BÜCHER
Autogenes Training: Einblick in die deutsche Psychotherapie-Geschichte


„Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers“ (Husmann Seite 183). Dieses Zitat eines Abgeordneten des französischen Parlamentes von 1910 beschreibt in eindrucksvoller Weise die Grundidee der Arbeit von Björn Husmann über das Autogene Training (AT). Das Buch ist zugleich Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, die mit 80 Exponaten ein umfassendes Werk zur Historie des AT und seiner klinischen Entwicklung geworden ist. Sehr sorgfältig hatte Husmann mehr als acht Jahre lang die Geschichte des AT von 1920 bis heute und das Wirken seines „Erfinders“ Johannes Heinrich (I. H.) Schultz recherchiert. Er lässt mit genauer Quellenangabe viele Wegbegleiter und auch wissenschaftliche Protagonisten zu Wort kommen. Die dabei zusammengestellten Bild- und Textdokumente, von denen viele jetzt erstmalig der Öffentlichkeit präsentiert werden, machen nicht zuletzt sichtbar, wie eng verzahnt gesellschaftliche Prozesse mit der Geschichte des AT sind – auch in Bezug auf die Zeit des Nationalsozialismus. Diese Zeit wirft einen dunklen Schatten auf die Person von Schultz. Husmann gelingt es dennoch, die neutrale wissenschaftliche Position beizubehalten und die klinische Bedeutung des Entspannungsverfahrens auch unabhängig von Schultz in den Vordergrund zu stellen. Gerade auch im Geleitwort von Heinrich Wallnöfer (einem persönlichen Schüler von I. H. Schultz), mit dessen Namen das AT in Österreich und der Schweiz sehr verbunden ist, wird die klinische Bedeutung von Entspannung gewürdigt.
Das Buch ist somit eine Fundgrube, nicht nur für den, der sich mit Autogenem Training beschäftigt. Der Leser erhält im ersten Teil durch die institutionelle Vernetzung von Schultz in den 30er- und 40er-Jahren auch einen Einblick in deutsche Psychotherapiegeschichte. Der zweite Teil zeigt neben klinischen Zusammenhängen besonders die aktuellen Entwicklungen zur Position des AT in der Psychotherapie und wirft einen Blick auf die internationale AT-Szene mit vielen Quellenangaben und Internetressourcen.
Das Buch ermöglicht einen gut strukturierten Einblick in die Originaldokumente, wobei der Besuch der Ausstellung die Exponate sicherlich noch einmal beeindruckender wirken lassen kann. Claus Derra
Björn Husmann: Über 100 Jahre Autogenes Training. Exponate einer Ausstellung zur Geschichte der „konzentrativen Selbstentspannung“. Pabst Science Publishers, Lengerich 2021, 190 Seiten, gebunden, 40,00 Euro