MEDIZIN: Übersichtsarbeit
Collider Bias in Beobachtungsstudien: Konsequenzen für die medizinische Forschung
Teil 30 der Serie zur Bewertung wissenschaftlicher Publikationen
Collider bias in observational studies: consequences for medical research. Part 30 of a series on evaluation of scientific publications
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Hintergrund: Die Ergebnisse von Beobachtungsstudien können durch verschiedene Faktoren verzerrt werden. Während sogenannte Störgrößen (Confounder) allgemein bekannt sind, finden Verzerrungen durch Collider Bias (CB) bisher wenig Beachtung in der medizinischen Forschung. Ziel der vorliegenden Arbeit ist, das Prinzip des CB und Maßnahmen zur Vermeidung beispielhaft darzustellen.
Methode: Basierend auf einer selektiven Literaturrecherche werden Ergebnisse anhand von Beispielen erläutert.
Ergebnisse: Als „Collider“ werden im einfachsten Fall Variablen bezeichnet, die von mindestens zwei anderen Variablen beeinflusst werden. Ein Beispiel für einen CB ist die Beobachtung, dass bei Menschen mit Diabetes eine zusätzlich bestehende Adipositas mit einem verringerten Sterberisiko assoziiert ist, obwohl Adipositas in der Allgemeinbevölkerung mit einem erhöhten Sterberisiko einhergeht. Diese fälschlicherweise protektive Assoziation zwischen Adipositas und Sterberisiko kann durch die Restriktion der Studienpopulation auf Personen mit Diabetes entstehen.
Schlussfolgerung: Ein CB ist eine Verzerrung, die durch Restriktion/Stratifizierung anhand des Colliders oder durch statistische Adjustierung für einen Collider in einem Regressionsmodell entsteht. Ein CB kann in vielfältiger Weise auftreten. Die grafische Darstellung von kausalen Strukturen hilft dabei, potenzielle Quellen für CB zu identifizieren. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen „Confoundern“ und „Collidern“, da Methoden, die der Korrektur von Confounding dienen, zu Verzerrungen führen, wenn sie auf Collider angewendet werden. Es gibt keine allgemein anwendbare Methode, um einen CB zu korrigieren.


Die Frage nach dem Kausalitätsnachweis in Beobachtungsstudien beschäftigt Forscher seit Jahrhunderten. In der medizinischen Forschung existieren verschiedene Ansätze zur Identifikation von kausalen Zusammenhängen, wobei in der Regel ein probabilistisches Kausalitätsverständnis verfolgt wird (zum Beispiel A erhöht die Wahrscheinlichkeit von B) (1). Demnach verursacht eine Exposition (zum Beispiel Rauchen) oder Behandlung ein Outcome (zum Beispiel Lungenkrebs), wenn die Exposition oder Behandlung die Wahrscheinlichkeit beeinflusst, dass dieses Outcome eintritt. Dem gegenüber stehen deterministische Kausalitätstheorien, denen logische Bedingungen zugrunde liegen (zum Beispiel auf A folgt notwendigerweise und immer B) (1). In der medizinischen Forschung werden zunehmend mathematische Methoden der kausalen Inferenz angewendet. Bei diesem Ansatz wird mathematisch begründet, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, um aus Beobachtungsstudien kausale Schlüsse zu ziehen.
Theorie und Methoden der kausalen Inferenz haben in den letzten Jahrzehnten wesentlich zum Verständnis und zur Vermeidung von Verzerrungen in Beobachtungsstudien beigetragen. So gab es wesentliche Fortschritte bezüglich der Methoden zur Adjustierung von „Confounding“, also der „Vermischung“ eines Expositionseffektes mit dem Effekt eines Störfaktors (dem „Confounder“), der sowohl die Exposition als auch das Outcome beeinflusst. Beispielsweise ist das Alter ein Confounder für den Zusammenhang zwischen Rauchen und dem Lungenkrebsrisiko, da das Alter sowohl die Wahrscheinlichkeit zu rauchen als auch das Lungenkrebsrisiko beeinflusst. Einige statistische Methoden, die zumindest teilweise für Confounding korrigieren können, wurden bereits in dieser Zeitschrift vorgestellt (zum Beispiel [2–4]).
Weiterhin verdeutlicht die Theorie der kausalen Inferenz die wichtige Unterscheidung zwischen Confounder und Collider. Ein „Confounder“ ist eine Variable, die sowohl die Exposition als auch das Outcome verursacht. Im Gegensatz dazu ist ein „Collider“ (von „collide“, kollidieren) eine Variable, die von mindestens zwei anderen Variablen verursacht wird (die verursachenden Variablen „kollidieren“ im Collider). Wird beispielsweise die Lebensqualität durch Rauchen (Exposition) und Lungenkrebs (Outcome) beeinflusst, wäre die Lebensqualität ein Collider und kein Confounder für den Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs. Diese Unterscheidung ist wichtig, da Methoden, die der Korrektur von Confounding dienen (zum Beispiel Regressionsanalysen) zu Verzerrungen führen können, wenn sie auf Collider angewendet werden. Eine derartige Verzerrung wird daher „Collider Bias“ (CB) genannt.
Gerichtete azyklische Grafen („directed acyclic graphs“, DAG) haben zum besseren Verständnis des CB beigetragen, da sie eine einfache grafische Darstellung kausaler Zusammenhänge ermöglichen (5, 6). Potenzielle Quellen eines CB können so grafisch identifiziert werden, ohne die zugrunde liegende Mathematik zu durchdringen. Auch die Unterscheidung zwischen Collidern und Confoundern wird durch DAGs vereinfacht (5, 6).
Die Verzerrung durch Confounding ist innerhalb der medizinischen Forschung ein bekanntes Problem, das in der Regel bei Design und Auswertung von Studien berücksichtigt wird. Im Vergleich dazu wird das Potenzial von Verzerrungen durch CB in der medizinischen Forschung bisher kaum beachtet. Daher ist das Ziel der vorliegenden Arbeit, das Prinzip des CB anhand von Beispielen und DAGs zu erläutern und Maßnahmen zur Vermeidung von CB darzustellen.
Methoden
Basierend auf einer selektiven Literaturrecherche werden anhand von Beispielen und DAGs Situationen beschrieben, in denen CB die Schätzung von Expositionseffekten verzerren kann.
Ergebnisse
„Directed acyclic graphs“ und Collider Bias
Ein kausaler Zusammenhang wird in einem DAG als gerichteter Pfeil von der verursachenden zur beeinflussten Variable dargestellt (Grafik 1). Als „Collider“ wird eine Variable bezeichnet, in der mindestens zwei Pfeilspitzen münden, die Pfeile also in dieser Variable „kollidieren“. Im Gegensatz dazu ist ein „Confounder“ eine Variable, die sowohl die Exposition als auch das Outcome verursacht, das heißt ein Confounder hat (mindestens) zwei abgehende Pfeile – einen in Richtung der Exposition und einen in Richtung des Outcomes.
In Grafik 1 ist eine hypothetische Studiensituation dargestellt, in der untersucht werden soll, ob eine Depression den allgemeinen Gesundheitszustand beeinflusst. Die Variable „soziale Isolation“ ist ein Confounder für diese Fragestellung, da sowohl ein Pfeil in Richtung Exposition als auch in Richtung Outcome zeigt. Beispielsweise könnte man annehmen, dass soziale Isolation das Depressionsrisiko erhöht und den Gesundheitszustand verschlechtert. Die Variable „Studienteilnahme“ ist hingegen ein Collider. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die Bereitschaft zur Teilnahme an wissenschaftlichen Studien durch eine Depression sinkt (in Grafik 1 dargestellt als Pfeil von „Depression“ zu „Studienteilnahme“) und dass vornehmlich gesündere Personen an Studien teilnehmen (in Grafik 1 dargestellt als Pfeil von „Gesundheitszustand“ zu „Studienteilnahme“). In der Variable „Studienteilnahme“ kollidieren also zwei Pfeile. Wird nun der Zusammenhang zwischen „Depression“ und „Gesundheitszustand“ in der Studienpopulation (nicht in der Allgemeinbevölkerung!) geschätzt, ist diese Schätzung verzerrt, da Menschen mit Depression mit höherer Wahrscheinlichkeit teilnehmen, wenn sie einen guten Gesundheitszustand aufweisen. Somit erscheinen Studienteilnehmer mit Depression im Mittel gesünder als Personen mit Depression in der Allgemeinbevölkerung. Dieser CB kommt folglich durch Restriktion der Studienpopulation anhand des Colliders „Studienteilnahme“ zustande. Mit „Restriktion anhand des Colliders“ ist gemeint, dass nur Personen in der Analyse berücksichtigt werden, die das Merkmal „Studienteilnahme = ja“ aufweisen. Diese Restriktion findet gezwungenermaßen statt, da keine Informationen zu Personen vorliegen, die nicht an der Studie teilnehmen.
Grundsätzlich kann ein CB entstehen durch
1. Restriktion anhand eines Colliders (zum Beispiel durch selektive Studienteilnahme, Grafik 1)
2. Stratifikation der Analyse anhand des Colliders
3. Adjustierung für einen Collider in einem Regressionsmodell.
Bezogen auf das Beispiel (Grafik 1) wird in diesem Zusammenhang deutlich, warum eine Unterscheidung von Confoundern und Collidern wichtig ist. Confounding durch „soziale Isolation“ könnte durch eine Restriktion der Studienpopulation behoben werden, das heißt dadurch, dass ausschließlich Personen untersucht werden, die sozial isoliert sind („soziale Isolation = ja“). Innerhalb dieser Gruppe kann kein Confounding durch soziale Isolation auftreten, weil alle untersuchten Personen bezüglich des Confounders die gleiche Ausprägung aufweisen. Die Restriktion anhand des Confounders behebt folglich die durch den Confounder verursachte Verzerrung. Im Gegensatz dazu verursacht eine Restriktion anhand des Colliders „Studienteilnahme“ wie oben erläutert eine Verzerrung, das heißt einen CB. Dies gilt analog auch für die oben genannten Punkte 2. und 3.: Auf Confounder angewendet, können diese Methoden Verzerrungen beheben, während sie bei Collidern Verzerrungen verursachen.
Die unter 1. bis 3. genannten Methoden gehören alle zur Gruppe der Methoden, die auf einen Collider „konditionieren“. Folglich entsteht ein CB, wenn auf einen Collider konditioniert wird, unabhängig davon welche Methode der Konditionierung durchgeführt wird. Im Falle einer Stratifikation kann davon ausgegangen werden, dass in mindestens einem Stratum des Colliders eine artifizielle Assoziation entsteht. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit sind mit „Konditionierung“ immer alle drei Methoden gemeint.
Das in Grafik 1 dargestellte Beispiel eines CB wäre vermutlich auch ohne Darstellung in einem DAG identifizierbar gewesen. Andere Beispiele für mögliche CB sind allerdings komplexer und intuitiv schwerer greifbar, wie zum Beispiel das Geburtsgewichtsparadoxon (7) oder das Adipositasparadoxon (8). Daher gehen wir auf Letzteres im folgenden Abschnitt genauer ein.
Das Adipositasparadoxon
Das Adipositasparadoxon beschreibt die scheinbar paradoxe Beobachtung, dass bei Menschen mit einer chronischen Erkrankung (hier: Diabetes) eine zusätzliche Adipositas mit einem verringerten Sterberisiko assoziiert ist, obwohl Adipositas in der Allgemeinbevölkerung mit einem erhöhten Sterberisiko einhergeht (8). Eine mögliche Erklärung für diesen scheinbar paradoxen Befund ist eine spezielle Form des CB.
Zur Verdeutlichung zeigt Grafik 2 eine stark vereinfachte Studiensituation, in der der Einfluss von Adipositas auf das Sterberisiko untersucht wird. Folgende Annahmen liegen der Abbildung zugrunde.
Exposition: Adipositas
- Von 1 000 Studienteilnehmern weisen 500 eine Adipositas auf.
- Adipositas erhöht das Sterberisiko um 2,5 Prozentpunkte.
- Adipositas erhöht das Diabetesrisiko um 16,0 Prozentpunkte.
Collider: Diabetes
- Diabetes erhöht das Sterberisiko um 5,0 Prozentpunkte.
- Personen, die nicht rauchen und nicht adipös sind, haben ein Diabetesrisiko von 4 %.
Risikofaktor: Rauchen
- 500 von 1 000 Studienteilnehmern rauchen.
- Rauchen erhöht das Sterberisiko um 15 Prozentpunkte.
- Rauchen erhöht das Diabetesrisiko um 12 Prozentpunkte.
- Rauchen hat keinen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit adipös zu werden.
Outcome: Sterberisiko
- Nichtraucher, die weder Adipositas noch Diabetes aufweisen, haben ein Sterberisiko von 5 %.
Werden nun alle Studienteilnehmer mit und ohne Adipositas verglichen, weist die Gruppe mit Adipositas, wie aufgrund der geschilderten Annahmen zu erwarten war, ein erhöhtes Sterberisiko auf (Grafik 2a). Werden hingegen ausschließlich Personen mit Diabetes ausgewählt, ist Adipositas mit einem verringerten Sterberisiko assoziiert (Grafik 2b), obwohl in den Ausgangsdaten das Vorliegen einer Adipositas ausnahmslos zu einer Erhöhung des Sterberisikos geführt hat. Diese Assoziation ist folglich einzig auf die Restriktion der Studienpopulation zurückzuführen und darf nicht kausal interpretiert werden. Es liegt ein CB vor.
Konkret hat die Auswahl anhand des Diabetesstatus dazu geführt, dass nicht rauchende Personen ohne Adipositas unterrepräsentiert sind, da vornehmlich Personen an Diabetes erkranken, die rauchen und/oder bei denen Adipositas vorliegt. Jedoch haben Personen mit Diabetes, die nicht rauchen, mit größerer Wahrscheinlichkeit Adipositas als Personen mit Diabetes, die rauchen. Folglich hat die Restriktion auf Personen mit Diabetes einen statistischen Zusammenhang zwischen Adipositas und Rauchen verursacht, obwohl dieser in der Gesamtpopulation nicht gegeben ist. Da Rauchen mit einem deutlich erhöhten Sterberisiko assoziiert ist, scheint Adipositas das Sterberisiko zu verringern.
Der dem Beispiel zugrunde liegende DAG ist in Grafik 3 dargestellt. Es gibt sowohl einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen Adipositas und dem Sterberisiko als auch einen indirekten kausalen Zusammenhang, der durch das Adipositas bedingte erhöhte Diabetesrisiko vermittelt wird. Rauchen erhöht das Diabetesrisiko und erhöht das Sterberisiko. Wie auch in Grafik 2a ersichtlich, besteht kein Zusammenhang zwischen dem Rauchverhalten und Adipositas. Dieser Zusammenhang wird allerdings hervorgerufen, wenn auf den Collider „Diabetes“ konditioniert wird (hier durch Restriktion auf Personen mit Diabetes), da sowohl das Rauchverhalten als auch die Adipositas das Diabetesrisiko erhöhen. Diese Beobachtung lässt sich verallgemeinern: Besteht zwischen zwei Variablen kein kausaler Zusammenhang, wird durch Konditionierung auf eine Folge dieser zwei Variablen eine nicht kausale (also „falsche“) Assoziation zwischen den zwei verursachenden Variablen hervorgerufen.
Im Vergleich zu Grafik 1 ist dieser CB nicht auf Anhieb zu identifizieren. Erschwerend kommt hinzu, dass die Definition als Collider „pfadabhängig“ ist. Als Pfad bezeichnet man alle möglichen Wege von der Exposition zum Outcome. Auf dem Pfad „Adipositas → Diabetes → Sterberisiko“ ist Diabetes kein Collider, weil hier keine Pfeilspitzen aufeinander treffen. Auf dem Pfad „Adipositas → Diabetes ← Rauchen → Sterberisiko“ ist Diabetes ein Collider, weil zwei Pfeilspitzen aufeinander treffen. Obwohl dieses Beispiel nur vier Variablen berücksichtigt, erweist sich die Identifikation dieses Bias bereits als durchaus komplex.
Collider Bias erkennen und vermeiden
Die genannten Beispiele verdeutlichen, dass verschiedene kausale Strukturen zu verzerrten Effektschätzungen in Form von CB führen können. Eine Verzerrung entsteht, wenn in irgendeiner Form auf Collider konditioniert wird, da dies einen statistischen Zusammenhang zwischen den verursachenden Variablen (also den Variablen, deren Pfeile im Collider aufeinander treffen) hervorruft beziehungsweise einen vorhandenen Zusammenhang zwischen diesen Variablen verzerrt. Beispielsweise hat beim Adipositasparadoxon die Restriktion anhand des Colliders „Diabetes“ einen statistischen Zusammenhang zwischen Adipositas und Rauchen verursacht, der in der Gesamtpopulation nicht gegeben war.
Eine allgemeingültige Methode, mit der Verzerrungen durch Collider einfach zu korrigieren sind, gibt es leider nicht. Hilfreich ist es, die kausale Struktur der jeweiligen Fragestellung in Form von DAGs explizit darzustellen. Wie am Beispiel des Adipositasparadoxons dargestellt, lassen sich dadurch rein optisch Variablen identifizieren, die einen CB verursachen können. Mit steigender Anzahl der zu berücksichtigenden Variablen wird es allerdings zunehmend komplexer, mögliche Verzerrungen durch visuelle Inspektion eines DAGs zu identifizieren. Für diese Fälle steht Software zur Verfügung (9, 10), mit der überprüft werden kann, welche Variablen einen CB verursachen können (zum Beispiel die frei verfügbare Software „DAGitty“ auf www.dagitty.net).
Voraussetzung dafür ist, dass für die jeweilige Fragestellung auf Fachwissen basierende kausale Annahmen in Form eines DAGs gemacht werden können. Der DAG sollte a priori, also vor Studienbeginn und in Unkenntnis der Daten, entwickelt werden und sich auf die Population beziehen, aus der die Daten gewonnen werden. Zudem sollte eine enge und frühzeitige Abstimmung zwischen methodischen und inhaltlichen Experten erfolgen. Wird ein DAG bereits vor Studienbeginn erstellt, können mögliche Quellen von CB bereits beim Studiendesign und bei der Datenerhebung berücksichtigt werden, zum Beispiel wenn davon ausgegangen werden kann, dass sowohl die Exposition als auch das Outcome die Studienteilnahme beeinflussen (Grafik 1).
Bei der Datenanalyse können ein DAG und entsprechende Software hilfreich sein, geeignete Adjustierungsvariablen für Regressionsanalysen auszuwählen. So kann das Risiko minimiert werden, Variablen in ein Regressionsmodell aufzunehmen, die eine Verzerrung durch CB verursachen anstatt für Confounding zu adjustieren.
Um die Gefahr eines CB beim Lesen von Studien zu beurteilen, sollte darauf geachtet werden, ob zwischen Confoundern und Collidern unterschieden wurde, zum Beispiel indem die Auswahl der Variablen bei der statistischen Analyse inhaltlich begründet wird. Werden Variablen hingegen datenbasiert ausgewählt (zum Beispiel alle Variablen, die statistisch mit der Exposition assoziiert sind) steigt die Gefahr, dass nicht nur auf Confounder, sondern fälschlicherweise auch auf Collider konditioniert wird. Insbesondere sollte darauf geachtet werden, ob auf Variablen konditioniert wird, die durch die Exposition verursacht werden, wie es beim Adipositasparadoxon der Fall ist (Restriktion auf „Diabetes“, eine Folge der Exposition „Adipositas“), da dies die Gefahr eines CB erhöht (11).
Weiterhin sollten nur die Zusammenhänge zwischen der a priori definierten Exposition und dem Outcome interpretiert werden, da auch nur für diesen Zusammenhang die Confounder ausgewählt wurden, zumindest sofern die Auswahl der Confounder inhaltlich begründet war. Die Zusammenhänge zwischen anderen Variablen aus dem Regressionsmodell und dem Outcome sind in der Regel schwer zu interpretieren, zum Beispiel weil Variablen, die für den interessierenden Zusammenhang Confounder sind, für andere Zusammenhänge Collider sein können (12).
Resümee
Wie anhand der Beispiele verdeutlicht, kann CB zu Verzerrungen bei der Schätzung von Expositionseffekten führen. Dass diese Form von Verzerrungen noch vergleichsweise unbekannt ist, äußert sich unter anderem dadurch, dass trotz zahlreicher Hinweise auf die mögliche methodische Ursache des Adipositasparadoxons einige Autoren vom üblicherweise angestrebten Gewichtsverlust bei Vorliegen chronischer Erkrankungen und einer Adipositas abraten (13).
Ein CB kann zu ähnlich starken Verzerrungen führen wie Confounding (11). Die zugrunde liegenden kausalen Strukturen sind vielfältig, weshalb es schwer fällt, einen einfachen allgemeingültigen Lösungsansatz anzubieten. Im Vergleich zum Confounding ist ein CB intuitiv schwerer nachvollziehbar, was dazu führt, dass sich dieser häufig in scheinbar paradoxen Assoziationen äußert. Die systematische Darstellung von kausalen Strukturen in Form von DAGs hilft, Expertenwissen zu bündeln und potenzielle Quellen für CB zu identifizieren. Diese Erkenntnisse können genutzt werden um CB beim Studiendesign, der Datenerhebung und -analyse entgegenzuwirken.
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 26. 8. 2021, revidierte Fassung angenommen: 2. 12. 2021
Anschrift für die Verfasser
Dr. PH Thaddäus Tönnies
Deutsches Diabetes Zentrum (DDZ)
Institut für Biometrie und Epidemiologie
Auf’m Hennekamp 65, 40225 Düsseldorf
thaddaeus.toennies@ddz.de
Zitierweise
Tönnies T, Kahl S, Kuss O: Collider bias in observational studies: consequences for medical research. Part 30 of a series on evaluation of scientific publications.
Dtsch Arztebl Int 2022; 119: 107–12. DOI: 10.3238/arztebl.m2022.0076
►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
www.aerzteblatt-international.de
Deutsches Diabetes-Zentrum (DDZ), Leibniz-Zentrum für Diabetes-Forschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Institut für klinische Diabetologie, Düsseldorf: Dr. med. Sabine Kahl
German Center for Diabetes Research, Partner Düsseldorf, München-Neuherberg: Dr. med. Sabine Kahl
Klinik für Endokrinologie und Diabetologie, Medizinische Fakultät und Universitätsklinikum Düsseldorf, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf: Dr. med. Sabine Kahl
Centre for Health and Society, Medizinische Fakultät und Universitätsklinikum Düsseldorf, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf: Prof. Dr. sc. hum. Oliver Kuss
1. | Gianicolo EAL, Eichler M, Muensterer O, Strauch K, Blettner M: Methods for evaluating causality in observational studies—part 27 of a series on evaluation of scientific publications. Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 101–7 VOLLTEXT |
2. | Kuss O, Blettner M, Börgermann J: Propensity score: an alternative method of analyzing treatment effects—part 23 of a series on evaluation of scientific publications. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 597–603 VOLLTEXT |
3. | Zwiener I, Blettner M, Hommel G: Survival analysis—part 15 of a series on evaluation of scientific publications. Dtsch Arztebl Int 2011; 108: 163–9 VOLLTEXT |
4. | Schneider A, Hommel G, Blettner M: Linear regression analysis—part 14 of a series on evaluation of scientific publications. Dtsch Arztebl Int 2010; 107: 776–82 VOLLTEXT |
5. | Schipf S, Knüppel S, Hardt J, Stang A: Directed Acyclic Graphs (DAGs) – Die Anwendung kausaler Graphen in der Epidemiologie. Gesundheitswesen 2011; 73: 888–92 CrossRef MEDLINE |
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Deutsches Ärzteblatt international, 202210.3238/arztebl.m2022.0266