ArchivDeutsches Ärzteblatt6/2022Stationäre Versorgung: Coronabelastung auf den Normalstationen stärker beachten

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Stationäre Versorgung: Coronabelastung auf den Normalstationen stärker beachten

Gitt, Anselm K.; Lober, Christiane; Bernhardt, Alexandra; Neumer, Alexander; Zahn, Ralf; Zeymer, Uwe

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Die Fokussierung auf die Intensivmedizin in der COVID-19-Pandemie ist unzureichend für die Beurteilung der Auslastung des Krankenhaussystems. Dies zeigt eine aktuelle Auswertung von Daten aus Rheinland-Pfalz.

Foto: ismagilov/iStock
Foto: ismagilov/iStock

Seit Beginn der COVID-19-Pandemie wurde täglich über intensivmedizinisch behandelte Patientinnen und Patienten mit SARS-CoV-2-Infektion in deutschen Krankenhäusern berichtet. Politisch ging es vor allem um die freien Kapazitäten der Intensivmedizin (Intensivbetten) zur Versorgung der gegebenenfalls schwer an einer SARS-CoV-2-Infektion erkrankten Patienten, nachdem die Berichterstattung zum Beispiel aus Norditalien zu Beginn der Pandemie der Öffentlichkeit erschreckende Bilder gezeigt hatte.

Die Auslastung der Intensivmedizin diente gleichzeitig auch als Marker der Belastung des deutschen Krankenhaussystems. Dabei wurde in der öffentlichen Diskussion in keiner Weise die zusätzliche Belastung der Krankenhäuser durch SARS-CoV-2-infizierte Patienten, die nicht intensivmedizinisch betreut werden mussten, aber aufwendige Isolierungen und Schutzmaßnahmen auch auf den Normalstationen der Krankenhäuser bedurften, berücksichtigt.

In Rheinland-Pfalz (RLP) wurde das COVID-19-Register RLP (1) vom Institut für Herzinfarkt-Forschung Ludwigshafen (IHF) bereits im April 2020 initiiert und seitdem von der rheinland-pfälzischen Landesregierung finanziell unterstützt. Seit Beginn der Pandemie im April 2020 wird in diesem Register tagesaktuell die Anzahl aller stationär behandelten COVID-19-Patienten flächendeckend von allen Krankenhäusern in RLP dokumentiert.

Klare Datenlage

Die Daten zeigen, dass neben der Vielzahl der intensivmedizinisch betreuten SARS-CoV-2-Patienten im Mittel circa viermal so viele Patienten zusätzlich auf den Normalstationen der Krankenhäuser versorgt werden mussten. Exemplarisch sind die Daten der Coronapandemie seit April 2020 für RLP dargestellt (Grafik 1).

Tagesaktuelle Anzahl der stationär behandelten SARS-CoV-2-Patienten in Rheinland-Pfalz
Grafik 1
Tagesaktuelle Anzahl der stationär behandelten SARS-CoV-2-Patienten in Rheinland-Pfalz
Tagesaktuell erfragte Einschätzung der personellen Auslastung (Pflege/Ärzte) in den Krankenhäusern in Rheinland-Pfalz
Grafik 2
Tagesaktuell erfragte Einschätzung der personellen Auslastung (Pflege/Ärzte) in den Krankenhäusern in Rheinland-Pfalz

In der Spitze der ersten Pandemiewelle am 15. April 2020 waren 384 Patienten in stationärer Behandlung, in der zweiten Pandemiewelle am 29. Dezember 2020 maximal 1 151 Patienten, in der dritten Welle am 27. April 2021 696 Patienten und in der vierten Welle 756 Patienten. Die Aufschlüsselung der an diesen Tagen auf Normal- und Intensivstationen behandelten Patienten ist jeweils zu den Spitzentagen der Pandemiewellen eins bis vier dargestellt (eGrafiken), in der derzeit anlaufenden fünften Welle waren zum Stichtag 31. Januar 2022 insgesamt 662 Patienten stationär. Die Anzahl der Patienten auf Normalstation am 31. Januar 2022 übersteigt bereits den Höhepunkt auf der Normalstation der vierten Pandemiewelle und befindet sich weiterhin in einem steilen Anstieg. Derzeit sehen wir eine anflutende fünfte Welle, welche durch die zunehmende Dominanz der Omikron-Variante mit vermeintlich milderem Krankheitsverlauf bestimmt ist. Seit etwa Mitte Januar 2022 kann man in der tagesaktuellen Dokumentation für das Land Rheinland-Pfalz einen ansteigenden Bedarf an stationärer Behandlung der SARS-CoV-2-Infektion auf den Normalstationen der Krankenhäuser feststellen – bei derzeit stabilen Zahlen für die Intensivstationen (eGrafiken).

Belastung aller Versorgungsstufen des stationären Gesundheitssystems
eGrafik 1
Belastung aller Versorgungsstufen des stationären Gesundheitssystems
Anzahl der stationär behandelten SARS-CoV-2-Patienten in RLP (seit 15. Januar 2022)
eGrafik 2
Anzahl der stationär behandelten SARS-CoV-2-Patienten in RLP (seit 15. Januar 2022)
Anteil der stationären SARS-CoV-2-Patienten nach Versorgungsstufe auf den Normalstationen in Rheinland-Pfalz während der gesamten Pandemiedauer seit April 2020
eGrafik 3a
Anteil der stationären SARS-CoV-2-Patienten nach Versorgungsstufe auf den Normalstationen in Rheinland-Pfalz während der gesamten Pandemiedauer seit April 2020
Anteil der stationären SARS-CoV-2-Patienten nach Versorgungsstufe auf den Intensivstationen in Rheinland-Pfalz während der gesamten Pandemiedauer seit April 2020
eGrafik 3b
Anteil der stationären SARS-CoV-2-Patienten nach Versorgungsstufe auf den Intensivstationen in Rheinland-Pfalz während der gesamten Pandemiedauer seit April 2020

Am 31. Januar 2022 wurden in Rheinland-Pfalz 88 Prozent der stationären SARS-CoV-2-Patienten auf Normalstationen der Krankenhäuser behandelt. Viele der derzeitigen SARS-CoV-2-Patienten auf den Intensivstationen sind noch Langlieger aus der vierten Pandemiewelle mit Infektionen der Delta-Variante. Die Pandemie belastet alle Krankenhaustypen des Landes gleichermaßen (eGrafiken). Aufgrund der zur Verfügung stehenden Intensivkapazitäten waren einzelne Krankenhäuser der Maximalversorgung sowie Schwerpunktkrankenhäuser in absoluten Zahlen mehr an der Versorgung der intensivpflichtigen Patienten beteiligt, die Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung haben dafür den Großteil der Belastung durch Patienten mit SARS-CoV-2-Infektion und stationärer Behandlungspflicht auf der Normalstation bewältigt.

Alle Versorgungsstufen belastet

Entgegen der häufigen Darstellungen in der Öffentlichkeit haben die Krankenhäuser der Regel- und Grundversorgung neben der Behandlung der SARS-CoV-2-Patienten auf den Normalstationen aber landesweit auch circa 50 Prozent der intensivpflichtigen Patienten in Rheinland-Pfalz versorgt (eGrafiken). Die derzeit zu beobachtende deutliche Zunahme der SARS-CoV-2-Patienten auf den Normalstationen der Krankenhäuser hat enorme Auswirkungen auf die interne Organisation der Krankenhäuser und die Personalsituation. Weitere Normalstationen müssen in COVID-Infektionsstationen umgewidmet werden, zusätzliches Personal wird durch die Isolation der Patienten auf diesen COVID-Stationen gebunden und fällt für die Versorgung anderer Patienten aus. Dies beeinträchtigt natürlich die sonstige Regelversorgung der Patienten ohne SARS-CoV-2-Infektion. Um die Notfallversorgung aufrechtzuerhalten, müssten dann gegebenenfalls planbare Eingriffe zurückgestellt werden.

Eine weitere Belastung wird durch Patienten mit asymptomatischer SARS-CoV-2-Infektion hinzukommen. Schon jetzt sehen wir gehäuft Patienten mit anderen Notfallerkrankungen, wie zum Beispiel Herzinfarkt, die bei stationärer Aufnahme „zufällig“ auch eine SARS-CoV-2-Infektion haben. Das erhöht die Anzahl der stationären SARS-CoV-2-Patienten zusätzlich und kann zudem zu Fehlinterpretation der Daten führen, da diese Patienten nicht wegen, sondern mit einer SARS-CoV-2-Infektion intensivmedizinisch betreut werden müssen.

Personalressourcen unter Druck

Die mittlerweile fast zwei Jahre andauernde Coronapandemie stellt weiterhin eine große Belastung für das Personal der Krankenhäuser in Rheinland-Pfalz dar. In dem Kapazitätsregister werden die teilnehmenden Krankenhäuser nach der Auslastung des Personals bei der Versorgung der Patienten befragt. Die Daten zeigen (Grafik 3), dass in den Monaten Dezember 2020 und Januar 2021 durch die hohe Anzahl der zu versorgenden SARS-CoV-2-Patienten und gegebenenfalls zusätzlich durch eine krankheitsbedingte Reduktion des Stammpersonals durch eine SARS-CoV-2-Infektion und die damit verbundenen Quarantäne-Verordnungen viele Einrichtungen unter einer eingeschränkten Personalsituation zu klagen hatten. Seitdem hat sich die angespannte Situation nicht mehr erholt und führte in der vierten Pandemiewelle dazu, dass nahezu 50 Prozent der Kliniken durch einen Personalausfall bei der hohen Belastung durch die Vielzahl der Patienten von einer eingeschränkten Behandlungskapazität berichteten. Die personelle Belastung der Krankenhäuser wird durch die zunehmende Anzahl der SARS-CoV-2-Patienten auf den Normalstationen und durch die gegebenenfalls zu erwartende Reduktion des Personals durch die einrichtungsbezogene Impfpflicht im März 2022 zusätzlich aggraviert werden können.

Exemplarische Darstellung der stationären Patientenzahlen zu Spitze der vier COVID- 19-Pandemiewellen sowie der aktuelle Stand in der anflutenden fünften Welle
eTabelle
Exemplarische Darstellung der stationären Patientenzahlen zu Spitze der vier COVID- 19-Pandemiewellen sowie der aktuelle Stand in der anflutenden fünften Welle

Omikron berücksichtigen

Über die gesamte Pandemiedauer wurden in RLP im Vergleich zu den Intensivstationen etwa viermal so viele SARS-CoV-2-Patienten auf Normalstationen behandelt. Diese zusätzliche hohe Belastung, neben der seit Pandemiebeginn diskutierten Belastung der Intensivstationen, wurde bislang in der öffentlichen und politischen Diskussion vernachlässigt. In der derzeitig anflutenden fünften Pandemiewelle mit vermutetem milderen Krankheitsverlauf durch die Omikronvariante werden weniger Patienten auf den Intensivstationen und mehr auf den Normalstationen prognostiziert. Ein solcher Trend zeichnet sich seit Mitte Januar 2022 bereits ab.

In den vergangenen zwei Wochen hat sich die Zahl der stationär auf den Normalstationen des Landes Rheinland-Pfalz behandelten SARS-CoV-2-Patienten nahezu verdoppelt. Damit werden derzeit bereits sieben mal mehr Coronapatienten auf Normalstationen als auf Intensivstationen behandelt. Diese zusätzliche Belastung der Krankenhäuser hatte bereits in der Vergangenheit einen Einfluss auf die Regelversorgung anderer Krankheitsbilder mit Verschiebung geplanter Eingriffe und wird auch in der fünften Coronawelle zu einer Belastungsprobe des stationären Gesundheitssystems führen. Eine zuverlässige Dokumentation dieser Zahlen zur besseren Einschätzung der Belastung des stationären Gesundheitswesens ist über die Grenzen von RLP hinaus empfehlenswert.

  • Zitierweise dieses Beitrags: Dtsch Arztebl 2022; 119 (6): A 221–4

Anschrift der Verfasser:
Dr. med. Anselm K. Gitt, FESC, FACC
Herzzentrum Ludwigshafen
Med. Klinik B, Kardiologie/Intensivmedizin
und Stiftung Institut für Herzinfarktforschung Ludwigshafen
Bremser Str. 79
67063 Ludwigshafen am Rhein
E-Mail: gitta@klilu.de

eGrafiken und eTabelle unter: www.aerzteblatt.de/22221

1.
Gitt AK, Bernhardt A, Zahn R, Zeymer U, Grau A, Beutel ME, Werdan K: The COVID-19 Registry in Rhineland-Palatinate in the context of international registry activities documenting COVID-19 outcomes. Herz Juni 2020; 45 (4): 316–8 CrossRef MEDLINE PubMed Central
Institut für Herzinfarktforschung Ludwigshafen: Dr. med. Gitt, Prof., MSc Lober, Dr. rer. soc. Bernhardt, Dipl.-Math. Neumer, Prof. Dr. med. Zeymer

Medizinische Klinik B, Kardiologie, Pneumologie, Angiologie, Intensivmedizin, Klinikum der Stadt Ludwigshafen/Rhein: Dr. med. Gitt, Prof. Dr. med. Zahn, Prof. Dr. med. Zeymer
Tagesaktuelle Anzahl der stationär behandelten SARS-CoV-2-Patienten in Rheinland-Pfalz
Grafik 1
Tagesaktuelle Anzahl der stationär behandelten SARS-CoV-2-Patienten in Rheinland-Pfalz
Tagesaktuell erfragte Einschätzung der personellen Auslastung (Pflege/Ärzte) in den Krankenhäusern in Rheinland-Pfalz
Grafik 2
Tagesaktuell erfragte Einschätzung der personellen Auslastung (Pflege/Ärzte) in den Krankenhäusern in Rheinland-Pfalz
Belastung aller Versorgungsstufen des stationären Gesundheitssystems
eGrafik 1
Belastung aller Versorgungsstufen des stationären Gesundheitssystems
Anzahl der stationär behandelten SARS-CoV-2-Patienten in RLP (seit 15. Januar 2022)
eGrafik 2
Anzahl der stationär behandelten SARS-CoV-2-Patienten in RLP (seit 15. Januar 2022)
Anteil der stationären SARS-CoV-2-Patienten nach Versorgungsstufe auf den Normalstationen in Rheinland-Pfalz während der gesamten Pandemiedauer seit April 2020
eGrafik 3a
Anteil der stationären SARS-CoV-2-Patienten nach Versorgungsstufe auf den Normalstationen in Rheinland-Pfalz während der gesamten Pandemiedauer seit April 2020
Anteil der stationären SARS-CoV-2-Patienten nach Versorgungsstufe auf den Intensivstationen in Rheinland-Pfalz während der gesamten Pandemiedauer seit April 2020
eGrafik 3b
Anteil der stationären SARS-CoV-2-Patienten nach Versorgungsstufe auf den Intensivstationen in Rheinland-Pfalz während der gesamten Pandemiedauer seit April 2020
Exemplarische Darstellung der stationären Patientenzahlen zu Spitze der vier COVID- 19-Pandemiewellen sowie der aktuelle Stand in der anflutenden fünften Welle
eTabelle
Exemplarische Darstellung der stationären Patientenzahlen zu Spitze der vier COVID- 19-Pandemiewellen sowie der aktuelle Stand in der anflutenden fünften Welle
1.Gitt AK, Bernhardt A, Zahn R, Zeymer U, Grau A, Beutel ME, Werdan K: The COVID-19 Registry in Rhineland-Palatinate in the context of international registry activities documenting COVID-19 outcomes. Herz Juni 2020; 45 (4): 316–8 CrossRef MEDLINE PubMed Central

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