ArchivDeutsches Ärzteblatt5/2022Allgemeine Impfpflicht: Debatte im Bundestag

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Allgemeine Impfpflicht: Debatte im Bundestag

Osterloh, Falk

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Das parlamentarische Verfahren zur möglichen Einführung einer Impfpflicht gegen SARS-CoV-2 begann mit einer Orientierungsdebatte im Bundestag. Derzeit gibt es drei Optionen. Welche sich durchsetzen wird, wird sich erst in den kommenden Wochen zeigen.

Foto: picture alliance/dpa
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Die Debatte um die Einführung einer allgemeinen Coronaimpfpflicht ist im Deutschen Bundestag angekommen. Mehr als drei Stunden diskutierten die Abgeordneten Ende Januar das Für und Wider einer solchen Regelung. Dabei kristallisierten sich drei Ansichten heraus, für die sich die Parlamentarier über Parteigrenzen hinweg aussprachen: die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht ab 18 Jahren, die Einführung eines verpflichtenden Beratungsgesprächs mit anschließender Impfpflicht ab 50 Jahren, falls die Beratungen nicht zur gewünschten Impfquote geführt haben, und die Beibehaltung des Status quo ohne Impfpflicht.

Für die Einführung eines verpflichtenden Beratungsgesprächs mit möglicher anschließender Impfpflicht ab 50 Jahren sprachen sich unter anderem die beiden Ärzte Andrew Ullmann (FDP) und Paula Piechotta (Die Grünen) aus. „Unser Ziel muss die schnellstmögliche Rückkehr in den Normalzustand sein“, sagte Ullmann vor dem Parlament. „Dafür gibt es zwei Wege: die natürliche Durchseuchung der Gesellschaft und eine Immunisierung der Bevölkerung durch eine Impfung.“ Es schließe sich allerdings aus, das Virus gewähren zu lassen. Denn der Schaden wäre unabsehbar. „Also bleibt nur der Weg über die Impfung“, so Ullmann. „Dabei ist es wichtig, die Bürger mitzunehmen.“ Die Menschen zur Vernunft zu verpflichten, könne nur die Ultima Ratio sein.

„Vorher haben wir die Pflicht, die Argumente darzulegen“, betonte der FDP-Politiker. „Wir müssen alles versuchen, um die Impfskeptiker zu überzeugen. Dafür schlagen wir ein verpflichtendes Aufklärungsgespräch vor.“ Denn es gebe viele Ungeimpfte, die noch überzeugt werden könnten und die ein Recht auf seriöse Informationen hätten. „Sollten wir auf diesem Weg die notwendige Impfquote nicht erreichen, wäre ein weiterer Schritt eine Impfpflicht ab 50 Jahren“, sagte Ullmann. „Das ist ein angemessenes Mittel, um eine Überforderung unseres Gesundheitssystems zu verhindern. Und es wäre ein milderer Eingriff als eine allgemeine Impfpflicht.

Für diesen Vorschlag sprach sich auch Piechotta aus. „Ich schlage vor, einen Mittelweg zu gehen: eine verpflichtende Impfung ab 50 Jahren, die auch eine verpflichtende Impfberatung beinhaltet“, sagte die Fachärztin für Radiologie aus Sachsen. „Dadurch können wir auch versuchen, die gesellschaftlichen Nebenwirkungen, die eine allgemeine Impfpflicht haben kann, zu minimieren.“ Denn niemand könne sagen, ob eine allgemeine Impfpflicht nicht auch zu Radikalisierungstendenzen führen könne.

Für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht ab 18 Jahren sprachen sich unter anderem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), Kirsten Kappert-Gonther (Die Grünen) und Katrin Helling-Plahr (FDP) aus. Lauterbach warnte vor der möglichen Entstehung einer rekombinierten Virusvariante, die so ansteckend sei wie Omikron und einen so schweren Verlauf habe wie Delta. „Wenn wir eine Welle mit dieser Variante im kommenden Herbst sicher vermeiden wollen, ist die allgemeine Impfpflicht der einzige Weg“, betonte Lauterbach. „Und wir müssen jetzt damit beginnen, diesen Weg zu gehen. Denn für die Umsetzung der Impfpflicht brauchen wir mindestens fünf bis sechs Monate.“ Zudem sprach er sich gegen Äußerungen aus, die Impfpflicht stehe der Freiheit im Weg. Das Gegenteil sei der Fall: Die Freiheit könne nur durch die Impfung zurückgewonnen werden.

Der Weg aus der Pandemie

„Uns alle eint der Wunsch, diese Pandemie zu überwinden“, sagte Kirsten Kappert-Gonther. „Und Impfen ist der Weg aus der Pandemie. Wir müssen die Überlastung des Gesundheitssystems vermeiden, damit alle Patienten die medizinische und pflegerische Hilfe erhalten können, die sie benötigen. Dafür brauchen wir eine deutlich höhere Impfquote. Jetzt stehen wir in der Verantwortung, die bestehenden Impflücken zu schließen.“ Die Impfpflicht auf Menschen ab 50 Jahren zu begrenzen, hält sie für falsch. Denn auch Jüngere könnten schwere Verläufe haben. Und Long COVID sei auch bei ihnen ein zusätzliches Risiko. „Wenn wir das Signal setzen würden, dass vor allem eine Impfung für über 50-Jährige wichtig ist, birgt das die Gefahr, dass die Impfbereitschaft der Jüngeren abnimmt“, so die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie.

Katrin Helling-Plahr von der FDP fragte in ihrer Rede: „Was ist die Alternative zur allgemeinen Impfpflicht?“ Sie zitierte den Jura-Professor Hinnerk Wißmann von der Universität Münster mit den Worten, die Impfpflicht sei das mildere Mittel, als wenn der Staat den Lockdown in Endlosschleifen verordne. „Ich möchte nicht, dass unsere Kinder jeden Winter bangen müssen, ob sie in die Schule gehen dürfen“, sagte Helling-Plahr. „Ich möchte nicht, dass meine Generation sich immer Sorgen machen muss um ihre Eltern und um ihre wirtschaftliche Existenz. Ich möchte nicht, dass Krebskranke auf eine notwendige Behandlung warten müssen.“ Und auch diese Einschränkungen seien ein Eingriff in das Grundrecht.

Gegen die Einführung einer Impfpflicht sprachen sich unter anderem Wolfgang Kubicki (FDP), Gregor Gysi (Die Linke) und Tino Chrupalla (AfD) aus. „Ich habe mich bewusst für eine Impfung und eine Boosterung entschieden, weil ich der Überzeugung bin, dass ich dadurch einen schweren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung verhindern kann“, sagte Kubicki. „Für mich war das ein befreiendes Gefühl. Ich bin dankbar, in einem Gemeinwesen zu leben, in dem es möglich ist, eine solche freie Entscheidung treffen zu können.“ Die Gründe, sich nicht impfen lassen zu wollen, könnten vielfältig sein, meinte er. Man müsse respektieren, dass es Bedenken gegen eine Impfung gebe. „Bei einer Impfpflicht würden Menschen stigmatisiert, die sich nicht impfen lassen wollen“, sagte Kubicki. „Ich möchte nicht, dass die Mehrheit entscheidet, was für die Minderheit vernünftig ist.“

Pflicht ohne Sanktionen

Auch Gysi sprach sich gegen eine allgemeine Impfpflicht aus. „Denn wie viele Gesundheitsämter bräuchte man, um eine allgemeine Impfpflicht bei derzeit elf Millionen ungeimpften Erwachsenen durchzusetzen?“, fragte er. „Und eine Pflicht ohne Sanktionen ist keine Pflicht.“ Würden am Ende Geldbußen gegen Ungeimpfte verhängt, könne es dazu kommen, dass diese sie nicht begleichen könnten. „Wer nicht zahlt oder zahlen kann, dem droht eine Gefängnisstrafe“, so Gysi. „Es ist aber undenkbar, Ungeimpfte einzusperren, weil sie nicht geimpft sind. Das hält unsere Gesellschaft nicht aus.“

Gegen eine Impfpflicht sprach sich auch Tino Chrupalla (AfD) aus. „Wir lehnen sowohl eine Impfpflicht für einzelne Berufsgruppen als auch eine allgemeine Impfpflicht vollständig ab“, sagte er.

Abgeordnete der Unionsfraktion brachten keine eigenen Vorschläge ein. Sie kritisierten die Regierungsparteien dafür, dass diese im Vorfeld der Debatte im Bundestag keinen Gesetzentwurf zur Impfpflicht vorgelegt hätten. „Sie haben die Mehrheit im Bundestag. Sie haben die Verantwortung“, sagte Nina Warken (CDU). Sie forderte die Regierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der regele, wann eine Impfpflicht komme, wie Verstöße gegen sie geahndet würden und wie die Impfungen mithilfe eines Impfregisters nachvollzogen werden könnten. Falk Osterloh

Beispiele aus anderen Ländern

Österreich führte als erstes Land in der Europäischen Union eine allgemeine Coronaimpfpflicht ein. Das Parlament in Wien verabschiedete sie am 20. Januar. Die Impfpflicht für Erwachsene über 18 Jahren tritt demnach am 4. Februar in Kraft. Hohe Geldstrafen für Impfverweigerer sollen ab Mitte März verhängt werden. Ausnahmen gibt es für Schwangere und für Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können. Bis Mitte März gilt zunächst noch eine Übergangsphase, innerhalb derer alle Haushalte schriftlich informiert und noch keine Strafen verhängt werden sollen. Danach muss mit einer Anzeige und einer Geldstrafe von 600 bis 3 600 Euro rechnen, wer einen Haupt- oder Nebenwohnsitz in Österreich hat und etwa bei einer Verkehrskontrolle keinen Impfnachweis vorlegen kann. Die Strafhöhe hängt unter anderem von Einkommen und Vermögen ab – bei wiederholten Anzeigen steigt das Bußgeld. Freiheitsstrafen sind hingegen explizit ausgeschlossen. Kombiniert werden sollen die Maßnahmen mit einem Anreiz- und Belohnungspaket zur Steigerung der Impfquote.

Weltweit haben bislang nur wenige Länder eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus eingeführt. Vor Österreich waren diesen Weg Ecuador, Tadschikistan, Turkmenistan, Indonesien und Mikronesien gegangen. In mehreren europäischen Ländern, darunter Italien, Frankreich und Großbritannien, ist die Coronaimpfung aber für bestimmte Alters- oder Berufsgruppen verpflichtend. So gilt in Italien bereits seit April 2021 eine sanktionierte Impfpflicht im Gesundheitswesen. Laut aktuellen Zahlen der nationalen Ärzte- und Zahnärztekammer sind knapp 2 000 Ärzte und Zahnärzte vom Dienst suspendiert, weil sie noch ungeimpft sind. aha

aerzteblatt.de

Impfpflicht

Die Vor- und Nachteile einer Impfpflicht müssen abgewogen werden.

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