

Die Gesundheitsversorgung wird weiblicher – auch im ambulanten Bereich. Auffallend ist, dass sich zunehmend jüngere Ärztinnen niederlassen. Die Zulassungsverordnung für Vertragsärztinnen sowie gesellschaftliche Veränderungen bieten Möglichkeiten für eine parallele Familiengründung.
Es ist mehr als nur ein kurzfristiger Trend: Immer mehr Ärztinnen lassen sich in Deutschland nieder – und das bereits seit einigen Jahren, wie die Existenzgründungsanalysen des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung (Zi) und der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (Apobank) beweisen. So stieg in den letzten zehn Jahren stetig der Anteil der Ärztinnen bei den Existenzgründungen. Derzeit pendelt er sich bei gut 60 Prozent ein.
Ein gutes Zeichen: Denn damit entspricht der Ärztinnenanteil an den neuen Niederlassungen in etwa dem aktuellen Frauenanteil unter den Medizinstudierenden (derzeit 63 Prozent). Offensichtlich ist es durch veränderte Strukturen und die Kommunikation darüber – beispielsweise durch die Nachwuchskampagne „Lass dich nieder!“ der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und der 17 Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) – über die Jahre hinweg gelungen, Niederlassung und Selbstständigkeit für Ärztinnen zu erleichtern.
Selbstständigkeit und Familie schließen sich keineswegs aus
Ein entscheidendes Plus bei einer Niederlassung ist für viele junge Ärztinnen das höhere Maß an Flexibilität, die es benötigt, um Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Dr. med. Jana Husemann, Fachärztin für Allgemeinmedizin in Hamburg, war zudem vor dem Wechsel in die Praxis unabhängig von ihrer Elternschaft „sehr desillusioniert und frustriert“ von ihrer Tätigkeit im Krankenhaus, wie sie dem Deutschen Ärzteblatt berichtet. Noch immer seien die Strukturen dort „auf Ausbeutung der Weiterzubildenden“ ausgelegt. „In der Niederlassung habe ich sowohl inhaltlich als auch strukturell meinen Traumberuf gefunden“, sagt sie. Ihre Bedenken, in der Selbstständigkeit Kinder zu bekommen, hätten sich als unbegründet erwiesen.
Ihr Beispiel ist offensichtlich exemplarisch: Nicht nur immer mehr Ärztinnen wagen den Schritt in die Selbstständigkeit, sondern auch immer jüngere Frauen – so wie sie. 2020 lag der Frauenanteil in der ambulanten Versorgung bei den jüngeren Altersgruppen sogar höher als der durchschnittliche Frauenanteil: Bei den unter 50-Jährigen in der Niederlassung waren 60 Prozent Frauen.
Insgesamt waren im Jahr 2020 der Vertragsarztstatistik der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zufolge 48,9 Prozent der Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten weiblich, 2010 waren es erst 40 Prozent.
Große Unterschiede zwischen den Geschlechtern bei den Niedergelassenen gibt es allerdings bei den Fachrichtungen. Die meisten Frauen gibt es unter den Psychologischen Psychotherapeuten (75,8 Prozent). Aber auch in der Gynäkologie (69,6 Prozent), der Ärztlichen Psychotherapie (66,0 Prozent), der Kinder- und Jugendpsychiatrie (64,8 Prozent), Kinder- und Jugendmedizin (56,6 Prozent) und der Dermatologie (55,2 Prozent) stemmen überdurchschnittlich viele Ärztinnen die ambulante Versorgung. Fachgruppen mit einem auffallend geringen Frauenanteil sind hingegen die Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (11,9 Prozent), die Chirurgie und Orthopädie (14,6 Prozent) sowie die Urologie (14,7 Prozent).
Einer relativ ausgewogenen Geschlechterverteilung begegnet man derzeit in der Allgemeinmedizin. Husemann hat sich bereits 2015 in Hamburg St. Pauli in einer allgemeinmedizinischen Gemeinschaftspraxis niedergelassen. Dort hatte sie ihre Weiterbildung zur Fachärztin für Allgemeinmedizin vervollständigt und stieg direkt nach der Facharztprüfung für ihren Weiterbilder, der in den Ruhestand ging, in die Praxis ein.
Bereut hat sie den Schritt in die Selbstständigkeit nicht. Auch nicht als junge Frau, die gleichzeitig eine Familie plant. Vor vier Jahren kam ihre Tochter Tilda zur Welt, vor einem knappen halben Jahr folgte Töchterchen Polly. „Mein Partner und ich haben uns die Elternzeit hälftig aufgeteilt“, berichtet sie. Als Tilda sieben Monate alt war, habe sie wieder angefangen zu arbeiten und er blieb zu Hause, bis ihre Tochter in die Kita eingewöhnt wurde. „Es ist unfassbar, dass dieses Modell immer noch die Ausnahme ist.“
Ihr Rat: Man sollte frühzeitig besprechen, wie man sich die Aufteilung der Elternzeit und die Betreuung des Kindes vorstelle. Vor ihrem Einstieg in die Praxis habe sie auch ihren zukünftigen Kolleginnen und Kollegen ganz offen kommuniziert, dass sie einen Kinderwunsch habe. „Alle wussten genau, dass ich für einige Zeit ausfallen würde. Und für diese Zeit habe ich eine Vertreterin organisiert.“ (Kasten)
Bereits vor 20 Jahren hat sich als junge Mutter von drei Kindern (damals sechs und vier sowie ein Jahr alt) Prof. Dr. med. Nicola Buhlinger-Göpfarth als Hausärztin in ihrem Heimatdorf Huchenfeld (Stadtteil von Pforzheim) niedergelassen. „Ich habe diesen Ansatz gewählt, weil so eine Kinderbetreuung durch die Großeltern vor Ort möglich war“, erzählt sie dem Deutschen Ärzteblatt. „Die flexible Sprechzeitengestaltung hat mir zudem eine persönliche Hausaufgabenbetreuung in der Mittagspause und ein gemeinsames Mittagessen mit den Kinder erlaubt.“ Betreuungsstrukturen für Kinder ähnlich den heutigen hätte es damals in ihrer Region nicht gegeben. „Ich erinnere mich, wie ich zu einem Supersondergespräch von der Leiterin des örtlichen Kindergartens geladen wurde, weil unser Sohn das erste Kind war, dass schon mit zweieinhalb Jahren (!) in den Kindergarten aufgenommen werden sollte.“ Glücklicherweise sei dies heute überwunden.
Buhlinger-Göpfarth gründete 2002 zunächst eine neue Einzelpraxis. Auch heute ist dieses Vorgehen nicht ungewöhnlich: Der Analyse von Zi und Apobank von 2019/2020 zufolge lassen sich Ärztinnen im Vergleich zu Männern deutlich häufiger in einer Einzelpraxis nieder, etwa zwei Drittel der Praxisgründerinnen. Bei Ärzten liegt der Anteil nur bei 55 Prozent, vermutlich weil sie die chirurgisch und medizintechnisch geprägten Fachgebiete dominieren, wo häufiger Kooperationen eingegangen werden.
Doch ob Einzel- oder Gemeinschaftspraxis: Eine kurzfristige Familien-Auszeit will gut geplant sein. Husemann beispielsweise, die sich derzeit gerade in Elternzeit befindet, hat eine Vertretung organisiert. Dies ist rechtlich möglich. „Gemäß § 32 Abs. 1 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) kann sich eine Vertragsärztin innerhalb von zwölf Monaten bis zu einer Dauer von drei Monaten kurzfristig und ohne Genehmigung vertreten lassen. Schwangere in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit einer Entbindung sogar bis zu einer Dauer von zwölf Monaten“, erläutert Prof. Dr. jur. Bernd Halbe dem Deutschen Ärzteblatt.
Eine Vertretung, die länger als eine Woche geplant sei, müsse jedoch der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) angezeigt werden, erklärt der Fachanwalt für Medizinrecht. Zudem beschreibe die Ärzte-ZV eine längerfristige Vertretung bei Kindererziehung bis zu einer Dauer von drei Jahren. „Dieser Zeitraum muss nicht zusammenhängend in Anspruch genommen werden“, sagt Halbe. Die Dreijahresfrist stelle eine Höchstdauer für die Vertretung beziehungsweise Assistenz dar.
Teilweise wurde davon ausgegangen, dass auf Antrag diese Frist durch die KV verlängert werden könne, betont der Jurist. Diesbezüglich sei jedoch auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom Februar 2021 (Az.: B 6 KA 15/20 R) zu verweisen, wonach Vertragsärztinnen und -ärzte eine Entlastungsassistenz bis zum 18. Geburtstag des eigenen Kindes einstellen dürfen und die insgesamt 36 Monate für jedes Kind möglich sind. Die Gesamtzeit verkürzt sich, wenn mehrere Kinder gleichzeitig betreut werden.
Eine weitere Möglichkeit für niedergelassene Ärztinnen Praxis und Familie unter einen Hut zu bringen, ist die des Jobsharings. „Dabei teilen sich zwei Praktizierende den Versorgungsauftrag und können sich ihre Arbeitszeiten entsprechend ihrer familiären oder persönlichen Lebensumstände organisieren“, erläutert Halbe. Allerdings sei dabei zu berücksichtigen, dass eine Leistungsobergrenze auf Grundlage der letzten vier Abrechnungsquartale festgelegt werden müsse, die nach Beendigung des Jobsharings wieder entfalle. Prinzipiell sei das Jobsharing jedoch sowohl in Form der Anstellung als auch in Form einer Gemeinschaftspraxis möglich.
Halbe hat aber noch einen anderen Tipp: „Falls das Jobsharing aufgrund der Leistungsbeschränkung nicht infrage kommt, lässt sich die eigene Zulassung auch auf die Hälfte reduzieren. Hierfür schreibt die betroffene Ärztin die Stelle mit dem Faktor 0,5 aus und bewirbt sich selbst mit einer angestellten Ärztin oder einem angestellten Arzt darauf.“ So könne noch ein anderer Arzt angestellt werden, ohne dass eine Leistungsobergrenze akzeptiert werden müsse. Eine spätere Rückumwandlung sei möglich.
Halbe rät zudem dringend dazu, die Kooperationsformen der Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) oder des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) zu wählen. Innerhalb dieser Kooperationen nutzten die Ärztinnen und Ärzte die Räume, das Inventar und das Personal gemeinsam und treten gegenüber Patienten und der KV als Einheit auf. Es bestehe ein einheitlicher Patientenstamm und es müsse auch nur eine Abrechnung für die gesamte Praxis erstellt werden.
In der Vertragsarztstatistik 2020 ist zudem zu erkennen: Die Teilzeittätigkeit im ambulanten Bereich nimmt durch die 2007 durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz erfolgte Ausweitung der Möglichkeiten zu. Seit dem Jahr 2010 hat sie mehr als verfünffacht. Mittlerweile ist jede vierte Ärztin beziehungsweise jeder vierte Arzt in Teilzeit tätig. Hand in Hand zu dieser Tendenz geht die Zunahme der Anzahl der angestellten Ärztinnen und Ärzten sowie Psychotherapeutinnen (Grafik).
„Man kann volle und Teilversorgungsaufträge ebenso kombinieren wie Zulassung und Anstellung“, erläutert auch Halbe. „Die Ärztinnen und Ärzte können sich ihre Arbeit flexibel einteilen und der zeitliche Einsatz lässt sich von vornherein begrenzen, da sie die Patienten gemeinsam behandeln“, so der Jurist. Bei einem hälftigen Versorgungsauftrag bestehe die Möglichkeit, parallel noch in einem Krankenhaus als Angestellte tätig zu sein, wobei die Arbeitszeit auch zugunsten der Familie reduziert werden könne.
Auch Husemann hat gute Erfahrungen gemacht: „Durch die Selbstständigkeit, insbesondere in einer BAG, kann flexibel auf die jeweilige Lebenssituation reagiert werden“, betont die junge Ärztin. Sie arbeite beispielsweise nur noch sehr selten nachmittags. „Dadurch kann ich meine Tochter von der Kita abholen und es bleibt Zeit für die Berufspolitik.“
Husemann ist berufspolitisch sehr aktiv. Sie ist 1. Vorsitzende des Hausärzteverbands Hamburg und gleichzeitig stellvertretende Sprecherin des Forum Hausärztinnen im Hausärzteverband. Das Forum hat sich bereits vor einigen Jahren gegründet, um speziell niedergelassenen Frauen mit Fortbildungen und Veranstaltungsreihen zu unterstützen. „Ein Thema dabei ist auch das Mentoring von jungen Kolleginnen“, sagt Husemann. „Wir geben unsere Erfahrungen gerne weiter.“
Sich ausreichend Unterstützung zu holen, ist auch ein Rat von Buhlinger-Göpfarth, die selbst als Mentorin tätig ist. „Man sollte nicht blauäugig in die Niederlassung starten, aber aber auch nicht ängstlich. Die Niederlassung ist immer noch die Organisationsform, die aus meiner Sicht die meisten Freiheiten ermöglich, das Familienleben und Beruf zu verbinden“, betont sie.
Ihren beiden Töchtern und dem Sohn, die jetzt bereits alle drei studieren, habe jedenfalls ihre Tätigkeit als niedergelassene Ärztin nicht geschadet. „Sie haben mir rückgemeldet, dass sie immer stolz darauf waren, dass ich hier am Ort die Hausärztin bin und dass sie auch dadurch viel Freiheiten gehabt hätten – im Gegensatz zu anderen Kindern, um die ständig gekreist wurde.“ Ihre Töchtern würden heute sagen, dass ihr Rollenmodell auch eine gewisse Vorbildfunktion für sie hätte. „Sie sind sehr selbstbewusste und selbstständige junge Frauen.“ Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
Familienplanung in der Praxis
Selbstständige Ärztinnen und Ärzte haben während ihrer Elternzeit verschiedene Möglichkeiten:
- Zulassung ruhen lassen: Die Praxis kann vorübergehend ganz oder teilweise geschlossen werden. Darüber entscheidet der Zulassungsausschuss.
- Beschäftigung eines einen Assistenten, der einen Teil der Praxisarbeit übernimmt: Mit Vorabgenehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) ist das in mehreren Abschnitten bis zu drei Jahre möglich.
- Organisation einer Vertretung: Unmittelbar nach der Entbindung können Ärztinnen nach erfolgter Mitteilung an die KV bis zu zwölf Monate die Verantwortung für ihre Praxis komplett abgeben, ohne zu schließen.
Psychotherapeutinnen und -therapeuten können sich wegen ihrer besonderen Patientenbeziehung in der Regel nicht vertreten lassen – das Ruhenlassen der Zulassung ist bei ihnen die häufigste Wahl. (Quelle: KBV)
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