MANAGEMENT
Klimaschutz und Gesundheit: Die Patienten informieren


Um seine Patientinnen und Patienten über den Zusammenhang von Klimaschutz und eigener Gesundheit aufzuklären, bietet der Gummersbacher Hausarzt Ralph Krolewski seit einigen Jahren eine „Klima-Sprechstunde“ an – ein Konzept gegen die Klimakrise bei guter Patientenakzeptanz.
Der Ausgangspunkt für das Konzept „Klima-Sprechstunde“ ist die Erkenntnis, dass sich die Menschheit in einer Klimakrise befindet, deren Auswirkungen sie durch ihr eigenes Handeln auf der staatlichen, gesellschaftlichen und individuellen Ebene verringern kann (1, 2, 3, 4). Eine Veränderung des Lebensstils kann dabei zu einer Reduzierung des individuellen Treibhausgasausstoßes von bis zu 30 Prozent führen, wie Studien gezeigt haben (3). Die Voraussetzung für das Konzept ist die ärztliche Bereitschaft, das Wissen um den Zusammenhang zwischen Klima und Gesundheit mit in die Sprechstunde aufzunehmen (5). Die „Klima-Sprechstunde“ beinhaltet alle Interaktionen und Gesprächsführungen mit den Patienten, in denen es um einen gesunden Lebensstil geht, der gleichzeitig den ökologischen Fußabdruck verringert.
Die inhaltlichen Schwerpunkte bilden dabei die Themen Ernährung und Mobilität. Ernährungsstudien und Systembetrachtungen zum Ressourcenverbrauch der Agrarsysteme haben 2019 zur Formulierung einer pflanzenbasierten „planetaren Diät“ geführt, die sowohl der Gesundheit der Patienten als auch dem Klima nützt. Und eine aerobe Aktivierung der Muskulatur führt zum Beispiel über Myokinfreisetzungen zu stärkenden Auswirkungen auf Psyche, kardiovaskuläres, endokrines und Immunsystem.
Vorzeitige Todesfälle verhindern
Eine entsprechende Lebensstiländerung kann eine Morbiditäts- und Mortalitätsreduktion von 24 Prozent sowie eine signifikante Senkung der Krebsinzidenz herbeiführen (6, 7). Nach Modellberechnungen ließen sich zudem durch politisch verstärkte Maßnahmen im Bereich Ernährung und Förderung der aktiven Nahmobilität in Deutschland circa 150 000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr aufgrund von Fehlernährung und Bewegungsarmut verhindern (8).
Eine „Klima-Sprechstunde“ findet sowohl bei akuten Behandlungsanlässen als auch bei Vorsorgeuntersuchungen im Rahmen einer Anamneseerhebung statt. Ausgehend von der jeweiligen Patientensituation wird eine mögliche Risikoreduktion mit Darstellung erreichbarer Effekte für die individuelle Gesundheit besprochen. Hinderungsgründe, Ambivalenzen und Motivation werden erfragt und münden unter Patientenbeteiligung in Vorschläge und Änderungsmöglichkeiten ein, die in einem individualisierten Patientenbrief mit Hinweisen zu Quellen zum Nachlesen mitgegeben werden. Ausgangspunkte sind vor allem muskuloskeletale Erkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus, Atemwegserkrankungen, Übergewicht und Belastungsreaktionen. Häufig stellt sich in den Gesprächen heraus, dass die Patientinnen und Patienten ihren Lebensstil gerne ändern würden, aber unsicher sind, welche Veränderungen sie vornehmen sollen. Menschen mit naturnahen Erfahrungen und land- und forstwirtschaftlichen Berufen sprechen zudem aktiv ihre teils existenziellen Sorgen infolge der bereits erlebten Klimawandelfolgen an und suchen Verständnis und Bewältigungsstrategien.
In der Sprechstunde sitzen zum Beispiel Patienten, die bereits begonnen haben, sich gesund zu ernähren, indem sie mehr Fisch und Gemüse und weniger Fleisch essen. Auch in ihrem privaten Umfeld ist die gesunde Ernährung ein Thema, es fehlt jedoch noch an Wissen. Ich empfehle dann die fünf Regeln gesunder Ernährung nach Bas Kast in Verknüpfung mit der „planetaren Ernährung“ (9, 10). Ebenfalls in der Sprechstunde sitzen ältere Menschen, die bei Wetterumschwüngen Probleme mit ihrem Blutdruck haben. Sie sind verunsichert, weil sie nicht wissen, woran das liegt und welche Auswirkungen es auf ihre Hypertoniemedikation hat. Die Intervention besteht aus einer Erklärung der Hintergründe und einer Empfehlung des Hitze-Knigges aus dem Umweltbundesamt. Die Patienten werden dazu motiviert, das Auto öfter stehen zu lassen und stattdessen zu laufen oder Fahrrad zu fahren. Die Vorstellung, durch Lebensstilveränderungen selbst aktiv zu ihrer Gesundheit beitragen zu können, fördert die Erfahrung von Selbstwirksamkeit. Beim nächsten Besuch berichten die Patientinnen und Patienten davon, wie erfolgreich sie dabei waren. In die Sprechstunden werden künftig neben Extremwettereignissen auch zunehmend vektorbezogene Erkrankungen thematisiert werden sowie die ansteigenden allergischen Atemwegserkrankungen durch neophytäre Pollen in Zusammenhang mit der Luftverschmutzung (11).
Vorbereitung auf Hitzewellen
Ein weiteres wichtiges Ziel der „Klima-Sprechstunde“ ist eine aufklärende Vorbereitung von Risikopersonen auf die gegebenenfalls lebensbedrohlichen Gefahren durch zunehmende Hitzewellen. Dazu werden Informationsflyer eingesetzt (12) (Kasten). Genutzt werden zudem die Möglichkeiten zur Feinstaubmessung mit einem mobilen Feinstaubmessgerät zur Erkennung von Risiken durch Verkehrslagen, Kaminnutzung oder Waldbränden in der waldreichen Gegend um Gummersbach (13).
Im Rahmen von Gesundheitsuntersuchungen in einer hausärztlichen Praxis können innerhalb von drei Jahren circa 1 000 Patientinnen und Patienten mit einer systematischen Lifestyleintervention zur Verbesserung der Gesundheit und der Prognose bei gleichzeitig intendierter Reduktion des ökologischen Fußabdrucks erreicht werden. Dazu kommen noch akute Beratungs- und Behandlungsanlässe. Die durch epidemiologische Studien beschriebenen Effekte von Risikoreduktionen durch Lebensstiländerungen treten ein, wenn sie sich durch positiv erlebte Auswirkungen im Alltag verstetigen. Es zeigt sich dabei im ärztlichen Gespräch, dass positive Wirkungen mit verbesserter Lebensqualität verbunden sind. Die Ergebnisse von Studien haben dazu geführt, dass die Niederlande und Dänemark ihre Verkehrspolitik mit starken Anreizen zu aktiver Nahmobilität seit Jahrzehnten geändert haben und Klimaschutz und Gesundheit verknüpfen (14, 15, 16). Die sozialen, umweltschonenden und gesundheitlichen Effekte gesunder Stadtentwicklungen sind dabei enorm.
„Klima-Sprechstunden“ sind ein aktives Konzept in der Arbeit mit Patientinnen und Patienten. Während das Wissen über die Zusammenhänge von Klimaschutz und Gesundheit bei den indigenen Völkern im kulturellen Bewusstsein enthalten ist, müssen Angehörige der Industrienationen dieses Wissen erst wieder erwerben, um Handlungsfähigkeit über den bisherigen medizinischen Kontext der Individualmedizin hinaus herzustellen. Der Weg zu einer „Klima-Sprechstunde“ ist ein transformierender Weg, da es keine Einsichten ohne Konsequenz für die eigene Lebensführung gibt: bei der Ernährung, bei Hausbesuchen mit dem Fahrrad, bei der Anerkennung der Notwendigkeit einer schnellen Dekarbonisierung in den eigenen Handlungsfeldern und bei der Entscheidung, diese täglich situations- und patientenangemessen im ärztlichen Handeln einzubringen (17, 18).
Offen und dankbar
Vonseiten der Patienten kommen dabei wenig Widerstände. Sie sind offen und dankbar dafür, wenn sie die Zusammenhänge verstehen. Die Sprechstunden verlängern sich dadurch auch nicht. Die „Klima-Sprechstunde“ ist keine gesonderte Leistung, sondern eine normale Sprechstunde, in die der Klimawandel hineinspielt. Dr. med. Ralph Krolewski
Hausärzteverband Nordrhein e.V.
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit1022
oder über QR-Code.
Informationen über Hitzewellen
Flyer über die Gefahren von Hitzewellen stellt unter anderem die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) auf der Internetseite www.klima-mensch-gesundheit.de zur Verfügung. Dort sind zudem Informationen für Patientinnen und Patienten zusammengefasst, welche gesundheitlichen Risiken durch den Klimawandel bestehen und wie sie sich davor schützen können. Als Folgen von Hitzewellen wird dabei zwischen Hitzeerschöpfung, Hitzschlag, Hitzekrämpfen, Hitzekollaps, Hitzeausschlag, Hitzeödem, Exsikkose, Sonnenbrand und Sonnenstich unterschieden.
„Wer sich bei Hitze körperlich anstrengt (zum Beispiel durch Laufen, Radfahren oder Gartenarbeit), schwitzt meist stark“, heißt es zum Beispiel zum Thema Hitzekrämpfe. „Dadurch kann es im Körper zu einem Mangel an Flüssigkeit und Elektrolyten kommen.“ Die Muskulatur reagiere bei einem Mangel an Elektrolyten mit Krämpfen oder Muskelschmerzen. Als Symptome werden schmerzhafte Krämpfe vor allem in den Beinen und Armen benannt, aber auch im Unterleib. „Ruhen Sie sich an einem kühlen Ort aus und trinken Sie viel“, wird den Betroffenen geraten. „Dauern die Hitzekrämpfe länger als eine Stunde an, konsultieren Sie eine Ärztin oder einen Arzt.“
Die Mediathek der Internetseite hält diverse Broschüren für Patientinnen und Patienten bereit, zum Beispiel die Broschüre „Gut durch die Sommerhitze während erhöhten Infektionsschutzes – Informationen für pflegende Angehörige“ des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität München, oder Erklärvideos, zum Beispiel zu den Themen „Warum ist Hitze für Babys und Kleinkinder ein besonderes Risiko?“ und „Medizinisches Personal: Arbeiten mit Schutzausrüstung bei Hitze“.