ArchivDeutsches Ärzteblatt3/2022Ernährungstherapie: Mangelernährt in der Klinik

MEDIZINREPORT

Ernährungstherapie: Mangelernährt in der Klinik

Adolph, Michael; Schweikert, Daniela; Wessels, Britta; Bamberg, Michael

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Mangelernährung in deutschen Krankenhäusern ist nach wie vor ein relevantes Problem. Experten fordern, systematisch Patienten danach zu screenen, um sie entsprechend behandeln zu können. Dem steht entgegen, dass sich Ernährungstherapie kaum erlösrelevant abbilden lässt.

Das Essen in der Klinik soll mehr sein als nur schmackhaft. Im medizinischen Kontext gilt es, Ernährungstherapie zu nutzen, um das bestmögliche Outcome für den Patienten zu erzielen. Foto: weerapat1003/stock.adobe.com
Das Essen in der Klinik soll mehr sein als nur schmackhaft. Im medizinischen Kontext gilt es, Ernährungstherapie zu nutzen, um das bestmögliche Outcome für den Patienten zu erzielen. Foto: weerapat1003/stock.adobe.com

Laut globaler Konsensusdefinition (GLIM) sind in hiesigen Kliniken circa 20 % der Patientinnen und Patienten schwer, weitere 15 % mäßig mangelernährt (1, 2). Bereits vor mehr als 15 Jahren wurden in der German Hospital Malnutrition Study zufolge bei 27 % der 1 886 untersuchten Patienten aus 13 Kliniken schon am Aufnahmetag Anzeichen einer Mangelernährung festgestellt. In den teilnehmenden akutgeriatrischen Abteilungen wurden sogar mehr als die Hälfte der Aufgenommenen als mangelernährt eingestuft, gefolgt von gastroenterologischen (38 %) und onkologischen (33 %) Patienten.

Mangelernährte Patienten waren signifikant länger im Krankenhaus als nicht mangelernährte (3). Weitere internationale Studien kamen zu vergleichbaren Ergebnissen (4). Offensichtlich hat man in den zurückliegenden Jahren trotz unterschiedlicher Bemühungen keine wesentlichen Verbesserungen erzielt.

Um eine Mangelernährung zu erkennen und deren deletäre Folgen zu vermeiden, bedarf es einer effektiven Diagnostik und anschließenden Ernährungstherapie. Ein erster Schritt in diese Richtung ist die Erfassung des Ernährungszustands durch ein Screening. Hierfür stehen unterschiedliche Tools zur Verfügung, etwa der Nutritional Risk Score (NRS), das Mini Nutritional Assessment (MNA), das Malnutrition Universal Screenings Tool (MUST) oder das Subjektive Global Assessment (SGA) (5, 6, 7). Den Ernährungsstatus zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme zu screenen, sollte verbindlich in den Krankenhäusern eingeführt werden. Dazu bedarf es im Rahmen der kommenden Legislaturperiode entsprechender gesetzgeberischer Initiativen.

Nutrition Support Team

Dem Screening sollte sich gemäß German-Nutrition Care Process das Ernährungsassessment zur Diagnose anschließen (8). Darauf aufbauend sollten Ernährungsmaßnahmen geplant, durchgeführt, evaluiert und gegebenenfalls korrigiert werden. Dieser Kreislauf sollte von Ernährungsfachkräften in enger Kooperation mit Ernährungsmedizinern unter Beachtung nationaler und internationaler Leitlinien durchlaufen werden.

Das Universitätsklinikum Tübingen gründete deshalb im Jahr 2015 – aufbauend auf Vorläuferstrukturen – das Nutrition Support Team. Wenig später entschloss sich der Klinikvorstand, hierfür eine „Stabsstelle Ernährungsmanagement“ einzurichten, die sämtliche an Stoffwechsel- und Ernährungsfragen beteiligte Gruppen zusammenfasste. Neben dem klinikumweit agierenden Ernährungsteam gehört auch das der Pädiatrie sowie die Ernährungsberatung in der bariatrischen Chirurgie dazu. Als besonders innovativ ist in diesem Kontext hervorzuheben, dass dieser Stabsstelle zusätzlich pflegerische Komponenten zugeordnet wurden. Denn die Expertenteams für die Pflege von Magensonden (PEG) und Stomata sowie für das Wundmanagement wurden integriert.

Beispielgebend für das gesamte Bundesgebiet hat das Land Baden-Württemberg – vertreten durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration – eine Arbeitsgruppe „Prävention und Therapie von Mangelernährung in Baden-Württembergischen Krankenhäusern, Senioren- und Pflegeeinrichtungen“ eingerichtet. Besetzt mit Experten aus unterschiedlichen Kliniken, Ministerien, Fachgesellschaften und Sozialversicherungsträgern fokussiert diese Arbeitsgruppe ihre Tätigkeit auf die möglichen Auswirkungen einer Mangelernährung – den Patienten, aber auch die Klinik betreffend – und diskutiert zugleich verschiedene Lösungsansätze.

Status von Ernährungsmängeln

Parallel dazu hat das Land Baden-Württemberg im Rahmen des Gesundheitsforums BW ein Projekt zu dieser Thematik an das Universitätsklinikum Tübingen vergeben. Ziele dieses Projekts sind nach einer sorgfältigen Statuserhebung im Land interessierte Kliniken im Rahmen von Kick-off-Veranstaltungen über den Aufbau von Ernährungsteams und eines modernen Ernährungsmanagements zu informieren und Hilfestellung anzubieten. Parallel dazu strebt das Land mit Blick auf ernährungsmedizinische Themen eine Fortentwicklung der studentischen Ausbildung, der ärztlichen Weiterbildung und der pflegerischen Fortbildung an.

Im Rahmen des Projekts geht es regelmäßig um folgende Fragen:

  • Gibt es Studienergebnisse, die die Effektivität einer Ernährungstherapie eindeutig belegen?
  • Wie können Aufbau und Unterhalt von Ernährungsteams nachhaltig finanziell sichergestellt werden?

In der randomisierten multizentrischen EFFORT-Studie ist eindrucksvoll gezeigt worden, dass eine protokollgesteuerte, patientenindividualisierte ernährungsmedizinische Betreuung primär mangelernährter Patienten im Krankenhaus nicht nur schwerwiegende Komplikationen, sondern auch die Sterblichkeitsrate reduzieren kann. In dieser mit 2 088 teilnehmenden Patienten bislang größten Studie zu dem Thema bedurfte es der individuellen Ernährungstherapie von 25 Patienten (NNT = 25), um ein unerwünschtes Ereignis zu verhindern und 37 (NNT = 37), um einen Todesfall zu vermeiden (9).

In einer weiterführenden ökonomischen Analyse konnte dieselbe Arbeitsgruppe belegen, dass durch die Reduktion von Komplikationen in der Interventionsgruppe Folgekosten, die durch zusätzliche diagnostische und therapeutische Maßnahmen entstehen können, vermieden wurden und es somit nicht zu einer weiteren Belastung des Krankenhausbudgets kam (10).

In einer weiteren Publikation wurden Daten des Schweizer Bundesamtes für Statistik von insgesamt 11 4264 Patienten für eine Auswertung herangezogen. 34 967 mangelernährten Patienten mit Ernährungssupport wurde ein gematchtes Vergleichskollektiv ohne Ernährungssupport gegenübergestellt. Die In-Hospital-Mortalität war für die Gruppe mit Ernährungstherapie signifikant geringer (Incidence Rate Ratio [IRR] 0,79), ebenso die 30-Tage-Wiederaufnahmerate (IRR 0,95) (11). Eine aktuelle Metaanalyse derselben Arbeitsgruppe belegt ebenfalls eindeutig die Effizienz einer Ernährungstherapie bei mangelernährten Patienten durch eine signifikante Senkung der Mortalität (Odds-Ratio 0,73) und Reduktion ungewollter Wiederaufnahmeraten (Risk Ratio 0,76) (12).

Ökonomische Aspekte

Das deutsche Fallpauschalen-System (aG-DRG) sieht zwar für ernährungstherapeutische Maßnahmen bei mangelernährten Patienten spezifische Kodierungsmöglichkeiten zum Beispiel unter ICD E43, E44.0, E44.1, E64.0, R64, R63.3, E53.8 vor, sodass die Kliniken daraus auch Erlöse erzielen könnten. Allerdings sind in den vergangenen Jahren durch das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) kalkulatorische Korrekturen erfolgt, die zu einer deutlichen Minderung der Erlöse geführt haben. Eine Finanzierung von ernährungstherapeutischen Strukturen ist somit kaum noch realisierbar.

Vor diesem Hintergrund hat das Universitätsklinikum Tübingen in enger Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) und anderen Fachgesellschaften einen Operationen- und Prozedurenschlüssel-(OPS-)Kode „Ernährungsmedizinische Komplexbehandlung“ entwickelt. Nach eingehender Prüfung durch das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) wurde der OPS 8–98j im Jahr 2018 in den Katalog der OPS aufgenommen. Er ist seit Anfang 2019 kodierbar, sofern die im Kode genannten strukturellen Bedingungen erfüllt sind.

Die ebenfalls festgelegten Mindestmerkmale sind für den Aufbau von Ernährungsteams, bezogen auf Arbeitsweise und Qualität, essenziell und zugleich von besonderer Bedeutung. Ab dem Jahr 2022 sieht der Kode zudem eine Ausdifferenzierung nach der Länge der Behandlungsdauer vor (13). Leider ist er derzeit nicht erlösrelevant. Laut InEK liegt die fehlende Gruppierungsrelevanz an den mangelnden Kalkulationsdaten. Daraus lässt sich folgern, dass die Kliniken und Krankenhäuser, die die Struktur- und Mindestmerkmale des OPS-Kodes 8–98j erfüllen, diesen auch kodieren sollten. Diese Aufforderung gilt grundsätzlich für alle Kliniken, insbesondere aber für die Kalkulationskrankenhäuser.

Als Fazit dieser Bestandsaufnahme sollte die Ernährungstherapie in deutschen Krankenhäusern endlich allgemeine Akzeptanz finden. Dazu bedarf es eines entschlossenen politischen Willens, den Aufbau von Ernährungsteams und die Weiterentwicklung in Richtung eines modernen Ernährungsmanagements nachhaltig zu fördern und finanziell abzusichern. Erste Schritte sind die Einführung eines verbindlichen Ernährungs-Screenings sowie eine Erlösrelevanz für den entsprechenden OPS-Kode. Dies sind aus Sicht der Autoren dringende Aufgaben für die kommende Legislaturperiode.

PD Dr. med. Michael Adolph, Daniela Schweikert, Dr. rer. nat. Britta Wessels
Stabsstelle Ernährungsmanagement, Gesundheitszentrum Universitätsklinikum Tübingen

Prof. Dr. med. Michael Bamberg
Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor, Universitätsklinikum Tübingen

Interessenkonflikte

M. Adolph, D. Schweikert, B. Wessels und M. Bamberg geben an, vom Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration in Baden-Württemberg, Drittmittel erhalten zu haben.

Der Artikel unterliegt keinem Peer-Review.

Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit0322
oder über QR-Code.

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