MEDIZIN: Kurzmitteilung
Influenza-Impfung bei Patienten und Patientinnen mit Demenz oder Parkinson-Krankheit
Eine Analyse auf der Grundlage von GKV-Routinedaten der Jahre 2014–2019
Influenza vaccination in patients with dementia and Parkinson’s disease—an analysis of routine health insurance data for the years 2014–2019
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In alternden Gesellschaften nimmt auch die Prävalenz klassischer altersbedingter Erkrankungen, wie neurodegenerativer Erkrankungen, immer mehr zu. Ziel der Studie war es, den Impfschutz gegen die saisonale Influenza von gefährdeten Personen mit den beiden häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen, Demenz und Parkinson-Krankheit, zu untersuchen; für diese sind eine höhere Morbidität und Mortalität im Fall einer Influenza-Infektion bekannt (1, 2). Außerdem untersuchten wir, ob Demenz und Parkinson-Krankheit mit einer höheren Wahrscheinlichkeit einer Influenza-Impfung, kontrolliert für Institutionalisierungs- und Pflegestatus, zusammenhängen.
Daten und Methoden
Wir verwendeten longitudinale Abrechnungsdaten der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK), mit 1 130 857 Beobachtungen bei 245 125 Personen im Alter von ≥ 50 Jahren im Zeitraum vom dritten Quartal 2014 bis zum zweiten Quartal 2019.
Die Zielvariable war die Influenza-Impfung. Die wichtigsten erklärenden Variablen waren das Vorliegen einer validen Demenz- oder Parkinson-Diagnose. Eine valide Diagnose musste durch eine zweite Diagnose einer/s anderen Ärztin/Arztes oder im Lauf der Zeit bestätigt werden. Wir untersuchten die moderierenden Effekte der Institutionalisierung (Leben in einem Pflegeheim versus Leben in einem Privathaushalt) und des Pflegestatus (schwere Pflegebedürftigkeit, keine schwere Pflegebedürftigkeit), wobei „schwere Pflegebedürftigkeit“ als Pflegestufe 3 (bis Ende 2016) oder Pflegegrad 5 (ab 2017) definiert war. Kontrollvariablen waren Geschlecht, Alter, Wohnregion (Ost-/Westdeutschland) und 31 dichotome Komorbiditäten aus dem Elixhauser-Komorbiditätsindex, wobei der Wert 1 angenommen wurde, wenn die Komorbidität vorhanden war. Wir untersuchten die Influenza-Impfquoten und verwendeten den Ansatz der „Generalized Estimation Equations (GEE)“ für die binäre Zielvariable Influenza-Impfung. Die geschätzten Odds Ratios (OR) zeigen die bereinigte Chance einer Influenza-Impfung an. Alle Analysen wurden mit STATA/MP 16.1 durchgeführt.
Ergebnisse
Die Impfquoten waren bei Patienten und Patientinnen mit Demenz (50,4 %) und Parkinson-Krankheit (49,7 %) höher als bei Patienten ohne diese Erkrankungen (ohne Demenz: 30,8 %; ohne Parkinson-Krankheit: 32,1 %), aber immer noch wurde etwa die Hälfte der Patienten nicht geimpft (Tabelle). Bereinigt um den Einfluss der genannten Kontrollvariablen, verringerte das Vorliegen von Demenz sogar die Chance auf eine Impfung (Odds Ratio [OR]: 0,95; 95-%-Konfidenzintervall: [0,94; 0,97]), während bei Personen mit Parkinson-Krankheit eine erhöhte Chance auf eine Impfung bestand (OR: 1,12 [1,09; 1,16]). In einer Sensitivitätsanalyse, in der wir von einer validierten Demenz-Diagnose absahen, beobachteten wir ein OR = 0,97 [0,95; 0,99] bei Vorliegen von Demenz. Personen im Pflegeheim hatten im Allgemeinen eine erhöhte Chance auf eine Influenza-Impfung (OR: 2,14 [2,09; 2,19]), während eine schwere Pflegebedürftigkeit diese verringerte (OR: 0,79 [0,76; 0,82]).
Bei Patienten ohne schwere Pflegebedürftigkeit, die in Privathaushalten lebten, verringerte Demenz die Chance auf eine Impfung statistisch signifikant (OR: 0,93 [0,91; 0,95]) und hatte keinen statistisch signifikanten Effekt bei Patienten mit schwerer Pflegebedürftigkeit (OR: 0,72 [0,67; 0,77]; ohne Demenz OR: 0,68 [0,62; 0,74]). Bei Patienten, die in Pflegeheimen ohne schwere Pflegebedürftigkeit lebten, erhöhte Demenz die Chance für eine Impfung (Grafik a). In Bezug auf die Parkinson-Krankheit erhöhte das Vorhandensein der Erkrankung die Chance auf eine Impfung bei Patienten ohne schwere Pflegebedürftigkeit, während bei Patienten mit schwerer Pflegebedürftigkeit unabhängig vom Institutionalisierungsstatus kein signifikanter Unterschied festgestellt wurde (Grafik b).
Schlussfolgerungen und Implikationen
Obwohl die Influenza-Impfung mit einer verringerten Gesamtmortalität in älteren multimorbiden Bevölkerungsgruppen assoziiert ist (3), hat unsere Studie gezeigt, dass die Impfquoten in Deutschland im Allgemeinen unter den angestrebten Werten liegen und auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern niedriger sind (4). Im Vergleich zu Personen ohne Demenz ist die bereinigte Chance auf eine Impfung bei Patienten mit Demenz, die in Privathaushalten leben, geringer, was nicht den Empfehlungen, dass Demenzpatienten zusätzlich geimpft werden sollten, entspricht. Ähnliche Ergebnisse wurden für England und Wales berichtet (5). Patienten mit Parkinson-Krankheit haben im Allgemeinen eine höhere Chance, geimpft zu werden, aber dieser Vorteil geht verloren, sobald sie schwer pflegebedürftig werden. In Deutschland werden Patienten mit Demenz oder Parkinson-Krankheit überwiegend informell von ihren Familien gepflegt. Diese Pflege ist körperlich und geistig anstrengend und führt häufig zu einem schlechten Gesundheitszustand der Pflegenden, was ihre Fähigkeit beeinträchtigen könnte, sich um Impfungen für ihre abhängigen Angehörigen zu bemühen. In Pflegeheimen, in denen die medizinische Versorgung formell organisiert ist, sind die Impfquoten höher.
Die zu niedrige Influenza-Impfquote bei Patienten mit Demenz und Parkinson-Krankheit in Privathaushalten erhöht deren Risiko für eine Infektion und einen schweren Krankheitsverlauf. Die hohe Sterblichkeit unter der älteren Bevölkerung in den ersten beiden Wellen der Covid-19-Pandemie, insbesondere in Pflegeheimen, hat die exponierte Lage dieser Gruppen in Bezug auf Infektionskrankheiten und ihre endogenen Ressourcen zu deren Bewältigung deutlich gemacht. Unzureichender Schutz bei den jährlich wiederkehrenden Grippewellen führt dazu, dass unnötig Lebensjahre verloren gehen. Diese Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit verbesserter Impfmaßnahmen durch Hausärzte, Fachärzte oder auf der Grundlage eines systematischen Zugriffs, vergleichbar mit den Covid-19-Impfprogrammen, um Patienten, ihre Familien und das Pflegepersonal zu schützen.
Interessenkonflikt
A. Hermann gibt an, dass er und seine Arbeitsgruppe durch die Hermann und Lilly Schilling-Stiftung fur medizinische Forschung im Stifterverband gefördert wird.
Die übrigen Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 19. 10. 2021, revidierte Fassung angenommen: 5. 1. 2022
Zitierweise
Fink A, Hermann A, Günster C, Doblhammer G: Influenza vaccination in patients with dementia and Parkinson’s disease—an analysis of routine health insurance data for the years 2014–2019. Dtsch Arztebl Int 2022; 119: 66–7. DOI: 10.3238/arztebl.m2022.0101
►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
www.aerzteblatt-international.de
Sektion für Translationale Neurodegeneration „Albrecht-Kossel“, Klinik und Poliklinik für Neurologie und Centre for Transdisciplinary Neurosciences Rostock (CTNR), Universitätsklinikum Rostock, Universität Rostock (Hermann)
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Rostock/Greifswald (Hermann)
Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO), Berlin (Günster)
Institut für Soziologie und Demographie, Universität Rostock (Doblhammer)
1. | Leibson CL, Maraganore DM, Bower JH, Ransom JE, O‘Brien PC, Rocca WA: Comorbid conditions associated with Parkinson‘s disease: a population-based study. Mov Disord 2006; 21: 446–55 CrossRef MEDLINE |
2. | Naumova EN, Parisi SM, Castronovo D, Pandita M, Wenger J, Minihan P: Pneumonia and influenza hospitalizations in elderly people with dementia. J Am Geriatr Soc 2009; 57: 2192–9 CrossRef MEDLINE |
3. | Walzer P, Estève C, Barben J, et al.: Impact of influenza vaccination on mortality in the oldest old: a propensity score-matched cohort study. Vaccines 2020; 8: 356 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
4. | Loerbroks A, Stock C, Bosch JA, Litaker DG, Apfelbacher CJ: Influenza vaccination coverage among high-risk groups in 11 European countries. Eur J Public Health 2012; 22: 562–8 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
5. | Shah SM, Carey IM, Harris T, DeWilde S, Cook DG: The impact of dementia on influenza vaccination uptake in community and care home residents. Age Ageing 2012; 41: 64–9 CrossRef MEDLINE |