

Um den Ausstoß von Treibhausgasen in der eigenen Praxis zu reduzieren, haben niedergelassene Ärztinnen und Ärzte viele Möglichkeiten, die zum Teil schnell umgesetzt werden können. Manche reduzieren nicht nur den CO2-Ausstoß, sondern sparen auch Geld und fördern die Gesundheit.
Der Weltklimarat hat in seinem aktuellen Bericht klargestellt, dass die menschengemachte Erderwärmung voraussichtlich bis 2030 zu einem Anstieg der Temperatur um 1,5 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit führen wird, wenn keine geeigneten Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Der Gesundheitssektor ist für etwa fünf Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. In Deutschland gab es im vergangenen Jahr 101 932 vertragsärztliche Praxen, wie aus der Statistik der Kassenärztlichen Bundesvereinigung hervorgeht. Diese Zahl verdeutlicht, dass der ambulante Sektor ein hohes Potenzial hat, nachhaltige Maßnahmen umzusetzen. Für Vertragsärztinnen und -ärzte bieten sich dadurch vor allem neue Chancen. Denn viele Anpassungen können mit geringem Aufwand umgesetzt werden. Und rasche Erfolge stärken die Motivation des gesamten Teams. Hinzu kommen wirtschaftliche Vorteile sowie Impulse für eine Verhaltensänderung zu mehr Nachhaltigkeit bei den Patientinnen und Patienten.
Die folgenden Empfehlungen tragen zu einer klimafreundlichen Umgestaltung der Praxis bei. An erster Stelle steht dabei die Einsparung von Energie, Strom und Wasser. Sie schont die Ressourcen und ist bei steigenden Verbraucherpreisen zunehmend kosteneffizient:
- Heizkörper freihalten, Heizungsanlagen regelmäßig warten
- Thermostate soweit möglich herunterregulieren (das Umweltbundesamt empfiehlt eine Raumtemperatur von maximal 20 Grad Celsius) sowie programmierbare, an den Bedarf angepasste Thermostate zu installieren
- Beim Stoßlüften Heizung ausschalten
- Undichte Stellen an Türen und Fenstern abdichten
- Gegebenenfalls in eine Energieberatung investieren
- Zu einem Ökostromanbieter wechseln, eventuell eine eigene Photovoltaikanlage installieren
- Abschaltbare Steckerleisten für Elektrogeräte kaufen sowie LED-Energiesparlampen und wiederaufladbare Akkus
- Dämmung und Verschattung mit nachhaltigen Materialien durchführen statt eine Klimaanlage anschaffen
- Ältere Geräte überprüfen und in energiesparende Anlagen neuer Generation investieren
- Die Kühlschranktemperatur auf energiesparende acht Grad Celsius einstellen oder auf die Mindestanforderung der zu kühlenden Medikamente
- Zusätzlichen Energieverbrauch in unbenutzten Räumen vermeiden
- Trocknergebrauch minimieren
- Wasserverbrauch durch Perlatoren reduzieren, einen automatischer Wasserstopp oder wassersparende Armaturen einbauen
- Warmwasseranschluss am Waschbecken dauerhaft sperren
Umweltsiegel beachten
Beim Einkaufen können Umweltschutzsiegel wie der „Blaue Engel“ einen Richtwert für die Nachhaltigkeit von Nutzungsgegenständen geben. Auch für Büromaterialien oder Arbeitskleidung gibt es Ökolabel, an denen man sich orientieren kann. Die von der Bundesregierung gelistete Website www.siegelklarheit.de gibt Auskunft über weitere Siegel.
Bei der Organisation der Praxis lassen sich viele Bereiche identifizieren, die sich nachhaltig gestalten lassen – wodurch zugleich Zeit und Geld gespart werden können:
- Im Rahmen einer papierfreien Praxis auf die Digitalisierung von Akten und Arbeitsprozessen umsteigen
- Befunde auf elektronischem Weg übermitteln
- Postwurfsendungen klimaneutraler versenden
- Klimafreundliche Anbieter von Suchmaschinen, E-Mail-Adressen, Websites unterstützen
- Videosprechstunde anbieten, um die Anfahrten von Patienten zu reduzieren
- Nachhaltige Banken, Versicherungen, Krankenkassen und Finanzanlagen wählen
Lieferketten hinterfragen
Auch der Praxisbedarf sollte im Hinblick auf Lieferketten und Verpackungen kritisch hinterfragt und möglicherweise auf nachhaltigere Materialien umgestellt werden:
- Produktproben nicht mehr annahmen, um Platz, Arbeitszeit, Geld und Abfall zu sparen
- Unnötige Zeitschriften, Werbematerialien und Werbefaxe abbestellen
- Neuanschaffungen auf Nachhaltigkeit überprüfen, zum Beispiel Praxismobiliar
- Renovierungsmaßnahmen nachhaltig durchführen
- Recyclingpapier für Liegen, Einmalhandtücher und Sanitäranlagen nutzen
Auch im Bereich der Mobilität lässt sich mit der Reduzierung von Treibhausgasemissionen Geld sparen und die Gesundheit fördern:
- Für den Weg zur Praxis das Fahrrad oder den ÖPNV nutzen oder zu Fuß gehen
- Boni für Mitarbeitende in Form von Jobtickets oder Fahrradreparaturgutscheinen anbieten
- Dienstfahrräder oder E-Autos anschaffen
Die einfachste Methode zur Einsparung von Treibhausgasen ist die Abfallvermeidung:
- Mehrweg- und Upcycling-Systeme in der Praxis und der Mittagspause einführen
- Verpackungsmüll durch gemeinsame Bestellungen mit anderen Praxen reduzieren
- Altmedikamente entsprechend den Vorschriften der Kommune korrekt entsorgen
Auch in Praxen fällt im operativen Bereich täglich viel Abfall an. Die gesetzlichen Bestimmungen sind aus Hygienegründen komplex und bindend. Trotzdem sollte der Gebrauch von Einmalinstrumenten aus Verbundmaterialien bei Operationen kritisch hinterfragt werden, da diese energieaufwendig hergestellt werden und zum Abfallaufkommen erheblich beitragen:
- In Praxen mit mittlerem und großem Volumen eigene Instrumentenaufbereitung einführen oder Fremdaufbereitungen in entsprechenden Einrichtungen nutzen
- Durch praxisinterne Vorgaben materialsparend arbeiten
- Kontinuierlich nachbessern, wenn Informationen über Recyclingmaterialien, zum Beispiel Handschuhe, veröffentlicht werden
- Die Praxis nachhaltig mit rückstandslos verbrennbaren Einmalwischtüchern auf Basis von Peressigsäure reinigen
- Händedesinfektionsmittel aus Alkohol als Einmalgebinde nutzen
Überdiagnostik vermeiden
Die Verordnung von Arzneimitteln hat mit circa 20 Prozent den größten Anteil an CO2-Emissionen am Gesamtaufkommen des Gesundheitswesens. Beispiele für eine nachhaltige Verschreibungspraxis sind von den jeweiligen medizinischen Fachdisziplinen abhängig und können umgesetzt werden, ohne dass die medizinische Versorgung an Qualität einbüßt. Die Verordnung von indikationsangepassten Medikamentenmengen sowie Überlegungen zu möglicher Überdiagnostik, zum Beispiel bei Laborparametern, und Übertherapie können zu erheblichen ökonomischen Einsparungen führen und sind zudem umweltfreundlich. Umweltrelevante Beispiele für Verordnungsspielräume sind:
- Bei Asthma und COPD Pulverinhalatoren anstelle von Dosieraerosolen rezeptieren; Dosieraerosole verwenden als Treibmittel hoch klimaschädliche F-Gase
- Diclofenac als Lokaltherapeutikum meiden, da es hoch umwelttoxisch ist; es verbleibt auf der Hautoberfläche und kann, wenn es abgewaschen wird, nicht aus Abwässern geklärt werden – der Gesamtverbrauch in Deutschland liegt derzeit bei circa 85 Tonnen pro Jahr
Dr. med. Dipl. Biol. Susanne Saha, Dr. med. Christina Hecker
Deutsche Dermatologische Gesellschaft,
Arbeitskreis Plastik und Nachhaltigkeit in der Dermatologie
Ärztliche Aufklärung
Auch das Konzept einer klima- und umweltsensiblen ärztlichen Behandlungsaufklärung kann ohne großen zusätzlichen Zeitaufwand in die Sprechstunde integriert werden und damit zur nachhaltigen Praxisführung beitragen. Denn medizinisch indizierte Lebensstiländerungen können Gesundheit und Klima gleichermaßen schützen. So führt zum Beispiel mehr Bewegung zu einer Reduktion von orthopädischen Beschwerden, Adipositas oder Depressionen. Dabei ist sicher sinnvoll, wenn jede medizinische Fachdisziplin ihre eigenen Beratungskonzepte für die in ihrem Fachbereich relevanten Erkrankungen entwickelt, um das Thema Nachhaltigkeit im gesamten medizinischen Sektor breit aufstellen zu können.
Darüber hinaus kann das Thema Klimaschutz und Gesundheit in Teambesprechungen realisiert werden. Die Umsetzung gemeinsam erarbeiteter Maßnahmen wie zum Beispiel die Umgestaltung des Aufenthaltsraums fördern den Teamgeist und können sich positiv auf die gesamte Arbeitsatmosphäre auswirken. Nicht zuletzt können nicht weiter reduzierbare Emissionen über CO2-Rechner, zum Beispiel den ConClimate-Klimarechner für ärztliche Praxen, errechnet und die Restemissionen über Klimaschutzprojekte ausgeglichen werden.
Eine Liste nachhaltiger Tipps wird regelmäßig zum Beispiel auf der Homepage der Initiative Nachhaltige Praxis aktualisiert. Weiterführende Informationen werden von dem Arbeitskreis Plastik und Nachhaltigkeit in der Dermatologie der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft kontinuierlich in Form von Qualitätsmanagementvorschlägen und Informationen für Patientinnen und Patienten erarbeitet, die als kostenloser Download auf der Website www.akdermaplastik.de zur Verfügung stehen.