THEMEN DER ZEIT
Klinische Prüfungen: Künftig einheitlich in der Europäischen Union
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Die EU-Verordnung über klinische Prüfungen tritt am 31. Januar in Kraft. Mit ihr wird das Genehmigungsverfahren für klinische Prüfungen über ein neues Informationsportal harmonisiert.
Es ist eine Zäsur: Zum 31. Januar ändern sich Art und Weise, wie klinische Prüfungen in der Europäischen Union (EU) durchgeführt werden. Grund ist der Geltungsbeginn der EU-Verordnung Nr. 536/2014 über klinische Arzneimittelprüfungen aus dem Jahr 2014. Für forschende Arzneimittelhersteller sowie für die akademischen Studienzentren, die Prüfärztinnen und Ärzte sowie die zuständigen Ethik-Kommissionen bringt das wesentliche Neuerungen bei der Beantragung, Bewertung, Genehmigung und Durchführung von klinischen Prüfungen mit sich, auf die es sich jetzt einzustellen gilt.
Harmonisiertes Verfahren
Worum geht es bei der EU-Verordnung aus dem Jahr 2014? Grundsätzliches Ziel sind einheitliche Einreichungs-, Bewertungs- und Überwachungsverfahren für klinische Prüfungen in der gesamten EU und eine gesetzlich verankerte Verpflichtung zur Übermittlung von Studienergebnissen. Um all dies zu erreichen, mussten in Deutschland das Arzneimittelgesetz (AMG) angepasst und die technischen Voraussetzungen geschaffen werden. Denn laufen sollen alle klinische Prüfungen innerhalb der EU über das Informationssystem für klinische Prüfungen (Clinical Trials Information System, CTIS, Kasten).
Das neue, harmonisierte Genehmigungsverfahren zu klinischen Prüfungen ist für viele involvierte Akteure ein Meilenstein. „Die Verordnung über klinische Prüfungen und die Einführung des EU-Portals CTIS ist äußerst wichtig“, betont der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig, gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt. „Zum einen werden endlich die Einreichungs-, Bewertungs- und Überwachungsverfahren für klinische Prüfungen in der EU vereinheitlicht. Zum anderen werden die Bewertung sowie Überwachung der in der EU durchgeführten klinischen Prüfungen infolgedessen deutlich verbessert.“
Einfacher soll es in Zukunft vor allem sein, multizentrische klinische Prüfungen in mehreren EU-Mitgliedstaaten gleichzeitig durchzuführen. Die Sponsoren klinischer Prüfungen – wie Pharmaunternehmen oder Forschungseinrichtungen – könnten künftig mit einem einzigen Antrag die Autorisierung klinischer Prüfungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten der EU genehmigt bekommen, erklärt Ludwig, der auch Mitglied im Management Board der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) ist.
„Die Durchführung und Überwachung großer klinischer Studien, die aus Public-Health-Sicht wichtige medizinische Fragen in der EU beantworten sollen, zum Beispiel aktuell die Wirksamkeit und Sicherheit von Impfungen gegen SARS-CoV-2 beziehungsweise medikamentöse Therapieoptionen zur Vermeidung schwerer Verläufe von COVID-19, wird dadurch zweifelsfrei erleichtert“, ist er überzeugt. Darüber hinaus werde das CTIS-Portal, wenn es gut funktioniere, auch die Attraktivität der EU als wichtiges und sehr aktives Zentrum für klinische Forschung sicherstellen und steigern.
Startschuss für das EU-Portal
Der Aufbau des EU-Portals für die Einreichung von Informationen zu klinischen Prüfungen in der EU und im Europäischen Wirtschaftsraum war allerdings alles andere als lapidar. Er war es unter anderem, der in den letzten Jahren zu Verzögerungen geführt hatte. Im Sommer 2021 hieß es schließlich, dass die Auditierung des Systems sei erfolgreich gewesen – als Geltungsbeginn der Verordnung wurde gemäß der Bestimmungen der 31. Januar 2022 fixiert. Auch Ludwig ist optimistisch, dass CTIS jetzt gut funktionieren wird – beziehungsweise, dass noch auftretende kleinere Fehler in den Software-Programmen schnell beseitigt werden können.
Für viele Beteiligte bedeutete der schließlich fixierte Geltungsbeginn in den vergangenen sechs Monaten eine Menge Arbeit: „Alle im Bereich der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln engagierten Akteure waren in dieser letzten Zeit sehr eingespannt“, erklärt Prof. Dr. med. Kurt Racké von der Universität Bonn, von der Bundesärztekammer (BÄK) benannter Federführender der paritätisch besetzten gemeinsamen Arbeitsgruppe von BÄK und Arbeitskreis Medizinischer Ethik-Kommissionen (AKEK). Die Gemengelage sei aufgrund des langen unklaren Termins für den Anwendungsbeginn der Verordnung und den Problemen bei der technischen Entwicklung des EU-Portals unübersichtlich gewesen. „Wir haben viele Anfragen zu den Übergangsfristen und weiteren regulatorischen Themen erhalten“, berichtet er dem Deutschen Ärzteblatt.
Präzise abgestimmt im Vorfeld
Unsicherheiten beseitigen sollen die von Bundesärztekammer und Arbeitskreis Medizinischer Ethik-Kommissionen ausgearbeiteten Dokumente, die mit dieser Ausgabe des Deutschen Ärzteblattes veröffentlicht werden. Sie sind das Ergebnis von intensiven Abstimmungen mit fachlich tangierten Institutionen und Verbänden sowie dem Bundesministerium für Gesundheit.
Der langen Übergangszeit bis zum Anwendungsbeginn kann Racké daher Positives abgewinnen: „Sie wurde von uns intensiv genutzt und wir hoffen, durch die nunmehr vorgelegten Dokumente zu einem möglichst reibungslosen Anwendungsbeginn der EU-Verordnung beitragen zu können.“
Doch was ändert sich nun genau bei den klinischen Prüfungen? Umstellen müssen sich beispielsweise die Ethik-Kommissionen. Denn die AMG-Novelle sieht unter anderem vor, dass sich Kommissionen, die sich an der Bewertung der Genehmigungsanträge für klinische Prüfungen beteiligen wollen, Minimalanforderungen an Organisation und Zusammensetzung erfüllen müssen. Dazu müssen sie sich beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) registrieren lassen. Die registrierten Ethik-Kommissionen müssen wiederum einen Geschäftsverteilungsplan erlassen, der die Zuteilung der durch das neue EU-Portal eingehenden Genehmigungsanträge an die Ethik-Kommissionen regelt. Denn diese erfolgt künftig nicht mehr gemäß dem lokalen Zuständigkeitsprinzip. Dies ist ein Umstand, der insbesondere eine bundeseinheitliche Vorgehensweise der Ethik-Kommissionen bei der Bewertung von Anträgen dringend erforderlich macht.
„Mit der EU-Verordnung und der damit einhergehenden EU-weiten Harmonisierung ist eine möglichst bundeseinheitliche Vorgehensweise der Ethik-Kommissionen wichtiger denn je“, betont Dr. med. (I) Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Vorsitzender der Ständigen Konferenz der Geschäftsführungen und Vorsitzenden der Ethik-Kommissionen der Landesärztekammern, gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt. Die Bundesärztekammer habe hierfür gemeinsam mit dem AKEK die entsprechenden Vorarbeiten geleistet.
Konkret haben die Ethik-Kommissionen ihre Empfehlungen zur Bewertung der Prüferqualifikationen novelliert und deren Anwendung mit großer Mehrheit im Sinne einer Selbstverpflichtung konsentiert. „Mittlerweile wurden mit Blick auf die neue Rechtslage zahlreiche weitere Handreichungen und Hinweise gemeinsam von Bundesärztekammer und AKEK entwickelt“, erklärt der BÄK-Präsident. „Ihre stringente bundeseinheitliche Beachtung trägt nicht zuletzt dazu bei, das hohe Schutzniveau für die Prüfungsteilnehmer auch zukünftig zu gewährleisten.“
Auch der AKEK-Vorsitzende Prof. Dr. med. Georg Schmidt schaut optimistisch auf den bevorstehenden Geltungsbeginn der EU-Verordnung. Die Ethik-Kommissionen hätten sich bereits frühzeitig auf die neuen Aufgaben und Abläufe vorbereitet, erläutert er. „Über einen Zeitraum von fast sechs Jahren haben die Ethik-Kommissionen zusammen mit den Bundesoberbehörden in einem Pilotverfahren die gemeinsame Bewertung von Anträgen gemäß der EU-Verordnung 536/2014 mit großem Erfolg eingeübt.“
Die einzelnen Kommissionen vor Ort hätten die elektronischen Portale eingerichtet, mit denen sie sich künftig innerhalb der sehr kurzen gesetzlichen Fristen abstimmen müssen. „Zudem haben alle das Zertifizierungsverfahren beim BfArM nach den gesetzlichen Vorgaben durchlaufen“, betont Schmidt. Die registrierten Ethik-Kommissionen hätten sich ferner regelmäßig mit den europäischen Kolleginnen und Kollegen beraten und auch die Grundlagen des Geschäftsverteilungsplans in Deutschland gelegt. Mittlerweile sei auch dieser abgestimmt und vom BfArM veröffentlicht. Schmidts Fazit: „Die Ethik-Kommissionen sind gut aufgestellt und vorbereitet – auch darauf, dass wir an einigen Stellen mit Unwägbarkeiten rechnen müssen.“
Startschwierigkeiten möglich
Mit diesen „Unwägbarkeiten“ rechnen auch die potenziellen Antragsteller, die Arzneimittelhersteller. „Das EU-Portal ist nicht einfach ein Briefkasten für Studienanträge“, ist sich der Forschungssprecher des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (vfa), Dr. rer. nat. Rolf Hömke, bewusst. „Es muss vielmehr bei den klinischen Prüfungen alle Prozesse abdecken: von der Antragstellung und der Bearbeitung durch die beteiligten Staaten über die Studiendurchführung einschließlich der Sicherheitsberichte bis hin zur Erfüllung der Transparenzvorgaben.“ Dabei müssten sowohl die Sicherheit von personenbezogenen Daten und Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen als auch die Anforderungen einzelner nationaler Behörden und Ethik-Kommissionen berücksichtigt werden. „Da ist es kein Wunder, dass es einige Jahre gedauert hat, bis das alles implementiert werden konnte. Und aufgrund der Komplexität des Portals wird es sich auch nicht vermeiden lassen, dass es da und dort zu Problemen kommt“, meint der vfa-Sprecher.
Attraktive Forschungsstandorte
Sein Anliegen: „Das Feedback der Anwender sollte schnell eingeholt und das Portal angepasst werden, wenn es sich als nötig erweist.“ Während des ersten Einführungsjahrs gebe es ja auch noch die Alternative: Die EU erlaubt es den Antragstellern, während dieses Zeitraumes wahlweise das neue EU-Portal oder die bereits etablierten nationalen Verfahren zu nutzen.
Vom generellen Benefit des neuen, harmonisierten Genehmigungsverfahren zu klinischen Prüfungen in der EU ist der vfa jedoch überzeugt. „Der Sponsor erhält nur noch eine multinational gültige Genehmigung, an der alle betroffenen EU-Mitgliedstaaten mit ihren Arzneimittelbehörden und Ethik-Kommissionen mitgewirkt haben“, lobt Hömke. Bisher seien viele Einzelgenehmigungen beziehungsweise Zustimmungen nationaler Arzneimittelbehörden und Ethik-Kommissionen nötig gewesen. Das neue Verfahren vermeide zudem, dass die Sponsoren weitgehend identische Informationen bei vielen verschiedenen Stellen einzeln einreichen müssen und dass sich die verschiedenen Länder in ihren Anforderungen an die jeweilige Studie nicht abstimmen, sodass es allein dem Sponsor überlassen bleibe, wie er diese konsolidiert. „Die Änderungen werden die Attraktivität des Studienstandorts Europa verbessern.“ Auch die klaren Regelungen zur Transparenz und zur Veröffentlichung von Studienergebnissen seien richtig und wichtig.
Mehr Transparenz verspricht sich künftig auch das Netzwerk der Koordinierungszentren für Klinische Studien (KKSN), das sich in den letzten Monaten intensiv auf den Geltungsbeginn der Verordnung vorbereitet hat.
Kursangebot ist angepasst
„Die Anforderungen der neuen EU-Verordnung wurden in die Aus- und Weiterbildungsangebote der einzelnen Koordinierungszentren für Klinische Studien übernommen“, berichtet Dr. med. Sebastian Klammt, Leiter der KKSN-Geschäftsstelle, dem Deutschen Ärzteblatt. „Durch die angebotenen Kurse der KKSN-Mitglieder wird sichergestellt, dass sich alle Interessierten auch unter den erschwerten Bedingungen der Pandemie für die Durchführung von klinischen Studien unter der VO 536/2014 qualifizieren können.“ Nach Einschätzung des KKSN sind somit ausreichende Möglichkeiten für Prüferinnen und Prüfer gegeben, sich über die Durchführung klinischer Studien unter der neuen Verordnung qualifiziert zu informieren.
Dementsprechend wurden auch die von BÄK und AKEK entwickelten curricularen Fortbildungen bereits vor einiger Zeit an die neue EU-Verordnung angepasst. Eine erneute Anpassung erfolgt mit Blick auf den Ende Mai ebenfalls anstehenden Geltungsbeginn der EU-Verordnung über In-vitro-Diagnostika.
Neu ist dabei, dass Bundesärztekammer und AKEK im Zuge dieser Überarbeitung eine öffentliche Konsultation durchführen werden, damit tangierte Akteure – wie beispielsweise auch das KKSN – ihre fachlichen Anmerkungen zu den curricularen Fortbildungen in das Beratungsverfahren einbringen können. Dies ist ein Aufwand, der nach Ansicht von Racké lohnt: „Die Vorteile einer breiten fachlichen Abstimmung wiegen die durch die Konsultation etwas verlängerte Beratungszeit aus meiner Sicht insbesondere im Interesse der Akzeptanz und der praktischen Anwendung der curricularen Fortbildungen auf.“
Spannender Geltungsbeginn
Trotz all der geleisteten Vorarbeit bleibt es spannend, wie sich die neue EU-Verordnung auf die praktische Studiendurchführung im Alltag auswirken wird. Denn praktische Erfahrungen der Studieneinreichung mittels des neuen zentralen EU-Portals konnten bislang kaum gesammelt werden.
Falk Osterloh,
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
Die Bekanntgabe im Internet: http://daebl.de/CE48 oder über QR-Code
Clinical Trials Information System – CTIS
Das von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) betriebene Informationssystem für klinische Prüfungen (Clinical Trials Information System – CTIS) ist künftig die zentrale Anlaufstelle, um Informationen zu klinischen Prüfungen in der Europäischen Union /EU) einzureichen. Es besitzt einen Arbeitsbereich für Sponsoren (Unternehmen und Forschungseinrichtungen), der diesen hilft, ihren Antrag auf klinische Prüfung und die zugehörigen Unterlagen für die Einreichung zur Bewertung zusammenzustellen.
Ein weiterer geschützter Arbeitsbereich dient Behörden als Unterstützung der Tätigkeiten der EU-Mitgliedstaaten, der Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) und der Europäischen Kommission bei der Bewertung und Überwachung klinischer Prüfungen.
Über eine öffentliche Website kann zudem die Öffentlichkeit – sobald die Studien im CTIS eingereicht und genehmigt wurden – auf detaillierte Informationen über alle in Europa durchgeführten klinischen Prüfungen zugreifen.
In der Verordnung über klinische Prüfungen ist ein Übergangszeitraum für das CTIS vorgesehen: Vom 31. Januar 2022 bis zum 31. Januar 2023 können Anträge noch über nationale Einreichungsverfahren eingereicht werden.
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