich sieht es auch in Thüringen aus. Weil viele Mitglieder der Kammerversammlung über die zunehmende Aggressivität von Patienten berichteten, fasste die Versammlung der Ärztekammer Thüringen (ÄKT) Ende September eine Resolution, in der die Thüringer Ärzteschaft verbale und physische Gewalt gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Ärztinnen und Ärzte auf das Schärfste verurteilt. Die ÄKT will ihre Mitglieder nun ebenfalls dazu aufrufen, Gewalterfahrungen zu melden und zu beschreiben, um das Ausmaß des Problems objektivieren zu können. Auch Mitglieder, die Drohbriefe erhalten, sollen sich bei der Kammer melden. „In den vergangenen Monaten hat sich eine Vielzahl von Ärzten, die Drohschreiben in Bezug auf die Coronaimpfung beziehungsweise Schreiben als Haftungsinformation oder Haftungsbescheid deklariert, erhalten haben, bei uns gemeldet“, erklärt die ÄKT. In aller Regel würden diese Schreiben anonym beziehungsweise von Vereinen oder sonstigen Institutionen an die Ärztinnen und Ärzte versandt. In den Fällen, von denen die Kammer Kenntnis erlangte, habe sie mehrheitlich Strafanzeige gestellt. Die Ermittlungsverfahren seien bislang jedoch noch nicht abgeschlossen.
Im stationären Bereich machen Ärztinnen und Ärzte insbesondere in der Notaufnahme Gewalterfahrungen. Kurz vor der Coronapandemie hat die Hochschule Fulda Ergebnisse einer Befragung von Mitarbeitern hessischer Notaufnahmen veröffentlicht, der zufolge fast alle Befragten von verbaler Gewalt berichten konnten und drei Viertel von körperlicher Gewalt (Kasten).
Folgen einer Ausnahmelage
Sowohl viele Ärztekammern und KVen, also auch Krankenhäuser, bieten für Ärztinnen und Ärzte Deeskalationsseminare und Fortbildungsveranstaltungen zum Thema Gewalt an sowie psychosoziale Beratungen. Alfred Brandner ist Dozent in der Gewaltprävention. Er trainiert Ärzte zum Thema Selbstschutz in Kursen. „Auch gegen Ärzte, die helfen wollen, richten sich die unterschiedlichsten Formen der Gewalt“, sagt Brandner dem DÄ. „Relativ häufig zu verzeichnen sind verbale Übergriffe, doch die Übergänge in die nächste Gewaltstufe sind fließend.“ Zudem gebe es die nicht vorhersehbare Gewalt, zum Beispiel in Form eines plötzlichen „Ausflippsyndroms“ während einer eher unauffälligen Arbeitsroutinen. „Betroffen sind Mediziner gleichermaßen wie Pflegekräfte oder Rettungsfachpersonal“, sagt Brandner. „Die Übergriffe richten sich dabei meistens nicht gezielt gegen die Mediziner in ihrer Eigenschaft als behandelnde Ärzte und sind oftmals die bitteren Folgen einer Ausnahmelage. Alkohol, Drogen, aber auch psychosoziale Überlastung sind die maßgeblichen Auslöser von Übergriffen.“
Ein gesteigertes Risiko bestehe bei der Ausübung des ärztlichen Notdienstes. „Oftmals fahren Mediziner alleine in Wohngegenden, die als soziale Brennpunkte bekannt sind und in denen sie die Patienten und ihr Umfeld nicht wirklich kennen“, erzählt Brandner. Auch zentrale Notaufnahmen könne man zunehmend als „Hochrisikobereiche“ einstufen. „Schwierig sind Einsatzlagen, in denen bei normaler Routinetätigkeit ein plötzlicher und nicht vorhersehbarer Angriff gegen den Arzt erfolgt“, sagt Brandner. Bei fehlenden Fluchtmöglichkeiten könne das durchaus dramatisch werden. „Offensichtliche Bedrohungslagen sollten für Ärzte schon im Vorfeld das Signal für einen geordneten Rückzug nebst Polizeinotruf sein“, rät Brandner. „Für Gewalttäter ist die Polizei zuständig. Diese verfügt über entsprechende Rechte, die richtige Ausbildung und Ausstattung.“ Ein Patientenkontakt könne dann erst nach einer Freigabe durch die Polizei erfolgen.
Auch Pflegende sind in ihrer Berufsausübung mit Gewalt konfrontiert. „Eigentlich sind alle Pflegenden in ihrem Berufsleben schon einmal mit dem Thema in Berührung gekommen“, sagt Carsten Hermes dem DÄ. Hermes ist Sprecher der Sektion Pflege in der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) und hat sich ausgiebig mit dem Thema beschäftigt. „Dabei geht es um alle Formen von Gewalt: physische, verbale und sexualisierte Gewalt, Nötigung, Beleidigung und das Ausüben von Druck“, sagt er. Körperliche Gewalt reiche dabei vom Festhalten der Handgelenke bis hin zu Tritten und Schlägen. „Der Einsatz von Waffen ist zum Glück extrem selten“, so Hermes. Sexuelle Nötigung trete vor allem in Pflegeheimen auf und äußere sich durch sexuelle Avancen und das Führen der Hände der Pflegekraft zu den eigenen Genitalien.
Beklemmung und Angst
„Manche Menschen üben Gewalt aus, weil sie psychisch krank sind“, berichtet der gelernte Intensivpfleger. „Viele, die gewalttätig werden, sind suchtkrank und fühlen sich in die Enge getrieben. Andere, zum Glück wenige, setzen Gewalt wiederum ganz bewusst ein.“ In den Pflegenden löse die Gewalterfahrung vielfach Beklemmung und Angst aus. „Manche ziehen sich auch in sich zurück“, sagt Hermes und rät: „Wer Gewalt erfahren hat, muss sich unbedingt Hilfe suchen, entweder im privaten Umfeld oder über Berufsorganisationen wie die DGIIN oder die Deutsche Gesellschaft Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (die DGINA), die entsprechende Hilfsprogramme anbieten.“
Hermes besitzt mehrere DAN-Grade in verschiedenen Kampfkunstsystemen. Vor diesem Hintergrund bietet er Selbstverteidigungskurse an, in denen Pflegende lernen können, in Gewaltsituationen richtig zu reagieren. „In 90 Prozent der Fälle kann eine solche Situation mit Deeskalationsstrategien aufgelöst werden“, sagt Hermes. Für die übrigen zehn Prozent gibt es die Selbstverteidigungskurse. „Dabei lernt man zum Beispiel, wie man einen Griff lösen kann, wenn man wirklich einmal körperlich angegriffen wird oder wie man stehen muss, um bei einem Angriff nicht verletzt zu werden“, erklärt Hermes.
Auch die Politik hat sich mit dem Thema Gewalt im Gesundheitssystem auseinandergesetzt. Der derzeit noch geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) initiierte im vergangenen Jahr eine Ausweitung des besonderen strafrechtlichen Schutzes, der etwa für Polizistinnen und Polizisten gilt, auf Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger sowie Helferinnen und Helfer in der Notfallversorgung. Wer diese bei ihrer Arbeit behindert, sie verbal oder tätlich angreift, muss nun in schweren Fällen mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe rechnen. Für medizinisches Personal außerhalb der Notfallversorgung gilt das bislang nicht. „Da müsste man mal ran“, glaubt Hausarzt Kröner. Auch er wünscht sich mehr Unterstützung durch die Politik und mehr auf Gesundheitsberufe spezialisierte Angebote, die dabei helfen, auch psychologisch mit der Situation umzugehen.
„Die örtliche Polizeidienststelle hat uns sehr unterstützt und Präventionsberatung und Aggressionstraining für das Praxispersonal angeboten, um richtig reagieren zu können“, erzählt Kröner. Für viele Kolleginnen und Kollegen sei es aber besonders schwer, mit den Angriffen umzugehen, da man ja eigentlich helfen wolle. „Was Politiker vertreten, ist häufig kontrovers“, sagt Kröner. „Aber der ärztliche Beruf ist ja eigentlich heilend und helfend, er wird mit etwas Positivem verbunden. Man steht morgens auf, um etwas Gutes zu tun. Wenn man dann plötzlich massiv angefeindet wird, ist das psychologisch extrem schwierig.“
Die Sozialpsychologin Pia Lamberty hat untersucht, wie es zu diesem scheinbaren Widerspruch kommt. „Menschen, die an Verschwörungen glauben, sehen die als Feindbild, die sie als mächtig markieren. Und dazu zählen leider auch Ärztinnen und Ärzte. Gerade Impfungen gelten Wissenschaftsleugnerinnen und -leugnern als Feindbild, gegen das immer wieder mobilisiert wird“, sagt Lamberty dem DÄ. Sie veröffentlichte im vergangenen Jahr ein Buch zu Verschwörungstheorien und begründete 2021 das Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS), das unter anderem zu Desinformation und Verschwörungstheorien forscht. Auch sie vermutet, dass die Gewalt und Gewaltandrohungen zugenommen haben.
„Klimawissenschaftlerinnen und Klimawissenschaftler oder Genderforscherinnen und Genderforscher kennen Bedrohungen und Herabsetzungen schon lange. In der Pandemie hat es sich dann verlagert und vermutlich auch ausgeweitet. Wie stark, lässt sich leider nicht sagen“, erklärt die Sozialpsychologin. Und hier sieht sie auch eine der größten Schwächen, wenn es darum geht, Gegenmaßnahmen zu ergreifen: „Soweit ich informiert bin, wissen wir überhaupt nicht, wie viele Ärztinnen und Ärzte Bedrohungen ausgesetzt sind. Insgesamt wird das Thema Gewalt in der Pandemie nicht systematisch erfasst, da gibt es ganz viele Leerstellen. Ich finde das fatal. Wir haben so ja keine Ahnung, inwiefern es immer mehr eskaliert – auch im Kontext der Maskenpflicht beispielsweise.“
Viele Bedrohungen liefen auch digital ab. „Das bedeutet aber nicht, dass es nicht real ist“, so Lamberty. „Digitale Hetze hat reale Konsequenzen für die Betroffenen und die können sich eben auch offline niederschlagen, das erleben insbesondere Ärztinnen und Ärzte gerade.“ Sie plädiert unter anderem für Meldestellen, die speziell derartige Vorfälle registrieren. „Diese können Betroffene dann auch an Beratungsstellen verweisen. Dann hätte man auch bessere Einblicke“, glaubt Lamberty.
Auch wer bislang noch keine solche Anlaufstelle hat, sollte unbedingt aktiv werden und jede Form von Gewalt anzeigen, sagt Christian Kröner. „Unser Team fährt da eine Null-Toleranz-Strategie. Wir zeigen alles an, was auch nur annähernd in den Bereich Bedrohung, Einschüchterung oder Beleidigung geht“, so der Hausarzt. Das habe sich bewährt, denn auch in den Täterkreisen spreche es sich herum, wenn man sich wehre.
„Viele Kolleginnen und Kollegen haben da Hemmungen. Aber es ist immens wichtig, klar zu kommunizieren, dass auch das Internet beispielsweise kein rechtsfreier Raum ist“, so Kröner. Durch Rückmeldungen auf seine Anzeigen erfahre er immer wieder, dass die Zahl der Ermittlungserfolge hoch ist, ebenso wie die Geldstrafen. „Ich werde keinen Schritt langsamer tun“, ist Kröner sicher, „dann hätten die ihr Ziel ja erreicht und das kann nicht sein.“
Falk Osterloh, Alina Reichardt,
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
Gewalterfahrungen in Notaufnahmen
Kurz vor der COVID-19-Pandemie führten Prof. Dr. Margit Christiansen und Prof. Dr. med. Gamze Güzel-Freudenstein von der Hochschule Fulda eine Befragung zum Thema Gewalt in den Notaufnahmen durch, an der sich 354 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von 51 Notaufnahmen in Hessen beteiligten. Knapp 76 Prozent gaben dabei an, in den vergangenen zwölf Monaten mindestens eine Form körperlicher Gewalt erlebt zu haben. 97 Prozent erklärten, sie hätten in diesem Zeitraum verbale Gewalt erfahren. 52 Prozent gaben an, mindestens einer Form sexualisierter Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein.
Die Gewalterfahrungen sind dabei keine singulären Ereignisse: Von jenen Personen, die in den vergangenen zwölf Monaten eine oder mehrere Formen verbaler Gewalt erlebt hatten, sagten 61,8 Prozent, diese täglich oder wöchentlich zu erleben. Bei körperlicher Gewalt sind es 24,1 Prozent, bei sexualisierter Gewalt 20,6 Prozent. Zugleich stimmten 77 Prozent der Befragten zu, dass das Erleben von Gewalt gegen die eigene Person in der Notaufnahme normal sei. Bezüglich des Sicherheitsgefühls während der Arbeitszeit gaben 39 Prozent an, dass sie sich nachts in der Notaufnahme meist nicht oder nie sicher fühlten.
Die Wissenschaftlerinnen fragten auch nach den Auslösern für die Gewalt. Hier wurden am häufigsten der Einfluss von Alkohol oder Drogen (85,5 Prozent), lange Wartezeiten (83,3 Prozent), Verwirrtheit der Patienten (55,1 Prozent), Unzufriedenheit mit der Versorgung (44,9 Prozent) und Verständigungsprobleme (37,7 Prozent) genannt. Die Erlebnisse bleiben für die Betroffenen nicht ohne Folgen. Fünf Reaktionen nannten die Befragten am häufigsten: Gereiztheit (43,7 Prozent), gedrückte Stimmung (36,2 Prozent), Abstumpfung (34,4 Prozent), Verlust der Freude am Beruf (32,1 Prozent) und der Wunsch nach einem Berufswechsel (26,5 Prozent).
Schoeneich, Andreas
Thiel, Ralph